Meister SUNZI zur „Kriegskunst“ der russischen Generale in der Ukraine

Ob er wohl gelehrt und gelesen wird, der ehrwürdige Chinese SUNZI, an den angesehenen Stabsakademien der russischen Streitkräfte ? Sind Präsident Putin und seine Generäle mit dem Denken jenes Militärstategen aus den Jahren zwischen 544 und 496 v.u.Z. vertraut? Der bisherige Verlauf der „spezialnaja woennaja operazija“in der Ukraine gibt Anlass zu berechtigtem Zweifel.
Der renommierte Balkan- und Kaukasusexperte un Militärjournalist Jewgeni Krutikow kommt in seinem Beitrag für RT.DE vom 2. Juli d.J. unter dem Titel „Versuch einer Prognose: Wo wird die russische Armee in der Ukraine stoppen?“ zu ernüchternden Feststellungen. Doch bevor wir uns seiner Analyse zuwenden, lassen Sie uns auf eine geopolitische Niederlage der Sowjetarmee in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – also noch v o r A f g h a n i s t a n – zu sprechen kommen: das strategische und taktische Versagen der sowjetischen Militärs im Kampf gegen die Armee des Apartheid-Regimes Südafrikas auf dem Boden Angolas. Offizielle Quellen berichten von russischen ( und DDR-) Waffen und Beratern im Offiziersrang an der Seite der MPLA, die den Vormarsch der südafrikanischen Armee 1975 nicht verhindern konnten, aber diese strategischen Probleme auf die zahlenmäßige Überlegenheit der südafrikanischen Einheiten zurückführten. (Die südafrikanische Armee hatte moderne russische Waffen im Wert von über einer Milliarde Dollar erbeutet !) Berichte freier Journalisten aus den USA, Afrikas und Westeuropas, die auf „off-the-record“-Gespräche mit Zeitzeugen, hochrangigen Geheimdienstmitarbeitern und Experten aus diplomatischen Vertretungen bei der UNO geben jedoch in Bezug auf die Rolle der sowjetischen Berater ein für die Sowjetarmee ernüchterndes Bild: die fehlerhaften strategischen und taktischen Vorgaben der russischen Offiziere seien die Hauptursache für das Desaster auf dem Gefechtsfeld. Jene russischen Offiziere stützten sich bei ihren Analysen und den Schlußfolgerungen für das Vorgehen der MPLA-Einheiten auf Erfahrungen der siegreichen Roten Armee im II. Weltkrieg – waffenmäßige und zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber dem Feind, keine Scheu vor eigenen hohen Opferzahlen ! Diese informellen Berichte belegen auch die Unfähigkeit der Berater, ihre Anweisungen den Bdingungen des sog. „Buschkrieges“ auf afrikanischem Boden anzupassen.

die grüne Fläche zeigt das von der sudafrikanischen Armee und ihrer Verbündeten UNITA besetzte Gebiet Angolas im Herbst 1975

In dieser kritischen Situation – wenige Wochen vor der Ausrufung der Unabhängigkeit Angolas in Luanda – sendet die MPLA-Führung einen Hilferuf an Fidel Castro, der es schafft, in kürzester Zeit, nicht nur fähige Berater, sondern vor allem moderne Waffen und erfahrene Kampftruppen und Spezialisten in Stärke von über 35.000 Mann nach Angola zu verlegen und die südafrikanischen Truppen entscheidend zu schlagen.

Die Sieger mit „Stalin-Orgel“

Der Sieg der MPLA und der kubanischen Verbündeten bei Kifangondo am 10. November 1975 war die Voraussetzung für die Machtübernahme der MPLA und die Ausrufung der Deokratischen Volksrepublik Angola.

Militärexperten und erfahrene Journalisten kennen diese Zusammenhänge und ziehen ihre Schlußfolgerungen (auch unter Berücksichtigung des Rückzugs der Sowjetarmee aus Afghanistan) , wenn sie heute über die Ukraine ohne ideologische Scheuklappen berichten.

