Freitag & Junge Freiheit & Junge Welt – HIC SALTA !

Die Wochen vor dem Osterfest sind im Christentum durch das Symbol des Palmwedels geprägt – also Frieden und Toleranz wie damals in Jerusalem !

Nehmen wir uns diesmal nicht nur zwei, sondern drei deutsche Publikationsorgane, die unterschiedliche politische Positionen repräsentieren – und deren weltanschauliche und geopolitische Analysen, Thesen und Antithesen aber interessante „Spekulationen“ über die zukünftige politische Entwicklung Deutschlands, über bisher Ungedachtes zu möglichen Bündnissen oder gar Koalitionen in Berlin oder den Hauptstädten der 16 deutschen Ländern Tür und Tor öffnen.

„JUNGE FREIHEIT“ 7. April 2023

Das hochpolitische, sensible Thema Internationaler Sport empängt uns in den Ausgaben vom 30./31. März. Die „Junge Freiheit“ begrüßt die Entscheidung des Internationalen Leichtathletikverbandes, Trans-Sportler von Wettbewerben für Frauen auszuschließen – eine klare Stellungnahme gegen den Aktivismus der WOKISTEN !!! (gegen die „Heerschar der Aktivisten“!)

Kurz, sachlich, aber ins Mark treffend ! Beim Thema FAIRNESS – FAIRPLAY drängt sich sofort der seit Jahren betriebene antirussische (wie auch gegenwärtig aus taktischen Erwägungen leicht zurückgefahrene antichinesische) Feldzug in den internationalen Sportorganisationen und -wettberben auf – Doping ? Putin? Austauschbare Vehikel! Die „Junge Welt widmet zwei volle Seiten diesem Thema – vergleichbar Stoßrichtung und Tonart wie der Beitrag in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, aber tiefergehend:

Die JW debattiert die mögliche Rückkehr russischer und belarussischer Sportlerinnen und Sportler in die internationale Gemeinschaft, würdigt insbesondere das Engagement vom Olympiasieger Thomas Bach, des heutigen IOC-Präsidenten, für die Trennung von Sport und Politik.

Übrigens CHINA: „Alle Welt“ bemüht sich, beim Thema C H I N A nicht zu kurz zukommen, „The Economist“ nimmt es sportlich und very „british“:

Das ist aber nicht das ganze IMAGE: Hier nun der gesamte Beitrag des ECONOMIST incl. des gesamten Bildes:

Der sehr allgemein gehaltene Kommentar wird ergänzt durch eine detaillierte, mehrseitige Beschreibung der Werkzeuge, die aus Sicht des Economist den US-Eliten zur Verfügung stehen und schließlich doch keinen finalen Erfolg verspricht:

Nun das IMAGE als TOTALE, das Uncle Sam als großen, aber immer noch sympathischen Verlierer zeigt:

Unser Einstieg, unsere Abkehr von der Apologetik hin zur seriösen Analyse in den „Freitag“ beginnt am 30. März:

Das geopolitische zentrale Thema ist aufgerufen- das Ringen der USA um den Erhalt der globalen Nummer Eins ökonomisch, finanzwirtschaftlich, militärisch, diplomatisch und kulturpolitisch! Deshalb sei die Argumentation des „Freitag“ ungekürzt hier angeführt:

„Ein aufschlussreiches Zusammentreffen: Der 20. Jahrestag des illegalen Angriffs von US-Präsident George W. Bush und des damaligen britischen Premiers Tony Blair auf den Irak liegt nur wenige Wochen nach dem Jahrestag des illegalen Angriffs von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine. Weder der eine noch der andere Feldzug wurden durch die UN legitimiert. Sie waren beziehungsweise sind geprägt von massiven Zerstörungen und vielen Toten. Laut diversen Studien haben Invasion und Besetzung des Irak (2oo3-2011) mehr als eine Million irakische Zivilisten das Leben gekostet. Die US- Streitkräfte verübten unzählige Kriegsverbrechen, sie folterten irakische Soldaten, im Gefängnis Abu Ghraib wurden Häftlinge durch US-Aufseher derart gedemütigt, dass es ein Hohn auf die Genfer Konventionen war. Da die Besatzung Widerstand auslöste, ging die US-Armee zur Aufstands- bekämpfung über, bei der auch Dörfer überfallen und Unbewaifnete massakriert wurden.

Exterritoriales Imperium

Die Welt missbilligte, was geschah, aber es wurde nichts dagegen unternommen. Es gab keinerlei staatlich verordnete Sanktionen gegen die USA oder Großbritannien. Die Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs sammelten keine Beweise, die Anklagen wegen begangener Kriegsverbrechen gerechtfertigt hätten. Britische Menschenrechtsverbände verlangten zwar, dass Blair wegen des Verbrechens der Aggression angeklagt werde, aber es wandte sich keine Regierung mit einem Resolutionsentwurf an die UN, in dem stand, es müsse ein Strafverfahren gegen ihn geben. Betrachten wir die ganz andere Reaktion auf den illegalen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Fast alle westlichen Regierungen folgten dem Beispiel der USA und verhängten Sanktionen gegen Russland. Dessen Finanzbeteiligungen in US-Banken wurden eingefroren, Iachten und anderes Eigentum von Putins Freunden beschlagnahmt. Schließlich erließ der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin – wegen Kriegsverbrechen in Zusammenhang mit der Deportation von Kindern aus der Ukraine.
Die unterschiedliche Reaktion auf beide Kriege ist bemerkenswert. Sie illustriert den Unterschied zwischen der geringen internationalen Autorität Russlands und dem Einfluss der USA. Putin mag denken, sein Land sei eine Supermacht, aber in Wahrheit verfügt es – abgesehen von Nuklearwaffen – nur über geringen globalen Einfluss und nur über sehr wenige Freunde im Ausland. Was bringt der Versuch, ein überlebtes Imperium wiederherzustellen, indem fremdes Territorium erobert wird? Die USA verfügen dagegen über eine neue Art Imperium, das aber nicht auf Land basiert. Sie dominieren das internati- onale Finanzsystem und unterhalten 750 Militärbasen in über 80 Ländern.
Viele Staaten wagen es nicht, sich gegen Washington zu stellen. Einige Analysten gehen davon aus: Falls Russland in der Ukraine verliert, wird Europa erstmals in seiner Geschichte ein postimperiales System friedlicher Beziehungen und Autonomie genießen. Wer so argumentiert, vergisst freilich die NATO, die weiter ein Instrument der US-Hegemonie bleibt.
Verbündete mögen es ablehnen, an US-Militärschlägen teilzunehmen, wie es Frankreich und Deutschland 2003 beim Irak-Krieg taten – nur dass sie diese Invasion weder öffentlich als illegal einstuften noch Sanktionen forderten.
Viele Europäer, auch einstige hohe US- Regierungsbeamte, die nach dem Niedergang der Sowjetunion gegen eine Ost-Erweiterung des Bündnisses waren oder sogar dessen Auflösung befürworteten, da es den Feind nicht mehr gab -, hatten keine Chance, ihre Ziele jemals zu erreichen. Die baltischen Staaten und Polen verlangten nach dem imperialen US-Schirm, den aufzugeben der militärisch-industrielle Komplex der USA keineswegs bereit war. Als ebenso irreal erwies sich der Vorschlag, die NATO solle der Russischen Föderation den Beitritt anbieten und so der Versöhnung nach dem

Als irreal erwies sich der Vorschlag, die NATO solle Russland aufnehmen

Kalten Krieg dienen. Es durfte nicht sein. Dabei waren sowjetische beziehungsweise russische Spitzenpolitiker wie Michail Gorbatschow und Boris Ielzin sehr darauf bedacht, die Teilung Europas zu beenden. Aber Washington wollte die Allianz nicht für ein Mitglied öffnen, das vom atomaren Potenzial her an die USA heranreichte. Heute, über 30 Iahre nach dem Ende der UdSSR, kann sich das rächen.
Es gibt Anzeichen, dass die unipolare Welt einer US-Vorherrschaft dem Ende entgegengeht.
Herausforderer ist dabei nicht Putins Russland, sondern ein selbstbewusstes China. Aber auch fiihrende Politiker im Globalen Süden sind in Aufruhr. In einer ersten Schockreaktion nach Russlands Angriff auf die Ukraine stimmten in den UN 140 Staaten für eine Verurteilung der Invasion, aber nur 40 folgten den USA dabei, Russland mit Sanktionen zu belegen. Angesichts der massiven westlichen Waffenlieferungen erscheint die Behauptung, der Westen helfe lediglich, die Ukraine zu verteidigen, vielen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten als fragwürdig.
Sie hegen den Verdacht, das Ziel sei ein Regime Change im Kreml.
Eine Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt, dass sich die öffentliche Meinung in mehreren wichtigen Ländern deutlich verändert hat. Die Menschen dort wollen ein schnelles Ende des Kriegs, selbst wenn dies bedeutet, dass die Ukraine temporär an Staatsgebiet verliert. Nicht nur Bürger des autoritär geführten China denken so, auch viele in Indien, Südafrika oder der Türkei. Er beobachte, wie mächtig der russische Vorwurf der Doppelmoral sei, erklärte der EU-Außenbeauftragte Iosep Borrell jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich „schockiert darüber, wie sehr wir im Globalen Süden an Glaubwürdigkeit verlieren“. Manche befürchten einen neuen kalten Krieg, diesmal zwischen dem Westen und China. Andere erwarten beim Blick in die Zukunft eine multipolare Welt, in der Staaten nicht mehr unter Druck gesetzt werden können, sich der einen oder anderen Seite anzuschließen. Trotz der wegen des Ukraine-Krieges wieder erstarkten US-Macht in Europa könnte die Ära der US-Vorherrschaft im übrigen Teil der Welt bald vorbei sein.

