Russlands Krieg gegen die Ukraine hat mein Weltbild erschüttert, die scheinbar gesicherten Kenntnisse über Russen, Ukrainer und Kosaken zu Pulver zerrieben. Aber dennoch – angesicht der vielfältigen historischen Wahrheiten, die man vergeblich in unseren Massenmedien sucht – sympatisiere ich auch im Sommer 2022 mit dem hymnischen Священная война !



Nehmen wir einige Lexika der letzten anderthalb Jahrhunderte zur Hand – „Allgemeines deutsches Conversations-Lexikon“ Bd. 8 erschienen 1849 in Hamburg. Setzen wir fort beim anerkannten Meyer, Bände 11 und 17 , erschienen in Leipzig 1905 und 1907, werfen wir eine Blick in den vierbändigen DDR-Meyer, Bd. IV, erschienen in Leipzig 1981, in Knaurs Lexikon von 1939, in den bundesrepublikanischen Herder von 1950.
Die Karte des zaristischen Südrussland

lässt keine inner-russischen Grenzen sichtbar werden. Die heutige Ukraine wird unter Kleinrußland lexikalisch erfasst:

„UKRAINE“ ist kein politisch-staatlicher Begriff, mehr ein Wort zur Umschreibung einer geographisch-historischen Situation:

Zur begrifflichen Verwirrung trägt auch nicht unwesentlich bei, dass während der Jahrhunderte der kolonialen Okkupation von Territorien der heutigen Ukraine der Begriff der RUTHENEN ( aus der latinisierten Form) verwendet wurde.








Jenen Lexikon-reifen Erkenntnissen liegen Jahrhunderte der zaristischen, osmanischen und habsburgischen Krieg um die Beute zugrunde, die an einer Karte aus der „Weltgeschichte, Bd. 5“, erschienen zu Sowjetzeiten in Moskau im Jahre 1958, in deutscher Sprache gedruckt in Berlin-DDR im Jahre 1966 (Verlag der Wissenschaften), ablesbar sind (zwischen S. 704 und 705)

Zum Verständnis – die dazu gehörige Legende:

Die Lexika des mittleren und späten 20. Jahrhunderts propagieren je nach staatlichen oder privatwirtschaftlichen Interessenlagen differenzierte Darstellungen.
Da ist die aus meiner Sicht interessantes Karte der frühen 50er Jahre in einem Oberschulatlas der DDR: die Großbauten der Kommunismus in der Sowjetunion – eindeutiger Schwerpunkt die Gebiete der UKRAINE !

Besonders auffallend: das Bild Deutschlands zum Vergleich (rechts oben) zeigt keine innerdeutschen Grenzen – versteckter Hinweis, unwieweit die DDR selbst noch im Jahre 1954 sich dem Ziel der deutschen Einheit verpflichtet fühlte !!! Im selben Atlas eine Karte zur territorialen Situation der 20er/30er Jahre und darin ablesbar die sowjetischen Westgrenzen ohne große Gebiete der heutigen Ukraine :

Dem historischen Verständnis förderlich ist selbstverständlich ein Blick in ein deutsche Lexikon des Jahre 1939:

Jenseits der Elbe (aus Berliner Sicht) eine nun wieder unpolitische Sicht (HERDER 1950) – mit Schwerpunkt Volkswirtschaft:

Die späte DDR druckt die Grenzen der sowjetischen Unionsrepublik Ukraine selbstverständlich im vierbändigen MEYER von 1981 (Bd. IV) ab:

Der „kleine“ DDR-MEYER verweist natürlich in einer zweiten Karte auf die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine für die gesamte Sowjetunion:

Natürlich wird den Wirtschaftskarten eine Legende beigefügt – die uns auch 40 Jahre später hilft, das Kriegsgeschehen besser zu verstehen.

Belassen wir es dabei, um dem Lesen Gelegenheit zur freien Suche zu lassen.
Letztes Beispiel der Vielfal der lexikalischen Beschäftgung mit der Ukraine (lange vor WIKIPEDIA):


Stimmt man mir aber zu, wenn ich nach dem Meditieren über diese geschichtlichen Fakten und dem Studium der aktuellen verwirrenden Situation in den Gebieten, die (noch) Ukraine genannt werden, wenn ich (ohne Zensur und Denunziantentum) leise summe: Священная война !
Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg, 19. Juli 2022