Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant von Kleist und Generalsuperintendent Löffler Folge 12

Kurz und knapp erwähnt Josias das bedeutende private Faktum seiner Frankfurter Jahre in den Lebenserinnerungen: „Löffler verheirathete sich im Winter 1784, am 9. November, mit der Tochter des Oberconsistorialraths Silberschlag in Berlin.“ (Kleine Schriften, Bd.I, S. XVI) Edda wirft bissig ein: Nicht einmal den Vornamen der Erwählten gibt er uns preis ! Also – durchsuchen wir den gesamten Packen nochmals nach Briefen oder ähnlichen intimen Papieren, die uns Auskunft über die Ehefrau des Predigers geben.
Josias hatte die schöne und kluge junge Frau vermutlich schon in den ersten Monaten seiner Berliner Zeit kennengelernt, als er durch die Vermittlung seiner Hallenser Universitätslehrer Semler und Nösselt die Runde bei den Spitzen der lutherischen Kirchen in Berlin absolvierte, auch auf der Suche nach einer Beschäftigung als Privatlehrer, also im Frühjahr und Sommer 1774. Da war sie noch ein Kind, aufgeweckt, eine vielversprechende sinnliche Schönheit, neugierig, aber als Tochter eines Oberkonsistorialrats familienbewusst und auch diszipliniert. Er verliert sie aus den Augen, nimmt am Krieg 1778/79 als Feldprediger teil, kommt 1779 zurück und wird sie um 1780 als junges, aufgeblühtes Mädchen wiedergesehen haben – im Hause ihrer Eltern. Aus Sympathie wird Erregung, Begehren und Liebe, aber der junge Mann hat noch keine Anstellung, die ihm so viel einbringt, dass er die Tochter eines hochgestellten Kirchenpolitikers heiraten kann. Da erscheint die Rettung am Horizont – die Professur in Frankfurt !
Der vor mir liegende Brief vom 1. Juni 1785, eine Kopie aus dem Archiv des Verlegers Frommann, verrät uns nun endlich den Namen des Mädchens: Dorothea ! Das Schreiben strahlt Zärtlichkeit aus, sehr viel Intimität: „dein zärtlich liebendes Dörtchen“ und „bestes Männchen“ sind nicht die Worte einer nur aus Vernunft und Laufbahn-Kalkül angetrauten Ehefrau. Aber lassen wir sie selbst sprechen – manche Krakelei muß ich leider auslassen –
„Glücklich und gesund bin ich gestern Abend um 10 Uhr hier in Berlin angekommen, bestes Männchen. Um 10 Uhr erst, wirst du fragen? Ja, ob mir gleich meine beyden Brüder in Dahlwitz schon erwarteten, so hatten wir doch noch so viel … , daß wir erst ziemlich spät von Dahlwitz abfuhren also auch nicht sehr früh hier ankommen konnten. Mit welchen Umarmungen und Küssen und Freude ich nun hier von meinen lieben Eltern empfangen ward, werde ich dir wohl nicht erst beschreiben dürfen, genug wenn ich dir sage, daß es ganz so wahr, wie wir es uns vorstellten.


Mama räumte sofort „meine“, „unsere“ Chaiselongue frei, damit ich mirs recht gemütlich mache. Ach, wärst du doch hier !!! Erinnerst du dich noch an die lustige Episode, wie Papa mit dir über die griechische Benennung jenes wunderschönen Möbelstücks in eine professorale Debatte geriet? Manchmal wird eben aus dem geruhsamen Consistorialrath ein streitsüchtiger Widder mit eingelegten Hörnern!
Es fehlt mir an nichts mehr hier in meinem väterlichen Hause, als ein gewisser Jemand mir zu Füßen auf dem lieblichen Polsterhocker sitzend, nicht wagte, mir die verliebten Augen zuzuwenden, aus Verlegenheit die gedrechselten Löwenfüße der Chaise longue streichelnd und wer der gewisse Jemand ist, das machst du allein …
Ich sitze jetzt in Mamans-Stube zu schreiben, Du kannst also wohl denken, daß mehrvom Plaudern als vom Schreiben wird, ich muß daher für heute … schließen, und Dir ein andermal, wenn ich oben … allein sitze werde … Ich küsse Dich in Gedanken so viel daß mir der Mund gewiß …

Hast du mich denn auch noch recht lieb, liebes Männchen? Ja wohl bin ich dir gut, dein bestes Dörtchen.

Neues kann ich dir noch nicht von Berlin melden“

Die Sache mit dem Möbelstück beschäftigt mich nun schon einen ganzen Tag – wie kommt „Dörtchen“ vom louis-quinze-Wort „chaiselongue“ auf das Altgriechische? In der Tischler-Berufsschule waren wir in der Geschichte der Möbelkultur vom Neo-Neo-Mix der Gegenwart nur bis zur deutschen Renaissance, zur Eiche und zum Nußbaum, gekommen, es bleibt nur der Anruf bei der Freundin Rita in Weimar. Sie weiß es, hat sie doch Innenarchitektur studiert! Ihre plausible Erklärung: französische Sitzmöbelgestalter der Periode nach dem Tode des Sonnenkönigs suchten neue Formen, neue Ideen, eine neue Sprache für die Innenausstattung der Paläste der gesellschaftlichen Elite, die nun aus Versailles in die urbanen Zentren zurückströmte – dazu gehörten praktische und luxuriöse Sitz- und Liegemöbel für die Damen, auf denen sie ihre Reize den Herren darbieten konnten. Zu bewundern übrigens heute in einigen wenigen Stücken in den Räumen von Fontainebleau und im Museum „Hotel de la Marine“ am Place de la Concorde, also der Pariser Innenstadt.

So wurden aus langweiligen Sesseln die langgestreckten chaiselongues, den man nach antiken Vorbildern lateinische oder griechische Namen zulegte: das Sofa mit nach oben gebogener Kopfstütze für drei Personen wurde als TRICLINIUM ein Modeschlager, wobei die Römer, die es zur Massenware entwickelten, die griechische Wurzel KLINE für Ruheliege im Unterschied zum Bett verwendeten. Soweit Rita. Meine Schlussfolgerung: Vater Silberschlag wollte vermutlich den künftigen Schwiegersohn auf seine Griechisch-Kenntnisse prüfen und nutzte Dorotheas Liebe zum französischen Möbelstück, das irgendwie in den Haushalt des Berliner Theologen geraten war, zu einem sprachgeschichtlichen Disput, dem Josias gewachsen sein musste, wie die in Griechisch eingeflochtenen Begriffe und Wendungen im Briefwechsel mit Semler und anderen Kollegen bezeugen. Wäre er bei dieser Prüfung durchgefallen, hätte „Dörtchen“ sich wohl gehütet, diese Episode zu erwähnen. Sie wird das Möbelstück auch in einem anderen Zusammenhang in Erinnerung haben – die Mädchen des 18. Jahrhunderts unterschieden sich wohl kaum von denen der Gegenwart, wenn sie sich der ersten Begegnung mit einem von den Eltern vermittelten möglichen Schwiegersohn in romantischer Verklärung erinnern.

Viel ist es nicht, was ich während der Abwesenheit der lieben Kollegin Edda herausfinden konnte – sie tröstete mich, es sei doch noch nicht jedes Papierchen mehrfach umgedreht. – Lassen Sie mich mal an jenen schwergewichtigen Packen, der da gesondert auf uns wartet und die Aufschrift „Stendal“ trägt. Sie schafft es, den komplizierten historischen Knoten ohne Beschäfigungen zu öffnen – da die nächste Überraschung – zwei getrennte, wiederum gut verschnürte Pakete – beschriftet: „privée“ und „Vauban“. – Chef, wir sollten uns zuerst ans Private machen, denn noch wissen wir nicht allzu viel über das Liebesleben unseres Predigers, der große Festungsdesigner Vauban kann warten!

Edda hat den Schlüssel gefunden! Briefe und Geständnisse! Beider Handschriften ! Und eine dritte, die vermutlich das Rätsel der Stendal-Aufschrift lösen wird. !

Es sind mehrere Briefe von drei verschiedenen Handschriften: die schon bekannte der Ehefrau Josias Löfflers, Dorothea, zweitens die Schrift einer Frau Namens Sophie Charlotte aus Stendal, einer Cousine unserer Dorothea – identifiziert aus der ihrer Unterschrift und der Anrede aus Briefen von Dorothea. Die dritte war schwieriger zuzuordnen, Dorothea hatte sie mir „Tantchen“ angeredet, und „Tantchen“ hatte mit Sophie Marianne unterschrieben. Wer war jene Sophie Marianne, wer war jene Sophie Charlotte? Wie standen sie zu Dorothea Löffler?

Aufschlußreich ist da zuvörderst jener Brief von Löfflers Ehefrau Dorothea aus Franfurt unmittelbar nach dem Umzug aus Berlin an die Cousine in Stendal, Sophie Charlotte.

Eine colorierte Postkarte flattert von ober auf meinen Tisch: – Bester aller Chefs, kennst du diese Touristenattraktion schon – das alte Kirchenbestückte Stendal?

Iczh verweigere die Antwort, trenne mich ungern vom Thema Eheglück der Löfflers. Die Cousine scheint noch minderjährig zu sein, deshalb hält sich „Dörte“ etwas zurück in der Beschreibung ihres ehelichen Freuden:

„Liebes Schwesterchen, ich darf dich wohl so nennen, da es mir an einer solchen mangelt, es drängt mich von Herzen, dir als nunmehrige ehelich anvertraute Gemahlin eines VIADRINA (!!!)Professors und Predigers an der größten Kirche vom Oderstrand die ersten Erfahrungen seit der Trennung von der Residenz Berlin zu erzählen. …

Hier an der Oder ist alles etwas kleiner, ruhiger, gemächlicher als in der Majestät Residenz. Nachbarinnen oder gar Freundinnen zum Schwatzen gibt es hier nicht – ich bin die verehrte Frau Professorin, man soll es mir ansehen ! Die Kleidung? – auch das kein Stoff zum Plaudern! Die Nachbarn? Preußisch-Zackige Militärs und schwarzgerockte, trockene, maulfaule Kirchenleute von St. Marien. Ach, wie ich mich nach Berlin sehne.
Man sieht schon das Kind im Bauch wachsen, bald wird es kommen, ich habe furchtbare Angst, darf sie aber nicht zeigen . . .

Beim Einräumen der Sachen und Einrichten in der Riesenwohnung hier im Winkel hinter der Kathetrale fand ich einen Zeitunsbereicht, den ich dir zurückschicke – denn es ist nicht mein Vater, sondern es kann nur dein Vater gemeint sein:

Der Schreiber des Berichtes in der Zeitung hätte einen Kupfer mit dem Porträt des „Herrn Conventual Silberschlag“ beifügen sollen, da wäre eine solche Verwechslung – wie sie auch gegenwärtig noch in Berlin bei gewissen Ignoranten geschieht, nicht passiert! Mein Vater war im Jahre 1761 lange dem Klosterjahren entwachsen ! Grüß den Onkel Georg von mir, tausend Küßchen vom Ufer des Oderstromes dem großen Geographen und Sternenkundigen – wenn er mal wieder bei der Familie weilt!

Mein noch jungfräuliches „Schwesterchen“, gewisse intime Nachrichten über die eheliche Liebe, die gegenüber den früheren jungendlichen Bruder-Schwester-Verhalten veränderten Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau in der Ehe werde ich dir trotz mehrfachen, nachdrücklichen Flehens nicht mitteilen – früh genug wird es dich ereilen!“

Die Zurückhaltung der frisch gebackenen Ehefrau Dorothea gegenüber ihrer jüngeren Cousine in Stendal macht mich neugierig auf den Briefwechsel Dorotheas mit der Stendaler Tante Sophie Charlotte, der sich überraschend in diesem Bündel befindet. Vielleicht hat Josias wegen des sehr intimen Gehaltes diese Papiere nicht dem offiziellen Nachlaß anvertrauen wollen – gelesen hat er die Briefe gewiß nach dem Tode Dorothes. Edda und ich hatten einiges Vergnügen beim Lesen der vertraulichen Ratschläge der beiden Frauen für den Umgang im Bett und auf dem Sofa mit ihren theologisch belasteten Männern. Es kling sehr modern, meinte Edda und zwinkerte mit den braunen Äuglein!

Dr. Dieter Weigert 15.August 2023 Berlin Prenzlauer Berg

Die nächste Folge der Erinnerungen des Stadtarchivars von Saalfeld zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler wird in Kürze erscheinen.

Für Interessenten bisher:

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720

LINK zu Folge 7: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34571

LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034

LINK zu Folge 9: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35090

LINK zu Folge 10: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35828

LINK zu Folge 11: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/37611

 

 

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder: Leutnant von Kleist und Generalsuperintendent Löffler Folge 10

Für den Theologen Josias Löffler bringt das Jahr 1779 den ersehnten Frieden, die Rückkehr vom „Kartoffelkrieg“, vom Elend der Opfer, von Trauer und Leid, aus Schlesien und Böhmen nach Berlin, aber nicht sofort die Befreiung vom Militärdienst.

Adolph Menzel, Zeichnung zur Biographie Friedrichs II.

Noch ist er Feldprediger im königl.-preuß. Kürassier-Regiment Nr. 10 der Gens d’armes, ich wiederhole die wenigen Worte aus seinem Tagebuch, mit denen er knapp die Zwitterstellung beschreibt, die Unterstellung als Militärgeistlicher und als ziviler Theologe auf der „Warteliste“ des Berliner lutherischen Oberkonsistoriums, doppelt also König Friedich II. verpflichtet:
„Hierauf kehrte er mit dem Regiment 1779 nach Berlin zurück. Hier widmete er sich, bey einem sehr leichten und geschäftsfreyen Amte, bey dem er oft bedauerte, daß es ihm nicht mehr bestimmte Arbeiten auflegte (weil es einem jungen Manne, zumal in der Hauptstadt, zu schwer sey, ohne äußerliche Veranlassungen und Nöthigungen, sich selbst auf eine befriedigende Art zu beschäftigen) theils dem Unterrichte junger Leute in der alten Litteratur, theils der Aufholung dessen, was er während des Jahres, in welchem er von der Litteratur ganz getrennt war, versäumt hatte; theils dem Umgang mit den Studierenden. Und nun kehrte bey ihm der Wunsch zurück, Lehrer der Wissenschaften, wenn möglich auch einer Universität zu seyn.“

Wir sind glücklich, in den nachgelassenen Papieren des Theologen Josias Löffler ein Blatt in seiner eigenen Handschrift gefunden zu haben, die Auskunft geben über seine Stimmung und Gefühle am Ende des Militäreinsatzes genau ein Jahr nach dem Ausmarsch aus Berlin:

Josias Löfflers Tagebuch 1778/79, Bl. 31

Die wichtigsten Passagen, mit kleineren Lücken transkripiert:

Den 21 ten April 1779 „Heute ist es gerade ein Jahr, daß ich meine Reise aus Berlin antrat, um in eine Lebensart zu treten, die voller Unruhe, Zerstreuungen und derjenigen ganz entgegengesetzt war, die ich bisher geführt hatte. So lehrreich dieses Jahr für mich gewesen, so mannigfaltig die Erfahrungen, die ich darin gemacht,  so wünschte ich doch einen ruhigeren Zeitpunkt und freue mich zu der Hoffnung des wiederkehrenden Friedens um wieder zu meiner vorigen Lebensart zurückzukehren, und mich wieder auf die Wissenschaften zu legen, die mich zur Führung meines Amtes geschickter und zu einem brauchbaren Menschen machen.
Wenn ich bedenke, daß der Werth des Menschen und die Zufriedenheit mit sich selbst lediglich oder größtentheils aus der regelmäßigen Thätigkeit entspringt, in der er seinen Geist erhält und durch die er der Welt nützlich wird, so wird dieser Wunsch um so lebhafter, je mehr ich bis jetzt in Zerstreuungen lebe, die den Geist allmählich von planvoller Geschäftigkeit entwöhnen, und ihm seine Festigkeit und gleichsam seine Consistenz rauben, daß er gleich dem Waßer über der Oberfläche der Dinge hin und her schwimmt.
Es scheint, daß mich diese Veränderung meiner Lebensart nicht weiter stört, so bald ich meinen Geist zu seiner Thätigkeit wiedergewöhne.
Aber ich muß mich grämen, wenn die Flüchtigkeit und Unruhe ihm eigen bleibt, die ihn bisher hin und her geworfen hat.
Der Honigsucher ist sich nur alsdann nützlich, wenn er gleich der Biene, die von einer Blume zur anderen fliegt, auch jene brauchbaren Säfte fängt und setzt ihrer Leistung und ihrer Lebensart getreu alles in Honig ansammelt – unter seinen Arten herumflattern von Städten zu Städten, und von Menschen zu Menschen, immer Nahrung für seinen Geist, für sein Herz, und für die Kunst sammelt, der sein Werk ist und wodurch er der Welt nützlich werden soll –  Ein Tageslauf in dem am Abend des Tages wenn er das was er gesehen, gehört, gedacht hat,  alles vor dem Auge seines Geistes vorüberziehen läßt, alle seine Mittel, Zweck und Vorteil nicht zu verlieren, den ihm diese neue Lebensart darbietet. „

Es sind Hilfeschreie, und es sind Reflektionen, die er seinen Freunden aus der Hallischen Zeit, Stuve und Lieberkühn, in Briefen mitteilt. In der Folge 8 dieser Serie erwähnte ich die beiden Freunde aus der Studienzeit, die nun als Pädogogen eine Stelle gefunden hatten, um die Josias Löffler sie beneidete – Philipp in Neuruppin, Johann in Breslau. Aus seiner Sicht waren seine beruflichen Voraussetzungen nicht schlechter als die der Freunde, sie hatten aber mehr Glück. Wir finden in den Papieren des Komvoluts Hinweise darauf, wie modern die pädogogischen Auffassungen der drei Hallischen Ansolvenen waren:
Für die moderne, den sachkundlichen Bedürfnissen des bürgerlichen Berufes der Schüler zugewandte Pädagogik der drei Freunde, spricht auch Löfflers Geschenk an die Schule in Neuruppin (siehe Philipp Julius Lieberkühns, gewesenen Rektor am Elisabethanischen Gymnasium zu Breslau Kleine Schriften …, herausgegeben von Ludwig Friedrich Gottlob Ernst Gedike, Züllichau und Freystadt 1791, S. 55) – „den Köhlerschen Atlas der alten Geographie“ (vermutlich handelte es sich um die wertvolle Edition aus dem Jahre 1720, erschienen bei Christoph Weigel in Nürnberg unter dem Titel „Descriptio orbis antiqui in XLIV tabulis exhibita. Atlas Manualis Scholasticus et itinerarius“)
In einem Begleitschreiben wird Josias geschichtsphilosophisch: der Atlas des Altdorffer Universitätsprofessors Johann David Köhler regt ihn an zum Träumen in globaler oder zumindest europäischer Tragweite.
Dieses Schreiben ist leider nicht erhalten, aber den Dankesbrief von Philipp Julius Lieberkühn und zwei weitere Briefe konnte ich im Archiv von Neuruppin ausfindig machen. Aus ihnen las ich zu meiner Verblüffung heraus, dass es eine weltanschauliche Debatte zwischen Philipp und Josias über das Thema China und Europa gegeben hat. 
Es stellt sich heraus, dass Lieberkühn ein glühender Bewunderer Köhlers war, der in seinen letzten 20 Lebensjahren eine Geschichtsprofessur in Göttingen innehatte und in Halle unter den Studenten wegen seiner gediegenen Kenntnisse in der Genealogie, der Heraldik und der Geschichte der Münzen beliebt war. Philipp Lieberkühn bezog sich in seinen Briefen auf die China-Beiträge in dem genannten Atlas, wandte sich aber kritisch gegen Köhler, weil er im populären Bilderatlas mit Hunderten von Kupferstichen zur Geschichte unter dem Titel „Gedächtnis-Hülfliche Bilder-Lust der Merkwürdigsten Welt-Geschichten Aller Zeiten“ von 1726 die asiatischen Länder östlich Persiens und Palästinas nicht behandelte.
Aber dafür finde ich unter den Papieren des Lieberkühn die 11-seitige Schrift: Joseph Moxon, Hamburg 1676, „kurtzer Diskours von Der Schiff-Fahrt bey dem Nord-Pol Nach Japan / China / und so weiter. Durch drey Erfahrungen dargethan und erwiesen/ nebenst Beantwortungen aller Einwürffe/ welche wieder die Fahrt auff diesem Weg können eingewendet worden; Als 1. Durch eine Schiffahrt von Amsterdam in den Nord-Pol. 2. Durch eine Schiffahrt von Japan / nach den Nors-Pol. 3. Durch einen Versuch den der Großfürst in der Moskau thun lassen/ wodurch erscheinet / daß gegen Norden von Nova Zembla eine frey und offene See ist biß nach Japan China und so weiter Sampt einer Land-Charte so alle Länder nechst dem Polo anweiset. Aus dem Englischen ins Hochdeutsche übersetzet.“ (mit Karten) Aber auch dieses schöne Stück der Sammlung zu orientalischen Themen leidet, wie die Freunde meinen, an „Schwindsucht“, wenn es um China geht.
Philipp kennt sich aus, er hatte sich auch intensiv mit Leibniz beschäftigt, seinen Briefwechsel mit den Jesuiten gelesen und war auf den Würzburger Jesuitenpater Kilian Stumpf gestoßen. Philipp war ein Leibnizianer, von den im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts erschienen Novissima Sinica hatte er gehört, sie aber leider nicht zu Gesicht bekommen.
Ich suche verbissen in dem Papierbündel nach weiteren Zeugnissen der Beschäftigung der beiden „Neuruppiner“, wie ich sie nenne, mit der chinesischen Philosophie und Theologie, – aber vergeblich. Keine weiteren Briefe. Aber als ich schon diese Spur verlassen wollte, geriet mir ein zusammengeheftetes dreiblättriges Stück mit verblassten Tintennotizen in die Finger – nach einem Handschriftenvergleich aus der Feder von Philipp Lieberkühn. Es waren nicht abgeschickte Briefentwürfe.
Soweit ich bisher verstand, hatten die drei Freunde zu ihrer Hallenser Zeit auch das Thema China ausführlich diskutiert, Leibniz‘ Briefwechsel mit den Jesuiten entdeckt und mit Bedauern festgestellt, dass es unter den europäischen protestantischen Fürsten kein Interesse gab   an der Unterstützung von Missionen nach China.  – Sie empfanden diese Haltung kleinkariert, borniert, suchten nach Wegen, wie sie als künftige Akademiker mithelfen könnten, die Überzeugungen der Fürsten zu verändern. Vermutlich stammten die gefundenen Notizen aus dieser Periode. Heute und morgen jedoch ist nicht die Gelegenheit, sich mit diesem anregenden Thema zu beschäftigen, die Aktivitäten unseres Theologen Josias nach seiner Rückkehr aus dem Kriege haben Vorrang.