Ian Steele war Korrespondent des Guardian, u. a. Leiter des, Büros in Moskau Übersetzung: Carola Torti ›ı

In ähnliche, ideologisch gegründete (ANTI-WOKE) Richtung zielen zwei Beiträge der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (31. März 2023): Erstens – „Das ist mehr als nur gefährlich“, Interview: Der US-Buchautor Stephen R. Soukup warnt vor einem Angriff auf die Freiheit von unerwarteterSeite: die woke Ideologie ist dabei, die Wirtschaft zu unterwandern – um von dort aus unsere Demokratie lahmzulegen“; zweitens Björn Harms, „Die Macht der grünen Billionen. Blackrock: Wie der weltgrößte Vermögensverwalter seinen Einfluß spielen läßt und über woke Investment-Kriterien Unternehmen unter Druck setzt“

In Ergänzung zu diesen MAKRO-ökonomischen Erwägungen ist der Beitrag in der Wochenzeitung „Freitag“ vom 31. März zu nehmen:

Man sollte den gesamten Beitrag lesen, um die Schwierigkeiten zu verstehen, mit denen die grünen Technologen weltweit, aber auch regional in der näheren Berliner Umgebung zu kämpfen haben – griffig auf den Punkt gebracht:

Das „Rätsel China“ zieht sich irgendwie durch all diese Beiträge – ob offen genannt oder im Hintergrund schwebend. Die „Junge Welt (31. März) – auf der Titelseite und auf der Kommentarseite jeweils ein Beitrag von Jörg Kronauer:

Der rote Faden:

Einer der Eckpunkte der gegenwärtigen palamentarischen Arbeit der Fraktion der AfD ist der folgende Antrag, der auf die Blockierung der Aktivitäten der Ampel-Parteien zur Umwandlung der EU in einen europäischen Bundesstaat und damit der Auslöschung der Souveränität Deutschlands zielt. Angesichts der Tagweite dieser politischen Entscheidung sei der Antrag in vollem Wortlaut hier wiedergegeben:

Deutscher Bundestag Drucksache 20/6172 28.03.2023
Antrag (der Abgeordneten . . . und) der Fraktion der AfD


Die Souveränität Deutschlands innerhalb der Europäischen Union erhalten


Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Bereits seit Jahren greift die Europäische Union immer stärker in die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten ein. Überregulierungen und Verbote bestimmen den Alltag aller EU-Bürger. Häufig stehen sie in Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip. Die „Gurkenkrümmungsverordnung“, als Sinnbild für eine überbordende EU-Bürokratie, ist sogar in den Volksmund übergegangen. Jüngstes Beispiel ist das ab 2035 geltende Verbot für Verbrennungsmotoren, welche nicht ausschließlich mit „E-Fuels“ betrieben werden können. Eine neue europäische Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden, welche die aufwendige und teure Zwangssanierung von Millionen Gebäuden nach sich zöge, befindet sich aktuell auf dem Weg. Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden.
Die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP einigten sich jedoch
im Koalitionsvertrag 2021-2025 (Koalitionsvertrag 2021) auf Folgendes: „Die
Konferenz zur Zukunft Europas sollte in einen verfassungsgebenden Konvent
münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.“ 1

1 Der Koalitionsvertrag 2021, S. 131, https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/.


Mit der Errichtung eines europäischen Bundesstaates würde die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland erlöschen und auf diesen übergehen.
Ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands möchte jedoch die Souveränität
Deutschlands als Nationalstaat innerhalb der Europäischen Union (EU) gewahrt
wissen. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2011 befürwortet nur jeder Fünfte das Aufgehen Deutschlands in einer Art „Vereinigte Staaten von Europa“.2 Die entschiedene Ablehnung gegenüber einem solchen Vorhaben ist über Jahre hinweg deutlich und stabil (vgl. Emnid-Umfrage 2017).3 In anderen Mitgliedstaaten der EU ist die Befürwortung noch geringer als in Deutschland. In den nordischen Ländern Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden beträgt die Zustimmung zur „Schaffung von Vereinigten Staaten von Europa“ lediglich 12 bzw. 13 Prozent. Die Anzahl der Befürworter eines solchen Vorhabens ist damit ähnlich niedrig wie in Großbritannien, das die EU mittlerweile verlassen hat.4
Die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ im Sinne der Schaffung eines europäischen Bundesstaates unter Aufgabe der mitgliedstaatlichen Souveränität ist ein Elitenprojekt. Sollte dessen Legitimation jemals in Form einer EU-weiten Volksbefragung überprüft werden, würde das Vorhaben über Ländergrenzen hinweg in großer Einigkeit und mit signifikanter Mehrheit in allen Mitgliedsstaaten abgelehnt werden.
Die EU, als Gemeinschaft souveräner Staaten, sollte sich auf ihre fundamentalen Werte und Ziele rückbesinnen.
Eine tragende Säule des europäischen Integrationsprozesses war und ist vor allem der freie Handel und die Zollunion. Beide sind– neben der geschätzten Reisefreiheit im Rahmen des Schengen-Abkommens – prägend für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Diese besteht erfolgreich seit 65 Jahren. Diese Wirtschaftsgemeinschaft und insbesondere den freien Handel sowie die Zollunion zu stabilisieren und zu fördern, sind wichtige Aufgaben der Bundesregierung.
Zu diesen zählt in noch stärkerem Maße der Erhalt und Schutz der staatlichen
Souveränität Deutschlands. Zentrale Merkmale staatlicher Souveränität, wie die
Steuererhebungskompetenz, sind im europäischen Integrationsprozess in der Vergangenheit bewusst auf nationalstaatlicher Ebene verblieben. Eine Übertragung der Steuergesetzgebungskompetenz auf die EU – wie bereits diskutiert wird – würde eine Verletzung des Artikels 105 GG bedeuten. Dieser weist dem Bund und den Ländern entsprechende Kompetenzen von Verfassungsrang zu.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. alles zu unterlassen, was auf die Umwandlung der EU als einer Gemeinschaft souveräner und gleichberechtigter Nationalstaaten in einen europäischen Bundesstaat zielt;

    2 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200743/umfrage/meinung-zur-eu-als-vereinigte-staaten-voneuropa/. 3 https://www.spiegel.de/politik/ausland/vereinigte-staaten-von-europa-mehrheit-der-deutschen-ist-dagegen-a-1182554.html. 4 https://yougov.de/news/2017/12/28/ein-drittel-der-deutschen-fur-vereinigte-staaten-v/
  2. dafür Sorge zu tragen, dass dem Deutschen Bundestag zu jeder Zeit und
    uneingeschränkt eigene Aufgaben und Befugnisse von substanziellem politischem Gewicht verbleiben und dass dieser stets in der Lage bleibt, seine
    haushaltspolitische Verantwortung wahrzunehmen;
  3. Bestrebungen der EU, die Steuergesetzgebungshoheit, welche gemäß
    Art. 105 GG bei Bund und Ländern liegt, an sich zu ziehen, entschieden
    entgegenzutreten;
  4. es sich zur Aufgabe zu machen, die EU zu ihren „Wurzeln als Wirtschaftsgemeinschaft“ zurückzuführen, sich insbesondere dafür einzusetzen, dass
    der freie Handel und die Zollunion gestärkt werden.

    Berlin, den 27. März 2023
    Dr. Alice Weidel, Tino Chrupalla und Fraktion

    Begründung

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lenkten Großbritannien, die USA, Frankreich und die Sowjetunion, sog.
    „Vier Mächte“, die Geschicke Deutschlands. Großbritannien, die USA und Frankreich beeinflussten auf der
    Grundlage des am 26.05.1952 geschlossenen „Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
    Deutschland“5, sog. „Deutschlandvertrag“, die Innen- und Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
    Die Einflussnahme der Sowjetunion auf die Deutsche Demokratische Republik basierte auf dem am 20.09.1955
    geschlossenen sog. „Moskauer Vertrag“6
    , auf der 1968 beschlossenen „Breschnew-Doktrin“7 sowie auf dem „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ vom 07.10.1975.8
    Das im Jahr 1990 vereinte Deutschland erlangte seine volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten erst mit Wirksamwerden des am 12.12.1990 geschlossenen „Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, sog. „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ 9
    , wieder.
    Gemäß Art. 7 Abs. 1 des vorbenannten Vertrages beendeten die Vier Mächte Großbritannien, USA, Frankreich
    und die Sowjetunion „hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als
    Ganzes. Als Ergebnis wurden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.“ 10
    Der Beitritt Deutschlands zur Europäischen Union (EU) verändert nicht das Verständnis von den Grundfesten der
    Souveränität Deutschlands als Nationalstaat innerhalb der Union.
    Die EU verpflichtet sich ihren Mitgliedstaaten
    gegenüber zur Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Sinne des (i.S.d.) Art.
    5 EUV, föderativer Grundsätze sowie einem dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz.
    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich bisher drei Mal mit dem Souveränitätsverständnis Deutschlands im Rahmen seiner europäischen Integration beschäftigt. Erstmals im Jahr 1974. Es erging die sog. „Solange I Rechtsprechung“.11
    5 http://www.verfassungen.de/de45 49/deutschlandvertrag52.html. 6 http://www.documentarchiv.de/brd/1970/moskauer-vertrag.html. 7 Boris Meissner, Die „Breschnew-Doktrin“ Köln, 1969. 8 http://www.verfassungen.de/ddr/freundschaftsvertragddrsu75.html. 9 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/internationales-recht/-/240218. 10 Ebd. 11 BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1974 – 2 BvL 52/71 –, BVerfGE 37, 271-305.
    Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt
    Drucksache 20/6172 – 4 – Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
    Im Jahr 1986 bestätigte das BVerfG diese Rechtsprechung mit der sog. „Solange II – Rechtsprechung“.12 Zuletzt äußerte sich das BVerfG im Jahr 2009 zum Integrationsprozess Deutschlands in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon. 13
    Darin heißt es:
    „Für den Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat wäre in Deutschland eine Verfassungsneuschöpfung notwendig, mit der ein erklärter Verzicht auf die vom Grundgesetz gesicherte souveräne Staatlichkeit einherginge.
    Ein solcher Akt liegt hier nicht vor. Die EU stellt weiterhin einen völkerrechtlich begründeten Herrschaftsverband
    dar, der dauerhaft vom Vertragswillen souverän bleibender Staaten getragen wird. Die primäre Integrationsverantwortung liegt in der Hand der für die Völker handelnden nationalen Verfassungsorgane. Bei wachsenden Kompetenzen und einer weiteren Verselbständigung der Unionsorgane sind Schritt haltende Sicherungen erforderlich,
    um das tragende Prinzip der begrenzten und von den Mitgliedstaaten kontrollierten Einzelermächtigung zu wahren. Auch sind eigene für die Entfaltung der demokratischen Willensbildung wesentliche Gestaltungsräume der
    Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration zu erhalten. Insbesondere ist zu gewährleisten, dass die Integrationsverantwortung durch die staatlichen Vertretungsorgane der Völker wahrgenommen werden kann.“14
    Nach dem im Koalitionsvertrag 2021 verbindlichen Willen der Bundesregierung der 20. Wahlperiode 15 „sollte
    Konferenz zur Zukunft Europas in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu
    einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und
    Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.“16 Dieser Wille und die damit
    verbundenen Ziele der Bundesregierung der 20. Wahlperiode stoßen auf verfassungsrechtliche Grenzen. Die Bundesregierung ist verpflichtet, die Souveränität Deutschlands im Rahmen der Europäischen Integration im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sowie der Rechtsprechung des BVerfG zu wahren.
    Danach findet EU-Recht und dessen Auslegung durch den EuGH in Deutschland keine Anwendung, wenn der
    „unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
    79 Abs. 3 GG17 nicht gewahrt werde.“18 Dies betrifft maßgeblich die Wahrung der Menschenwürde i.S.d. Art. 1
    GG sowie das Demokratie-, Rechtsstaats-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip i.S.d. Art. 20 GG.
    So muss i.S.d. Demokratieprinzips sichergestellt sein, dass dem Deutschen Bundestag „eigene Aufgaben und
    Befugnisse von substanziellem politischem Gewicht verbleiben“19 und dass er in der Lage bleibt, „seine haushaltspolitische Verantwortung wahrzunehmen.“20
    Ferner muss die Bundesregierung gewährleisten, dass die sog. „Kompetenz-Kompetenz“ auf nationaler Ebene
    verbleibt. Sollten bspw. auf die EU Hoheitsrechte in einer solch ausgeprägten Form übertragen werden, „dass aus
    ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Zuständigkeiten für die EU begründet werden können“, würde dies
    gegen den Grundsatz der Volkssouveränität i.S.d. Art. 20 Abs. 1 GG verstoßen.
    Als letzte Instanz sind Grenzen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht bei „offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union“21 gegeben, sog. „Ultra-vires-Kontrolle“ des BVerfG. Ob staatliche Stellen
    jedoch in Zukunft eine Ultra-vires-Kontrolle durch das BVerfG anstreben werden, ist mittlerweile fraglich.
    Die Bundesregierung nahm am 03.08.2021 zum „Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen
    Deutschland“22 wie folgt Stellung: 1. „Deutschland erkennt die Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit, der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und die in Artikel 2 EUV verankerten Werte, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit an und bekräftigt diese.