So verweist der schon erwähnte Jewgeni Krutikow auf das widersprüchliche Vorgehen der russischen Generale im Raum der Schlangeninsel, auf das Unverständnis vieler Experten angesichts der bisher ausgebliebenen Einkesselung größerer ukrainischer Truppenteile, auf die verständlichen Fragen nach den Ursachen von erfolgreichen Durchbrüchen ukrainischer Einheiten durch die russische Front an wichtigen, sicher geglaubten Abschnitten. Eine grundlegende Frage sei nach Meinung der Experten weiterhin die Besetzung logistisch bedeutender Bevölkerungszentren – angesichts der zunehmenden Wichtigkeit westlicheer Ausrüstungs- und Waffenlieferungen an die Ukraine.
Da der „eingeweihte“ J. Krutikow die Frage zum weiteren strategischen Vorgehen der russischen Streitkräfte in den Vordergrund seiner Überlegungen stellt, muss angenommen werden, dass es erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den russischen Politikern und Militärführern über die Zielrichtungen der Vorstöße nach dem absehbaren Abschluß der Operationen im Donbass gibt.

Industriezentrum Kriwoi Rog

Aus Krutikows Beitrag kann man herauslesen, dass er zu jener Gruppe von Experten gehört, für die die nächsten unmittelbaren Ziele (aus politischen und militärstrategischen Erwägungen) in den Räumen Kriwoi Rog, Dnjepropetrowsk, Saparoschje, aber auch im Südwesten Nikolajew

Hafen und Stadt Odessa

und Odessa liegen müssten. Zu weiteren Szenarien hält er sich wohlweislich zurück. Wir lassen uns überraschen – und fragen bei Meister SUNZI nach: Er kommt gleich zur Sache –

„Der Krieg ist für jeden Staat ein Ereignis von großer Bedeutung. Er ist der Ort, der über Leben und Tod entscheidet,
er ist der Weg, der das Überleben sichert oder in den Untergang führt. Unumgänglich ist es, ihn eingehend zu untersuchen.
Wer zu einer sachlichen Bestandsaufnahme gelangen will,
läßt sich von fünf Gesichtspunkten leiten und wägt eine Reihe von Voraussetzungen ab:
erstens die Moral,
zweitens das Klima,
drittens das Gelände,
viertens die Führung
und fünftens die Ordnung.
Die Moral bewirkt, daß das Volk sich mit dem Herrscher im Einvernehmen befindet. Nur so wird es auf Leben und Tod für ihn einstehen und allen Gefahren trotzen.
Das Klima wird bestimmt durch Dunkel und Helligkeit, Kälte und Hitze sowie den Gang der vier ]ahreszeiten.
Das Gelände liegt hoch oder niedrig, fern oder nah, zeigt sich unwegsam oder zugänglich, weiträumig oder beengt, verheißt Tod oder Leben.
Die Führung verkörpert Weisheit, Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Tapferkeit und Strenge.
Die Ordnung umfaßt die Organisation der Truppen, die Zuweisung der Verantwortlichkeiten und die Beherrschung der Logistik.
Mit diesen fünf Dingen ist jeder Heerführer vertraut …“

SUNZI (auch SUN WU)

Sollte der Meister Sunzi heute der russischen Führung Noten verteilen, würde sie schon für Punkt 1 – der Moral – die schlechteste Note erhalten, weil sie zwar die eigene Moral richtig, die Moral des Gegners aber total falsch eingeschätzt hatte. Ebenso ungenügend würde sie bei Punkt 5 abschneiden, vor allem bezüglich der „Beherrschung der Logistik“ und der „Organisation der Truppen“, worin mir jeder Militärexperte zustimmen wird. Aber – jeder lese nach bei Meister Sunzi !

Dr. Dieter Weigert, Berlin Juli 2022

ukraine rev. oder: NOCHMALS: Oh – ODESSA ! (manchmal widersetzt sich der „Spiegel“ der verordneten anti-russischen Propaganda)

Russische Revolution 1905

Manche unserer mainstream-Schreiberlinge /TV-Schwätzer reden ein neues Stalin-Russland herbei – ohne sich den Fakten zu stellen. Aber – gerade mit der Stadt Odessa verknüpfte historische Ereignisse könnten zum Nachdenken anregen, wenn ihnen der gebührende Raum in der aktuellen Debatte um den Krieg in der Ukraine zugebilligt würde.

Odessa – die russische Perle am Schwarzen Meer.