Edda ist zurück , aus dem freien Vormittag ist eine halbe Woche geworden. Ihr Geschenk für mich: ein Sack voller Fragen und Anregungen, ein großer Umschlag mit Karten, Abbildungen, Zeichnungen. Zu meiner Verblüffung legt sie wortlos ein handgeschriebenes Blatt auf meinen Tisch, das nur eine Zeile enthält:

Wir sind sofort in einer heißen Debatte – war Josias Löffler ein Pazifist? Hat er sich grundsätzlich, philosophisch zu Krieg und Frieden, Gewalt und Toleranz geäußert? Edda bringt Heinrich von Kleist wieder ins Gespräch, auch wenn der Dichter und Leutnant in den Jahren des Kartoffelkrieges noch in den Armen der Amme des Nonnenwinkels lag. Es wäre dennoch von Nutzen, die Reflektionen des Feldpredigers mit den späteren Haltungen des Dramatikers z.B. im Arminius-Stück zu vergleichen.
Ich verberge meine Verwunderung darüber, mit welcher gedanklichen Tiefe, vermutlich durch nächtliches Studium erreicht, Edda aus Ihrer mehrtätigen „Büro-Diaspora“ zurückgekommen ist und versuche, durch geschicktes Fragen diese Hintergründe zu verstehen.
Sie verweist locker auf Wien, auf den Schriftsteller Collin. Den habe sie ohne großes Aufsehen nebenbei in den Tagen vor ihrem Privat-Rückzug in einem Regal entdeckt. Angriffslustig lenkte sie die Unterhaltung auf jene Passagen im Arminius-Stück, in denen Kleist dreißig Jahre nach den Kartoffelkriegs-Erfahrungen des väterlichen Freundes Josias Löffler die Lüge, die Tatsachen-Verdrehungen, die Fälschungen und das gesamte System der Propaganda zum legitimen Instrumentarium des Heerführers und seiner Offiziere erklärt.
– Und was hat jener Collin damit zu schaffen?
– Ohne Collin wäre das Stück nicht in dieser Gestalt entstanden! Edda macht es Freunde, mich auf dem falschen Fuß zu erwischen und tanzen zu lassen.

Ich lasse mich auf ein Gefecht mit den leichten Waffen ein, wähle das Florett, lehne Säbel und Degen ab:
– liebe Edda, darf ich auf jene mustergültige Predigten unseres Josias verweisen, in denen er Texte aus dem Alten und Neuen Testament als Belegstücke für die innere Widersprüchlichkeit der christlichen Religion in diesen Fragen anführt ? Wohin schlägt aus deiner Sicht das Pendel aus ?

Auch ich bin gut vorbereitet: Ich greife wie zufällig in die Buchreihe hinter mir, in den letzten Wochen sogfältig mit Drucken aus der Feder von Josias Löffler gefüllt, bitte Edda, Seite 153 des gut erhaltenen, goldbestückten Exemplars „Predigten Zweyter Band“ aufzuschlagen:

Die darin enthaltene Rede zum Gedächtnis Friedrich II.  vom 10. September 1786, S. 153 ff, springt und sofort in die Augen. Obwohl zu ihrem Verständnis eigentlich die Darstellung der professoralen Jahre des Theologen in Frankfurt an der Oder eine wichtige Voraussetzung wären, sollten und müssten wir sie schon heute studieren, d.h. uns den Positionen Löfflers zur christlichen Friedenslehre widmen – sozusagen als Nachlese zu den schmerzlichen Erfahrungen im sogenannten Kartoffelkrieg !

Der Text ist gruppiert um ein Zitat aus dem Alten Testament: 1. Chronik XVII, 8: „Ich habe dir einen Namen gemacht, wie die Großen auf Erden Namen haben“ (S. 157)  

Für Josias Löffler ist Friedrichs Name identisch mit der allgemein-menschlichen Friedenssehnsucht: Frieden: „… diese Aufopferung für das allgemeine Beste bewies er aber nicht bloß in diesem  oder jenem Theile der Staatsverwaltung, sondern überall; … bey der Beschützung und Vertheidigung seiner Länder, im Kriege nicht minder, als in der Ruhe des Friedens – … (S. 161)


„Er argumentiert mit den Zweiflern: „Es ist wahr, er führte drey Kriege – denn im vierten bewegte Er nur Sein Heer, um den Frieden zu erhalten – … Verheerende Kriege und blutige Schlachten konnten dem guten Könige keine Freude seyn, der so gern sein Land in blühenden Stand setzen und bevölkern wollte … Friede war sein höchster Wunsch, und ihn auf das festeste, selbst für die Zukunft zu gründen, eines der glorreichsten und letzten Geschäfte seine Lebens. Und so nimmt er dieser bewunderte König auch den Ruhm mit in das Grab, daß Er der große Beschützer und Vertheidiger seiner Länder, daß Er der Friedensstifter unseres ganzen deutschen Vaterlandes war.“ (162)

Das Resumé: „Nur unter dem gesegneten Einflusse des Friedens konnte Er sein angenehmstes Geschäft betreiben, und den erhabensten Zweck seiner Regierung erreichen, konnte er seine Länder beglücken und ihren Wohlstand mehren.“ (S. 163)


Ich schlage den Band zu, bin stolz auf die in meiner Regie – aber mit öffentlichen Geldern – erworbene Predigtsammlung des Josias Löffler, herausgegeben vom ehrwürdigen Frommann in Züllichau:

Darin findet sich – zu unserem aktuellen Thema passend – auch die Abschiedspredigt Regiment Berlin 16. Oktober 1782: (S. 1 ff), wobei ich schon wieder dem Gang der Gedanken vorauseile, mitgerissen vom goldbedruckten ledernen Buchrücken aus Züllichau.

Was packt mich sofort? In den meisten der abgedruckten und von Josias selbst ausgewählten Predigten die theologisch verpackte Friedenssehnsucht:   an erster Stelle jene Predigt im Bd. 3 aus dem Jahre 1793, (S. 397 ff) zu einer Stelle im Lukasevangelium (II, 22-32), der er den Titel gibt „Von der Verbindung der Vaterlandsliebe und der allgemeinen Menschenliebe“ – Josias Löffler propagiert den Zuhörern in Gotha seine Version des bekannten Lukas-Berichtes der Darbringung des Säuglings Jesus im Tempel:„Simeon,  der sich bei der Darstellung Jesu im Tempel einfand, erscheint uns von Seiten seines Verstandes und seines Herzens gleich ehrwürdig. Gleich jedem jüdischen Patrioten jenes Zeitalters wartete auch er auf den Trost, den Erretter und Heiland Israels; aber er hatte von ihm nicht die verkehrten Begriffe der Menge; …  Aber, was ihn weit ehrwürdiger zu machen verdient, das ist das gute wohlwollende Herz, welches aus jedem Zuge seiner Aeußerungen hervorleuchtet, …

Löffler predigt, „daß die Verbindung beyder nicht nur möglich, sondern selbst pflichtmäßig und leicht, sey.“ S. 403   und er definiert: „Dieses sind die Züge der Vaterlandsliebe: Gerechtigkeit gegen jedermann; Gehorsam gegen die Gesetze; Ehrfurcht gegen den Regenten; weise Regierung des Hauses, und Erziehung der Kinder; gewissenhafte Verwaltung anvertrauter Geschäfte; und Bereitwilligkeit, jede Anstalt zu unterstützen, wodurch Ruhe und Sicherheit, Wohlstand und Ordnung, Sittlichkeit und Tugend, befördert wird.“  (412)

„Menschenliebe– heiliger, ehrwürdiger oft entweiheter aber doch ehrwürdiger Name – Was ist sie? Der Name sagt; Sie ist die einfachste verständlichste Sache; Sie ist Liebe der Menschen, aber der Menschen als Menschen ohne Rücksicht des Hauses des Standes, des Volkes, der Religion, des Welttheils; sie ist Liebe jedes Hauses, jedes Standes jedes Volkes kurz des ganzen Geschlechts; sie ist der Wunsch, daß es allen Mitgliedern derselben wohlgehe, daß sie alle erleuchtet und sittlich werden; sie ist endlich das streben zu diesem Zwecke nach dem Vermögen dass Gott darreicht selbst beyzutragen.“ (413)

„So der fromme Simeon. Er freuete sich nicht bloß des Glücks und des Ruhms seines Volks, sondern auch der Erleuchtung der Heiden …

Edda zieht mich zurück in die gegenwärtigen Aufgaben, ich sträube mich – die alten Texte haben etwa Verführerisches ! Nochmals greife ich in das Regal hinter mir, fasse blind den Nachdruck der ersten Luther-Bibel, halte Edda die Seite mit dem Beginn des Lukas-Evangeliums vors Gesicht:


Edda schafft es, mich in die nüchterne Gegenwart zurück zu ziehen, denn ich bin auch etwas ermüdet von den Gedankenspielen über Leben und Tod auf den Schlachtfeldern Böhmens, Sachsens, Schlesiens. Um die chose zu Ende zu bringen, blättere ich die restlichen ungeordneten Zettel und Briefe durch, die sich in dem Umschlag „Feldzug 78/79“ befinden – und stutze. „Edda, ich habe Sie in den letzten Tagen kaum behelligt. Nun aber frage ich die Kennerin – wann ist denn die Textfassung der Kleistschen ‚Hermannsschlacht‘ in öffentlicher Form erschienen? Noch zu Lebzeiten des Dichters oder auch noch zu Lebzeiten Löfflers? Abgesehen von seinen eigenen kurzen Gefechtserfahrungen gegen die Truppen der französischen Republik konnte sich Leutnant a.D. Heinrich von Kleist beim Feldprediger a.D. Josias Löffler doch interessante Ratschläge für die Gestaltung des Felzuges des Cheruskers Arminius gegen die Römer einholen!“
Mein wandelndes Lexikon muss nicht lange nachdenken – „Erst lange nach dem Tode beider !“ – Ich hake nach – „Wieso aber gibt es hier eine handschriftliche Notiz Löfflers zur Thematik von ‚Lug und Trug‘, von Aufheizung der Völker in Kriegszeiten durch Zeitungen und Theaterstücken, die sich auf mehrere Passagen in Kleists Hermannsschlacht bezieht und in der Löffler den Namen Collin nennt?“- „Collin?“ zieht Edda nachdenklich am Pferdeschwanz, „war das nicht jener Mensch mit Adelstitel, der für das Wiener Burgtheater schmalzige Lieder und Postillen aus dem antiken Rom  für den Tagesgebrauch schrieb, unverdauliches Zeug?  Die  Kitschprodukte brachten nichts ein, aber dafür den hoch dotierten  Posten als Dramaturg!“ Vergnüglich spende ich der lieben Edda Beifall, auf meine fragenden Blicke setzte sie hinzu: „mein Zweitfach an der Uni war deutsche Literaturgeschichte, der Assistent beschäftigte uns zwei Jahre lang mit Brechts Vorliebe für das alte Rom, da ist etwas hängen geblieben, zum Beispiel der unvergessliche Coriolanus auf den deutschsprachigen Bühnen zu Klassiker Goethes Zeiten!“ – Ich bohre weiter: „wie aber kommt Löffler an einen Text von Kleist, der noch nicht veröffentlicht war?“
Edda vertröstet mich auf den Montag, sie wolle sich in ihren Nachschriften von damals umsehen, ob da nicht etwas über den Burgtheater-Menschen Collin zu finden sei, vielleicht über den Umweg Varus im Teutoburger Wald und  somit über Kleists Germanischen Helden Hermann! Den geheimnisumwitterten Notizzettel kopiert sie schon mal für das ruhige Weekend.

Am Montagmorgen ist großes Spectaculum angesagt – Edda bepflastert die Holzverkleidung meiner Fensterwand (sehr helle Zirbelkiefer mit lustigen kleinen Astzeichnungen) mit bunten Zettelchen und einigen Porträts und Theaterpapieren. Darüber befestigt sie ein Banner mit dem barock verzierten Schriftzug: Eddas Tableau! Burgtheater Wien und Kgl. Preuß. Schauspielhaus Berlin kann ich von meinem Platz in der ersten Zuschauerreihe erkennen. Edda hat eine Schwäche für graphische Darstellungen, für geometrische Figuren – also ist das Ganze kreisförmig angeordnet: im Zentrum ein einzelnes Blatt, von dort strahlen farbige Fäden in die vier Himmelsrichtungen. Zwischen dem Tableau und dem Kreis klebt sie nun eine Holzleiste mit einer Zahlenreihe, vor die Wand platziert sie ein Stehpult, darauf das Heft mit dem Text der Hermannschlacht: „Druck und Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1920; „Reclams Universal-Bibliothek“ Nr. 348; „Rosenranken-Umschlag“).

Auf einen Wink der Gestalterin trete ich näher, ihr rechter Zeigefinger weist auf drei rot unterlegten Zeilen des Blattes im Zentrum:  

Mein Blick muss Verständnislosigkeit ausstrahlen – Edda versucht es mit Stichworten: „Gotha?, Löffler?, der Kamerad aus Potsdam? Der Selbstmord-Versuch? Immer noch nichts ?“ Sie führt mich zu dem zugehörigen Brieftext in der unteren rechten Ecke ihres Tableaus und zitiert genüsslich die ersten Sätze, dann den gesamten Brief:   

157.Heinrich von Kleist an Heinrich Joseph von Collin

Teuerster Herr von Collin,

Kurz vor dem Ausbruch des Krieges erhielt ich ein Schreiben von Ihnen, worin Sie mir sagten, daß Sie das Drama: die Hermannsschlacht, das ich Ihnen zugeschickt hatte, der K. K. Theaterdirektion, zur Prüfung und höheren Entscheidung, vorgelegt hätten. Natürlich machten die Vorfälle, die bald darauf eintraten, unmöglich, daß es aufgeführt werden konnte. Jetzt aber, da sich die Verhältnisse wieder glücklich geändert haben, interessiert es mich, zu wissen: ob sich das Manuskript noch vorfindet ? ob daran zu denken ist, es auf die Bühne zu bringen? und wenn nicht, ob ich es nicht nach Berlin zurück erhalten kann? – Ebenso lebhaft interessiert mich das Käthchen von Heilbronn, das Sie die Güte hatten, für die Bühne zu bearbeiten. In demselben, schon erwähnten Briefe schrieben Sie: die Rollen seien ausgeteilt, und alles zur Aufführung bereit. Ist es aufgeführte Oder nicht? Und wird es noch werden? – Alle diese Fragen, die mir, wie Sie begreifen, nahe gehen, bitte ich, in einem freien Augenblick, wenn Sie ihn Ihren Geschäften abmüßigen können, freundschaftlich zu beantworten. – Wie herzlich haben uns Ihre schönen Kriegslieder erfreut; und wie herzlich erfreut uns der Dank, den der Kaiser, Ihr Herr, Ihnen kürzlich öffentlich dafür ausgedrückt hat! Nehmen Sie die Versicherung meiner innigsten Liebe und Hochachtung an, und erhalten Sie ferner Ihr Wohlwollen demjenigen,
der sich nennt                      Ihr ergebenster

Gotha, den 28.Jan. 1810       Heinrich v. Kleist.

N. S. Ich war nur auf kurze Zeit hier, und gehe morgen nach Berlin zurück, Wohin ich poste restante zu antworten bitte.“

Ich muss mich wieder setzen! Der Blitz hat eingeschlagen: „Edda, das ist die Antwort auf unsere Frage vom Freitag! Kleist hatte bei dem Besuch seines ehemaligen Potsdamer Regimentskameraden von Schlotheim selbstverständlich bei Löffler ‚vorbeigeschaut‘ und mit ihm über die Theatervorhaben, also auch über die ‚Hermannsschlacht‘ geplaudert, also über Themen, die – wie im Brief an Collin beschrieben – ‚mir nahe gehen‘. Ganz gewiß hatte er auch eine Arbeitskopie des bisher unveröffentlichten Stückes im Reisegepäck, daher die Textauszüge, die sich Löffler selbst anfertigte oder von einem der herzoglichen Schreiber anfertigen ließ. Das ist des Pudels Kern, wie Goethe formulieren würde. Und beim Schlotheim junior war er aufgekreuzt wegen der finanziellen Verbindungen, über die wir schon gesprochen haben!“

Edda hält das Heftchen hoch und nimmt die klassische Deklamierstellung ein – schon muss ich unterbrechen: -„Was hat es mit der hölzernen Zahlenleiste dort auf sich ?“ – „Das sind die Zeilen-Nummern einer modernen Ausgabe der ‚Hermannsschlacht‘, wo wir Bezüge zu unserer Ausgangsfrage – Propaganda in Kriegszeiten, Fanatismus und nationalistischer Haß, Massenmanipulation in zweitausend Jahren – finden! Ich komme darauf zurück, Chef.“
Ich notiere schon mal die Zahlen für mein geplantes nochmaliges Lesen des Textes am Abend: 894 – 955, 1473 – 1527, 1570 – 1627, 1720 – 1750, 2200 – 2225.
Aber Edda meint, wir sollten jetzt schon uns an den Kleistschen Text wagen und zu versuchen, uns der Kriegsstimmung und dem Propagandafeldzug, der „Lug- und- Trug“- Taktik zu stellen. Sie nimmt das Heftchen und deklamiert:

Akt III   Zweiter Auftritt

Drei Hauptleute treten eilig nach einander auf. – Die Vorigen.

DER ERSTE HAUPTMANN indem er auftritt.

Mein Fürst, die ungeheueren                    (894)

Unordnungen, die sich dies Römerheer erlaubt,

Beim Himmel! übersteigen allen Glauben.