    12 BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 –, BVerfGE 73, 339-388. 13 BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 –, BVerfGE 123, 267-437. 14 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2009/bvg09-072.html, Ziffer 1, 2. Absatz. 15 SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP, sog. „Ampelkoalition“. 16 Koalitionsvertrag 2021 – 2025, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP vom 24.11.2021, S. 131, https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/. 17 sog. „Ewigkeitsklausel“ 18 BVerfGE 123, 267 (354). 19 BVerfGE 154, 17 (94 Rn. 115). 20 Ebd. 21 BVerfGE 154, 17 (85 f. Rn. 98). 22 https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-9-2021-004208_DE.html.

    2.Deutschland erkennt ausdrücklich die Autorität des Gerichtshofes der Europäischen Union an, dessen
    Entscheidungen rechtskräftig und bindend sind.
    3.Ferner ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane
    nicht von der Prüfung von Verfassungsbeschwerden vor deutschen Gerichten abhängig gemacht, sondern
    nur vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden kann.
    4.Die deutsche Regierung verpflichtet sich, unter der ausdrücklichen Bezugnahme auf ihre in den Verträgen verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, gegenüber der Europäischen Union, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires-Feststellung aktiv zu vermeiden.“23
    Der Europäische Gerichtshof stellte daraufhin das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland am 02.12.2021 ein.
    Nach Ansicht der Antragsteller ist o.a. Stellungnahme der Bundesregierung und insbesondere die Verpflichtung,
    „…alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires-Feststellung aktiv zu vermeiden.“ dazu geeignet, die Bundesregierung davon abzuhalten, beim BVerfG die gerichtliche Überprüfung eines möglichen Vorrangs von nationalem Recht gegenüber EU-Recht zu beantragen.
    Darüber hinaus drängt sich der Eindruck auf, dass die Stellungnahme der Bundesregierung vom 03.08.2021 dienlich sein könnte, Einfluss auf die deutsche Gerichtsbarkeit zu nehmen und dadurch die richterliche Unabhängigkeit zu gefährden.
    Die Antragsteller wollen mit diesem Antrag sicherstellen, dass sich die Bundesregierung der 20. Wahlperiode
    verpflichtet, die Souveränität Deutschlands als Nationalstaat innerhalb der EU zu wahren, zu verteidigen und zu
    fördern.
    Der im Koalitionsvertrag 2021 angedeutete Wille der Bundesregierung zur „Weiterentwicklung der Europäischen
    Union zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“ darf sich nur und ausschließlich in oben aufgezeigten Grenzen bewegen. Es ist unverzichtbar, dass sich die Bundesregierung der 20. Wahlperiode dazu verpflichtet, insbesondere die Artikel 23 i.V.m. Artikel 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsklausel) nicht zur Disposition möglicher Grundgesetzänderungen zu stellen.

    23 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/inf_21_6201.

Zwei Bücher zum Abschluß, deren Studium sehr zu empfehlen ist:


sowie:

und schließlich:

Sollte der Zusammenhang von „Freitag“, „Junge Welt“ und „Junge Freiheit“ den Leserinnen und Lesern dieser Zeilen noch nicht voll aufgegangen sein, hier noch drei Beiträge zur „Nachlese“ zu binnenländischen Themen:

FREITAG:

JUNGE FREIHEIT:

auch noch JUNGE FREIHEIT:

JUNGE WELT:

teil 2:

Genug zum Oster-Wochenende – irgenwann wird wieder ein „normaler“ Freitag sein, da kommen auch die Stunden zum vergleichenden Recherchieren.

Bis dann – Grüße vom Prenzlauer Berg

Annalenas CHINA – Wo zum Teufel lag PORT ARTHUR ?

Unsere grüne (gemischt aus blau mit gelb !) Frau Ministerin – wofür? Krieg, Feminismus oder außenpolitische Verweigerung) – legt sich mit der Volksrepublik CHINA an. Mutig für eine, die „aus dem Völkerrecht kommt“, keinen ordentlichen Abschluss hat und gute Noten plus Disziplin vielleicht nur aus dem Trampolinspringen kennt.

Ob sie China und seine Geschichte wirklich kennt? Man muss es stark bezweifeln. Um ihr und ihresgleichen „auf die Sprünge zu helfen“, etwas Nachhilfe – unbezahlt: ein Blog, den ich vor Jahren, noch vor der CORONA-Pandemie, veröffentlicht habe und zu dem ich aktuelle Ergänzungen anfüge!

Meister SUN ZI

Ein Jugendtraum, seine Erfüllung Jahrzehnte aufgeschoben, klopft nun ans Fenster – das legendäre Port Arthur werde ich in wenigen Wochen betreten. Meine jüngeren Freunde und Gesprächspartner mögen mir den intellektuellen Überfall verzeihen, für sie erscheint dieser Ort in China (wie auch die Seeschlacht von Tsushima) so weit weg, die historische Periode der brutalen neuzeitlichen Kriege um dieses Felsennest am Gelben Meer lässt keine Saite in ihrer Gefühlswelt erzittern. Über einhundert Jahre sind vergangen, seit sich die Kaiser von Russland, Japan und China den wirtschaftlichen und weltpolitischen Einfluss im „Fernen Osten“ (in europäischer Sicht), auf uraltem chinesischen Kulturboden militärisch streitig machten und den Ortsnamen Port Arthur in die Schlagzeilen der Telegraphenmeldungen und Zeitungen brachten.

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Der Name des Festungsortes war zwar englisch, wurde aber durch die russischen Eroberer genutzt – vielleicht um die zivilisierende, globalisierende Mission der Ausländer in China zu unterstreichen. Was uns revolutionsbewusste Jugendliche vor Jahrzehnten beim Hören der Namen Port Arthur, Tsushima und Kreuzer Warjag bewegte, waren die Strahlen der Morgensonne, die uns aus jenen blutigen Szenen der Weltgeschichte um 1904/05 entgegen leuchteten: In den glühenden Augen der Helden Lenin, Mao und Che Guevara lasen wir die geschichtliche Wahrheit, dass gerade die epochale Niederlage der russischen Flotte und des russischen Heeres gegen die junge aufstrebende asiatische Nation Japan die erste russische Revolution von 1905 entstehen ließ. Russen, Türken, Mexikaner, Chinesen wurden aus Objekten, aus Schachfiguren der Großmächte zu historischen Akteuren. Der Hegelsche Weltgeist, den wir begeistert studierten, suggerierte die Symbolkraft des Namens Port Arthur (also: Niederlage des russischen Zarenreiches = Asche, aus der die Oktoberrevolution entspringt) für die globale Revolution des 20. Jahrhunderts.

Die ersten Boote der Kriegsmarine der VR China – heute Museum in Qingdao

Die Hegelsche Dialektik ließ uns auch verstehen, wie sich die blutige Tradition des japanischen Faschismus, aus den Siegen gegen China und Russland vor über einhundert Jahren erwachsen, zum Sprengstoff für revolutionäre Bewegungen in Asien verwandelte.

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Nun aber zu unserem Port Arthur zurück: in der nunmehrigen nordostchinesischen Hafenmetropole DALIAN finden sich heute Spuren jener Tage. Die meisten europäischen gedruckten Reiseführer ignorieren geflissentlich diese Fakten und Fotos. Ich fand glücklicherweise den Rowohlt-Verlag auch hier auf der Seite der Revolutionäre: vor über zwanzig Jahren hatten die Lektoren den Bielefelder Autoren Hartwig Bögeholz entdeckt und seine China-Impressionen in der Reihe „Anders reisen“ im Jahre 1997 publiziert. S. 184 ff: Ein Genuss !!!

Downtown DALIAN heute

nd dessen Eindrücke über Port Arthur-Dalian-Lüshun sollte man auf die Reise mitnehmen – was ich tun werde.