Vor über 200 Jahren ließ Zarin Katharina neben der von der Türken eroberten Festung Yeni Dünya die Hafenstadt Odessa anlegen, die sich in kurzer Zeit zur bedeutendsten Metropole Russlands am Schwarzen Meer entwickelte. Hervorragende Militärs, Architekten, Reeder, Wirtschaftsfachleute aus ganz Europa machten sich um diese „Perle am Schwarzen Meer“ verdient, so dass der Name der Stadt in Europa und Amerika zum Symbol für die geistige, kulturelle und mediterrane Ausstrahlung des russischen Südens wurde. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass die Bevölkerung Odessas überwiegend russisch spricht und die russischen kulturellen Taditionen einen höheren Stellenwert im Vergleich zu Städten wie Lwiv oder Poltawa aufweisen.

So ist auch der Welterfolg des Eisenstein-Films über die mit der Stadt Odessa verbundene Meuterei auf dem Panzerkreuzer Potemkin des Jahres 1905 zu erklären,

visuell in der Erinnerung vor allem die vom Hafen nach oben führende ewig lange Treppe. Diese demokratischen und revolutionären Traditionen finden in der gegenwärtigen nationalistischen Bewegung der Maidan-Gruppen keine Resonanz.

Hier das Foto des Gewerkschaftshauses von Odessa:

Die Blumen am Eingang führen uns zur zweiten, sehr tragischen historischen Erinnerung an die Stadt Odessa, führen uns in die jüngste Geschichte. Sie erinnern an das Massaker, das nationalistische Kräfte im Jahr 2014 in Odessa anrichteten und dem 48 Menschen zum Opfer fielen.

Den Hintergrund wie auch die Vertuschungsvorgänge bis hin in die oberen Ränge der Regierung der Ukraine und ihrer Verbündeten, auch der Bundesrepublik, beleuchtet ein Beitrag des „Spiegel“ (Verfasser Bejamin Bidder) vom 04. November 2015, dessen Text ich hier wiedergebe, bevor die „freiheitlich-demokratische“ Informationssperre der deutschen Regierung ihn aus dem Netz nimmt:

Gewalt in Odessa: Tödlicher Brand im Gewerkschaftshaus

12 Bilder Foto: ANATOLII STEPANOV/ AFP

Die Schande von Odessa

Nach Straßenschlachten ging im Mai 2014 in Odessa das Gewerkschaftshaus in Flammen auf, 48 Menschen starben. Nun stellt der Europarat der Ukraine ein vernichtendes Urteil aus.

Von Benjamin Bidder

04.11.2015, 13.23 Uhr

Odessa ist eine Millionenstadt am Schwarzen Meer, Bürger aus mehr als 100 Völkern leben hier. Hafen und Handel haben die Stadt groß gemacht, weltoffen und lässig. Seit dem 2. Mai 2014 aber steht der Name Odessa nicht mehr für Toleranz, sondern auch für enthemmte Gewalt – und für Behörden, die nichts zum Schutz der Opfer taten.

Zwei Gruppen standen sich an jenem Tag gegenüber. Knapp 2000 Ukrainer marschierten für die im Februar erfolgreiche Maidan-Revolution und die „Einheit des Landes“. Darunter waren viele Hooligansund Nationalisten aus Kiew und Charkiw. Auf der anderen Seite standen jene, die sich „Anti-Maidan“ nennen: Ihre Zeichen waren russische Fahnen und das orange-schwarze Georgsband. Der „Anti-Maidan“ griff die Hooligans an, die Straßenschlacht begann.

Beide Seiten schossen aufeinander, sechs Menschen starben. Am Abend griffen Hooligans und Nationalisten das Hauptquartier des „Anti-Maidan“ an, eine Zeltstadt am Haus der Gewerkschaften. Prorussische Aktivisten verbarrikadierten sich im Innern, Molotowcocktails flogen. Das Gebäude fing Feuer. Am Ende dieses Tages waren 48 Menschen tot.

Aufarbeitung kommt nicht voran

Die Tragödie liegt anderthalb Jahre zurück. Die Aufarbeitung aber kommt kaum voran. Nun stellt der Europarat der Ukraine ein vernichtendes Urteil aus. Es sei „kein substanzieller Fortschritt bei den Untersuchungen gemacht worden“, heißt es in einem am Mittwoch in Kiew vorgestellten Bericht. Den Behörden mangele es an der „notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt“. Beweise gingen verloren, weil die Straßenreinigung sie am nächsten Tag einfach wegräumte. Die Ruine des Gewerkschaftshauses wurde erst nach Tagen abgesperrt.