Drei deiner blühndsten Plätze sind geplündert,

Entflohn die Horden, alle Hütten und Gezelte –

Die unerhörte Tat! – den Flammen preisgegeben!

HERMANN heimlich und freudig.

Geh, geh, Siegrest! Spreng aus, es wären sieben!  (900)

DER ERSTE HAUPTMANN.

Was? – Was gebeut mein König?

EGINHARDT. Hermann sagt –

Er nimmt ihn beiseite.

DER ERSTE ÄLTESTE. Dort kommt ein neuer Unglücksbote schon!

DER ZWEITE HAUPTMANN tritt auf.

Mein Fürst, man schickt von Herthakon mich her,

Dir eine gräßliche Begebenheit zu melden!

Ein Römer ist, in diesem armen Ort,

Mit einer Wöchnerin in Streit geraten,

Und hat, da sie den Vater rufen wollte,

Das Kind, das sie am Busen trug, ergriffen,

Des Kindes Schädel, die Hyäne, rasend

An seiner Mutter Schädel eingeschlagen.           (910)

Die Feldherrn, denen man die Greueltat gemeldet,

Die Achseln haben sie gezuckt, die Leichen

In eine Grube heimlich werfen lassen.

HERMANN ebenso. Geh! Fleuch! Verbreit es in dem Platz, Govin!

Versichere von mir, den Vater hätten sie

Lebendig, weil er zürnte, nachgeworfen!

DER ZWEITE HAUPTMANN.

Wie ? Mein erlauchter Herr!

EGINHARDT nimmt ihn beim Arm. Ich will dir sagen –

Er spricht heimlich mit ihm.

ERSTER ÄLTESTER. Beim Himmel! Da erscheint der dritte schon!

DER DRITTE HAUPTMANN tritt auf.

Mein Fürst, du mußt, wenn du die Gnade haben willst,

920            Verzuglos dich nach Helakon verfügen.

Die Römer fällten dort, man sagt mir, aus Versehen,

Der tausendjährgen Eichen eine,

Dem Wodan, in dem Hain der Zukunft, heilig.

Ganz Helakon hierauf, Thuiskon, Herthakon,

Und alles, was den Kreis bewohnt,

Mit Spieß und Schwert stand auf, die Götter zu verteidgen.

Den Aufruhr rasch zu dämpfen, steckten

Die Römer plötzlich alle Läger an:

¬ Das Volk, so schwer bestraft, zerstreute jammernd sich,

930         Und heult jetzt um die Asche seiner Hütten. –

Komm, bitt ich dich, und steure der Verwirrung.

HERMANN. Gleich, gleich! – Man hat mir hier gesagt,

Die Römer hätten die Gefangenen gezwungen,

Zeus, ihrem Greulgott, in den Staub zu knien ?

DER DRITTE HAUPTMANN.

Nein, mein Gebieter, davon weiß ich nichts.

HERMANN. Nicht ? Nicht ? – Ich hab es von dir selbst gehört!

DER DRITTE HAUPTMANN.

Wie ? Was ?

HERMANN in den Bart.

Wie! Was! Die deutschen Uren!

– Bedeut ihm, was die List sei, Eginhardt.

EGINHARDT. Versteh, Freund Ottokar! Der König meint –

Er nimmt ihn beim Arm und spricht heimlich mit ihm.

ERSTER ÄLTESTER.

940          Nun solche Zügellosigkeit, beim hohen Himmel,

In Freundes Land noch obenein,

Ward doch, seitdem die Welt steht, nicht erlebt!

ZWEITER ÄLTESTER.

Schickt Männer aus, zu löschen!

HERMANN der wieder in die Ferne gesehn. Hör, Eginhardt!

Was ich dir sagen wollte –

EGINHARDT. Mein Gebieter!

HERMANN heimlich. Hast du ein Häuflein wackrer Leute wohl,

Die man zu einer List gebrauchen könnte?

EGINHARDT. Mein Fürst, die War‘ ist selten, wie du weißt.

– Was wünschest du, sag an ?

HERMANN. Was ? Hast du sie ?

Nun hör, schick sie dem Varus, Freund,

Wenn er zur Weser morgen weiter rückt,               950

Schick sie in Römerkleidern doch vermummt ihm nach.

Laß sie, ich bitte dich, auf allen Straßen,

Die sie durchwandern, sengen, brennen, plündern:

Wenn sies geschickt vollziehn, will ich sie lohnen!

EGINHARDT. Du sollst die Leute haben. Laß mich machen.

Er mischt sich unter die Hauptleute.

Akt VI         Dritter Auftritt

Hermann und Eginhaırdt treten auf.

HERMANN. Tod  Verderben, sag ich, Eginhardt!                 1473

Woher die Ruh, Woher die Stille,

In diesem Standplatz römscher Kriegerhaufen ?

EGINHARDT. Mein bester Fürst, du weißt, Quintilius Varus zog

Heut mit des Heeres Masse ab.

Er ließ, zum Schutz in diesem Platz,

Nicht mehr, als drei Kohorten nur, zurück.

Die hält man ehr in Zaum, als so viel Legionen,              1480

Zumal, wenn sie so wohlgewählt, wie die.

HERMANN. Ich aber rechnete, bei allen Rachegöttern,

Auf Feuer, Raub, Gewalt und Mord,

Und alle Greul des fessellosen Krieges!

Was brauch ich Latier, die mir Gutes tun ?

Kann ich den Römerhaß, eh ich den Platz verlasse,

In der Cherusker Herzen nicht

Daß er durch ganz Germanien schlägt, entflammen:

So scheitert meine ganze Unternehmung!

EGINHARDT

1490        Du hättest Wolf, dünkt mich, und Thuskar und den andern

Doch dein Geheimnis wohl entdecken sollen.

Sie haben, als die Römer kamen,

Mit Flüchen, gleich die Teutoburg verlassen.

Wie gut, Wenn deine Sache siegt,

Hättst du in Deutschland sie gebrauchen können.

HERMANN. Die Schwätzer, die! Ich bitte dich;

Laß sie zu Hause gehn. –

Die schreiben, Deutschland zu befreien,

Mit Chiffern, schicken, mit Gefahr des Lebens,

1500          Einander Boten, die die Römer hängen,

Versammeln sich um Zwielicht – essen, trinken,

Und schlafen, kommt die Nacht, bei ihren Frauen. –

Wolf ist der einzge, der es redlich meint.

EGINHARDT. So Wirst du doch den Flambert mindestens,

Den Torst und Alarich und Singar,

Die Fürsten an des Maines Ufer,

Von deinem Wagstück staatsklug unterrichten?

HERMANN. Nichts, Liebster! Nenne mir die Namen nicht!

Meinst du, die ließen sich bewegen,

1510           Auf meinem Flug mir munter nachzuschwingen ?

Eh das von meinem Maultier würd ich hoffen.

Die Hoffnung: morgen stirbt Augustus!

Lockt sie, bedeckt mit Schmach und Schande,

Von einer Woche in die andere. –

Es braucht der Tat, nicht der Verschwörungen.

Den Widder laß sich zeigen, mit der Glocke,

So folgen, glaub mir, alle anderen.

EGINHARDT. So mög der Himmel dein Beginnen krönen!

HERMANN.

Horch! Still!

EGINHARDT. Was gibts?

HERMANN. Rief man nicht dort Gewalt ?

EGINHARDT. Nein, mein erlauchter Herr! Ich hörte nichts,         1520

Es war die Wache, die die Stunden rief.

HERMANN. Verflucht sei diese Zucht mir der Kohorten!

Ich stecke, Wenn sich niemand rührt,

Die ganze Teutoburg an allen Ecken an!

EGINHARDT. Nun, nun! Es wird sich wohl ein Frevel finden.

HERMANN. Komm, laß uns heimlich durch die Gassen schleichen,

Und sehn ob uns der Zufall etwas beut.

Beide ab.

Akt IV    Fünfter Autritt

…         DER ZWEITE VETTER.

1565      Wer die Person ist, fragt ihr ?

Er nimmt eine Fackel und beleuchtet ihre Füße.

TEUTHOLD. Gott im Himmel!

Hally, mein Einziges, was widerfuhr dir ?

Der Greis führt ihn auf die Seite und sagt ihm etwas ins Ohr.

Teuthold steht, wie vom Donner gerührt. Die Vettern, die ihm gefolgt waren,

erstarren gleichfalls. Pause.

DER ZWEITE CHERUSKER.

Genug! Die Fackeln weg! Führt sie ins Haus!

Ihr aber eilt den Hermann herzurufen!

TEUTHOLD indem er sich plötzlich wendet.

Halt dort!

DER ERSTE CHERUSKER.

Was gibts?

TEUTHOLD. Halt, sag ich, ihr Cherusker!

Ich will sie führen, Wo sie hingehört. Er zieht den Dolch.

– Kommt, meine Vettern, folgt mir!

DER ZWEITE CHERUSKER. Mann, was denkst du?           1570

TEUTHOLD zu den Vettern.

Rudolf, du nimmst die Rechte, Ralf, die Linke!

– Seid ihr bereit, sagt an ?

DIE VETTERN indem sie die Dolche ziehn.

Wir sinds! Brich auf!

TEUTHOLD bohrt sie nieder.

Stirb! Werde Staub! Und über deiner Gruft

Schlag ewige Vergessenheit zusammen!

Sie fällt, mit einem kurzen Laut, übern Haufen.

Das Volk. Ihr Götter!

DER ERSTE CHERUSKER fällt ihm in den Arm.

Ungeheuer! Was beginnst du ?

EINE STIMME aus dem Hintergrunde.

Was ist geschehn ?

EINE ANDERE. Sprecht!

EINE DRITTE. Was erschrickt das Volk ?

DAS VOLK durcheinander.

Weh! Weh! Der eigne Vater hat, mit Dolchen,

Die eignen Vettern, sie in Staub geworfen!

TEUTHOLD indem er sich über die Leiche wirft.

Hally! Mein Einzges! Hab ichs recht gemacht?

Sechster Auftritt

Hermann und Eginhardt treten auf. Die Vorigen.

DER ZWEITE CHERUSKER.

1580              Komm her, mein Fürst, schau diese Greuel an!

HERMANN.

Was gibts?

DER ERSTE CHERUSKER.

Was! Fragst du noch? Du weißt von nichts?

HERMANN. Nichts, meine Freund! ich komm aus meinem Zelte

EGINHART. Sagt, was erschreckt euch?

DER ZWEITE CHERUsKER halblaut. Eine ganze Meute

Von geilen Römern, die den Platz durchschweifte,

Hat bei der Dämmrung schamlos eben jetzt –

HERMANN indem er ihn vorführt.

Still, Selmar, still! Die Luft, du weißt, hat Ohren.

– Ein Römerhaufen ?

EGINHARDT. Ha! Was wird das werden?

Sie sprechen heimlich zusammen. Pause.

HERMANN mit Wehmut, halblaut.

Hally ? Was sagst du mir! Die junge Hally ?

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hally, Teutholds, des Schmieds der Waffen, Tochter!

– Da liegt sie jetzt, schau her, mein Fürst,      1590

Von ihrem eignen Vater hingeopfert!

EGINHARDT vor der Leiche.

Ihr großen, heiligen und ewgen Götter!

DER ERSTE CHERUSKER.

Was wirst du nun, o Herr, darauf beschließen?

HERMANN zum Volke.

Kommt, ihr Cherusker! Kommt, ihr Wodankinder!

Kommt, sammelt euch um mich und hört mich an!

Das Volk umringt ihn ; er tritt vor Teuthold.

Teuthold, steh auf!

TEUTHOLD am Boden. Laß mich!

HERMANN. Steh auf, sag ich!

TEUTHOLD. Hinwegl Des Todes ist, wer sich mir naht.

HERMANN. – Hebt ihn empor, und sagt ihm, wer ich sei.

DER ZWEITE CHERUSKER. Steh auf, unsel’ger Alter!

DER ERSTE CHERUSKER. Fasse dich!

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hermann, dein Rächer ists, der vor dir steht.                 1600

Sie heben ihn empor.

TEUTHOLD. Hermann, mein Rächer, sagt ihr ? – Kann er Rom,

Das Drachennest, vom Erdenrund vertilgen ?

HERMANN. Ich kanns und wills! Hör an, was ich dir sage.

TEUTHOLD sieht ihn an.

Was für ein Laut des Himmels traf mein Ohr?

DIE BEIDEN VETTERN.

Du kannsts und willsts ?

TEUTHOLD.          Gebeut! Sprich! Red, o Herr!

Was muß geschehn ? Wo muß die Keule fallen ?

HERMANN. Das hör jetzt, und erwidre nichts. –

Brich, Rabenvater, auf, und trage, mit den Vettern,

Die Jungfrau, die geschändete,

In einen Winkel deines Hauses hin!                  1610

Wir zählen funfzehn Stämme der Germaner;

In funfzehn Stücke, mit des Schwertes Schärfe,

Teil ihren Leib, und schick mit funfzehn Boten,

Ich will dir funfzehn Pferde dazu geben,

Den funfzehn Stämmen ihn Germaniens zu.

Der wird in Deutschland, dir zur Rache,

Bis auf die toten Elemente werben:

Der Sturmwind wird, die Waldungen durchsausend,

Empörung! rufen, und die See,

1620    Des Landes Ribben schlagend, Freiheit! brüllen.

DAS VOLK. Empörung! Rache! Freiheit!

TEUTHOLD. Auf! Greift an!

Bringt sie ins Haus, zerlegt in Stücken sie!

Sie tragen die Leiche fort.

HERMANN. Komm, Eginhardt! Jetzt hab ich nichts mehr

An diesem Ort zu tun! Germanien lodert:

Laß uns den Varus jetzt, den Stifter dieser Greuel,

Im Teutoburger Walde suchen!

Alle ab.

Akt IV, Neunter Auftritt  

…      THUSNELDA mit steigender Angst.

Du Unbarmherzger! Ungeheuerster!

– So hätt auch der Centurio,                  1709

Der, bei dem Brande in Thuiskon jüngst

Die Heldentat getan, dir kein Gefühl entlockt ?

HERMANN. Nein – Was für ein Centurio ?

THUSNELDA. Nicht ? Nicht ?

Der junge Held, der, mit Gefahr des Lebens,

Das Kind, auf seiner Mutter Ruf,

Dem Tod der Flammen mutig jüngst entrissene –

Er hätte kein Gefühl der Liebe dir entlockte

HERMANN glühend. Er sei verflucht, wemı er mir das getan!

Er hat, auf einen Augenblick,

Mein Herz veruntreut, zum Verräter                1720

An Deutschlands großer Sache mich gemacht!

Warum setzt‘ er Thuiskon mir in Brand?

Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben!

So lang sie in Germanien trotzt,

Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!

THUSNELDA weinend. Mehı liebster, bester Herzens-Hermann,

Ich bitte dich um des Ventidius Leben!

Das eine Haupt nimmst du von deiner Rache aus!

Laß, ich beschwöre dich, laß mich ihm heimlich melden,

Was über Varus du verhängt:                     1730

Mag er ins Land der Väter rasch sich retten!

HERMANN. Ventidius? Nun gut. – Ventidius Carboa

Nun denn, es sei! – Weil es mein Thuschen ist,

Die für ihn bittet, mag er fliehn:

Sein Haupt soll meinem Schwert, so wahr ich lebe,

Um dieser schönen Regung heilig sein!

THUSNELDA sie küßt seine Hand.

O Hermann! Ist es wirklich wahr ? O Hermann!

Du schenkst sein Leben mir ?

HERMANN. Du hörst. Ich schenks ihm.

Sobald der Morgen angebrochen,

1740       Steckst du zwei Wort ihm heimlich zu,

Er möchte gleich sich übern Rheinstrom retten;

Du kannst ihm Pferd aus meinen Ställen schicken,

Daß er den Tagesstrahl nicht mehr erschaut.

THUSNELDA. O Liebster mein! Wie rührst du mich! O Liebster!

HERMANN. Doch eher nicht, hörst du, das bitt ich sehr,

Als bis der Morgen angebrochen!

Eh auch mit Mienen nicht verrätst du dich!

Denn alle andern müssen unerbittlich,

Die schändlichen Tyrannenknechte, sterben:

1750       Der Anschlag darf nicht etwa durch ihn scheitern!

Akt V, Dreizehnter Auftritt

…      SEPTIMIUS.     (2195)     So ist es wahr ? Arminius spielte falsch ?

Verriet die Freunde, die ihn schützen wollten?

HERMANN. Verriet euch, ja; was soll ich mit dir streiten ?

Wir sind verknüpft, Marbod und ich,

Und werden, wenn der Morgen tagt,

Den Varus, hier im Walde, überfallen.             2200

SEPTIMIUS. Die Götter werden ihre Söhne schützen!

– Hier ist mein Schwert!

HERMANN indem er das Schwert wieder weggibt.

Führt ihn hinweg,

Und laßt sein Blut, das erste, gleich

Des Vaterlandes dürren Boden trinken!

Zwei Cherusker ergreifen ihn.

SEPTIMIUS. Wie, du Barbar! Mein Blut ? Das wirst du nicht -!

HERMANN. Warum nicht ?

SEPTIMIUS mit Würde. – Weil ich dein Gefangner bin!

An deine Siegerpflicht erinnr‘ ich dich!

HERMANN auf sein Schwert gestützt.

An Pflicht und Recht! Sieh da, so wahr ich lebe!

Er hat das Buch vom Cicero gelesen.

Was müßt ich tun, sag an, nach diesem Werke       2210

SEPTIMIUS. Nach diesem Werke Armsel’ger Spötter, du!

Mein Haupt, das wehrlos vor dir steht,

Soll deiner Rache heilig sein;

Also gebeut dir das Gefühl des Rechts,

In deines Busens Blättern aufgeschrieben!

HERMANN indem er auf ihn einschreitet.

Du weißt was Recht ist, du verfluchter Bube,

Und kamst nach Deutschland, unbeleidigt,

Um uns zu unterdrücken ?

Nehmt eine Keule doppelten Gewichts,

Und schlagt ihn tot!                              2220

SEPTIMUS. Führt mich hinweg! – hier unterlieg ich,

Weil ich mit Helden würdig nicht zu tun!

Der das Geschlecht der königlichen Menschen

Besiegt, in Ost und West, der ward                  2223

Von Hunden in Germanien zerrissen:

Das wird die Inschrift meines Grabmals sein!

Er geht ab; Wache folgt ihm.