Vor allem werde ich die Chinesen fragen, was aus ihrem Traum, Dalian zu einem zweiten Hongkong werden zu lassen, geworden ist.

Bei den Erinnerungen an die VOR-CORONA-ZEIT schleicht sich vor mein inneres Auge jene Reise nach Nordostchina im Jahre 2019. Damals wollte mich einstimmen mit leichter Lektüre: Die schöne Li, das Perlenhemd, die törichte Buhle und natürlich I GING – das Buch der Wandlungen!

Auch das bot sich an

Leicht und flüssig die Erzählungen, die Moral locker dahingesprochen wie bei den Fabeln La Fontaines: Ein Jüngling auf dem Wege zur kaiserlichen Beamtenprüfung in der Hauptstadt, also dem sicheren Sprungbrett zur Karriere, wird von einem Mädchen und ihrer erfahrenen Kupplerin um seine Reisekasse geprellt. Sie gefällt ihm, er verfällt ihr mit Kasse und allen Reiseplänen, Familienpflichten und Verantwortung gegenüber den alten Eltern. Dieses Thema mehrfach variiert, auch ein Greis mit einigem Reichtum verfällt den Reizen des Mädchens („Die Kleine Nai“). Die Schönen haben erregende Namen – die schöne Li, die schöne Tu, Duftwolke und Morgenröte. Selbst der reiche Buchhändler Tschang „in seiner imposanten Fülle“ im gelben Rock eines Mandarins  lässt sich von den körperlichen Vorzügen der „Pfirsichblüte“ und „Nephritwolke“ vom rechten Weg, von der Erfüllung seiner Pflichten abbringen – hat aber Glück, wird begnadigt und landet nicht  in der Gosse. Ich glaubte schon auf dem rechten literarischen Weg zu sein – doch dann wurde es philosophisch. Zum Nachtisch hatte ich „I ging“, das „Buch der Wandlungen“, zurechtgelegt.

(eigentlich Yijing 易经, Pinyin  jīng)

Aber – unter der Überschrift „Mong – die Jugendtorheit“ fand ich zu meinem Erstaunen fünf tausend Jahre alte Rezepte, wie diesen Verirrungen der Jünglinge begegnet werden sollte: ein Zeichen aus 13 Strichen, beginnend mit dem oberen Querstrich, angeschlossen die beiden oberen kleinen Längsstriche. Und nach dem mittleren horizontalen Teilungsstrich eine Gruppe verbundener Striche, die ein Tier darstellen könnte – ein Rückgrat, ein Schwanz und nach links vier Füße! Also ein Haustier, ein Hausschwein! Was hat das Hausschwein mit den Torheiten des Jünglings zu schaffen?

Die chinesische Schrift hat ihre Ordnungsprinzipien – keine Willkür in der Reihenfolge der Striche, keine Willkür in der Richtung, wie der Pinsel oder Kugelschreiber die Striche aufs Papier bringt. Also auch keine Willkür in der Deutung der vielfachen Verwendung des Tier-Zeichens mit seinen nur sieben Strichen:

Das moderne Wörterbuch erklärt die Silbe als meng, in unseren Breiten ausgesprochen MANG, im zeitgenössischen Chinesischen je nach Bedeutung in der ersten, zweiten oder dritten Aussprachegruppe. Das Hausschwein geht in seiner bildlichen Gestalt verloren, aber das Zeichen erhält vielfache Interpretationsvarianten!  Zu unserer Überraschung gehen aber die Bedeutungen nicht allzusehr auseinander – und haben alle einen interessanten Bezug zu unserem Jüngling und seinen Irrungen – hier nur einige Beispiele: Genie, hintergehen, beschwindeln, betrügen, Kopf verlieren, benommen, bewusstlos, Elefant – in Zusammensetzungen: Betäubungsmittel, Schlaftrunk, verhüllen,  verkleiden, Halbschlaf, Sand in die Augen streuen, dunstig, neblig, schummeln.

Nun stecke ich fest im Philosophischen, erinnere mich an meine Jugendlektüre – wie bei Balzac und Dumas der französische Jüngling aus der Provinz wie einst Bonaparte sein Glück in Paris macht – im Gegensatz zum törichten und sinnlich anfälligen Chinesen lässt er sich nicht ablenken auf dem Weg zu Ruhm, Reichtum und Ehre.

Im Gespräch mit einem chinesischen Freund aber kam gestern die Ernüchterung! Er gab zu bedenken, ob nicht die heutigen europäischen jungen Männer bei der Lektüre der Erzählungen von Balzac und Dumas die Rationalität und Strategie zur Maxime machten, aber das Risiko auf dem Wege nach oben, auf dem Wege in die weite Welt scheuten.

Er meinte, dass manche Berater chinesischer Politiker und Wirtschaftslenker von heute im stillen Kämmerlein munkeln, dass sich westliche Minister, Präsidenten, Konzernbosse immer noch vom Image jener Figuren aus den chinesischen Novellen und Kurzgeschichten leiten lassen, wenn sie zögerlich, halbherzig, zaudernd auf die verlockenden Angebote zur langfristigen Zusammenarbeit reagieren.

Zurück zur Lektüre – nach dem törichten Jüngling nun zu drei Mädchen und drei Wüstlungen – wobei ich bei Robert van Gulik angelangt wäre.

CHINA in der Tang-Periode, also in den Jahren 630 bis 700 unserer Zeitrechnung. Eine scheinbar leicht aufzulösende Kriminalgeschichte – drei sehr junge Mädchen, davon ein Zwillingspaar, und drei ältere Wüstlinge. Zwei der drei Herren werden in schneller Folge ermordet, der ermittelnde Richter, gleichzeitig Kriminaldirektor der Stadt, erkennt, dass die Aufklärung der zusammenhängenden Fälle in der Vergangenheit der Mädchen und der drei Herren beginnen muss. Die einfache Rechnung – jeder Wüstling hatte eines der Mädchen gekauft und brutal misshandelt, dass sich nun rächt – geht nicht auf!
Obwohl ich gern anknüpfen würde an den vorigen Geschichten vom schönen Mädchen und dem törichten Jüngling aus dem kaiserlichen China,

Robert van Gulik

verlangt die Redlichkeit vom Schreiber den Bruch und die Offenlegung der nunmehrigen Quelle: mehr als ein Dutzend Bände von Kriminalerzählungen, erschienen erstmals zwischen 1950 und 1968 in englisch, niederländisch und japanisch aus der Feder des niederländischen Diplomaten, Historikers, Sinologen, Musikers und Zeichners Robert van Gulik (1910 – 1967).

Alle Handlungsfäden der sehr unterschiedlichen Geschichten, angesiedelt in verschiedenen Regionen und Städten des Kaiserreiches, laufen zusammen in einer Person, des Richters Di (englisch Dee), seiner Familie und einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern  Es sind nun nicht mehr die Erzählstile der verschiedenen chinesischen Autoren, die wundersame Verknüpfung von Schicksalen junger Menschen in den Jahrhunderten des Reiches der Mitte, die uns beeindrucken, sondern hier versucht uns erfolgreich ein europäischer Autor, Kenner der Materie durch Spannung, Details aus der Tätigkeit von Polizei, Verwaltung, Militär, durch die Offenlegung psychologischer Strukturen, Denkweisen, Tiefen der Motivationen von Händlern, Beamten, Kurtisanen, Künstler, Studenten, Krimineller das innere Wesen Chinas nahezubringen. Man spürt in jeder Zeile, in jeder Zeichnung die Liebe des Autoren zu diesen Menschen, das Mitgefühl in einer Zeit der Kriege, Bürgerkriege, der Hungersnöte und des politischen Terrors.
Doch zurück zu jenen drei Mädchen und ihren Schicksalen – nachzulesen im Erzählband „The Willow Pattern“ (deutsch: „Mord nach Muster“), geschrieben 1964 und in Fortsetzungen zuerst in den Niederlanden veröffentlicht.
Die Fabel: ein schon nicht mehr sehr junger Sohn aus dem reichem Hause Mei der kaiserlichen Residenz kauft eine sehr junge Kurtisane aus einem Bordell, macht sie zu seiner Ehefrau, umgibt sie mit Luxus und verschleiert in der „guten Gesellschaft“ ihre Herkunft. Das Mädchen, die nunmehrige Ehefrau, leidet unter der Isolation und Monotonie ihres Daseins, brennt mit einem Mann aus einer anderen Familie (Hoo) der Oberschicht durch, wird im Geheimen zu einer Perle der sexuellen Orgien in der Oberschicht, an der auch ihr bisheriger Ehemann teilhat. Der neue Liebhaber jedoch sucht daneben erotische Abenteuer durch die Verführung junger Mädchen in Komplizenschaft mit einem ebenfalls reichen und amoralischen Nachbarn (Yee), dem die schönen Zwillinge aber zum tödlichen Verhängnis werden. Der reiche Ehemann Mei aber kann trotz der erotischen Zerstreuungen seine Eifersucht nicht beherrschen, überrascht seine Frau mit ihrem Liebhaber im eigenen Hause und bezahlt diese Entdeckung mit dem Leben.

Richter Di schafft es, die Fäden des scheinbar unlösbaren Falles aufzutroddeln und den dritten noch lebenden Wüstling aufs Schafott zu bringen – durch den Nachweis, dass einer der drei Wüstlinge die Mutter der beiden schönen Zwillinge auf dem Gewissen hat und Rache das Motiv der Tötung des dritten Mannes Yee war.
Anregung genug, bei van Gulik weiterzulesen – zum Beginn seiner Karriere als Richter in der Provinz und dem Gewinn einer neuen, zusätzlichen Nebenfrau! Eine Liebesgeschichte im alte China !!!

Vier Frauen durfte ein Bezirksrichter im kaiserlichen China haben, sie wohnten im geräumigen Gerichtsgebäude, hatten ihr eigenes abgetrenntes Privatquartier für sich, für die Kinder und Dienstboten. Robert van Gulik, der holländische Sinologe und Diplomat des 20. Jahrhunderts, hatte en passant in dem Band „The chinese gold murderers“ (deutsch: „Geisterspuk in Peng-lai“) beschrieben, wie sein berühmter Richter Di bei der Lösung eines Kriminalfalles zu einer zweiten Nebenfrau kam, obwohl er eigentlich mit der Hauptfrau und der ersten Nebenfrau sehr zufrieden war.