Bis heute gibt es zwar mehrere Verfahren wegen der Straßenschlachten, aber nicht eine Anklage wegen des Angriffs auf das Gewerkschaftshaus. Der einzige Verdächtige wurde laufen gelassen, aus Mangel an Beweisen.

Dabei war die Bestialität gut dokumentiert. Einige proukrainische Demonstranten bemühten sich zwar, Menschen aus dem brennenden Haus zu bergen. Zahlreiche Handyvideos zeigen aber auch Angreifer, die weiter Jagd machten. Auf einer Aufnahme ist ein Mann zu sehen, der über eine Feuerleiter floh. Als er den Boden erreichte, setzten ihm Schläger zu. Er kletterte zurück ins brennende Haus. Ein anderes Video zeigt Menschen, die aus Fenstern sprangen. Viele bleiben verletzt auf dem Asphalt liegen. Dort waren sie einem Mann ausgeliefert, der mit einem Baseballschläger auf sie eindrosch.

Wirkung über die Stadtgrenzen hinaus

Die Rüge des Europarats ist mehr als eine Spitzfindigkeit des Westens. Die Geschehnisse von Odessa haben Wirkung über die Stadtgrenzen hinaus entwickelt. Die Separatisten in Donezk und Luhansk rechtfertigen ihren bewaffneten Kampf gegen Kiew als Notwehr gegen mordende Nationalistenbanden. Russische Medien sehen das genauso: Odessa sei der Beweis, dass in der Ukraine gezielt Jagd gemacht werde auf Russland-Freunde.

Die Ukraine hat wenig getan, um solche Vorwürfe zu entkräften. Der damalige Gouverneur von Odessa rechtfertigte die Brandstiftung sogar: Um „bewaffnete Terroristen zu neutralisieren“, sei das Vorgehen „legal“ gewesen. Heute sind nur noch zwei Ermittler mit dem Fall befasst.

Der Bericht führt alle bis heute bekannten Fakten auf. Verschwörungstheorien stützt er nicht. Der Europarat gibt auch die Nachforschungen einer Bürgerinitiative aus Odessa wieder. Die Aktivisten nennen sich „Gruppe 2. Mai“. Von ihnen stammt die transparenteste Untersuchung der Tragödie. Hinweise auf ein gezieltes Komplott haben sie nicht gefunden. „Im Gegenteil“, sagt Sergij Dibrow, Reporter und ein Sprecher der Gruppe. „Alles entwickelte sich chaotisch, spontan, unvorhersehbar.“ Die eigentliche Ursache sei die „Degeneration aller staatlichen Stellen, hervorgerufen durch die allgegenwärtige Korruption“.

Chronik des Versagens

Der 90-Seiten-Bericht des Europarats ist auch eine Chronik des Behördenversagens. So wusste die Polizei etwa seit Tagen von Plänen, das „Anti-Maidan“-Lager am Gewerkschaftshaus zu zerstören. Sie brachte dort aber nur eine Hundertschaft in Stellung, ebenso im Stadtzentrum. Die Beamten schauten tatenlos zu, als ein prorussischer Kämpfer mit einem Gewehr in die Menge schoss.

Das Kommando hatte an dem Tag der Vizepolizeichef Dmitrij Futschedschi. Seine Rolle bleibt rätselhaft. Am 4. Mai ließ er einen prorussischen Mob das Tor zu seiner Polizeizentrale mit einem Lastwagen aufbrechen und Dutzende Gefangene befreien. Eine Einheit der Sonderpolizei rückte zwar an, griff aber nicht ein. Verhören konnten die Ermittler den Kommandeur allerdings nicht mehr: Als sie Futschedschi Mitte Mai endlich auf die Fahndungsliste setzten, hatte er sich bereits ins Ausland abgesetzt.

Hilfe kam auch nicht von der Feuerwehr. Die nächste Wache liegt zwar keine 500 Meter vom Gewerkschaftshaus entfernt. Der damalige Chef der Feuerwehr gab zu Protokoll, er habe seinen Männern das Ausrücken ausdrücklich verboten. Die Lage sei zu gefährlich gewesen. Gut möglich, dass ein Rettungsprofi ganz anders entschieden hätte: Von dem Feuerwehr-Chef heißt es in Odessa, er habe den Posten nur der Tatsache zu verdanken gehabt, dass sein Vater einmal Bürgermeister war.