DAS HEER in der Ferne. Hurrah! Hurrah! Der Nornentag bricht an!“

Erschöpft, aber glücklich sinkt Edda in den Stuhl zurück. – Ich nehme ihr das Reclam-Heft aus der Hand und lege es auf das Pult zurück: „Bewunderswert, wie du an einem Wochenende nur diesen sperrigen Text auseinander reißen konntest ! Hermann steht so nackt vor mir wie die Think Tanks der Gegenwart. Aber eine Frage bleibt : ob Josias Löffler wohl vor zweihundert Jahren diese Zusammenhänge verstanden hat?“ – „Warum hat er dann, liebe Edda, unser braver Theologe und gelegentlich auch Feldprediger, diese Zeugnisse von Lug und Trug der Herrscher in einer Zeit der europäischen Kriege aufbewahrt ? Gibt es denn in dem Briefwechsel Kleists mit dem Wiener Heinrich von Collin Anzeichen und Gründe dafür?“

„Gut Chef, dann zum zweiten Teil meiner Ergebnisse der Weekend-Studien: mit Collin war Kleist mindestens seit dem Jahre 1804 in Kontakt. Aber die Leidenschaft für das Hermann-Varus-Thema können wir bei Kleist bis auf die Jahre 1801/1802 zurückverfolgen, ohne dass wir dafür theatergeschichtliche schriftliche Belege finden: Klopstock, Arndt, Karl Heinz Venturini, Johannes von Müller … Ich fand aber im Briefwechsel mit Adolfine von Werdeck, der späteren Frau von dem Knesebeck, einen interessanten Bezug zum Teutoburger Wald – schon aus dem Jahre 1801: „An Adolfine von Werdeck  [Paris und Frankfurt am Main, November 1801] 
– Also an dem Arminiusberge standen Sie, an jener Wiege der  deutschen Freiheit, die nun ihr  Grab gefunden hat? Ach, wie  ungleich sind zwei Augenblicke, die ein Jahrtausend trennt!  Ordentlich ist heute die Welt; sagen Sie mir, ist sie noch schön ?  Die armen lechzenden Herzen! Schönes und Großes möchten sie  tun, aber niemand bedarf ihrer, alles geschieht jetzt ohne ihr Zutun. Denn seitdem man die Ordnung erfunden hat, sind alle großen Tugenden unnötig geworden. Wenn uns ein Armer um eine  Gabe anspricht, so befiehlt uns ein Polizeiedikt, daß wir ihn in ein  Arbeitshaus abliefern sollen. Wenn ein Ungeduldiger den Greis,  der an dem Fenster eines brennenden Hauses um Hilfe schreit,  retten will, so weiset ihn die Wache, die am Eingange steht, zurück, und bedeutet ihn, daß die gehörigen Verfügungen bereits  getroffen sind. Wenn ein Jüngling gegen den Feind, der sein Vaterland bedroht, mutig zu denWaffen greifen will, so belehrt man  ihn, daß der König ein Heer besolde, welches für Geld den Staat  beschützt. – Wohl dem Arminius, daß er einen großen Augenblick fand. Denn was bliebe ihm heutzutage übrig, als etwa  Lieutenant zu werden in einem preußischen Regiment ?.“   
Edda scheint gerührt. Ich wende mich wieder dem Tableau und der ihrer Erklärung zu – „Die Briefe Kleists an Collin habe ich in Richtung Südosten postiert – dort, wo Wien liegt. Gehen wir davon aus, dass sich Kleist sporadisch ab 1801, dann systematisch ab 1808 mit dem Thema beschäftigt, kommen folgende Briefe in Betracht: Dresden 14. Februar 1808, Dresden, 2. Oktober 1808, Dresden, 8. Dezember 1808, Dresden, 1. Januar 1809, Dresden. 22. Februar 1809, Dresden, 20. und 23. April 1809. Hier nun chronologisch die Belegstellen – beginnen wir mit dem Februar 1808, als sich Kleist nach seiner Rückkehr aus der französischen Gefangenschaft nun in Dresden aufhält und weitgefaßte Pläne schmiedet:

An Heinrich Joseph von Collin

EW. Wohlgeboren

uns, mit so vieler Herzlichkeit gegebene, Versicherung, unser Kunstjournal, einer eignen Unternehmung gleich, zu unterstützen, hat mir sowohl, als H. Adam Müller, die größte Freude gemacht. Es geschieht, Ihnen einen Beweis zu geben, wie sehr wir jetzt auf Sie rechnen, daß wir unser Gesuch, uns mit einem Beitrag zu beschenken, gleich nach Empfang Ihres Schreibens noch einmal wiederholen. Es könnte uns, bei dem Ziel, das wir uns gesteckt haben, keine Verbindung lieber sein, als mit Ihnen, und so wenig es uns an Manuskripten fehlt: es liegt uns daran, daß Ihr Name bald im Phöbus erscheine. Da das Institut vorzüglich auch dazu bestimmt ist, von großen dramatischen Arbeiten, die unter der Feder sind, Proben zu geben, so würden uns Szenen aus Werken, die unter der Ihrigen sind, ganz vorzüglich willkommen sein. Doch auch für alles andere, was Sie uns geben wollen, werden wir dankbar sein; schicken Sie es nur gradezu an die hiesige Kaisl. Königl. Gesandtschaft, welche alle unsere wechselseitige Mitteilungen zu besorgen die Güte haben wird. Ich bin, außer der Penthesilea, von welcher ein Fragment im ersten Hefte steht, im Besitz noch zweier Tragödien, von deren einen Sie eine Probe im dritten oder vierten Heft sehen werden. Diese Bestrebungen, ernsthaft gemeint, müssen dem Phöbus seinen Charakter geben, und auf der Welt ist niemand, der in diese Idee eingreifen kann, als Sie. Das erste Werk, womit ich wieder auftreten werde, ist Robert Guiskard, Herzog der Normänner. Der Stoff ist, mit den Leuten zu reden, noch ungeheurer; doch in der Kunst kommt es überall auf die Form an, und alles, was eine Gestalt hat, ist meine Sache. Außerdem habe ich noch ein Lustspiel liegen, wovon ich Ihnen eine, zum Behuf einer hiesigen Privatvorstellung (aus der nichts ward) genommene Abschrift schicke. H. v. Goethe läßt es in Weimar einstudieren. Ob es für das Wiener Publikum sein wird? weiß ich nicht; wenn der Erfolg nicht gewiß ist (wahrscheinlich, wir verstehen uns) so erbitte ich es mir lieber wieder zurück. Es ist durch den Baron v. Buol  K. Chargé d’Affaires) der es sehr in Affektion genommen hatte, mehreremal dem H. Grafen v. Palfy empfohlen worden (nicht zugeschickt), – aber niemals darauf eine entscheidende Antwort erfolgt. – Von der Penthesilea, die im Druck ist, sollen Sie ein Exemplar haben, sobald sie fertig sein wird. – Sagen Sie mir, ums Himmelswillen, ist denn das I. Phöbusheft bei Ihnen noch nicht erschienene und wenn nicht, warum nicht? Wir sind sehr betreten darüber, von dem Industriecomptoir in Wien, dem wir es in Kommission gegeben haben, gar nichts, diesen Gegenstand betreffend, erfahren zu haben. Würden Sie wohl einmal gelegentlich die Gefälligkeit haben, sich danach zu erkundigen? Das zweite Heft ist fertig; und noch nicht einmal die Ankündigung ist in Wien erschienen! –

Ich hätte noch dies und das andere, das ich Ihnen schreiben, und worum ich Sie bitten möchte, doch man muß seine Freunde nicht zu sehr quälen, leben Sie also wohl, und überzeugen Sie sich von der Liebe und Verehrung dessen, der sich nennt

Dresden, den 14. Feb. 1808 Ihr H. v. Kleist. Pirnsche Vorstadt, Nr. 123

An Heinrich Joseph von Collin

EW. Hochwohlgeboren

habe ich die Ehre, hiermit die Penthesilea, als ein Zeichen meiner innigsten und herzlichsten Verehrung, zu überschicken, und damit ein Versprechen zu lösen, das ich Denenselben zu Anfange des laufenden Jahres gegeben habe.

Herr Hofrat Müller sowohl, als ich, wiederholen die Bitte uns, wenn die öffentlichen Verhältnisse ruhig bleiben sollten, gefälligst mit einem Beitrag für den Phöbus zu versehen.

Das Käthchen von Heilbronn, das ich für die Bühne bearbeitet habe, lege ich Ew. Hochwohlgeb. hiermit ergebenst, zur Durchsicht und Prüfung, ob es zu diesem Zweck tauglich sei, bei.

Indem ich noch bitte, mir, wenn es Ihren Beifall haben, und die Bühne es an sich zu bringen wünschen sollte, diesen Umstand gefälligst bald anzuzeigen, damit mit dem Druck, in Tübingen bei Cotta, der das Werk in Verlag nimmt, nicht vorgegangen werde, habe ich die Ehre mit der vorzüglichsten Hochachtung zu sein,

EW. Hochwohlgeboren ergebenster

Dresden, den 2. Okt. 1808 Heinrich v. Kleist. Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

An Herrn Heinrich von Collin Hochwohlgeboren zu Wien.

Teuerster Herr von Collin,

Das Käthchen von Heilbronn, das, wie ich selbst einsehe, notwendig verkürzt werden muß, konnte unter keine Hände fallen, denen ich dies Geschäft lieber anvertraute, als den Ihrigen. Verfahren Sie ganz damit, wie es der Zweck Ihrer Bühne erheischt.

Auch die Berliner Bühne, die es aufführt, verkürzt es; und ich selbst werde vielleicht noch, für andere Bühnen, ein Gleiches damit vornehmen. – Wie gern hätte ich das Wort von Ihnen gehört, das Ihnen, die Penthesilea betreffend, auf der Zunge zu schweben schien! Wäre es auch gleich ein Wenig streng gewesen!

Denn wer das Käthchen liebt, dem kann die Penthesilea nicht ganz unbegreiflich sein, sie gehören ja wie das + und – der Algebra zusammen, und sind ein und dasselbe Wesen, nur unter entgegengesetzten Beziehungen gedacht. – Sagen Sie mir dreist, wenn Sie Zeit und Lust haben, was Sie darüber denken; gewiß! es kann mir nicht anders, als lehrreich und angenehm sein. – Hier erfolgt zugleich die Quittung an die K. K. Theaterkasse. Ich schicke sieIhnen, teuerster Herr von Collin, weil es mir an Bekanntschaften in Wien fehlt, und die Güte, die Sie für mich zeigen, mich zu dieser Freiheit aufmuntert. Besorgen Sie gefälligst die Einziehung des Honorars, umd senden Sie es mir, da es Papiere sind, nur mit der Post zu, wenn sich keine andre sichre und prompte Gelegenheit findet. – Schlagen Sie es doch in ein Kuvert ein, an den Baron v. Buol, hiesigen K. K. Chargé d’affaire, so ersparen wir das Postgeld. – Ich verharre mit der innigsten Hochachtung, Herr von Collin,

Ihr ergebenster

Dresden, den 8. Dezmbr. 1808 Heinrich von Kleist.

Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

An Heinrich Joseph von Collin

An den H. von Collin Hochwohlgeb. zu Wien.

Verehrungswürdigster Herr von Collin,

Sie erhalten, in der Anlage, ein neues Drama, betitelt: die Hermannsschlacht, von dem ich wünsche, daß es Ihnen gleichfalls, wie das Käthchen von Heilbronn, ein wenig gefallen möge.

Schlagen Sie es gefälligst der K. K. Theaterdirektion zur Aufführung vor. Wenn dieselbe es annehmen sollte, so wünsche ich fast (falls dies nochmöglich wäre) daß es früher auf die Bühne käme, als das Käthchen; es ist um nichts besser, und doch scheint es mir seines Erfolges sichrer zu sein.

Ich hoffe, daß Sie den, das Käthchen betreffenden, Brief, in welchem auch die Quittung enthalten war, durch Hr. v. Gentz, der ihn, von Prag aus, dem Hr. Pr[inzen] von Rohan nach Wien

mitgegeben hat, empfangen haben werden.

ln Erwartung einer gütigen Antwort verharre ich mit der in-

nigsten und lebhaftesten Hochachtung,

Herr von Collin Ihr ergebenster

Dresden, den I. Januar 1809 Heinrich v. Kleist.

Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

An Heinrich Joseph von Collin

An Herrn Heinrich von Collin, Hochwohlgeboren zu Wien, fr.

EW. Hochwohlgeboren

habe ich, zu Anfang Dezembrs. v. Jahres, durch eine Gelegenheit, die Quittung über die bewußten 300 Guld. Banknoten, für das Manuskript: das Käthchen von Heilbronn und bald darauf die Abschrift eines zweiten Dramas: die Hermannsschlacht, durch eine andere Gelegenheit, ergebenst zugesandt. Da ich nicht das Glückgehabt habe, seitdem mit einer Zuschrift EW. Hochwohlgeb. beehrt zu werden, so bitte ich Dieselben inständigst, mir, wenn es sein kann, mit nächster Post, gefälligst anzuzeigen, ob diese beiden Adressen richtig in Ihre Hände gekommen sind ? Es würde mir, besonders um dieser letzten willen, leid tun, wenn die Überlieferung derselben, durch irgend ein Versehn, vernachlässigt worden wäre, indem dies Stück mehr, als irgend ein anderes, für den Augenblick berechnet war, und ich fast wünschen muß, es ganz und gar wieder zurückzunelhmen, wenn die Verhältnisse, wie leicht möglich ist, nicht gestatten sollten, es im Laufe dieser Zeit aufzuführen.

Ich habe die Ehre, mit der vorzüglichsten Hochachtung zu sein,

EW. Hochwohlgeb. ergebenster

Dresden, den 22. Feb. 1809 Heinrich V. Kleist.

Rammsche Gasse, Pirnsche Vorst. Nr. 12.3

An Heinrich Joseph von Collin

Teuerster Herr von Collin,

Die 300 fl. Banknoten sind in Berlin angekommen. Ich habe sie zwar noch nicht erhalten; doch kann ich Ihnen die Quittung darüber, nebst meinem ergebensten Dank, zustellen.

Ihre mutigen Lieder östr. Wehrmänner haben wir auch hier gelesen. Meine Freude darüber, Ihren Namen auf dem Titel zu sehen (der Verleger hat es nicht gewagt, sich zu nennen), war unbeschreiblich. Ich auch finde, man muß sich mit seinem ganzen Gewicht, so schwer oder leicht es sein mag, in die Waage der Zeit werfen; Sie werden inliegend mein Scherflein dazu finden. Geben Sie die Gedichte, wenn sie Ihnen gefallen, Degen oder wem Sie Wollen, in öffentliche Blätter zu rücken, oder auch einzeln (nur nicht zusammenhängend, weil ich eine größere Sammlung herausgeben will) zu drucken; ich wollte, ich hätte eine Stimme von Erz, und könnte sie, vom Harz herab, den Deutschen absingen.

Vorderhand sind wir der Franzosen hier los. Auf die erste Nachricht der Siege, die die Österreicher erfochten, hat Bernadotte sogleich, mit der sächsischen Armee, Dresden verlassen, mit einer Eilfertigkeit, als ob der Feind auf seiner Ferse wäre.

Man hat Kanonen und Munitionswagen zertrümmert, die man nicht fortschaffen konnte. Der Marsch, den das Korps genommen hat, geht auf Altenburg, um sich mit Davoust zu verbinden; doch wenn die Österreicher einige Fortschritte machen, so ist es abgeschnitten. Der König und die Königin haben laut geweint, da sie in den Wagen stiegen. Überhaupt spricht man sehr zweideutig von dieser Abreise. Es sollen die heftigsten Auftritte zwischen dem König und Bernadotte vorgefallen sein, und der König nur, auf die ungeheuersten Drohungen, Dresden verlassen haben.

Jetzt ist alles darauf gespannt, was geschehen wird, wenn die Armee über die Grenze rücken soll. Der König soll entschlossen sein, dies nicht zu tun; und der Geist der Truppen ist in der Tat so, daß es kaum möglich ist. Ob er alsdann, den Franzosen so nahe, noch frei sein wird? – ist eine andere Frage. – Vielleicht erhalten wir einen Pendant zur Geschichte von Spanien. – Wenn nur die Österreicher erst hier wären!

Doch, wie stehts, mein teuerster Freund, mit der Hermannsschlacht? Sie können leicht denken, wie sehr mir die Aufführung dieses Stücks, das einzig und allein auf diesen Augenblick berechnet war, am Herzen liegt. Schreiben Sie mir bald: es wird gegeben; jede Bedingung ist mir gleichgültig, ich schenke es den Deutschen; machen Sie nur, daß es gegeben wird.

Mit herzlicher Liebe und Hochachtung,

Ihr

Dresden, den 20. April 1809 Heinrich v. Kleist.

Willsche Gasse, Löwenapotheke

N. S. Das sächsische Korps ist auf Wägen plötzlich nach Plauen und von da, wie es heißt, nach Zwickau aufgebrochen. Was dies bedeuten soll, begreift niemand. – Im Preußischen ist, mit der größten Schnelligkeit, alles auf den Kriegsfuß gesetzt worden. den 23. [April 1809]

Chef, ich brauche Tee oder Kaffee – Edda erlöst mich aus dem ungewohnten Status des passiven Zuschauers ihrer Performance.

Nach einer sehr, sehr langen Pause des Nachdenkens fasse ich die bemerkenswerten Ergebnisse der Edda-Wochenend-Recherchen zusammen – kurz und druckreif:

Verstehe ich recht – Grundidee, Konzept und erste Passagen der „Hermannsschlacht“ entwickelte Kleist im Winter 1809/1810 auf der Reise von Dresden nach Wien und tauschte vorläufige Gedanken darüber mit Josias Löffler bei seinem Aufenthalt in Gotha im Januar 1810 aus. Mit Wien verband Kleist die Hoffnung auf den baldigen Ausbruch eines siegreichen Volkskrieges gegen das napoleonische Frankreich, zu dessen „patriotischer“ Vorbereitung er seinen Beitrag leisten wollte. Der Wiener Dichter Heinrich Joseph Collin, dem er in einem Brief aus Gotha das Bühnen-Schicksal des Stückes, das er ihm vor Monaten zugeschickt hatte, nochmals ans Herz legte, ist ihm seit Jahren als Autor auch von den Berliner Theatern bekannt. Die Dringlichkeit seines Anliegens begründet Kleist in mehreren folgenden Briefen mit der politischen Lage, mit der Notwendigkeit, die deutsche Nation unter Führung Österreichs und Preußens moralisch und gefühlsmäßig für den bevorstehenden Krieg gegen Napoleon aufzurüsten. Inwieweit der Theologe Josias Löffler die fanatische, militante Haltung des Dichters Heinrich von Kleist teilte, wird aus den Notizen nicht ersichtlich; aber dass er jene Passagen aus dem Stück, die voller chauvinistischem Hass,  propagandistischem bellizistischem Trommelfeuer, voller taktischer Anweisungen zu „kriegsbedingten“ Lügen, Fälschungen, Kriegsverbrechen, Desinformationen stecken, nicht billigen kann, sollten wir annehmen.
Es waren insbesondere die folgenden Szenen, die wir gemeinsam erlebt haben – leider gibt es keine Quellen, die uns sagen, ob, wann und wie Löffler und sein „Zögling“ Kleist sich darüber ausgetauscht haben.

Vorstellen können wir uns aber, wie in jene Periode der Rückkehr des Theologen Löffler ins ruhigere Berliner Leben, der Monate und Jahre des brieflichen Austauschs mit den Freunden in Neuruppin und Breslau der Wunsch nach einer gesicherten Stellung an einer guten Schule oder gar Universität von ihm Besitz ergreift.

Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 7. August 2023

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

Für Interessenten:

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720

LINK zu Folge 7: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34571

LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034

LINK zu Folge 9: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35090

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder: Leutnant Heinrich und Superintendent Josias Folge 7

Folge 7 Esther

Edda ist nicht zu bremsen, sie ist aufgeregt und glüht im Gesicht: – Großer Chef, ich habe mir heimlich noch einige Nachbarblätter angesehen und fühle die Fäden! Ich brauche mindestens eine Stunde, alles auszubreiten! Darf ich?

Ich nicke freundlich. Sie doziert genüßlich in Erwartung der schönen Dinge, von denen ich nichts ahne.

– Beim Durchforsten verschiedener Texte, die nach längeren Prüfungen einen Bezug zum Brief der Dame Esther erlauben, stoße ich auf das mehrfache Auftauchen des Wortes „Heilige-Geist-Straße“. Dort wird sie gewohnt haben, in der Mitte Berlins.

Ich studiere die alten Pläne von Berlin und finde die heute verschwundene Parallelstraße zwischen Spandauer Straße und Spree, in einem auf Weisung des Großen Kurfürsten trockengelegten Sumpfgebiet – dann Mitte des 18. Jahrhundert ein Wohngebiet für die betuchten Berliner Bürger, für die Professoren der benachbarten Ritterakademie und des Joachimsthalschen Gymnasiums, ein Wohngebiet mit Buchhandlungen, Geschäften für den gehobenen Bedarf – französischer und englischer Mode, Cafés, Manufakturen, die den Bedarf der Berliner und Cöllner nach Tabak, Strümpfen, Seide, Möbeln, Juwelen, Hüten befriedigten. Die noch existierende Heilig-Geist-Kapelle aus dem Mittelalter und das verschwundene Hospital zum Heiligen Geist gaben der Straße den Namen.

Der Berlinische Wursthof war ein kurzer Straßenzug zwischen der Burgstraße und der Heiligegeiststraße. Nach Neander von Petersheiden Neuen Anschaulichen Tabellen von der gesammten Residenzstadt Berlin (1801) hatte die Straße eine Länge von 35 Ruthen (ca. 132 m) bzw. 175 Schritten.

An der Südseite lagen 6 Grundstücke, an der gegenüberliegenden Seite lagen hinter dem Palais Itzig an der Burgstraße Seitengebäude, Stallungen und ein Spritzenhaus, wohl der Ort des früheren Schlachthauses. Die heutige neu angelegte St. Wolfgang – Str. nur für Fußgänger zwischen Spandauer Straße und der Spree zeigt in etwa den Verlauf der früheren Straße Berlinischer Wursthof, die dem Erweiterungsbau der Börse (nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Ruine abgerissen) weichen musste.