… mein liebster GULIK

Das Zeichen für einen Rechtsfall: an

Es ist die erste Station der langen Karriere des Richters, die unruhige Stadt Peng-lai im Norden, an der Grenze zu den Herrschaftsgebieten der Tataren und der Koreaner. Und es ist der fünfte Band der Serie Robert van Guliks über den Richter Di.

Trotz seiner Jugend – er ist 33 Jahre alt – und dem Mangel an taktischen Erfahrungen im Umgang mit den lokalen Autoritäten gelingt es dem Richter in wenigen Tagen, die imperiale Macht zu stabilisieren und – gegründet auf den gesunden Menschenverstand – Vertrauen in seine Person und sein Team zu wecken. Nun muss das Verschwinden einer Person aufgeklärt werden, der frisch verheirateten Frau des Reeders Koo, also einer Person der Oberschicht. Das achte Kapitel des Bandes erzählt im Detail, wie der Reeder dem Gericht die mögliche Entführung oder den möglichen Mord an seiner Ehefrau, einer Tochter aus dem gutem Hause Tsao, mitteilt und damit dem Richter die Aufklärung zur Pflicht macht.


Die Hafenstadt Penglai (蓬 莱 市, pinyin: Pénglái shì) gibt es heute noch, sie liegt westlich des bekannteren Yantai an der Bohai-Bucht in der Provinz Shandong und ist Teil der Großgemeinde Yantai. Vermutlich geht auch heute wie vor Jahrhunderten ein Großteil des chinesischen Seehandels mit Firmen aus beiden koreanischen Staaten über Penglai und Yantai. Diese Umgebung – Seehandel, Schmuggel, Sprach- und Kulturmix, Bandenkriminalität und Prostitution – prägt die Tochter des Literaten und Landbesitzers Tsao – durch ihren Vater vermeintlich auf dem Landgut beschützt.

Die junge Frau aber entgeht nur Tage nach ihrer Hochzeit um wenige Zentimeter einem Mordanschlag, gerät auf der Flucht in die Fänge einer kriminellen Bande, die sie als Prostituierte missbraucht.  Nach all diesen brutalen Erlebnissen wird sie von der verängstigten Bordellbesitzerin dem Gericht übergeben – damit wäre der Fall der vermissten Braut aufgeklärt. Aber – die Normen der „guten Gesellschaft“ verbieten die „Rückgabe“ an Ehemann oder Vater – der geschändeten jungen Frau, der „beschädigten Ware“ wird Selbstmord nahegelegt! Für den Weg in ein Kloster fühlt sie sich nicht reif genug – sie sieht keinen Ausweg. Richter Di, ein Vorläufer der aufgeklärten Juristen der Neuzeit, bietet ihr die aus seiner Sicht beste Alternative – eine Nebenfrau in seinem Haushalt, da sie nicht unansehnlich ist, mit seiner ersten, der Hauptfrau vermutlich gut zurechtkommt und ihm – wie gesagt – rechtmäßig vier Frauen zustehen. Robert van Gulik lässt Richter Di in einem anderen Band der Krimi-Serie („The Chinese Nail Murders“) ein happy-end für die junge Frau und auch den geplagten Richter formulieren: „Er reflektierte, dass er wirklich sehr viel Glück mit seinen Frauen hatte. Seine First Lady war eine sehr kultivierte Frau, die älteste Tochter seines besten Freundes. Das gute Verständnis zwischen ihnen war ihm immer eine große Hilfe in Zeiten der beruflichen Anspannung und ihre zwei Söhne waren eine ständige Quelle der Freude. Seine zweite Frau war nicht ganz so gebildet, aber sie sah gut aus, war mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet und führte den großen Haushalt sehr effizient. Die Tochter, die sie ihm geschenkt hatte, besaß denselben ausgeglichenen Charakter.
Seine dritte Frau hatte er aus Penglai mitgebracht, seinem ersten Posten.

Nach einigen schrecklichen Erfahrungen war sie von ihrer Familie verlassen worden und der Richter hatte sie als Gesellschafterin seiner First Lady in sein Haus genommen. Die First Lady war von ihr sehr angetan und hatte schon bald dem Richter nahegelegt, sie zu seiner Frau zu machen. Der hatte sich anfangs gesträubt, er wolle ihre Dankbarkeit nicht ausnutzen. Aber als sie ihm ihre Zuneigung zeigte, hatte er nachgegeben – und es nicht bereut. Sie war eine schöne, liebliche junge Frau und es war gut, dass sie nun zu viert Domino spielen konnten.“

Soviel zum Privatleben des Bezirksrichters Di im alten China!

Nach der Veröffentlichung meiner damaligen Geschichte über Richter Dis Nebenfrauen lehnte ich mich zufrieden zurück und wartete auf Kommentare – wie üblich.

Nun aber, da mich das Thema weiter verfolgte, regten sich der Sozialwissenschaftler, der genießende Leser und der Philosoph in mir, ließen mir keine Ruhe und bringen mich heute zur Präzision gewisser Passagen jener Geschichte.
Was war geschehen? Ich ertappte mich bei intellektueller Oberflächlichkeit – ich hatte den niederländischen Sinologen, Diplomaten und Romancier Robert van Gulik in seiner Beziehung zur chinesischen Stadt Peng-lai als einzelnes, seltsames und bewundernswertes Wesen dargestellt, keine Minute darauf verwandt, ihn soziologisch aus seiner Zeit und aus jener Region des chinesischen Nordostens zu verstehen. Das Wort ist nun in der Welt, man möge mir verzeihen – aber die Redlichkeit des Autoren verlangt eine Präzisierung.
Robert van Gulik, der Holländer, nimmt die Hafenstadt Peng-lai zum Handlungsort der erwähnten Kriminalerzählung „The chinese gold murderers“ (deutsche Version „Gespensterspuk in Pen-lai“) nicht wegen des spannenden Namens, sondern weil er sie kennt – und weil er dort auf holländische Spuren stößt!


Die Stadt selbst taucht unter verschiedenen Namen in den chinesischen Beschreibungen auf: Peng-lai, Dengzhou, Tengchow, Tschi-fu, Tshi-fu, Chefoo, Penglai in unterschiedlichen Beziehungen zum benachbarten Yantai. Auffällig aber die mehrfachen Bezüge zu Firmen und Banken aus den Niederlanden über die Jahrhunderte, die sicherlich dem geübten Auge des Wissenschaftlers und Diplomaten van Gulik bekannt gewesen sein müssten. Holländische Wirtschaftshistoriker und Soziologen weisen nach, dass während der vier Epochen der ökonomischen Aktivitäten des Westens in China vor 1941 (1557-1715, 1715 – 1842, 1842 – 1895 und ab 1895) verstärktes holländisches Auftreten in China vor allem in den beiden Perioden 1715-1842 und nach 1895 mittels Direktinvestitionen zu verzeichnen ist. Für den interessierten Beobachter van Gulik springen ins Auge die Investitionen und das praktische direkte Engagement holländischer Firmen beim Bau von Eisenbahnen und Hafenanlagen.

Einen Höhepunkt bildete der Ausbau der Docks, Wellenbrecher, Hafenanlagen und der Eisenbahnanschlüsse von Yantai und Peng-lai zwischen 1909 und 1923. Die Bauten bestehen noch heute und bilden touristische Attraktionen.
Die wichtigste niederländische Reederei Java-China-Japan-Lijn (JCJL) hatte schon im Jahr 1903 in Yantai/Peng-lai eine ihrer strategisch bedeutendsten Agenturen errichtet. Vermutlich kannte van Gulik aus einer Diplomatenzeit auch führende Persönlichkeiten der beiden großen Unternehmen Nederlandsch Syndicaat voor China (Eisenbahnbau) und Nederlandsche Maatschappij voor Havenwerken (Hafenausbau und -anlagen) – und angesichts der engen Zusammenarbeit der holländischen Firmen mit Niederlassungen aus Deutschland und Großbritannien deren ausländische Partner.
Soweit ein Versuch, Robert van Gulik in seinen Verflechtungen als Diplomat, Wissenschaftler und Schriftsteller zu erkennen.

Robert van Gulik schrieb während eines Aufenthalts in Beirut im Jahre 1956 die drei Kriminalerzählungen The Headless Corps, The Paper Cat, The Murdered Merchant und veröffentlichte sie 1961 zusammengefasst unter dem Titel „The Chinese Nail Murders“.

Er siedelte die Handlungen an in der fiktiven Bezirkshauptstadt Pei-chow – wie er schreibt – „nahe der Nordgrenze des chinesischen Kaiserreiches“.  Im Unterschied zu Peng-lai, der real existiereden Hafenstadt nahe Yantai in der Provinz Shandong, die den Handlungsort eines anderen des Kriminalbandes („The Chinese Gold Murderers“) abgibt, lässt sich eine Stadt Pei-chow (auch unter Verwendung verschiedener Schreibvarianten) nicht nachweisen – weder in der Geschichte noch in der Gegenwart.


Gulik schrieb auf einer Kartenskizze den Namen pei-chow mit den chinesischen Zeichen

Das würde in moderner Schreibweise: Bei-zhou (übersetzt mit Nordland oder Nordprovinz), und in pinyin  běi  zhōu ( 北  州) heißen.

Liest man gründlich die Erzählungen des Bandes, findet man ausreichend Attribute des chinesischen Nordens – die kalten Steppenwinde, die Sandstürme aus den Wüstens des Nordostens, vermutlich heute die Gebiete der äußeren und inneren Mongolei oder Mandschuriens, die einfache Küche, in deren Mittelpunkt Wild und Fisch standen.

Man findet Verwandtschaftsbeziehungen der Bewohner dieser chinesischen Stadt zu Familien der Tatarenstämme, Hinweise auf Kleidungsstücke wie Turbane und Kapuzen der Tataren.

Liebte Robert van Gulik also besonders den chinesischen Nordosten? Die fiktive Stadt pei-chow lässt die Antwort offen, auch der Biograph Janwillem van de Wetering umgeht diese Frage. Man kann natürlich davon ausgehen, dass Gulik die wissenschaftliche und Reiseliteratur der europäischen Entdecker des 19. Jahrhunderts gekannt hat,

so die Publikation „Entdeckungsreisen in China“ des deutschen Geographen und Geologen Ferdinand von Richthofen – auf dessen Berichte über die Kohlevorkommen in China sich die wilhelminischen Eroberer des „Pachtgebietes“ in Shandong stützten.