Die Internetzeitung „Dumskaja“ machte später einen Mitschnitt aus der Notrufzentrale publik. Dort ist zu hören, wie die Telefon-Dame Anrufern kühl beschied, von dem Feuer gehe gar keine Gefahr aus. Dann hängt sie auf. Später kam ein Anruf aus dem Gewerkschaftshaus selbst. „Wir sind jetzt unterwegs“, beruhigte die Telefonisten. Die Antwort war ein Schluchzen: „Wir werden jetzt verbrennen.“

Zusammengefasst: Der Europarat kritisiert die Ermittlungen wegen der blutigen Krawalle am 2. Mai 2014 im ukrainischen Odessa. Damals hatten sich ukrainische Hooligans und prorussische Aktivisten Straßenschlachten geliefert, später brannte das Gewerkschaftshaus, 48 Menschen starben. Bis heute gibt es keine Anklage wegen des Brands.“

(Ende des Beitrags des „Spiegel“)

Das orange-schwarze Band des russischen St. Georgs-Ordens

Wenn in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten auch Odessa und das Umland zum Schlachtfeld werden, sollten sich die Kollegen Journalisten mit einer gehörigen Portion historischen Wissens (1905 – 2014) ausstatten, bevor sie uns Mythen, Legenden und Märchen aus der Küche der Klitschko-Brüder und ihres im grünen Präsidentensessel sich darstellenden Komödianten servieren. Es gibt doch einige Leute in Deutschland, die hinter die Fassade sehen können.

Noch ein Blick auf den Hafen von Odessa, bevor er für die Nationalisten nicht mehr zugänglich sein wird:

Mit solidarischen Grüßen

Dr. Dieter Weigert Berlin – Prenzlauer Berg

Oh – ODESSA ! oder : manchmal widersetzt sich der „Spiegel“ der verordneten anti-russischen Propaganda

Russische Revolution 1905

Manche unserer mainstream-Schreiberlinge /TV-Schwätzer reden ein neues Stalin-Russland herbei – ohne sich den Fakten zu stellen. Aber – gerade mit der Stadt Odessa verknüpfte historische Ereignisse könnten zum Nachdenken anregen, wenn ihnen der gebührende Raum in der aktuellen Debatte um den Krieg in der Ukraine zugebilligt würde.

Odessa – die russische Perle am Schwarzen Meer.

Vor über 200 Jahren ließ Zarin Katharina neben der von der Türken eroberten Festung Yeni Dünya die Hafenstadt Odessa anlegen, die sich in kurzer Zeit zur bedeutendsten Metropole Russlands am Schwarzen Meer entwickelte. Hervorragende Militärs, Architekten, Reeder, Wirtschaftsfachleute aus ganz Europa machten sich um diese „Perle am Schwarzen Meer“ verdient, so dass der Name der Stadt in Europa und Amerika zum Symbol für die geistige, kulturelle und mediterrane Ausstrahlung des russischen Südens wurde. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass die Bevölkerung Odessas überwiegend russisch spricht und die russischen kulturellen Taditionen einen höheren Stellenwert im Vergleich zu Städten wie Lwiv oder Poltawa aufweisen.

So ist auch der Welterfolg des Eisenstein-Films über die mit der Stadt Odessa verbundene Meuterei auf dem Panzerkreuzer Potemkin des Jahres 1905 zu erklären,

visuell in der Erinnerung vor allem die vom Hafen nach oben führende ewig lange Treppe. Diese demokratischen und revolutionären Traditionen finden in der gegenwärtigen nationalistischen Bewegung der Maidan-Gruppen keine Resonanz.

Hier das Foto des Gewerkschaftshauses von Odessa:

Die Blumen am Eingang führen uns zur zweiten, sehr tragischen historischen Erinnerung an die Stadt Odessa, führen uns in die jüngste Geschichte. Sie erinnern an das Massaker, das nationalistische Kräfte im Jahr 2014 in Odessa anrichteten und dem 48 Menschen zum Opfer fielen.