Edda legt Karte Nr. I in die Tischmitte

Auf diesem Ausschnitt vom Stadtplan Schleuen, 1773, erkennen wir die Heilig-Geist-Kapelle, die Spandauer Straße, die Synagoge, Heilig-Geist-Straße und -Gasse, links die Marienkirche und rechts das Königliche Schloß.

Eingefärbt ergibt sich folgendes Bild -Edda legt Karte Nr. II über Karte Nr. I:

Grün ist Heilig-Geist-Straße und -Gasse sowie die Heilig-Geist-Kapelle, Türkis zeigt die Lage der Synagoge und Orange das Königliche Schloss. Alles nah beieinander !

Nun zu der Dreiecks-Verbindung Heiliggeiststraße – Charité – Jägerstraße: Karte III erscheint in der Tischmitte:

Dem Brief entnehme ich folgende Handlungsfäden: Josias’ Freund Johann Stuve, mit dem sich Josias an manchen Abenden im Café traf, schlägt ihm vor, ihn und den gemeinsamen Freund Philipp Lieberkühn an einem Mittwoch zum Salon der Ehefrau des jüdischen Arztes Cohn in die Jägerstraße zu begleiten (gelb auf unserer dritten Karte eingefärbt, rot soll den Standort der Charité zeigen, die Wohnung von Josias, Grün und Türkis wie gehabt das Jüdische und Kommerzielle). Die Einladung war sehr persönlich gehalten, aber Johann meinte, dass man enge Freunde des Eingeladenen nicht an der Tür abweisen könne. Und so geschieht es auch. Es ist das erste Mal seit den Studentenjahren in Halle, dass Josias auf „Tuchfühlung“ mit jungen Frauen kommt – Ehefrauen und fast erwachsenen Töchtern reicher Berliner Juden, nichtjüdischen Schauspielerinnen und Tänzerinnen, bekannten und noch nicht bekannten Schriftstellerinnen, die Freudinnen mancher Herren des Hofes, von Bankiers, Diplomaten, ausländischer Kaufleute, Verlegern aus Berlin und Potsdam. Eine fremde Welt, deren Türen sich ihm nun auftun.

Eingefärbt auch diese Karte – die für unsere Recherchen wichtigsten Kommunikationszentren.

Karte IV auf dem Tisch:

Wie passt aber Esther in dieses Bild? Leider habe ich nur den einen persönlichen, intimen Brief aus jenen Jahren, nur vier Seiten, wenn auch eng und zierlich beschrieben.

Ich vertiefe mich tagelang in Esthers Brief und beginne erste Fäden zu entdecken – nächtliche Spaziergänge, verstohlene Liebesschwüre in der Wohnung einer Freundin von Esther – auch einen Hinweis auf die benachbarte Garnisonkirche, auf den Kanal mit seinen Maulbeerbäumen an beiden Ufern, – die Garnisonschule – und schließlich Mendel Oppenheims Bank in der Burgstraße an der Ecke zur Neuen Friedrichstraße (auf dem Schleuen-Plan an diesem Abschnitt Garnison-Kirchen-Straße benannt, von mir lila eingefärbt):

Da passt gut der liebe Rosenberg zur Illustration ! Seine Stiche, insbesondere die zur Umgebung des Hackeschen Marktes, lassen den Mix der Bauten, der Gassen und Straßen, der Männer und Frauen lebendig werden. Leider konnte ich keinen Stich zum Thema Burgstraße /Nähe Pomerantzenbrücke finden.

Die akribische Suche in den jüdischen Familiengeschichten um 1775 – der Name Esther ist ein eindeutiger Wink in diese Richtung – lässt mich jubeln: ist Esther eine noch unverheiratete Schwägerin des Mendel Oppenheim, eine Schwester seiner Frau Henriette geborene Itzig? Geboren also im Gebäude Burgstraße 25 an der Ecke einer Gasse zum Fluss? – Ich kann also annehmen, dass Esther Itzig ihre verheiratete Schwester Henriette Oppenheim zu den Salons der befreundeten jüdischen Familien begleitet. Ein Mosaiksteinchen nach dem anderen erhält Farbe, Konturen, ich kann einige schon zusammenfügen. Aber noch kenne ich nicht den Mittelpunkt, den Schlußstein des Gewölbes, der alles zusammenhält, dessen Entfernung aber auch alles zum Einsturz bringen kann.

Ich zermartre meine grauen Zellen, um den Knoten zu finden, von dem aus der Strang in meinem Gedächtnis-Geflecht zur Heilige-Geist-Straße abgeht, wo ist mir diese Alt-Berliner Lokalität in den Recherchen der letzten Jahre begegnet? Welche Brief-Adresse? Welcher Aktenbezug? Ich gehe die Namen möglicher Berliner Bezugspersonen durch – Spalding, Teller, Mendelssohn, Büsching, Friedrich Nicolai – halt, der Name könnte der Schlüssel sein !!!

Gezieltes Suchen bringt es nach Stunden an den Tag: bevor der betuchte Schriftsteller, Verleger, Verlagsbuchhändler 1787 das bekannte Haus in der Brüderstraße in der Nähe des Schlosses, also auf der Cöllner Seite, erwarb, hatte die Familie ihren Sitz in der Heiligen-Geist-Straße. Der Vater hatte nach seinem Umzug aus Königsberg nach Berlin sich dort niedergelassen, die Söhne hatten die provinzielle Verlagsbuchhandlung zu einem gutgehenden großstädtischen Geschäft entwickelt. Friedrich Nicolai hatte nach dem Tode des Vaters und des älteren Bruders Verlag und Buchhandlung übernommen.

Mitte der siebziger Jahre, in denen Josias seine ersten Schritte auf dem Berliner Parkett wagt, strickt Friedrich Nicolai an seinen Bindungsgefügen, sucht und findet Mitstreiter im Ringen um die öffentliche Verbreitung der Ideale der Aufklärung – Schriftsteller, Theologen, Pädagogen, bildende Künstler, Beamte. So laufen sie sich gewiss manchmal über den Weg, Nicolai und Löffler, zum Beispiel bei Gesprächen Nicolais mit Büsching, dem Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster, wenn es um die Herausgabe von Lehrbüchern, theoretischen Werken zu neuen Fragen einer liberalen Pädagogik geht, zu denen Büsching auch gern den jungen Wissenschaftler aus dem Umkreis der Hallischen Professoren Semler und Nösselt hinzuzieht. Büsching hätte den jungen Halle-Absolventen gern an seinem Gymnasium, Josias lehnt 1775 ein gut dotiertes Angebot ab, so früh möchte er sich noch nicht binden.

So ist mir aus der Biographie Nicolais das kaum veröffentlichte Detail bekannt, dass er um das Jahr 1774 mit Moses Mendelssohn den Plan des Langen und breiten diskutierte, die fünf Bände Moses in der Mendelssohnschen neuen Übersetzung für einen späteren Druck vorzubereiten und auf der Suche nach einem erfahrenen Wissenschaftler war, der diese Herausgabe betreuen konnte. Mendelssohn und Nicolai kamen überein, später auch das gesamte Alte Testament aus dem Hebräischen in neuer Übersetzung herauszugeben. Sie waren sich der Tragweite dieses Vorhabens voll bewusst – die Orthodoxie würde Sturm laufen gegen den unverhohlenen Angriff auf Luther – der habe doch für alle Ewigkeit auf der Wartburg eine deutsche Übersetzung der Bibel geliefert, auch unter Verwendung des hebräischen Urtextes.

Da Mendelssohn meinte, für diese neue Version der Moses-Geschichte in deutscher Sprache besonders die Angehörigen der gesamten „jüdisch Teutschen Nation“ interessieren zu können, sei Nicolai sich des buchhändlerischen Gewinnes bei entsprechend hoher Auflage sicher. Den verkaufsfördernden Titel hatte Mendelssohn schon vor der ersten Zeile geliefert: „Die fünf Bücher Mose, zum Gebrauch der jüdischdeutschen Nation nach der Übersetzung des Herrn Moses Mendelssohn“.

Nun aber waren Verleger und Autor am Verzweifeln – die ihnen bekannten Herren Kapazitäten waren mit anderen Projekten für Jahre gebunden, mit ihren akademischen Laufbahn-Zimmerer-Arbeiten vollauf beschäftigt oder sahen wenig Möglichkeiten, mit einer solch schweißtreibenden Beschäftigung Ruhm und Reichtum zu ernten. Nicoli kam nach intensiven Gesprächen mit den Autoritäten Teller, Spalding, Sack mit dem überraschenden Vorschlag zu Mendelssohn, den jungen, von den Prominenten einhellig gelobten Josias Löffler die Druckvorbereitung zu übertragen einschließlich der Erarbeitung eines Kommentars, sozusagen als Gesellenstück für den Einstieg in die normalerweise abgeschlossene Berliner Theologenzunft. Nicolai führte die Verhandlungen – da es sich um ein Projekt für mindestens fünf Jahre handelte, sah Josias keinen Grund, sich der lukrativen Aufgabe zu entziehen – und auf der anderen Seite erspähte er die einmalige Chance, in seinen jungen Jahren mit dem bekannten Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai ins Geschäft zu kommen. Nicalai seinerseits erkannte hier eine Chance, dem wohlbekannten und gefüchteten Konkurrenten Frommann in Züllichau ein junges erfolgversprevhendes Talent abzujagen.

Was Mendelssohn, Nicolai und Löffler nicht voraussahen, war das Ausmaß des Proteststurmes gegen die endlich 1779 erscheinende Publikation sowohl aus Kreisen der lutherischen Orthodoxie als auch von Seiten jüdischer Rabbiner vor allem aus dem einflussreichen norddeutschen Raum. Die vereinten autoritären Bannstrahlen ließen das Projekt finanziell in den Abgrund stürzen, auch wenn die Herausgeber von Anbeginn ohne Gewinn kalkuliert hatten, weil die den aufklärerischen, pädagogischen Nutzen höher veranschlagten als den Profit. Aber die ins Astronomische gestiegenen Druckkosten von 3 500 Reichstalern veranlassten Nicolai, die Unternehmung nach dem Erscheinen des ersten Bandes abzubrechen. Moses Mendelssohn kommentierte später den Ausgang dieses verlegerisch riskanten Programms lapidar: „Meine Ansicht ist bisher gewesen: wenn meine Übersetzung von allen Israeliten ohne Widerrede angenommen werden sollte, so wäre sie überflüssig. Je mehr sich die sogenannten Weisen der Zeit widersetzen, bist du nötiger ist sie. Ich habe sie anfangs nur für den gemeinen Mann gemacht, finde aber, dass sie für Rabbiner viel notwendiger ist.“

Nun erklärt sich manches im Brief von „Esther“: die Erwähnung von Friedrich Nicolai und der Heilige-Geist-Straße, die weltanschaulichen Passagen über das Verhältnis von Judentum, dem Alten Testament und dem Christentum, die Klagen über die scharf gezogenen und unveränderlich starren Grenzen in der „guten Gesellschaft“ Berlins für eine dauerhafte familiäre Bindung zwischen Juden und Christen.

Was Esther in ihrem Brief nicht erwähnt, vermutlich als bekannt voraussetzen konnte – auch dem Nichtjuden Josias: der Philosoph Moses Mendelssohn arbeitete tagsüber als Buchhalter sozusagen „um die Ecke“ im Kontor der Seidenfabrik Isaak Bernhards und vier Jahre lang als Hauslehrer der Kinder des reichen Fabrikanten; später hatte Bernhard den Buchhalter Mendelssohn sogar zum Teilhaber der Firma gemacht, da war Moses schon im ständigen Kontakt mit Lessing und Nicolai.
Nun entschlüsselt sich auch das Geheimnis der Liebesbeziehung und ihres tragischen Endes zwischen Esther und Josias: Josias hat sich zu entscheiden – Liebe oder Laufbahn, Weggehen aus Berlin in ein Land, wo eine solche Liebe möglich ist oder Verzicht und Anpassung. Es beginnt schon mit der einfachen Frage: Warum werde ich, Esther, Jüdin aus gutem Hause, nicht zu den Empfängen in den Salons der christlichen Herrschaften eingeladen? Warum kann ich den neunmalklugen Friedrich Nicolai nur im Salon meiner Schwester, aber nicht bei einer Gesellschaft in den Privaträumen seines Hauses in der Heilige-Geist-Straße treffen?

Wie leider befürchtet, kann ich keinen Antwortbrief von Josias finden, was ich umso mehr bedauere, da das Thema Sündenfall und Erlösung wie auch Liebe und Sünde für den jungen Prediger und Hauslehrer aus der theologischen Schule von Semler und Nösselt damals eine interessante Herausforderung in der Debatte mit der klugen jüdischen Intellektuellen darstellen sollte

Edda unterbricht aus gutem Grund ihren Vortrag: es ist Zeit für eine längere Pause, der Körper fordert sein Recht. Aber auch das Aufnahmevolumen des Kopfes scheint erreicht – eine natürliche Blockade sendet Signale!

Ich entscheide mich für eine weniger anstrengende Form, in der Edda ihre Ergebnisse vorstellen kann – den Dialog. Ich frage, sie anwortet! „Zuvörderst“ – um mit Josias zu sprechen – solle sie doch darstellen, was sie an Neuem über jene Übersetzung aus dem Französischen gefunden habe, die wir vor Tagen ungeduldig mit wenigen Worten abgetan hatten.
Eddas Gesicht strahlte: Die Zeilen, in denen „Esther“ von den „sinnlichen, unvergesslichen Wochen in Züllichau“ spricht, offenbaren sich nun nach dem geduldigen Studium der Texte als Botschaft einer sehr frühen Zusammenarbeit Löfflers mit Nicolai und dem Verleger Fromman in Züllichau, später Jena:  Der junge Wissenschaftler Josias sitzt in seinen freien Stunden an einer Aufgabe, zu der ihm Semler geraten hatte – die Übersetzung  ins Deutsche der provokativen anti-orthodoxen Publikation des französischen Theologen Matthieu Souverain „Platonisme devoilé“.
Nicolai zeigte kein Interesse an der Herausgabe, er verweist den jungen, bis dato unbekanten Autoren an den Kollegen und Konkurrenten Frommann im neumärkischen Züllichau, der dann 1782 die Übersetzung (wegen der Zensur ohne Namensnennung des Verfassers) unter dem mit Löffler gemeinsam creierten Titel „Versuch über den Platonismus der Kirchenväter Oder Untersuchung über den Einfluß der platonischen Philosophie auf die Dreyeinigkeitslehre in den ersten Jahrhunderten“ veröffentlichte.

Carl Friedrich Ernst Frommann (1765-1837)

Auf der Titelseite ist der Bezug zu Souverains Buch nicht zu erkennen, erst auf S. XXXI der Einleitung nimmt der Verfasser Bezug auf die aktuelle wissenschaftliche Debatte zu diesem Thema, erwähnt auf S. XXXII die Arbeit des Engländers Samuel Clark „The scripture doctrine of the trinity“, London 1712,  herausgegeben 1774 in Frankfurt/Main und Leipzig mit einer Vorrede des Hallenser Theologen Semler (deutsch; „Die Schriftlehre von der Dreyeinigkeit“  und die Publikation Souverains, die unter dem vollständigen französischen Titel „Le Platonisme devoilé, ou Essai touchant le Verbe Platonicien“ im Jahre 1700 in Köln erschienen war.
Edda kann ihre Freude über die aus ihrer Sicht herausragenden Ergebnisse ihrer mehrtätigen Recherchen nicht verbergen: die eigentliche Anregung zu jenem Engagement des Studenten und späteren Absolventen der Universität Halle an der Saale Josias Löffler in Richtung „Platonismus“ kommt von seinem väterlichen Freund und Lehrer Semler !

Jahrzehnte später hat sich Josias Löffler zur Autorenschaft bekannt – auch zu den radikalen theologischen Positionen, die er als Übersetzer in Fußnoten, Anmerkungen, in der Zusammenfassung (Anhang) vermutlich auch in der Vorrede vertreten hatte.

Edda übergibt mir mit Genugtuung kurzgefasste Thesen zu den Ergebnissen ihrer Recherchen, lässt sich zurückfallen und scheint meine weiteren Ausführungen zu genießen:

Ich möchte an dieser Stelle vorausschicken, dass ich mich nach dem Abschluss der Recherchen zum Löfflerschen Konvolut trotz meines sehr begrenzten theologischen und kirchengeschichtlichen Horizonts an die Lektüre dieser Arbeit Löfflers aus seiner Berliner Periode gemacht habe und mich nun heute frage, was ich am 23jährigen Josias Löffler mehr bewundern soll – die exzellente Beherrschung des Französischen oder die fundamentalen Kenntnisse der kirchengeschichtlichen Details  und der philosophischen Theorien in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten.

Doch zurück zu „Esther“, Nicolai und Züllichau. Im Brief klingt verstohlen an, dass „Esther“ sich von den Eltern eine mehrwöchige sommerliche Besuchsreise zur Familie Eiger nach Züllichau auserbeten hatte, vermutlich abgesprochen mit Josias für die Periode, in der er vertrauliche Gespräche mit seinem Verleger über den Souverain führte. Die liberalen Eltern vertrauten ihrer Tochter, sie kannten die Familie der Freundin und erbaten sich nur ab und zu einen Brief.

Der aufgeklärten Esther war seit ihrer Kindheit diese offene, liberale Haltung in ihrer Familie eine Selbstverständlichkeit, sie empfand auch das Bemühen der Eltern, den Söhnen und Töchtern gleichermaßen eine gute Bildung zukommen zu lassen, als natürlich. Aber je älter sie wurde und sich stärker der Geschichte, den geistigen Quellen des Judentums, des Christentums und auch des Islam widmete, desto nachdenklicher wurde sie, desto mehr bewunderte sie den Mut der Großeltern und Eltern, sich der wechselvollen und von Gewalt gezeichneten Geschichte des Verhältnisses von Herrschenden und Juden im Kurfürstentum Bandenburg zu stellen, einen neuen Anfang zu wagen und dem Wort des Landesherrn zu vertrauen. Esther entwickelte eine intellektuelle Neugier auf antike Sprachen, genährt auch durch private Hauslehrer, meist gelehrte polnische Juden, las schon als Kind unter deren geduldiger Anleitung die Werke antiker Autoren, ihres Lieblingslateiners Cicero, durfte an Tischgesprächen mit gelehrten Gästen, Juden und Christen, teilnehmen.

Eltern und Lehrer ermutigten das Mädchen, von Orthodoxen aller Schattierungen gezogene Grenzlinien zu überschreiten, künstlich aufgebaute Tabus zu erkennen und infrage zu stellen. Einer ihrer jüdischen Lehrer aus Bernau hatte den Mut, ihr trotz gegenteiliger Empfehlung der Eltern die tragische Geschichte der Verleumdung und grauenvollen Hinrichtung des damaligen Münzmeisters und fürstlichen Vertrauten Lippold im Jahre 1571 in Berlin in allen Einzelheiten zu erzählen. Esther konnte wochenlang nicht schlafen – hier in ihrer Stadt war das geschehen! Nur wenige Generationen waren vergangen, seit die Nachbarn, Kollegen, auch Freunde, sich über Nacht in Feinde, Mörder, Gewalttäter oder auch nur beifallspendende, die Quäler anfeuernde Zuschauer der Blutorgien verwandelt hatten. Esther war sich sicher, dass im Unterbewusstsein der Eltern und Großeltern jene furchtbaren Tage und die folgenden Wochen der Vertreibung aus dem Kurfürstentum Brandenburg immer präsent sind, obwohl ihre Vorfahren selbst nicht Opfer dieser Unmenschlichkeit waren. Erschreckend musste sie erkennen, dass die damaligen Landesherrn Brandenburgs, gepriesen als Kunstmäzene, als Förderer der aus Italien kommenden humanistischen Strömung der Renaissance-Maler und Bildhauer sich gleichermaßen in einer derartigen Weise menschenverachtend gegenüber den Juden und den sogenannten Hexen und Ketzern verhielten, wie man es seit Jahrhunderten in der Mark Brandenburg nicht erlebt hatte.