In der neuesten Zeit angekommen, sind wir bei den imperialen Widersprüchen und militärischen Konflikten der Großmächte Rußland, Japan, Deutschland – ausgefochten auf chinesischem Boden, dabei das Blut von Chinesen skrupellos vergießend.

Der Traum des Zaren 1904


Mein Jugendtraum, seine Erfüllung Jahrzehnte aufgeschoben, klopft nun ans Fenster – Anfang 2019 ! Das legendäre Port Arthur werde ich in wenigen Wochen betreten. Meine jüngeren Freunde und Gesprächspartner mögen mir den intellektuellen Überfall verzeihen, für sie erscheint dieser Ort in China (wie auch die Seeschlacht von Tsushima) so weit weg, die historische Periode der brutalen neuzeitlichen Kriege um dieses Felsennest am Gelben Meer lässt keine Saite in ihrer Gefühlswelt erzittern. Über einhundert Jahre sind vergangen, seit sich die Kaiser von Russland, Japan und China den wirtschaftlichen und weltpolitischen Einfluss im „Fernen Osten“ (in europäischer Sicht), auf uraltem chinesischen Kulturboden militärisch streitig machten und den Ortsnamen Port Arthur in die Schlagzeilen der Telegraphenmeldungen und Zeitungen brachten.

Der Name des Festungsortes war zwar englisch, wurde aber durch die russischen Eroberer genutzt – vielleicht um die zivilisierende, globalisierende Mission der Ausländer in China zu unterstreichen. Was uns revolutionsbewusste Jugendliche vor Jahrzehnten beim Hören der Namen Port Arthur, Tsushima und Kreuzer Warjag bewegte, waren die Strahlen der Morgensonne, die uns aus jenen blutigen Szenen der Weltgeschichte um 1904/05 entgegen leuchteten: In den glühenden Augen der Helden Lenin, Mao und Che Guevara lasen wir die geschichtliche Wahrheit, dass gerade die epochale Niederlage der russischen Flotte und des russischen Heeres gegen die junge aufstrebende asiatische Nation Japan die erste russische Revolution von 1905 entstehen ließ. Russen, Türken, Mexikaner, Chinesen wurden aus Objekten, aus Schachfiguren der Großmächte zu historischen Akteuren. Der Hegelsche Weltgeist, den wir begeistert studierten, suggerierte die Symbolkraft des Namens Port Arthur (also: Niederlage des russischen Zarenreiches = Asche, aus der die Oktoberrevolution entspringt) für die globale Revolution des 20. Jahrhunderts. Die Hegelsche Dialektik ließ uns auch verstehen, wie sich die blutige Tradition des japanischen Faschismus, aus den Siegen gegen China und Russland vor über einhundert Jahren erwachsen, zum Sprengstoff für revolutionäre Bewegungen in Asien verwandelte.

Nun aber zu unserem Port Arthur zurück: in der nunmehrigen nordostchinesischen Hafenmetropole DALIAN finden sich heute Spuren jener Tage. Die meisten europäischen gedruckten Reiseführer ignorieren geflissentlich diese Fakten und Fotos. Ich fand glücklicherweise den Rowohlt-Verlag auch hier auf der Seite der Revolutionäre: vor über zwanzig Jahren hatten die Lektoren den Bielefelder Autoren Hartwig Bögeholz entdeckt und seine China-Impressionen in der Reihe „Anders reisen“ im Jahre 1997 publiziert. S. 184 ff: Ein Genuss !!! Und dessen Eindrücke über Port Arthur-Danian-Lüshun sollte man auf die Reise mitnehmen – was ich tun werde. Vor allem werde ich die Chinesen fragen, was aus ihrem Traum, Dalian zu einem zweiten Hongkong werden zu lassen, geworden ist.

Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg
Sonntag, d. 29. August 2021 (noch mitten in der CORONA-Zeit)

PS. Für diejenigen Leser, die mir seit 2018 treu sind, ist eine Bitte um Verzeihung angebacht – der heutige Beitrag verwendete Passagen und Abbildungen aus blogs früherer Perioden (alles möglich im Rahmen von WordPress). Sollte Ihnen das nicht gefallen – schreiben Sie einen bösen Kommentar!
Wer mir nicht glaubt, dass ich 2019 in Qingdao und anderen Städten war – hier eine kleine Auslese der bildlichen Belege – ohne Titel und ohne Kommentar:

Zur Ergänzung für die Herren Röttgen

Kriegstreiber Röttgen

und Nouripour,

und auch für die Trampolineuse ANNABELLA:

Vor 11 Monaten habe ich hier an dieser Stelle geschrieben:

WIDMUNG: Von allen mir bekannten Politikern ist Norbert Röttgen derjenige mit einer solch pathologischen Verachtung für das chinesische Volk und dessen epochemachenden Leistungen der letzten Jahrzehnte, dass ich nicht umhin kann, ihm diese Fotos ohne Text und ohne Kommentar zu widmen. Mit der Hoffnung auf eine Nicht-Wiederwahl zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 29. August 2021

Heute, im Sommer 2022, ist die politische Lage verändert – Norbert Röttgens Partei hat die letzten Bundestagswahlen verloren, also aus der Traum vom Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses. Aber dann kam der Krieg und die Schießwütigen haben Oberwasser. Und CHINA ist nun offizieller Hauptfeind Nr. 2 ! Soll die keinen wirklich abschreckende Bundeswehr gegen die Millionenarmee der Volksrepublik China gemeinam mit den USA, Australien etc. antreten? Man möchte diesen Leuten nicht nur zurufen – ab an die Ostfront ! Man muss ihnen entgegenschleudern – ab an die Front nach Fernost ! Da gibt s blutige Nasen – da sind noch Rechnungen offen – seit der Hunnenrede des Kaisers.

Bei den Erinnerungen an die VOR-CORONA-ZEIT schleicht sich vor mein inneres Auge jene Reise nach Nordostchina im Jahre 2019. Damals wollte mich einstimmen mit leichter Lektüre: Die schöne Li, das Perlenhemd, die törichte Buhle und natürlich I GING – das Buch der Wandlungen!

Auch das bot sich an

Leicht und flüssig die Erzählungen, die Moral locker dahingesprochen wie bei den Fabeln La Fontaines: Ein Jüngling auf dem Wege zur kaiserlichen Beamtenprüfung in der Hauptstadt, also dem sicheren Sprungbrett zur Karriere, wird von einem Mädchen und ihrer erfahrenen Kupplerin um seine Reisekasse geprellt. Sie gefällt ihm, er verfällt ihr mit Kasse und allen Reiseplänen, Familienpflichten und Verantwortung gegenüber den alten Eltern. Dieses Thema mehrfach variiert, auch ein Greis mit einigem Reichtum verfällt den Reizen des Mädchens („Die Kleine Nai“). Die Schönen haben erregende Namen – die schöne Li, die schöne Tu, Duftwolke und Morgenröte. Selbst der reiche Buchhändler Tschang „in seiner imposanten Fülle“ im gelben Rock eines Mandarins  lässt sich von den körperlichen Vorzügen der „Pfirsichblüte“ und „Nephritwolke“ vom rechten Weg, von der Erfüllung seiner Pflichten abbringen – hat aber Glück, wird begnadigt und landet nicht  in der Gosse. Ich glaubte schon auf dem rechten literarischen Weg zu sein – doch dann wurde es philosophisch. Zum Nachtisch hatte ich „I ging“, das „Buch der Wandlungen“, zurechtgelegt.

(eigentlich Yijing 易经, Pinyin  jīng)

Aber – unter der Überschrift „Mong – die Jugendtorheit“ fand ich zu meinem Erstaunen fünf tausend Jahre alte Rezepte, wie diesen Verirrungen der Jünglinge begegnet werden sollte: ein Zeichen aus 13 Strichen, beginnend mit dem oberen Querstrich, angeschlossen die beiden oberen kleinen Längsstriche. Und nach dem mittleren horizontalen Teilungsstrich eine Gruppe verbundener Striche, die ein Tier darstellen könnte – ein Rückgrat, ein Schwanz und nach links vier Füße! Also ein Haustier, ein Hausschwein! Was hat das Hausschwein mit den Torheiten des Jünglings zu schaffen?

Die chinesische Schrift hat ihre Ordnungsprinzipien – keine Willkür in der Reihenfolge der Striche, keine Willkür in der Richtung, wie der Pinsel oder Kugelschreiber die Striche aufs Papier bringt. Also auch keine Willkür in der Deutung der vielfachen Verwendung des Tier-Zeichens mit seinen nur sieben Strichen:

Das moderne Wörterbuch erklärt die Silbe als meng, in unseren Breiten ausgesprochen MANG, im zeitgenössischen Chinesischen je nach Bedeutung in der ersten, zweiten oder dritten Aussprachegruppe. Das Hausschwein geht in seiner bildlichen Gestalt verloren, aber das Zeichen erhält vielfache Interpretationsvarianten!  Zu unserer Überraschung gehen aber die Bedeutungen nicht allzusehr auseinander – und haben alle einen interessanten Bezug zu unserem Jüngling und seinen Irrungen – hier nur einige Beispiele: Genie, hintergehen, beschwindeln, betrügen, Kopf verlieren, benommen, bewusstlos, Elefant – in Zusammensetzungen: Betäubungsmittel, Schlaftrunk, verhüllen,  verkleiden, Halbschlaf, Sand in die Augen streuen, dunstig, neblig, schummeln.

Nun stecke ich fest im Philosophischen, erinnere mich an meine Jugendlektüre – wie bei Balzac und Dumas der französische Jüngling aus der Provinz wie einst Bonaparte sein Glück in Paris macht – im Gegensatz zum törichten und sinnlich anfälligen Chinesen lässt er sich nicht ablenken auf dem Weg zu Ruhm, Reichtum und Ehre.

Im Gespräch mit einem chinesischen Freund aber kam gestern die Ernüchterung! Er gab zu bedenken, ob nicht die heutigen europäischen jungen Männer bei der Lektüre der Erzählungen von Balzac und Dumas die Rationalität und Strategie zur Maxime machten, aber das Risiko auf dem Wege nach oben, auf dem Wege in die weite Welt scheuten.