Den Hintergrund wie auch die Vertuschungsvorgänge bis hin in die oberen Ränge der Regierung der Ukraine und ihrer Verbündeten, auch der Bundesrepublik, beleuchtet ein Beitrag des „Spiegel“ (Verfasser Bejamin Bidder) vom 04. November 2015, dessen Text ich hier wiedergebe, bevor die „freiheitlich-demokratische“ Informationssperre der deutschen Regierung ihn aus dem Netz nimmt:

Gewalt in Odessa: Tödlicher Brand im Gewerkschaftshaus

12 Bilder Foto: ANATOLII STEPANOV/ AFP

Die Schande von Odessa

Nach Straßenschlachten ging im Mai 2014 in Odessa das Gewerkschaftshaus in Flammen auf, 48 Menschen starben. Nun stellt der Europarat der Ukraine ein vernichtendes Urteil aus.

Von Benjamin Bidder

04.11.2015, 13.23 Uhr

Odessa ist eine Millionenstadt am Schwarzen Meer, Bürger aus mehr als 100 Völkern leben hier. Hafen und Handel haben die Stadt groß gemacht, weltoffen und lässig. Seit dem 2. Mai 2014 aber steht der Name Odessa nicht mehr für Toleranz, sondern auch für enthemmte Gewalt – und für Behörden, die nichts zum Schutz der Opfer taten.

Zwei Gruppen standen sich an jenem Tag gegenüber. Knapp 2000 Ukrainer marschierten für die im Februar erfolgreiche Maidan-Revolution und die „Einheit des Landes“. Darunter waren viele Hooligansund Nationalisten aus Kiew und Charkiw. Auf der anderen Seite standen jene, die sich „Anti-Maidan“ nennen: Ihre Zeichen waren russische Fahnen und das orange-schwarze Georgsband. Der „Anti-Maidan“ griff die Hooligans an, die Straßenschlacht begann.

Beide Seiten schossen aufeinander, sechs Menschen starben. Am Abend griffen Hooligans und Nationalisten das Hauptquartier des „Anti-Maidan“ an, eine Zeltstadt am Haus der Gewerkschaften. Prorussische Aktivisten verbarrikadierten sich im Innern, Molotowcocktails flogen. Das Gebäude fing Feuer. Am Ende dieses Tages waren 48 Menschen tot.

Aufarbeitung kommt nicht voran

Die Tragödie liegt anderthalb Jahre zurück. Die Aufarbeitung aber kommt kaum voran. Nun stellt der Europarat der Ukraine ein vernichtendes Urteil aus. Es sei „kein substanzieller Fortschritt bei den Untersuchungen gemacht worden“, heißt es in einem am Mittwoch in Kiew vorgestellten Bericht. Den Behörden mangele es an der „notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt“. Beweise gingen verloren, weil die Straßenreinigung sie am nächsten Tag einfach wegräumte. Die Ruine des Gewerkschaftshauses wurde erst nach Tagen abgesperrt.

Bis heute gibt es zwar mehrere Verfahren wegen der Straßenschlachten, aber nicht eine Anklage wegen des Angriffs auf das Gewerkschaftshaus. Der einzige Verdächtige wurde laufen gelassen, aus Mangel an Beweisen.

Dabei war die Bestialität gut dokumentiert. Einige proukrainische Demonstranten bemühten sich zwar, Menschen aus dem brennenden Haus zu bergen. Zahlreiche Handyvideos zeigen aber auch Angreifer, die weiter Jagd machten. Auf einer Aufnahme ist ein Mann zu sehen, der über eine Feuerleiter floh. Als er den Boden erreichte, setzten ihm Schläger zu. Er kletterte zurück ins brennende Haus. Ein anderes Video zeigt Menschen, die aus Fenstern sprangen. Viele bleiben verletzt auf dem Asphalt liegen. Dort waren sie einem Mann ausgeliefert, der mit einem Baseballschläger auf sie eindrosch.

Wirkung über die Stadtgrenzen hinaus

Die Rüge des Europarats ist mehr als eine Spitzfindigkeit des Westens. Die Geschehnisse von Odessa haben Wirkung über die Stadtgrenzen hinaus entwickelt. Die Separatisten in Donezk und Luhansk rechtfertigen ihren bewaffneten Kampf gegen Kiew als Notwehr gegen mordende Nationalistenbanden. Russische Medien sehen das genauso: Odessa sei der Beweis, dass in der Ukraine gezielt Jagd gemacht werde auf Russland-Freunde.

Die Ukraine hat wenig getan, um solche Vorwürfe zu entkräften. Der damalige Gouverneur von Odessa rechtfertigte die Brandstiftung sogar: Um „bewaffnete Terroristen zu neutralisieren“, sei das Vorgehen „legal“ gewesen. Heute sind nur noch zwei Ermittler mit dem Fall befasst.