Esther fragte sich und ihren Freund Josias, was ein solch aufgeklärter Mensch wie Lessing, den sie aus Diskussionen am Mittagstisch ihrer Familie und Freunde kannte, privat empfand, wenn er bei seinen Vorstudien für die Theaterstücke mit brennend aktuellen Themen seine ästhetischen Erfahrungen von der Italienreise mit dem braunschweigischen Prinzen Leopold der Realität Brandenburg-Preußens gegenüberstellte. Sie hatte bei einer dieser Begegnungen ihren großen Bruder Benjamin gebeten, da sie trotz der aufgeklärten Atmosphäre an der elterlichen Kaffeetafel als Mädchen an den großen Lessing, den Verfasser der berühmten Studie über die antike Laokoon-Skulptur nicht direkt das Wort richten konnte, an ihrer Stelle zu fragen, was er vom künstlerischen Wert, vom bildhauerischen  Gewicht des Renaissance-Grabmal des kurfürstlichen Rates Gregor Bagius in der Nikolaikirche halte, vor allem angesichts des sehr befremdlichen Spruchs auf dem Band am Rande: »LUST GEBIERT DIE SUNDE – SUND GEBIERT DEN TOD«. Sie war brennend an der Antwort Lessings interessiert – wie groß aber war ihre Enttäuschung, als sich herausstellte, dass Lessing dieses Grabmal nicht kannte oder selbst in diesem vertrauten Kreis es nicht wagte, seine ehrliche philosophische Meinung zu äußern und die Unkenntnis vorschob.

In den Gesprächen mit ihrem Bruder konnte Esther ihr Bild von der Rolle der jüdischen Bankiers und Unternehmer und ihrer Familien in Berlin durch viele bisher unbekannte Details bereichern: Großen Anteil unter den jüdischen Unternehmungen hatten  die Bankiers, Goldschmiede und Diamantenschleifer, die  Händler mit den gefragten Genußmitteln Kaffee, Tee und  Tabak sowie die Buchdrucker. Mit der Wirtschaftsförderung  der preußischen Könige errangen die  jüdischen Unternehmer größere Befugnisse und weitreichendere Betätigungsfelder. Bekannte Namen sind die der  Bankiers Isaak Daniel ltzig und Veitel Heine Ephraim, der Seidenfabrikanten David Friedländer, Isaak Bernhard und Meyer Benjamin Levi und des Leinenfabrikanten Benjamin Veitel Ephraim. Esther spürte, wie sich bei den Spaziergängen, die Esther ihrem Bruder vorschlug, ihr Horizont erweiterte, wie sich auch Stolz auf die Leistungen ihre „Brüder und Schwestern“ aufbaute:

Das Kontor der Seidenfabrik Isaak Bernhards war übrigens der Arbeitsplatz des Philosophen Moses Mendelssohn; später hatte Bernhard den Buchhalter Mendelssohn sogar zum Teilhaber der Firma gemacht.

Das jüdische Zentrum hinter dem Spandauer Tor, um die alte Synagoge in der Heidereutergasse und in der Spandauer Straße, begrüßte sicherlich die Erweiterung der Geschäftkkontakte und der kulturellen Ausstrahlung über die Grenzen des alten Berlin hinaus nach dem Abtragen der Festungsanlagen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Manche der reichen Juden erwarben Grundstücke, ließen sich Häuser an den neuen Straßen bauen und nutzten die Gelegenheit zu neuen Niederlassungen am Hackeschen Markt und in der weiteren Spandauer Vorstadt.

Aus der Entstehungsgeschichte der selbständigen jüdischen Hochschulbildung und der modernen Forschungstätigkeiten geht hervor, daß die Wohnungen gebildeter und reicher Juden in der Nähe des Hackeschen Marktes zu Keimzellen von Schuleinrichtungen, Forschungsinstituten und vor allem der späteren „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ wurden.

Die territoriale Ausdehnung der jüdischen Schuleinrichtungen und anderer Institutionen der Gemeinde vom Ursprungsgebiet der Spandauer Straße und der Heidereutergasse durch die Rosenstraße und die Straße An der Spandauer Brücke hin zur Oranienburger Straße und zur Großen Hamburger Straße, wo sich schon seit Anbeginn der Friedhof der jüdischen Gemeinde befand, vollzog sich logisch am stärksten und sichtbarsten, als nach dem Abtragen der Festung freier Raum in Richtung Norden und Nordwesten vorhanden war.

(Ein Hinweis am Rande, den ich Edda einige Tage später zukommen ließ: Die Vorstellung, Berlins Salonieren aus der jüdischen Oberschicht wären in den Häusern ihrer christlichen Besucher ebenso willkommen gewesen wie umgekehrt stimmt mit der Realität nicht überein. Beispielsweise wurden Henriette Herz und Rahel Levin nicht ein einziges Mal ins Tegeler Schloss der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt eingeladen, obgleich diese ungezählte Male in den Genuss der inspirierenden Gastfreundschaft beider Frauen kamen. Außerdem gab es Zeitgenossen, welche lautstark ihre Stimmen im antisemitischen Kampf gegen die gesellschaftlichen Aktivitäten der aufstrebenden jüdischen Minderheit und auch gegen die »alles zerstörende, von Juden entfachte Vernunft« erhoben. In seiner Eröffnungsrede vor Mitgliedern der 1811 gegründeten ›Christlich deutschen [Gegen]Tischgesellschaft< sagte Clemens Brentano mit Blick auf die ausdrückliche Verbannung von Juden aus ihren Reihen, jeder könne ››diese von den ägyptischen Plagen übriggebliebenen Fliegen in seiner Kammer mit alten Kleidern« oder ››auf der Börse mit Pfandbriefen und überall mit Ekel und Humanität und Aufklärung, Hasenpelzen und Weißfischen genugsam einfangen«. )


Edda lehnt sich zurück: – mich packt die Müdigkeit, morgen ist auch noch ein Tag, deshalb nur noch dieser kurze Brief von Josias an Semler vom Sommer 1778, zu meiner Erleichterung weder in Griechisch noch in Latein, sondern im zeitgenössischen Saalfelder Deutsch:

Geliebter und gelahrter Meister und Freund, die jüngsten Kenntnisse aus der Residenz werden Eure Ehren im saalischen Halle nicht überraschen – es stinkt hier nicht nur nach Pferdeäppeln auf dem Friedrichsstädtischen Markt, sondern nach dem von Tag zu Tag stärker werdenden Geruch des Pulvers eingepackt in die Cartuschen zum Abschießen der Canons – man kann man dem nicht entfleuchen. Ob es Krieg giebt ? Das Gemunkel nimmt zu, aus dem Schloß kommt keine Negation – so daß meine Pudelnase auch noch den künftigen abgestandenen Geruch der Leichen und der todten Viecher von den Feldern herüber wahrnimmt. Muß ich mich in der Charité insonderheit auf viel Blut vorbereiten, auch als Prediger ?

Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 29. Juli 2023

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

Für Interessenten:

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LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33 899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34 059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34 245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34 672

LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34 720

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant Heinrich und Generalsuperintendent Josias Folge 6

Was ist eine königl.-preuß. Hausvoigtey?

Einige Tage lasse ich Edda zur Entspannung, dann nehme ich den Textentwurf zur Hand, den ich zur Interpretation der „Berlin-Dokumente“ – vor mir so bezeichnete Gruppe der Briefe, der losen Blätter, der kolorierten Kupferstiche, der amtlichen Schreiben, Notizen ohne Datierung, Verfasser – und beginne zum Entsetzen der lieben Edda zu dozieren:
Über zwei Stunden argumentiert Spalding, dann ist der Widerstand gebrochen. Da fragt Löffler nach den Einzelheiten, um welche Stelle ginge es denn?  Oberkonsistorialrat Spalding zögert, aber muss Farbe bekennen: ja mein lieber Freund, es ist keine der großen Kirchen in Berlin, es ist etwas Unscheinbares, das aber die Tore für Sie öffnet!  Es ist eine Gefängniskirche, die Kirche der Hausvoigtey. Löffler zuckt zusammen – eine Gefängniskirche? Haben wir denn so etwas in Berlin?

Aber natürlich!  Ich glaube, sie kennen die Strukturen des lutherischen Oberkonsistoriums noch nicht so genau, dass Sie auf der Stelle zusagen können. Wir haben zwei getrennte Gefängnissysteme in der Residenz Berlin – eines für den königlichen Hof, seine Angehörigen und obersten Chargen im engen Sinne – nur die oberen paar Dutzend sowie die dazugehörigen Domestiquen und dann haben wir ein Gefängnis fürs gemeine Volk. Das erste heißt Hausvoigtey, das zweite heißt Stadtvoigtey.

Er geht zum Regal neben der Tür, öffnet einer der großen Schachtel und legt einige colorirte Stiche auf den Tisch.

-Hier mein junger Freund, das hat mir Nicolai geschenkt, frisch aus der Presse !

Die Hausvoigtey hat im Unterschied zur Stadtvoigtey einen eigenen Prediger. Es handelt sich ja doch immerhin um den königlich-preußischen Hof.  Wenn da so ein Prinz oder sein Stallmeister mal über die Stränge schlägt und eingelocht werden muss, dann braucht er Seelsorge auf allerhöchster Ebene. Daran sehen sie schon, dass das kaum eine große Arbeit macht, denn wann schlägt ein Prinz mal über die Stränge und wann erfrecht sich die Wache, ihn ins Gefängnis zu stecken? Ich habe in den letzten Jahren noch keinen solchen Fall vernommen, aber es muss auf dem Papier einen Prediger geben und der muss gut lutherisch sein. Das unansehnliche Gebäude der Hausvoigtey – also des Hausvoigts, des Gerichts und des Gefängnisses – stand bis vor kurzem zwischen dem Schloss und der Domkirche, nach dem Abriß des Doms wurde ein neues Gebäude auf dem Friedrichswerder zwischen der Nieder- und Oberwallstraße errichtet.

In den ältesten Zeiten wohnt der Hofrichter sogar auf dem königlichen Schlosse. Bei dem Bau des neuen Schlosses Anfang dieses Jahrhunderts wurde die Hausvoigtei auf den Werder in die Unterwasserstraße neben der Münze verlegt. Bei Erweiterung der Münze ward sie hierher versetzt, wo bis dahin die Stallungen des Jägerhofes standen – über denselben wohnten sogar einige Jagdbediente. Vorn ist in einem zweigeschossigen Gebäude, die Gerichtsstube, die Wohnung des Hofrichters und ein Saal zur Kirche. Hinten sind auf zwei Höfen Gefängnisse und deshalb steht auf dem ersten Hofe eine ständige militärische Wache.

Ich empfehle beim nächsten Rundgang durch die Stadt eine Besichtigung zumindest von außen. Und was ich noch dazu sagen möchte – zu dieser Prediger-Stelle gehört auch die Seelsorge an der Charité – Sehen Sie die anderen Blätter:

Jetzt hellt sich das Gesicht von Josias Löffler wieder auf: „das klingt ja interessant, aber soweit ich weiß, gibt es dort schon einen reformierten Prediger“ – „Ja, das stimmt, Sie werden dort eine eigene Wohnung haben im Charité-Gebäude. Die Nachbarwohnung hat vor kurzem erst ein reformierter Prediger bezogen, auch ein junger Mann, vielleicht haben sie die Gelegenheit mal mit ihm zu sprechen, aber ihre Hauptarbeit ist das Gefängnis zu betreuen, auch wenn da niemand drin sitzt.

Ihre Kammer liegt auf dem gleichen Flügel wie die des reformierten Kollegen – ich hoffe, Sie vertragen sich!

An Uniformen wird kein Mangel sein:

Also ich sehe ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen, es ist massenhaft Gelegenheit und Zeit für ernsthafte Studien, für Publikationen, für wissenschaftliche Gespräche und für dergleichen Wanderungen wie heute durch den Tiergarten mit mir“.

„Wann soll es denn losgehen mit der Gefängnis-Seelsorge?“ Löfflers Stimme hat ihre normale Tonart wiedergefunden – „Zu Weihnachten, wenn die Formalitäten erledigt sind. Sie können sich ja schon mal die beiden Kammern in der Charité ansehen, ich gebe Ihnen morgen ein Schreiben mit. Die Besichtigung des Zellengefängnisses eilt nicht, da wird zurzeit nicht gestorben und nicht gerichtet – soweit ich weiß auch nicht gefoltert!“ Spalding sah man die Erleichterung an, die ihm die Zusage Löfflers verursacht hatte.

Von nun an lud Spalding den künftigen Kollegen zu den weiteren Gesprächen in seine Propstei-Dienstwohnung in der Nikolai-Kirchgasse ein, die vor dem Umzug Spaldings von Barth nach Berlin auf Kosten des lutherischen Oberkonsistoriums aufs Beste hergerichtet und möbliert worden war. Josias Löffler bewundert im Stillen die reichhaltige Ausstattung der zwei Etagen im altehrwürdigen Gebäude am geräumigen Rasenplatz neben der Kirche, versteht die persönliche Einladung als Attribut des bevorstehenden Karrieresprungs und als Vertrauensbeweis des Oberkonsistorialrats und seiner königlichen Vorgesetzten. Er weiß, dass es nun kein Zurück gibt.  

Josias sieht die Vertrauensgeste auch als Aufforderung zu einem engeren Verhältnis; er versteht sich nun als Meisterschüler, als „Zögling ersten Grades“ des großen Spalding – und wagt sofort, eine diskrete Frage zu stellen, die sich ihm schon beim Eintreten in das Zimmer aufgedrängt hatte  – wie er sich die Vorliebe für Maria Magdalena erklären soll, die gleich dreimal hier im Dienstzimmer des evangelischen Probstes und Oberkonsistorialrats künstlerisch präsent ist.

Der brave Lutheraner Spalding findet nichts besonders Aufregendes an der Frage, hat auf der Stelle – ohne nachschlagen zu müssen – jene Oster-Predigt aus dem Jahre 1538 parat, in der „der große Wittenberger“ die „Sünderin“ und „Büßende“ des katholischen Heiligenkalenders kommentarlos beim Namen nannte. „Der dreiteilige Altar und der einsame Altarflügel stammen übrigens aus Ihrer Heimat, aus dem Thüringischen, Arnstadt und Erfurt, lieber Josias, wie vermutlich auch die Tafel in der Ecke neben dem Fenster.“ Josias konnte seine Überraschung kaum verbergen. Er kannte zwar das Neue Testament in der Fassung Martin Luthers, hatte sich dank der Bemühungen der Hallenser „Väter“ wie Semler und Nösselt auch mit den Differenzen zwischen den Übersetzungen Luthers und den aktualisierten Predigttexten der evangelischen Kirchen im mitteldeutschen Raum und in Brandenburg-Preußen beschäftigt, ist aber nun auf eine solche unverhoffte Begegnung mit der engen Vertrauten des Erlösers nicht vorbereitet. „Sehen Sie sich die Gemälde näher an, lieber Josias, ich freue mich schon auf die textkritische Debatte mit Ihnen – es muß ja nicht gleich heute sein“ – schmunzelte Spalding. Josias näherte sich vorsichtig dem dreiflügeligen Altarbild aus Arnstadt – links vor ihm die Szene mit zehn herbeieilenden Jüngern, in der Mitte die eigentliche Auferstehung: das steinerne leere Grab, flankiert von Petrus und Paulus, dominierend mit Banner der Erlöser, niedergeschmettert am Boden zwei Wächter und rechts die vier Frauen des Neuen Testaments mit ihren Attributen –  in der ersten Reihe, gleichrangig mit der Jungfrau Maria, Maria Magdalena mit dem Salbengefäß.

„Mein Lieblingsstück ist jene einsame, leidende Frau am Fuß des Kreuzes“ – Spalding nahm den jungen Kollegen am Arm und führte ihn nach hinten, in eine halbdunkle Ecke des Zimmers, vor eine Holztafel „sie ist dem Erlöser am nächsten, näher noch als Mutter Maria!“ – „Eigentlich ein ketzerischer Gedanke ?“ wagt Josias zu flüstern.

„Sie kommen der Sache näher, junger Freund; man munkelt, daß jene drei Kunstwerke – das letztere sogar aus der Cranachwerkstatt, den fanatischen Bilderstürmern der Reformationszeit von mutigen Männern (oder Frauen) aus den Händen gerissen wurden, ansonsten hätten sie das traurige Schicksal so vieler Gemälde, Statuen, die in Kirchen und  Klöstern geteilt, die zerschlagen oder verbrannt worden waren. Über die wundersamen Wege der Rettung dieser drei Stücke und des Erwerbs durch einen meiner Vorgänger hier in der Propstei gibt es nur mündliche Berichte, nichts Schriftliches.“ – Josias konnte sich nicht von der Figur der Maria Magdalena in der dunkler Zimmerecke lösen – „Bin ich einem Irrtum verfallen, Herr Oberconsistorialrath, oder unterscheidet sich nicht doch sehr wesentlich die Gestaltung der Gesichtszüge der beiden Figuren der Maria Magdalena – jener im Auferstehungsaltar und jener der Kreuzigungsszene – kunstgeschichtlich gesprochen?“ „Josias, man erkennt die Sprache des Absolventen der Hallischen Universität, des weiten Blicks des Theologiestudiums, das nicht an den Texten klebt, sondern alle kulturellen Entwicklungen einschließt! Natürlich sind zwischen dem dreiflügeligen Altar und der Holztafel aus der Wittenberger Werkstatt der Cranachs etwa einhundert Jahre Unterschied in der künstlerischen Wahrnehmung und der Gestaltung. Aber sehen Sie sich auch das Haupthaar der Maria Magdalena an, lang wallend über die Schultern, über den Rücken bis zu den Lenden jene Frau schmückend, die zu Füßen des Gekreuzigten kniet und den Holzbalken des Kreuzes im Schmerz umfaßt, lebendig, natürlich, den Betrachter ergreifend ! Währenddessen das Haupthaar der Frau auf der rechten Altartafel aus Arnstadt, vermutlich Mitte des 15. Jahrhunderts, züchtig unter einer Haube fast verschwindet und die weiße Haube durch den goldenen Heiligenschein erdrückt wird! Die Gesichtszüge sind steif, unnatürlich, starr wie auch die Hände.“

Spalding nimmt eine Bemerkung Löfflers, aus der er eine gewisse Verunsicherung über den möglichen Verlust der wissenschaftlichen Zukunft herausliest, zum Anlass, auf seinen eigenen Lebenslauf hinzuweisen: „Sehen sie mein lieber Freund, mein junger Kollege im spe, mir wurde an der Wiege nicht gesungen, dass ich Probst einer großen Kirche in Berlin sein werde, Mitglied im Oberkonsistorium, angesehener Buchautor, theologischer Berater des Königs, Bewohner einer hochherrschaftlichen Residenz  und zu entscheiden habe über die Zukunft meiner jungen Kollegen, Kandidaten wie Sie es sind für künftige Positionen in unserer gemeinsamen Kirche. Wie sie wissen, komme ich aus Pommern, damals noch Schwedisch. Mein Vater war ein sehr engagierter Pastor in der schwedischen lutherischen Kirche, er schickte mich auf das Gymnasium in Stralsund mit der Vorstellung, ebenfalls ein guter Pfarrer zu werden. Ich erfüllte seine Anforderungen – ich hatte im Unterschied zu Ihnen das Glück, dass mein Vater mich beraten konnte und dass ich mich an meinem Vater festhalten konnte in Situationen wo die Schule, das Studium an der Universität nicht so lief wie ich mir das vorstellte. Sie sind jedoch als Waise an eine gute Schule in Halle gekommen, hatten das Glück mit den Professoren Semler und Nösselt zusammen zu sein, deren Bibliotheken, deren Häuser nutzen zu können. Ich musste mir vieles selbst arbeiten, aber hatte immer den Traum, Pastor in einem in einer kleinen Stadt Pommerns nahe bei den Menschen zu sein, Gottes Wort im Miteinander zu lehren, zu vermitteln. Die Kanzel war für mich ein Tisch, an dem auf der anderen Seite der Gläubige sitzt, die Kanzel war nie etwas, was ich als Belehrungstisch von oben herab ansah.