Er meinte, dass manche Berater chinesischer Politiker und Wirtschaftslenker von heute im stillen Kämmerlein munkeln, dass sich westliche Minister, Präsidenten, Konzernbosse immer noch vom Image jener Figuren aus den chinesischen Novellen und Kurzgeschichten leiten lassen, wenn sie zögerlich, halbherzig, zaudernd auf die verlockenden Angebote zur langfristigen Zusammenarbeit reagieren.

Zurück zur Lektüre – nach dem törichten Jüngling nun zu drei Mädchen und drei Wüstlungen – wobei ich bei Robert van Gulik angelangt wäre.

CHINA in der Tang-Periode, also in den Jahren 630 bis 700 unserer Zeitrechnung. Eine scheinbar leicht aufzulösende Kriminalgeschichte – drei sehr junge Mädchen, davon ein Zwillingspaar, und drei ältere Wüstlinge. Zwei der drei Herren werden in schneller Folge ermordet, der ermittelnde Richter, gleichzeitig Kriminaldirektor der Stadt, erkennt, dass die Aufklärung der zusammenhängenden Fälle in der Vergangenheit der Mädchen und der drei Herren beginnen muss. Die einfache Rechnung – jeder Wüstling hatte eines der Mädchen gekauft und brutal misshandelt, dass sich nun rächt – geht nicht auf!
Obwohl ich gern anknüpfen würde an den vorigen Geschichten vom schönen Mädchen und dem törichten Jüngling aus dem kaiserlichen China,

Robert van Gulik

verlangt die Redlichkeit vom Schreiber den Bruch und die Offenlegung der nunmehrigen Quelle: mehr als ein Dutzend Bände von Kriminalerzählungen, erschienen erstmals zwischen 1950 und 1968 in englisch, niederländisch und japanisch aus der Feder des niederländischen Diplomaten, Historikers, Sinologen, Musikers und Zeichners Robert van Gulik (1910 – 1967).

Alle Handlungsfäden der sehr unterschiedlichen Geschichten, angesiedelt in verschiedenen Regionen und Städten des Kaiserreiches, laufen zusammen in einer Person, des Richters Di (englisch Dee), seiner Familie und einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern  Es sind nun nicht mehr die Erzählstile der verschiedenen chinesischen Autoren, die wundersame Verknüpfung von Schicksalen junger Menschen in den Jahrhunderten des Reiches der Mitte, die uns beeindrucken, sondern hier versucht uns erfolgreich ein europäischer Autor, Kenner der Materie durch Spannung, Details aus der Tätigkeit von Polizei, Verwaltung, Militär, durch die Offenlegung psychologischer Strukturen, Denkweisen, Tiefen der Motivationen von Händlern, Beamten, Kurtisanen, Künstler, Studenten, Krimineller das innere Wesen Chinas nahezubringen. Man spürt in jeder Zeile, in jeder Zeichnung die Liebe des Autoren zu diesen Menschen, das Mitgefühl in einer Zeit der Kriege, Bürgerkriege, der Hungersnöte und des politischen Terrors.
Doch zurück zu jenen drei Mädchen und ihren Schicksalen – nachzulesen im Erzählband „The Willow Pattern“ (deutsch: „Mord nach Muster“), geschrieben 1964 und in Fortsetzungen zuerst in den Niederlanden veröffentlicht.
Die Fabel: ein schon nicht mehr sehr junger Sohn aus dem reichem Hause Mei der kaiserlichen Residenz kauft eine sehr junge Kurtisane aus einem Bordell, macht sie zu seiner Ehefrau, umgibt sie mit Luxus und verschleiert in der „guten Gesellschaft“ ihre Herkunft. Das Mädchen, die nunmehrige Ehefrau, leidet unter der Isolation und Monotonie ihres Daseins, brennt mit einem Mann aus einer anderen Familie (Hoo) der Oberschicht durch, wird im Geheimen zu einer Perle der sexuellen Orgien in der Oberschicht, an der auch ihr bisheriger Ehemann teilhat. Der neue Liebhaber jedoch sucht daneben erotische Abenteuer durch die Verführung junger Mädchen in Komplizenschaft mit einem ebenfalls reichen und amoralischen Nachbarn (Yee), dem die schönen Zwillinge aber zum tödlichen Verhängnis werden. Der reiche Ehemann Mei aber kann trotz der erotischen Zerstreuungen seine Eifersucht nicht beherrschen, überrascht seine Frau mit ihrem Liebhaber im eigenen Hause und bezahlt diese Entdeckung mit dem Leben.

Richter Di schafft es, die Fäden des scheinbar unlösbaren Falles aufzutroddeln und den dritten noch lebenden Wüstling aufs Schafott zu bringen – durch den Nachweis, dass einer der drei Wüstlinge die Mutter der beiden schönen Zwillinge auf dem Gewissen hat und Rache das Motiv der Tötung des dritten Mannes Yee war.
Anregung genug, bei van Gulik weiterzulesen – zum Beginn seiner Karriere als Richter in der Provinz und dem Gewinn einer neuen, zusätzlichen Nebenfrau! Eine Liebesgeschichte im alte China !!!

Vier Frauen durfte ein Bezirksrichter im kaiserlichen China haben, sie wohnten im geräumigen Gerichtsgebäude, hatten ihr eigenes abgetrenntes Privatquartier für sich, für die Kinder und Dienstboten. Robert van Gulik, der holländische Sinologe und Diplomat des 20. Jahrhunderts, hatte en passant in dem Band „The chinese gold murderers“ (deutsch: „Geisterspuk in Peng-lai“) beschrieben, wie sein berühmter Richter Di bei der Lösung eines Kriminalfalles zu einer zweiten Nebenfrau kam, obwohl er eigentlich mit der Hauptfrau und der ersten Nebenfrau sehr zufrieden war.

… mein liebster GULIK

Das Zeichen für einen Rechtsfall: an

Es ist die erste Station der langen Karriere des Richters, die unruhige Stadt Peng-lai im Norden, an der Grenze zu den Herrschaftsgebieten der Tataren und der Koreaner. Und es ist der fünfte Band der Serie Robert van Guliks über den Richter Di.

Trotz seiner Jugend – er ist 33 Jahre alt – und dem Mangel an taktischen Erfahrungen im Umgang mit den lokalen Autoritäten gelingt es dem Richter in wenigen Tagen, die imperiale Macht zu stabilisieren und – gegründet auf den gesunden Menschenverstand – Vertrauen in seine Person und sein Team zu wecken. Nun muss das Verschwinden einer Person aufgeklärt werden, der frisch verheirateten Frau des Reeders Koo, also einer Person der Oberschicht. Das achte Kapitel des Bandes erzählt im Detail, wie der Reeder dem Gericht die mögliche Entführung oder den möglichen Mord an seiner Ehefrau, einer Tochter aus dem gutem Hause Tsao, mitteilt und damit dem Richter die Aufklärung zur Pflicht macht.


Die Hafenstadt Penglai (蓬 莱 市, pinyin: Pénglái shì) gibt es heute noch, sie liegt westlich des bekannteren Yantai an der Bohai-Bucht in der Provinz Shandong und ist Teil der Großgemeinde Yantai. Vermutlich geht auch heute wie vor Jahrhunderten ein Großteil des chinesischen Seehandels mit Firmen aus beiden koreanischen Staaten über Penglai und Yantai. Diese Umgebung – Seehandel, Schmuggel, Sprach- und Kulturmix, Bandenkriminalität und Prostitution – prägt die Tochter des Literaten und Landbesitzers Tsao – durch ihren Vater vermeintlich auf dem Landgut beschützt.

Die junge Frau aber entgeht nur Tage nach ihrer Hochzeit um wenige Zentimeter einem Mordanschlag, gerät auf der Flucht in die Fänge einer kriminellen Bande, die sie als Prostituierte missbraucht.  Nach all diesen brutalen Erlebnissen wird sie von der verängstigten Bordellbesitzerin dem Gericht übergeben – damit wäre der Fall der vermissten Braut aufgeklärt. Aber – die Normen der „guten Gesellschaft“ verbieten die „Rückgabe“ an Ehemann oder Vater – der geschändeten jungen Frau, der „beschädigten Ware“ wird Selbstmord nahegelegt! Für den Weg in ein Kloster fühlt sie sich nicht reif genug – sie sieht keinen Ausweg. Richter Di, ein Vorläufer der aufgeklärten Juristen der Neuzeit, bietet ihr die aus seiner Sicht beste Alternative – eine Nebenfrau in seinem Haushalt, da sie nicht unansehnlich ist, mit seiner ersten, der Hauptfrau vermutlich gut zurechtkommt und ihm – wie gesagt – rechtmäßig vier Frauen zustehen. Robert van Gulik lässt Richter Di in einem anderen Band der Krimi-Serie („The Chinese Nail Murders“) ein happy-end für die junge Frau und auch den geplagten Richter formulieren: „Er reflektierte, dass er wirklich sehr viel Glück mit seinen Frauen hatte. Seine First Lady war eine sehr kultivierte Frau, die älteste Tochter seines besten Freundes. Das gute Verständnis zwischen ihnen war ihm immer eine große Hilfe in Zeiten der beruflichen Anspannung und ihre zwei Söhne waren eine ständige Quelle der Freude. Seine zweite Frau war nicht ganz so gebildet, aber sie sah gut aus, war mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet und führte den großen Haushalt sehr effizient. Die Tochter, die sie ihm geschenkt hatte, besaß denselben ausgeglichenen Charakter.
Seine dritte Frau hatte er aus Penglai mitgebracht, seinem ersten Posten.

Nach einigen schrecklichen Erfahrungen war sie von ihrer Familie verlassen worden und der Richter hatte sie als Gesellschafterin seiner First Lady in sein Haus genommen. Die First Lady war von ihr sehr angetan und hatte schon bald dem Richter nahegelegt, sie zu seiner Frau zu machen. Der hatte sich anfangs gesträubt, er wolle ihre Dankbarkeit nicht ausnutzen. Aber als sie ihm ihre Zuneigung zeigte, hatte er nachgegeben – und es nicht bereut. Sie war eine schöne, liebliche junge Frau und es war gut, dass sie nun zu viert Domino spielen konnten.“

Soviel zum Privatleben des Bezirksrichters Di im alten China!