Der Bericht führt alle bis heute bekannten Fakten auf. Verschwörungstheorien stützt er nicht. Der Europarat gibt auch die Nachforschungen einer Bürgerinitiative aus Odessa wieder. Die Aktivisten nennen sich „Gruppe 2. Mai“. Von ihnen stammt die transparenteste Untersuchung der Tragödie. Hinweise auf ein gezieltes Komplott haben sie nicht gefunden. „Im Gegenteil“, sagt Sergij Dibrow, Reporter und ein Sprecher der Gruppe. „Alles entwickelte sich chaotisch, spontan, unvorhersehbar.“ Die eigentliche Ursache sei die „Degeneration aller staatlichen Stellen, hervorgerufen durch die allgegenwärtige Korruption“.

Chronik des Versagens

Der 90-Seiten-Bericht des Europarats ist auch eine Chronik des Behördenversagens. So wusste die Polizei etwa seit Tagen von Plänen, das „Anti-Maidan“-Lager am Gewerkschaftshaus zu zerstören. Sie brachte dort aber nur eine Hundertschaft in Stellung, ebenso im Stadtzentrum. Die Beamten schauten tatenlos zu, als ein prorussischer Kämpfer mit einem Gewehr in die Menge schoss.

Das Kommando hatte an dem Tag der Vizepolizeichef Dmitrij Futschedschi. Seine Rolle bleibt rätselhaft. Am 4. Mai ließ er einen prorussischen Mob das Tor zu seiner Polizeizentrale mit einem Lastwagen aufbrechen und Dutzende Gefangene befreien. Eine Einheit der Sonderpolizei rückte zwar an, griff aber nicht ein. Verhören konnten die Ermittler den Kommandeur allerdings nicht mehr: Als sie Futschedschi Mitte Mai endlich auf die Fahndungsliste setzten, hatte er sich bereits ins Ausland abgesetzt.

Hilfe kam auch nicht von der Feuerwehr. Die nächste Wache liegt zwar keine 500 Meter vom Gewerkschaftshaus entfernt. Der damalige Chef der Feuerwehr gab zu Protokoll, er habe seinen Männern das Ausrücken ausdrücklich verboten. Die Lage sei zu gefährlich gewesen. Gut möglich, dass ein Rettungsprofi ganz anders entschieden hätte: Von dem Feuerwehr-Chef heißt es in Odessa, er habe den Posten nur der Tatsache zu verdanken gehabt, dass sein Vater einmal Bürgermeister war.

Die Internetzeitung „Dumskaja“ machte später einen Mitschnitt aus der Notrufzentrale publik. Dort ist zu hören, wie die Telefon-Dame Anrufern kühl beschied, von dem Feuer gehe gar keine Gefahr aus. Dann hängt sie auf. Später kam ein Anruf aus dem Gewerkschaftshaus selbst. „Wir sind jetzt unterwegs“, beruhigte die Telefonisten. Die Antwort war ein Schluchzen: „Wir werden jetzt verbrennen.“

Zusammengefasst: Der Europarat kritisiert die Ermittlungen wegen der blutigen Krawalle am 2. Mai 2014 im ukrainischen Odessa. Damals hatten sich ukrainische Hooligans und prorussische Aktivisten Straßenschlachten geliefert, später brannte das Gewerkschaftshaus, 48 Menschen starben. Bis heute gibt es keine Anklage wegen des Brands.“

(Ende des Beitrags des „Spiegel“)

Das orange-schwarze Band des russischen St. Georgs-Ordens

Wenn in den nächsten Tagen auch Odessa und das Umland zum Schlachtfeld werden, sollten sich die Kollegen Journalisten mit einer gehörigen Portion historischen Wissens (1905 – 2014) ausstatten, bevor sie uns Mythen, Legenden und Märchen aus der Küche der Klitschko-Brüder und ihres im grünen Präsidentensessel sich darstellenden Komödianten servieren. Es gibt doch einige Leute in Deutschland, die hinter die Fassade sehen können.

Noch ein Blick auf den Hafen von Odessa, bevor er für die Nationalisten nicht mehr zugänglich sein wird:

Mit solidarischen Grüßen

Dr. Dieter Weigert Berlin – Prenzlauer Berg 17. März 2022