Am liebsten saß ich unter den Menschen in einer Gruppe, versuchte ihre Fragen zu verstehen, ihre Zweifel, das hat mich befriedigt und auch das Studium in Rostock und Greifswald, das Studium der Philosophie der Theologie der alten Sprachen hat mich nicht von den Menschen weggebracht, sondern noch mehr an sie herangeführt.

Auch ich war privater Hauslehrer und habe als Hauslehrer die kostbare Freizeit genutzt, mich theoretisch weiterzubilden und den Traum der Doktor-Promotion zu realisieren. Ich habe es niemals versäumt oder abgelehnt, Tätigkeiten anzunehmen, die scheinbar einen Umweg bedeuteten zur Erreichung meines Traums, den Menschen das Wort Gottes direkt mündlich nahe zu bringen.

Ich habe selbst eine Situation wie die des Sekretärs eines schwedischen Gesandten in Berlin immer gesehen als Möglichkeit mein Wissen zu erweitern, meine praktischen Lebenskenntnisse zu vertiefen. Ich war glücklich über solche Tätigkeiten und habe nebenbei geschrieben,  auch schon publiziert. Mein erstes Buch, die „Betrachtung über die Bestimmung des Menschen“ konnte ich natürlich auch nur anonym veröffentlichen lassen – die preußische Zensur hätte es in der Luft zerrissen, weil es nicht von Gott Heil handelte, sondern von der Vervollkommnung Menschen. Das Individuum erreicht sein Glück über die Sinnlichkeit, über das Vergnügen des Geistes, über Tugend und auch Religion, aber nicht durch Offenbarung, sondern durch tugendhaftes Leben, so wie ich es bei Leibniz und Christian Wolff gelesen hatte.

Ich hatte das Glück, einen Menschen als Freund zu finden wie unser Väterchen Gleim in Halberstadt, der meine ersten Schritte als Pastor in der Kleinstadt Lassan In der Nähe von Stralsund begleitete.  Er hat mich motiviert, er hat mir Mut zugesprochen, hat mich ermuntert. Wir haben meine Fehler lange Nächte diskutiert, die ich gemacht habe in meinem jugendlichen Überschwang. Das kleinstädtische, das Dörflich-Gemeinschaftliche  dieser pommerschen Umwelt, nicht die Nähe des Hofes, sondern der Umgang mit ganz normalen Menschen hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin – Gott in den Menschen und in ihrer täglichen praktischen Umwelt suchend und nicht in theoretischen Debatten.“

Josias hatte mit 24 Jahren durch sein Ja zum Angebot von Spalding die Tür zu einer neuen Etappe in seinem Leben aufgestoßen – auf eigenen Füßen stehen, wichtige Entscheidungen treffen und in allen kommenden Situationen zu ihnen stehen, das heißt einen hohen Grad an Selbstdisziplin entwickeln, noch höher als an der Schule und beim Studium.

Ich nahm eine der Urkunden zur Hand, die ich zwar schon unter den abgeschlossenen abgelegt hatte, suchte darin nach Hinweisen auf sehr Persönliches, Individuelles des Menschen Josias in jenem ersten Jahr in Berlin. Es war ein amtliches Schreiben Spaldings vom 2. November 1776 über ein Gespräch mit Löffler in Berlin, unten links die zustimmenden Zeilen von drei Kollegen. Der Text war einigermaßen lesbar:

„Eben itzo hat sich der Candidatus Theologiae, Hr. Löffler, der schon verschiedene Jahre hier in Berlin eine Informationsstelle verwaltet hat, wegen der Predigerstelle an der Hausvogtey bey mir gemeldet und wird auch bey meinen Hochgelahrten Herren Collegen zu Ihnen an dem heutigen Tage nicht beschwerlich zu werden, morgen sein Gesuch persönlich anbringen.

Da er wegen seiner vorzüglichen Geschicklichkeit sowohl als Bescheidenheit unter unseren besten Candidaten gehöret, und wir überdem schon in Verlegenheit sind ein anderes taugliches Subject zu finden, so halte ich ihn an meinem Theile für sehr ansehungswürdig. Er wird aber vorher noch eine Probepredigt zu halten haben, welche allenfalls am bevorstehenden Freytage geschehen kann.“ Von den zustimmenden Zeilen der Kollegen, vermutlich Mitglieder des Oberkonsistoriums, sind die des dritten Herrn besonders beachtenswert, da er sich keinen besseren Candidaten als Löffler vorstellen kann – Herr Nummer zwei verspricht seinem Chef Spalding den Besuch der Probepredigt, um sich ein Bild des Candidaten machen zu können.

Beim heutigen nochmaligen Studium dieses Schreibens erkenne ich auch den Zusammenhang mit jenes Königlichen Schreibens vom 28. November 1776 an Spalding:

„Von Gottes Gnaden Friederichs König von Preußen … p.p.p.

Unseren gnädigen Gruß zuvor Würdiger Hochgelahrter Rath, Lieber Getreuer!

Demnach der zum Gefangen Prediger bey der Hauß Voigtey berufene Candidat Loeffler dato darauf confirmirt wurde, also befehlen wir Euch hiermit allergnädigst, denselben gewöhnlichen Maaßen zu introduciren und seine Zuhörer zur gebührenden Pflicht und Achtung gegen ihn anzuweisen.“

Keine formale Hürde, keine Prüfung  blieb Josias Löffler erspart – am Beginn der Laufbahn eines Pfarrers stand im protestantisch-lutherischen Preußen die Predigt-Erlaubnis, ausgestellt vom Ober-Konsistorium, nachdem der Kandidat eine Prüfung abgelegt und eine öffentliche Probepredigt unter den Augen der Mitglieder dieses Gremiums gehalten hatte. Spalding hatte in weiser Voraussicht und im Rahmen seiner Personal-Politik jene Prüfung und das erste öffentliche Auftreten Löfflers schon für den  Sommer 1776  eingeplant, so dass die Prüfungs-Urkunde das Datum vom 5. September trägt, also lange bevor Spalding die ersten Gespräche mit Löffler führen wird.

Man geht nicht fehl, wenn man dahinter nicht die leitende Hand des Ministers von Zedlitz in Absprache mit dem König vermutet. Sie überlassen die wichtigen Personalentscheidungen nicht dem Zufall, nicht tagespolitischen Erwägungen, sondern treffen solche Entscheidungen in strategischer Sicht. Kirchenpolitik ist für die Majestät eben auch Politik, nicht Geplänkel – Jeder mag nach seiner Facon seelig werden – aber ihm abgesteckten Rahmen der königlichen Strategie.

Eine Abschrift jener Prüfungs-Urkunde habe ich mir inzwischen besorgt – ein einmaliges Dokument: „Predigterlaubnis Licentia Concionandi, 5. September 1776, Ober-Consistorium Berlin …

Nachdem der Studiosus Theologiae Josias Friedrich Christian Löffler aus Saalfeld gebürtig, zu Erlangung der Erlaubnis zu predigen, von denen dazu bestallten Examinatoren wie gewöhnlich geprüft worden und dabei sich nichts hervorgetan, weshalb ihm die gesuchte Erlaubnis zu predigen versagt werden könte, so wird darüber und daß derselbe licentiam concionandi  erhalten, gegenwärtiges testimonium unter des Ober-Consistorii Insiegel hierdurch ertheilt, auch derselbe zugleich angewiesen, bey dem Inspektori zu dessen Diceces der Ort seines Aufenthalts gehört, sich zu melden und hiernächst, wann er diese Inspektion verändern sollte, sich mit dem Zeugnisse seines bisherigen Inspectoris, bey demjenigen wieder zu melden, unter dessen Inspektion er alsdann sich begibt.
Berlin, königlich preußisches evangelisch-Lutherisches Ober-Consistorium           Hagen

Es ist kurz vor Feierabend, ich mache Odnung auf meinem Tisch. Zwischen zwei Urkunden liegt ein Brief, von „Esther“ an „Josias“, ohne Datum, ohne Familiennamen, mit zerbrochenem, daher nicht mehr entzifferbarem Siegel, zwei engbeschriebene Blätter, Vorder- und Rückseite genutzt, der Inhalt für damalige Verhältnisse sehr intim und verblüffend wissenschaftlich und weltanschaulich!  Was soll ich damit anfangen? Wie soll ich ihn einordnen, darf ich ihn der Öffentlichkeit preisgeben? Ich versuche, den Brief mit einigen anderen Einzelpapieren in Verbindung zu bringen, vergleiche Namen, Daten, Bezug zu historischen Ereignissen. Erfolglos.

Edda sieht auf den ersten Blick, dass mit mir etwas nicht stimmt. Fraulicher Instinkt. Wortlos reiche ich ihr den Brief hinüber. Sie wendet und dreht und sucht nach Blatt zwei. Sie bittet um Vertagung, möchte aber an der Sache dranbleiben. Drei Tage später hat es „gefunkt“: das Bauchgefühl triumphiere wieder einmal über den nüchternen Verstand, sie sei einer Liebensgeschichte auf der Spur! Einer Liebesgeschichte unseres heiligen Josias! Ob sie vortragen dürfe.

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 26. Juli 2023

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant Heinrich und Generalsuperintendent Josias Folge 5

Folge 5: Willkommen in der Residenz

Es ist Anfang November – später Herbst – geworden, wir müssen schon in unserem Dachkämmerchen die Heizung voll aufdrehen. Edda war es gelungen, mir die Zusage abzuringen – trotz starker Brandschutzbedenken –, einige echte Kerzen aufzustellen, so dass eine freundlichere Arbeitsatmosphäre entstanden war.

Aus den unterschiedlichsten Belegstellen der Dokumente des Konvoluts, an den Rand mancher Papiere und Briefe mit fremder Hand gekritzelten Bemerkungen, offiziell angeforderter Anlagen zu Aktenstücken, im Nachhinein geschriebener Erinnerungen aus der Feder von Josias Löffler selbst konnte ich mir in den Wochen in Zusammenarbeit mit Edda ein Bild machen von jener Situation, in die der junge Absolvent der Universität Halle an der Saale hineingeworfen wurde bei seinen ersten Begegnungen mit der königlich-preußischen Residenz Berlin Mitte der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts.

Friedrich II.

Die Hallischen Überväter Semler und Nösselt hatten es geschafft, den ungestümen Saalfelder Jungen für den Ernst des studentischen Lebens hinzubiegen, so dass Josias mit 22 Jahren, zu Johannis 1774, in unserem heutigen Kalenderverständnis im Juni, die Universität beenden konnte. Vorher, zu Ostern, war er auf Anraten Semlers mit einigen Adressen, die er ihm in die Manteltasche gesteckt hatte, nach Berlin gereist. Schon die erste Adresse war ein Erfolg: im Haus von Oberkonsistorialrat Teller gab es nicht nur eine Übernachtung und gutes Frühstück, sondern auch das nicht auszuschlagende Angebot einer Hauslehrerstelle bei einem reichen Kaufmann, beginnend im September. 

Die Bekanntschaft mit der preußischen Residenz war für den provinziellen Thüringer in den ersten Wochen ein kulturelles Erdbeben – das Betuliche, Behagliche des Saalfelder Lebens; das Abgehobene, in der Gottesgelahrtheit Schwebende der Universität Halle war über Nacht dem lauten Treiben der ausgedehnten Berliner Magistralen gewichen. Josias brauchte einige Tage, die Weitläufigkeit der Plätze und Märkte der Friedrichstadt zu verdauen, das Gigantische des königlichen Schlosses am Lustgarten nicht mehr als Bedrohung zu empfinden, die junge Lindenallee in Richtung Charlottenburg anzunehmen. Dennoch – es war die Stadt des großen Friedrich, die ihn vom ersten Tage, ja von der ersten Stunde an in den Bann zog! 

Zeichner: Daniel Chodowiecki

Schnell hatte Josias das Netzeknüpfen begriffen: Semler kannte Teller, Teller war eng befreundet mit Propst und Oberkonsistorialrat Spalding, Spalding hatte über Minister von Zedlitz und dessen Staatssekretär Biester Zugang zur Majestät, letztlich entschied der König persönlich – die besten Hallenser Absolventen waren begehrt in Berlin, als Privatlehrer, als Prediger, als Juristen, als Ärzte, auch als Feldprediger im Heer.

Josias erkannte, dass insbesondere der Oberkonsistorialrat Johann Joachim Spalding ihn beobachtete. Man traf sich bei den Predigten in den altehrwürdigen Hallen von St. Nikolai und St. Marien, in den Bibliotheken, bei den gutbetuchten Eltern der Privatschüler, die vor allem in den antiken Sprachen und der Kirchengeschichte durch die jungen Hallenser Absolventen eine Erweiterung des Schulstoffes erfuhren.

Noch in Halle hatten seine beiden Mentoren Semler und Nösselt dem Absolventen Löffler wärmstens den Ratschlag ins Reisegepäck gesteckt, sich in Berlin an den Oberkonsistorialräten Wilhelm Abraham Teller und Johann Joachim Spalding zu orientieren, wenn ihm an einem Fortkommen in der Residenz gelegen sei. Josias entnahm den ausführlichen Erzählungen, dass e seine sehr enge, freundschaftliche, ja fast intime Bekanntschaft der Hallischen Professoren mit den führenden Berliner Kirchenleuten bis in die höchsten ministeriellen Kreise gab – bis in die Vorzimmer des Königs.

So hatte ihm in einem vertraulichen Gespräch Nösselt lachend und in aller Ausführlichkeit und Breite erzählt, wie er als junger Student im Jahre 1754 gemeinsam mit dem jetzigen Minister von Zedlitz in einer auf Spezialorder des Königs in höchster Eile kompilierten Vorlesung des bedächtigen und trockenen Philosophieprofessors Meier gesessen habe und sich beim Anhören des offensichtlich nur angelesenen und nicht verarbeiteten Sammelsuriums der erkenntnistheoretischen Ansichten von John Locke verstohlen vertrauliche Blicke der Missbilligung mit Zedlitz ausgetauscht habe. Noch Tage später hätten Zedlitz und er ihr Unbehagen und ihre scharfe Kritik an einer solchen Prozedur privat ausgetauscht und darüber hinaus mannigfaltige Berührungspunkte in ihren weltanschaulichen Positionen gefunden.

Nösselt hatte bewusst darauf verzichtet, seinem Lieblingsstudenten und Privat-Assistenten Löffler moralisierend eine „Lehre fürs Leben“ mitzugeben – den Weg zum jetzigen Minister von Zedlitz in Berlin müsste Löffler schon selbst finden. Lächelnd hatte er aber noch ergänzt, dass insgesamt nur vier Studenten die auf königliche Order zustande gekommene Vorlesung von Meier besucht hatten und Professor Meier dieses Thema niemals wieder berührt habe.

Johann Erich Biester

In den Ostertagen des Jahres 1774 – wir wissen es aus einem nachgelassenen Brief Johann Erich Biesters an seine Lübecker Freundin Luise Haake  vom 27. Juli 1776 aus Berlin, der durch einen der nicht seltenen Zufälle in unserem Archiv gelandet war – war es auch zu einem Gespräch Löfflers mit dem frisch promovierten Dr. jur. Biester im Gasthaus Zum Schwarzen Adler in der Berliner Poststraße gekommen, vermittelt durch den Vater eines Löffler anvertrauten Privatschülers. Ich suche den Brief nochmals heraus und bitte Edda, ihn vorzulesen, um mich konzentriert mit nunmehr geschultem Blick für das Berliner „Geflecht“ der jungen Akademiker Löffler und Biester der historischen Situation widmen zu können:

„Luise, mein geliebtes Täubchen, die elende Warterey hat ein Ende!!! Noch ist es nicht offiziell, aber du bist die erste, die vom angehenden Geheimsekretär des Ministers die geheime Nachricht von seiner geheimen Bestallung im geheimen Büro erhält – bitte aber geheim zu betrachten bis auf Weiteres!!! Offiziell wird es Staats Secretair heißen, aber der alte Fuchs von Zedlitz, der mich mit dem geschulten Blick des Kenners persönlich aus der Gruppe der Männer mit großen Ohren, geschlossenen Mäulern und  unersättlicher Wissensbegierde erwählte,  machte mich zum  Anwärter für Höheres, läßt mich aber vorerst nur Probestückchen meines Talents abliefern, die hoffentlich der Majestät zusagen werden.

In Berlin weiß es bisher nur mein alter Freund Josias Löffler, mit dem ich am Ostersonntag 1774 auf einer Bank am Spreeufer gegenüber dem königlichen Schloß Zukunftspläne schmiedete. Er war aus Halle herübergekommen, um sich nach einer Stelle als Privatlehrer umzusehen, war auch glücklich gelandet, so daß wir gemeinsam den Tintenkleksern der Residenz an beiden Ufern der Spree tüchtig einheizen können. Das Schloß fand er übrigens gar nicht so beeindruckend – es sei Gigantomanie, aufgeblasen, wirke kalt und tot. Er, Josias Löffler, habe nach kurzer Wartezeit in den privaten Schulräumen bei Bankiers und Handelsleuten eine königliche Predigerstelle erhalten, ich aber, wie du weißt, hatte weniger Glück, reiste im Mecklenburgischen herum, unterrichtete um des Broterwerbs willen störrische Adelssprosse, antichambrierte wieder in Berlin. Zwei schlimme Jahre, aber doch gefüllt mit Erfahrungen und endlich der Bekanntschaft des lieben Nicolai, dessen Bibliothek und Befreundetsein mit einflußreichen Hofbeamten nun Gottseidank Früchte trägt …“

In der Geschichte versunken, bitte ich Edda um etwas Geduld, bevor wir uns an Biester und Zedlitz heranmachen. Ich würde sie, die inzwischen eng Vertraute meiner Recherchen, gern in jene Gedanken einführen, die mir nach dem Durchblättern anderer Briefe Löfflers an Bekannte in Halle gekommen waren und die doch ein authentisches Bild der „Anfängerjahre“ des jungen Theologen Josias in der königlichen Residenz vermitteln:

An einem noch warmen, trockenen Oktoberabend 1776 bittet der Probst der Berliner Marienkirche Spalding – weißhaarig, mir einem goldbelegten Stock in der Linken, den rechten Arm auf gute schottische Art hinter den Rücken gelegt – den jungen Löffler zu einem Spaziergang in den Tiergarten. Er lässt sich von Josias über die Fortschritte bei dessen Studium der Kirchenväter berichten, zu dem er ihm ernsthaft vor zwei Jahren für die freien Abendstunden nach dem doch nicht allzu anstrengenden Unterricht mit den Privat-Zöglingen geraten hatte, verfällt dabei wie in Gedanken versunken ins Latein, freut sich im Stillen über die glänzende Parade des Zöglings, schlägt sich an die Stirn: „Ach mein Lieber, nun bin ich gar ins Antikische abgerutscht, bitte verzeihen Sie die Altersschwachheit! – Aber da wir nun schon mal vom Pfade abgekommen sind, auf die Wege des Herrn gelangt sind – Was halten sie denn, junger Freund, von einer Predigerstelle in Berlin? Es wird Zeit dafür, ansonsten ersaufen Sie im Sumpf des alltäglichen Trotts in den Familien der Wohlhabenden und kleinkarierten Hofbeamten !

Da wird zu Weihnachten eine Stelle frei, für die ich Sie wärmstens beim Minister empfehlen möchte – vorausgesetzt sie machen mir keine Schande und eine Schande wäre schon nach reiflicher Überlegung eine Ablehnung. Im Übrigen – der Minister erwartet von mir derartige Gefälligkeiten. Vergeben sie mir die Offenheit.  Aber so ist das Leben, so ist das Leben im Oberkonsistorium; solche Sachen werden ja nicht lange hin und hergeschoben, solche Sachen werden in kürzester Zeit entschieden! Sie, Josias Löffler, gelahrter Absolvent bei Semler und Nösselt in Halle, stehen bei mir ganz oben auf der Liste.“ Er nimmt Löffler vertraulich am Arm: „ Lassen sie uns in einer Woche am selben Ort wieder darüber sprechen, da kann ich Ihnen mehr sagen. Vorher verlangt es die Geheimniskrämerei in diesem Konsistorium, dass ich Ihnen nichts genaues sagen möchte.  Aber es ist in Berlin, es ist eine schöne interessante Tätigkeit als Prediger, nicht an einer Schule und nicht privat, sondern öffentlich und sehr nah am Hofe – das kann ich hier und heute schon sagen. Mehr noch nicht – schlagen Sie in den nächsten Tagen mal bei Christian Wolff nach, Sie wissen schon – Vollkommenheit und ähnliche Sujets!“

Als sie sich getrennt hatten, ist Josias Löffler hin und her gerissen. Das war nicht sein Lebensplan, die trockene Theologie, das Predigen in den Kirchen, die Seelsorge. Lehrer wollte er werden, Kinder und Jugendliche erziehen, ihnen Bildung für das ganze Leben vermitteln. Aber er wusste, wenn er Spaldings Angebot ausschlug, war seines Bleibens in Berlin nicht mehr sicher. Ohne feste Stellung, ohne Zuspruch und Föderung durch Spalding und seinen Kreis landete er in der Mittelmäßigkeit – und er könnte vor allem – was er ihm für die Laufbahn noch fehlte  – nicht publizieren. Er hat gerade ein neues französisches Buch auf seinem Tisch über die Kritik an der Orthodoxie, über das Verhältnis der Kirchenväter zur griechischen Philosophie, zu Platon, das reizte ihn ungeheuer. Vielleicht findet er einen Verleger, Berlin hat unendliche Mengen an Verlagen. Über seine Freunde könnte er vielleicht an den bekannten Friedrich Nicolai herankommen.