Nach der Veröffentlichung meiner damaligen Geschichte über Richter Dis Nebenfrauen lehnte ich mich zufrieden zurück und wartete auf Kommentare – wie üblich.

Nun aber, da mich das Thema weiter verfolgte, regten sich der Sozialwissenschaftler, der genießende Leser und der Philosoph in mir, ließen mir keine Ruhe und bringen mich heute zur Präzision gewisser Passagen jener Geschichte.
Was war geschehen? Ich ertappte mich bei intellektueller Oberflächlichkeit – ich hatte den niederländischen Sinologen, Diplomaten und Romancier Robert van Gulik in seiner Beziehung zur chinesischen Stadt Peng-lai als einzelnes, seltsames und bewundernswertes Wesen dargestellt, keine Minute darauf verwandt, ihn soziologisch aus seiner Zeit und aus jener Region des chinesischen Nordostens zu verstehen. Das Wort ist nun in der Welt, man möge mir verzeihen – aber die Redlichkeit des Autoren verlangt eine Präzisierung.
Robert van Gulik, der Holländer, nimmt die Hafenstadt Peng-lai zum Handlungsort der erwähnten Kriminalerzählung „The chinese gold murderers“ (deutsche Version „Gespensterspuk in Pen-lai“) nicht wegen des spannenden Namens, sondern weil er sie kennt – und weil er dort auf holländische Spuren stößt!


Die Stadt selbst taucht unter verschiedenen Namen in den chinesischen Beschreibungen auf: Peng-lai, Dengzhou, Tengchow, Tschi-fu, Tshi-fu, Chefoo, Penglai in unterschiedlichen Beziehungen zum benachbarten Yantai. Auffällig aber die mehrfachen Bezüge zu Firmen und Banken aus den Niederlanden über die Jahrhunderte, die sicherlich dem geübten Auge des Wissenschaftlers und Diplomaten van Gulik bekannt gewesen sein müssten. Holländische Wirtschaftshistoriker und Soziologen weisen nach, dass während der vier Epochen der ökonomischen Aktivitäten des Westens in China vor 1941 (1557-1715, 1715 – 1842, 1842 – 1895 und ab 1895) verstärktes holländisches Auftreten in China vor allem in den beiden Perioden 1715-1842 und nach 1895 mittels Direktinvestitionen zu verzeichnen ist. Für den interessierten Beobachter van Gulik springen ins Auge die Investitionen und das praktische direkte Engagement holländischer Firmen beim Bau von Eisenbahnen und Hafenanlagen.

Einen Höhepunkt bildete der Ausbau der Docks, Wellenbrecher, Hafenanlagen und der Eisenbahnanschlüsse von Yantai und Peng-lai zwischen 1909 und 1923. Die Bauten bestehen noch heute und bilden touristische Attraktionen.
Die wichtigste niederländische Reederei Java-China-Japan-Lijn (JCJL) hatte schon im Jahr 1903 in Yantai/Peng-lai eine ihrer strategisch bedeutendsten Agenturen errichtet. Vermutlich kannte van Gulik aus einer Diplomatenzeit auch führende Persönlichkeiten der beiden großen Unternehmen Nederlandsch Syndicaat voor China (Eisenbahnbau) und Nederlandsche Maatschappij voor Havenwerken (Hafenausbau und -anlagen) – und angesichts der engen Zusammenarbeit der holländischen Firmen mit Niederlassungen aus Deutschland und Großbritannien deren ausländische Partner.
Soweit ein Versuch, Robert van Gulik in seinen Verflechtungen als Diplomat, Wissenschaftler und Schriftsteller zu erkennen.

Robert van Gulik schrieb während eines Aufenthalts in Beirut im Jahre 1956 die drei Kriminalerzählungen The Headless Corps, The Paper Cat, The Murdered Merchant und veröffentlichte sie 1961 zusammengefasst unter dem Titel „The Chinese Nail Murders“.

Er siedelte die Handlungen an in der fiktiven Bezirkshauptstadt Pei-chow – wie er schreibt – „nahe der Nordgrenze des chinesischen Kaiserreiches“.  Im Unterschied zu Peng-lai, der real existiereden Hafenstadt nahe Yantai in der Provinz Shandong, die den Handlungsort eines anderen des Kriminalbandes („The Chinese Gold Murderers“) abgibt, lässt sich eine Stadt Pei-chow (auch unter Verwendung verschiedener Schreibvarianten) nicht nachweisen – weder in der Geschichte noch in der Gegenwart.


Gulik schrieb auf einer Kartenskizze den Namen pei-chow mit den chinesischen Zeichen

Das würde in moderner Schreibweise: Bei-zhou (übersetzt mit Nordland oder Nordprovinz), und in pinyin  běi  zhōu ( 北  州) heißen.

Liest man gründlich die Erzählungen des Bandes, findet man ausreichend Attribute des chinesischen Nordens – die kalten Steppenwinde, die Sandstürme aus den Wüstens des Nordostens, vermutlich heute die Gebiete der äußeren und inneren Mongolei oder Mandschuriens, die einfache Küche, in deren Mittelpunkt Wild und Fisch standen.

Man findet Verwandtschaftsbeziehungen der Bewohner dieser chinesischen Stadt zu Familien der Tatarenstämme, Hinweise auf Kleidungsstücke wie Turbane und Kapuzen der Tataren.

Liebte Robert van Gulik also besonders den chinesischen Nordosten? Die fiktive Stadt pei-chow lässt die Antwort offen, auch der Biograph Janwillem van de Wetering umgeht diese Frage. Man kann natürlich davon ausgehen, dass Gulik die wissenschaftliche und Reiseliteratur der europäischen Entdecker des 19. Jahrhunderts gekannt hat,

so die Publikation „Entdeckungsreisen in China“ des deutschen Geographen und Geologen Ferdinand von Richthofen – auf dessen Berichte über die Kohlevorkommen in China sich die wilhelminischen Eroberer des „Pachtgebietes“ in Shandong stützten.

In der neuesten Zeit angekommen, sind wir bei den imperialen Widersprüchen und militärischen Konflikten der Großmächte Rußland, Japan, Deutschland – ausgefochten auf chinesischem Boden, dabei das Blut von Chinesen skrupellos vergießend.

Der Traum des Zaren 1904


Mein Jugendtraum, seine Erfüllung Jahrzehnte aufgeschoben, klopft nun ans Fenster – Anfang 2019 ! Das legendäre Port Arthur werde ich in wenigen Wochen betreten. Meine jüngeren Freunde und Gesprächspartner mögen mir den intellektuellen Überfall verzeihen, für sie erscheint dieser Ort in China (wie auch die Seeschlacht von Tsushima) so weit weg, die historische Periode der brutalen neuzeitlichen Kriege um dieses Felsennest am Gelben Meer lässt keine Saite in ihrer Gefühlswelt erzittern. Über einhundert Jahre sind vergangen, seit sich die Kaiser von Russland, Japan und China den wirtschaftlichen und weltpolitischen Einfluss im „Fernen Osten“ (in europäischer Sicht), auf uraltem chinesischen Kulturboden militärisch streitig machten und den Ortsnamen Port Arthur in die Schlagzeilen der Telegraphenmeldungen und Zeitungen brachten.

Der Name des Festungsortes war zwar englisch, wurde aber durch die russischen Eroberer genutzt – vielleicht um die zivilisierende, globalisierende Mission der Ausländer in China zu unterstreichen. Was uns revolutionsbewusste Jugendliche vor Jahrzehnten beim Hören der Namen Port Arthur, Tsushima und Kreuzer Warjag bewegte, waren die Strahlen der Morgensonne, die uns aus jenen blutigen Szenen der Weltgeschichte um 1904/05 entgegen leuchteten: In den glühenden Augen der Helden Lenin, Mao und Che Guevara lasen wir die geschichtliche Wahrheit, dass gerade die epochale Niederlage der russischen Flotte und des russischen Heeres gegen die junge aufstrebende asiatische Nation Japan die erste russische Revolution von 1905 entstehen ließ. Russen, Türken, Mexikaner, Chinesen wurden aus Objekten, aus Schachfiguren der Großmächte zu historischen Akteuren. Der Hegelsche Weltgeist, den wir begeistert studierten, suggerierte die Symbolkraft des Namens Port Arthur (also: Niederlage des russischen Zarenreiches = Asche, aus der die Oktoberrevolution entspringt) für die globale Revolution des 20. Jahrhunderts. Die Hegelsche Dialektik ließ uns auch verstehen, wie sich die blutige Tradition des japanischen Faschismus, aus den Siegen gegen China und Russland vor über einhundert Jahren erwachsen, zum Sprengstoff für revolutionäre Bewegungen in Asien verwandelte.

Nun aber zu unserem Port Arthur zurück: in der nunmehrigen nordostchinesischen Hafenmetropole DALIAN finden sich heute Spuren jener Tage. Die meisten europäischen gedruckten Reiseführer ignorieren geflissentlich diese Fakten und Fotos. Ich fand glücklicherweise den Rowohlt-Verlag auch hier auf der Seite der Revolutionäre: vor über zwanzig Jahren hatten die Lektoren den Bielefelder Autoren Hartwig Bögeholz entdeckt und seine China-Impressionen in der Reihe „Anders reisen“ im Jahre 1997 publiziert. S. 184 ff: Ein Genuss !!! Und dessen Eindrücke über Port Arthur-Danian-Lüshun sollte man auf die Reise mitnehmen – was ich tun werde. Vor allem werde ich die Chinesen fragen, was aus ihrem Traum, Dalian zu einem zweiten Hongkong werden zu lassen, geworden ist.

Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg
Sonntag, d. 29. August 2021 (noch mitten in der CORONA-Zeit)

PS. Für diejenigen Leser, die mir seit 2018 treu sind, ist eine Bitte um Verzeihung angebacht – der heutige Beitrag verwendete Passagen und Abbildungen aus blogs früherer Perioden (alles möglich im Rahmen von WordPress). Sollte Ihnen das nicht gefallen – schreiben Sie einen bösen Kommentar!
Wer mir nicht glaubt, dass ich 2019 in Qingdao und anderen Städten war – hier eine kleine Auslese der bildlichen Belege – ohne Titel und ohne Kommentar:

Also bis dann in vier Wochen – Dieter Weigert, Berlin

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