Ihm sind die Worte Nösselts und der anderen der väterlichen Freunde in Halle im Ohr und leuchtend vor Augen: Spalding ist unsere Speerspitze in Berlin und unser Schirm!  Seine Stellung verdankt er seinem Fleiß, seiner Weltsicht und seinem literarischen Vermögen! Wenn du etwas erreichen willst, übe dich unter seiner Anleitung im Ausdruck, schriftlich wie mündlich, beeindrucke die gelehrte Welt schon in deiner Jugend durch Veröffentlichungen, über die man spricht so wie es Spalding durch seine „Bestimmung des Menschen“ schaffte.

Ihm wurde während der Studienjahre ebenfalls schon früh klar, wie dicht und fest die Verbindungen der führenden theologischen Vordenker der Aufklärung, der so genannten Neologen, in Berlin, Halle, Magdeburg geknüpft sind. Obwohl er nicht hinter alle Kulissen schauen konnte, erkannte er, dass sie nicht als einsame Gründerfiguren, Universitätsprofessoren oder Schulhäupter auftraten, sondern als Persönlichkeiten einer immer mehr um sich greifenden Bewegung, die die Stärkung individueller religiöser Mündigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hatte – unter dem Schutz mächtiger Fürsten, ab 1740 sogar unter dem Schutzschirm des preußischen Königs Friedrich II.
Alle Erwägungen überzeugen jetzt den jungen Josias Löffler, dass er sich durch Zögern oder gar Ablehnung des Angebots der führenden preußischen Kirchenoberen seine Zukunft verbauen würde. Er lässt sich die Einzelheiten des Angebots erklären und erklärt offiziell seine Bereitschaft, mit sofortiger Wirkung in den Dienst des Oberkonsistoriums in Berlin treten. Im Stillen glaubt er nur an eine zeitlich begrenzte Tätigkeit, die ihn in die Nähe des Hofes bringt.  Er könne weiterhin seine privaten Unterrichtsstunden bei den Reichen und Mächtigen ableisten, er könne privat historischen Studien betreiben und größere Veröffentlichungen vorbereiten.

Zu Hause angekommen in seiner kleinen Dachstube machte er sich sofort an die Übersetzungsarbeit dieses Franzosen und es ging ihm zügig von der Hand.

Morgen würde er versuchen an Nicolai heranzukommen, der hatte ihn schon mal angesprochen wegen einer Arbeit von Moses Mendelssohn, für die er einen Bearbeiter suchte. Vielleicht reizt den Nicolai diese Übersetzung. Und den Wolff und nebenbei den Leibniz hatte er nicht vernachlässigt – da war Einiges, das  er seit den ersten Hallischen Tagen mit sich unerledigt herumschleppte.

Publikation Löfflers bei Frommann in Züllichau (Neumark)

Die Woche verging im Fluge. Auch das Wetter spielte mit, die Linden verloren im Abendwind ihre Blätter, gelb und braun mit leichtem rötlichen Schimmer wirbelten sie um ihre Füße.

Ohne gefragt zu werden entwickelt Josias Löffler beim nächsten Spaziergang Spalding gegenüber seine Bedenken; er glaubt das sei die beste Taktik. Er weiß, dass Spalding keine Jasager und Duckmäuser liebt; Spalding liebt Leute mit Verstand und mit eigenem Kopf und wenn ein junger Mann ihm auf ein so glänzendes Angebot mit Bedenken kam, dann reizt ihn das auch zum Widerstand. Der Herr Oberkonsistorialrat sollte erkennen, dass der Widerstand Löfflers nicht gespielt ist und er müsse schon das gesamte Repertoire der erfolgversprechenden Überzeugungsinstrumente auspacken:  die Hoffnung auf eine glänzende Zukunft, eine interessante Tätigkeit und auf viele Kontakte und Bekanntschaften vielleicht auch Reisen, vielleicht auch eine Professur an der Universität – vielleicht Halle, vielleicht Frankfurt – denn was ist ein Universitätsprofessor anders als die höchste Form des Lehrens, des Bildens, des Unterrichts.

Mitten in meine kunstvoll gestrickten Darlegungen platzt ein fremdes Geräusch – Edda war zusammengezuckt und rot geworden, ihr Täschlein war vom Tisch gefallen, Zeichen der Langeweile oder Müdigkeit? Also Pause, keine Überforderung !

Dr. Dieter Weigert 25. Juli 2023

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

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Die Ästhetik des Ewig Weiblichen – in Berlin und Paris

Sie scheinen sich charakterlich und thematisch ähnlich – das Berliner Bodemuseum und das Musée de Cluny in Paris. Die Dame mit dem Einhorn ist der strahlende Stern in Paris, die schwebende Maria Magdalena der Publikumsliebling in Berlin.

Um diese Figuren bewegen sich in beiden Museen vor allem Skulpturen aus der gotischen Kunstperiode, der die heutigen staatlichen Begrenzungen Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, Der Niederlande, Luxemburgs, Italiens und der Schweiz fremd waren. Es war der Raum des gotischen Nordens, aus dem die bedeutenden Meisterwerke jener beiden Museen stammen – und daher stehen auch die Darstellungen der Heilgen Maria Magdalena für uns im Vordergrund

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NOLI ME TANGERE

Damit sind wir beim heutigen Frauenbild. Auf den deutschen Fernsehschirmen und auf den Monitoren der Laptos, auf den Mobiltelefonen erscheinen in diesem Jahr mehr Frauengesichter als vorher – ist jedenfalls mein Eindruck. EU, die bundesdeutsche Ampel, die Titelblätter der Illustrierten – „mächtige“ weibliche Gestalten sollen uns das IMAGE vorgaukeln, die mehr oder weniger Schönen seien auf dem Karriere-Vormarsch. Die Realität der Alleinerziehenden-Gesellschaft, der Sitzungen der Vorstände der börsennotierten Großkonzerne, das visuelle Erscheinungsbild von G7, G20, BRICS, UNASUR – wohin man schaut: Gruppenbild ohne Dame(n)!

Brasília – O presidente da Rússia, Dmitri Medvedev, o presidente Lula, o presidente da China, Hu Jintao, e o primeiro-ministro da Índia, Manmohan Singh, posam para a foto oficial durante a 2ª Cúpula de Chefes de Estado e de Governo do BRIC

Ohne Dame nach wie vor: VATIKAN!

03.07.2022, Vatikan, Vatikanstadt: Papst Franziskus nimmt an einer Messe für die kongolesische Gemeinschaft im Petersdom teil. Foto: Evandro Inetti/ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der „Heilige Vater“ schaut grimmig einher – aber doch wohl nicht auf der Suche nach Damen. Oder hatte er eine Debatte hinter sich über Maria Magdalena? Denn das wäre doch ein Thema angesichts des frauenfeindlichen Klimas in seiner kalten geistlichen Umwelt.

Für mich aber ein Grund mehr, die Erinnerung an jenen Winter 2018/19 wachzurufen. in dem ich mich intensiv mit der Biographie der Heiligen und der widersprüchlichen Resonanz selt zweitausend Jahren bschäftigte.

„Hätten Sie doch geschwiegen, verehrte Petra Gerster“

hatte ich meinen blog vom 1. Dezember 2018 überschrieben. Die Zeilen sind so aktuell wie denn ud je, so dass ich es wage, sie heute noch einmal in Erinnerung zu rufen:

„… dann würde ich in weiterhin mit Unbehagen, aber doch ohne öffentlichen Protest den zwangsweisen Einzug der Gebühren für das ZDF erdulden, auch wenn ich vieles an der tendenziellen Berichterstattung, an den Kommentaren und an den Features kaum ertrage.
Aber Ihr jüngster Beitrag zum heiligen Paulus, einer Ikone von Millionen Christen, lässt alles vermissen, was Ihnen vermutlich vor Jahrzehnten ehrliche Journalisten als Standardtugenden des Berufsstandes vorgelebt und gepredigt haben: Objektivität, Achtung vor der Meinung des Opponenten, tiefgründiges Studium historischer Fakten und Dokumente insbesondere bei Fragen der Religion, der Weltanschauung und der Ethik.

Jene 45 Minuten kostbarer Sendezeit waren nicht nur journalistisch eine Zumutung, mehr eine Tourismus-Werbung für den Nahen Osten, Malta, Griechenland und Rom als eine Sendung zur Vertiefung unserer religionsgeschichtlichen Kenntnisse – sie waren eine Beleidigung für jene Menschen (Frauen, Mädchen und Männer) christlichen Glaubens, die seit Jahrzehnten mutig versuchen (ohne Ihr Gerstersches familiäres, finanzielles und parteipolitisches CDU-Hinterland), die historische Rolle von Frauen in der urchristlichen Bewegung ihren Kindern, Schülerinnen und Schülern, Freundinnen und Freunden und auch einer breiten interessierten Öffentlichkeit lebhaft und verständlich zu schildern. Die historische Figur des Saulus/Paulus steht bei diesem Bemühen immer mehr in der Kritik, vor allem seine in den Texten nachweisbaren Anstrengungen, aktive Frauen wie u.a. Maria Magdalena aus den Geschehnissen um die Hinrichtung und die Auferstehung Jesu für die urchristlichen Gemeinden und auch für die Nachwelt hinauszudrängen und sich in die Position des alleinigen Führers der geistigen und politischen Bewegung im Erbe Jesu zu bringen. An dieser Stelle begann der bis heute anhaltende scharfe Kampf – unter entscheidender Teilnahme des römischen Bürgers und Juden Paulus – um die Durchsetzung des Patriarchats innerhalb der christlichen Gemeinden, um das Hinausdrängen von Frauen aus Führungspositionen und um das „Redigieren“ von Texten. Für jene Maria aus Magdala war Paulus ein Opponent, kein Verbündeter in ihrem Ringen um die Gleichstellung der Frauen in der christlichen Bewegung. Bei Petra Gerster hört sich das anders an: Wenn es auch gegenteilige Texte in den Briefen des Paulus gibt, war er doch kein aktiver Verfechter des Patriarchats, die bis heute gültige frauenfeindliche Doktrin der katholischen Kirche sei durch den Klerus erst Jahrhunderte später durchgesetzt worden, man könne sie nicht auf Paulus zurückführen. Frau Gerster – welche Geschichtsverdrehung für eine Redakteurin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! (So etwa würde man bei anderen mit der Keule des „Staatsfernsehens“ erledigen).  Petra Gerster verrät ihren Konservatismus auch dadurch, dass sie den Namen der Maria aus Magdala in jenen 45 Minuten kein einziges Mal erwähnt, geschweige denn sich mit ihrer historischen Rolle im Detail auseinandersetzt.

Vielleicht erleben wir ein Wunder – Frau Gerster wird zur Persönlichkeit der Maria Magdalena ernsthaft recherchieren und ihren Einfluss im ZDF nutzen, um eine moderne Sendung zu diesem Thema zu produzieren, die dann unseren ungeteilten Beifall finden kann.

Marcantonio Franceschini, Estasi della Maddalena, 1683

Einen zweiten blog habe ich in jenem Winter „nachgereicht“ (6. Dezember, „Petra Gerster Nummer 2“):
„Auf der Suche nach der „echten“ Maria Magdalena stieß ich auf die Legenda aurea – sehr interessante Ausgabe in deutscher Sprache, gesetzt und gedruckt in „SCHWABACHER“. Leider ist diese Schriftart im Angebot meines Rechners nicht enthalten, so dass wir uns heute das Vergnügen des gemeinsamen, geteilten Lesens im Mittelalter-Lebensgefühl nicht erlauben können.

Satz und Druck war aber auch das Einzige, was mich an diesem Buch beeindruckte – ansonsten leider nur die traurige Gewissheit, dass die heiligen Herren Petrus, Paulus, Augustinus totalen Erfolg hatten in ihrer Manipulation der blinden, tauben, stummen Bauern- und Fischermassen der Spätantike und des frühen Mittelalters. Die Legenden, Biographien, Sagen, Predigten. die der Genueser Mönch, spätere Bischof Jacobus de Voragine im 13. Jahrhundert sammelte und veröffentlichte, waren ein Bestseller, sie befriedigten ein Massenbedürfnis und fanden starke Unterstützung bei der päpstlichen Kurie. Der Herausgeber meiner Ausgabe, der Heidelberger Kulturhistoriker Richard Benz, hatte sich – verständlich angesichts seiner nationalkonservativen Grundposition – weniger mit den Verfälschungen der historiographischen Darstellungen der ersten Jahrhunderte der christlichen Religionsgeschichte auseinandergesetzt als mit den aus seiner Sicht wesentlicheren Einflüssen der germanischen Mythen- und Sagenwelt auf das aus dem Orient kommenden theologischen Gerüst der weströmischen Kirche.

Die für mich relevanten Abschnitte der Publikation sind die über Maria Magdalena, Martha, die ägyptische Maria, über die „Auferstehung des Herrn“, über die „Passion des Herrn“. Das Urteil über Maria Magdalena ist gesprochen – sie war die schuldige Sünderin, hatte sich der „leiblichen Wollust“ hingegeben und dann schwer gebüßt: dem Überfluss der Sünde entsprach der Überfluss der Gnade! – „und wieviel Lust in ihr gewesen war, soviel Opfer brachte sie nun“! In diesen Abschnitten finden sich alle überlieferten oder erfundenen Ereignisse aus dem Leben der Maria Magdalena zusammengebunden oder lose verknüpft, denen sich Maler, Bildhauer, Prediger, Kirchenfürsten bedienen: die Begegnung mit Jesus im Hause des Pharisäers Simon, die Bevorzugung Marias gegenüber Martha im Haus der Schwestern in Bethanien, das Ausharren am Kreuz gemeinsam mit der Mutter Maria, die erste Begegnung mit Jesus nach seiner Auferstehung am „dritten Tage“, die sehr weither geholten und für viele Theologen unglaubwürdigen Begebnisse der „ägyptischen Maria“ einschließlich ihrer Himmelfahrt sowie auch die französischen Varianten der Überfahrt an die Küste im Raum Marseille und das Wirken bis zum Tode in der Provence. Nicht verwunderlich, dass kein Wort über die unmittelbare Nähe dieser „Jüngerin“ zu Jesus verloren wird, über ihre herausragende Rolle in der Formierung der Gruppe nach der Hinrichtung ihres Führers Jesus, über die erfolgreichen machtpolitischen Bestrebungen von Petrus und Paulus zur Ausschaltung der Maria Magdalena und die Ergreifung der Spitzenpositionen in dem sich entwickelnden urchristlichen Verbund der lokalen Gemeinden.
Fazit: Die Sünderin dominiert, die kämpfende Frau bleibt auf der Strecke – in Theologie und Kunst.“

Bei Journalistinnen und Journalisten setzt man normalerweise voraus, dass sie sich auskennen in den Weiten des kulturellen Erbes des „jüdisch-christlichen Abendlandes“, das sie so eloquent vertreten -also auch in der Vielfalt der Darstellungen der MADELEINE in den französischen Sammlungen: die Frau, die ihren Schmuck, ihren Reichtum, ihre wertvollen Kleider ablegt, die sich den Büchern und der Wissenschaft widmet. Kennt unsere TV-Ikone jene Bildnisse und aus dem Stein oder Holz geformtem Körper der MADELEINE ?

Worin liegt nun die gesteigerte Aktualität der Persönlichkeit der Maria aus Magdala, ihrer eweiterten Ausstrahlung in der Gegenwart? Wir kommen der Antwort näher, wenn wir uns fragen, warum in den letzten Jahrzehnten die Persönlichkeit der Maria Magdalena besonders in Frankreich auch außerhalb der theologischen Fachkreise intnsiver diskutiert wird. Noch im Jahre 1995 konnte man im PETIT LAROUSSE die kurze lapidare Notiz finden:

Heute umfasst die WIKIPEDIA-Fassung des Themas etwa 10 Druckseiten, incl. 38 Abbildungen, bibliographische Verweise etc. mit der Tendenz der Ausweitung. Religions- und kirchengeschichtliche Experten wie auch Kulturwissenschaftler führen dieses gestiegene Interesse hauptsächlich auf zwei Faktoren zurück – einerseits auf reale oder fiktive Besonderheiten in der Biographie Maria Magdalenas, die mit der Geschichte Frankeichs verbunden sind und andererseits auf gesellschaftspolitische Entwicklungen in West- und Mitteleuropa der letzten Jahrzehnte, die jene christliche Heilige zu einer Identifikationfigur für bestimmte größere Gruppen von Aktivistinnen und Wählerinnen machten.

Symbolisch für den Frankreich-Bezug stehen m.E. die figürlichen Darstellungen der Landung der „drei Marien“ nach einer langen Bootsfahrt aus Palästina in den Kirchen und an öffentlichen Plätzen der französischen Mittelmeeküste

Maria aus Magdala, die Gefährtin des Wanderpredigers Jesus Christus, wird mit dieser Anlandung Französin, damit entsteht ein enger persönlicher Bezug der Franzosen zu den Ursprüngen des Christentums. Das Buch von Thierry Murcia zum Thema symbolisiert die Renaissance der intellektuellen Debatten gerade im gegenwärtigen Frankreich zur Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Der zweite Aspekt betrifft den neudeutsch genannten „intellektuellen Diskurs“ hierzulande noch stärker – die christliche Heilige Maria Magdalena wird zur Identifikationsfigur im gsellshaftspolitischen Kontext ! Vor dem Hintergrund der Krise im traditionellen Parteienspektrum der Gründungsstaaten der europäischen Gemeinschaft suchen die Parteistrategen nach neuen Einflußpotentialen, die sie zur Stabilisierung in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ benötigen und die den Platz einnehmen könnten, den der Verlust in den Reihen der ehemaligen Arbieterparteien, der christlich orientierten und der liberalen Parteien geschaffen hat. Politikwissenschaftler registrieren jene Potentiale, die mit dem Aufkommen neuer gesellschaftlicher aktiver Gruppen und Bewegungen entstanden sind – Abrüstung und Frieden, Naturschutz, Immigration, innerkirchlicher Protest, neue kulturpolitische und emanzipatorische Bewegungen. Für viele Experten ist es nicht überraschend, dass vor allem Frauen zu Identifikationsfiguren der aus diesen Potentialen entspringenden politischen Gruppen werden – und unter diesen Frauen eine christliche Heilige wie Maria Magdalena eine beseutende Rolle spielt, die vor allem Ziele des ursprünglichen Christentums repräsentiert.

Was zeichnete diese Frau aus? Sie entstammte nicht den unteren Schichten der damaligen Gesellschaft Palästias, sondern war eine Frau „aus den besseren Kreisen“, verfügte über beträchtlichen Besitz, den sie „der Bewegung“ des Wanderpredigers Jesus zur Verfügung stellte. Mit dieser Frau können sich heute Tausende Aktivistinnen und Anhängerinnen der UR-grünen und ehemals sozialistischer und liberaler Parteien voll und ganz identifizieren ! Die männlichen und weiblichen Klimaaktiven der Gegenwart finden sich vor allem in der Naturverbundenheit der Eremitin Maria Magdalena (im Voll-Haarkleid) wieder, wie sie uns in mehreren Bildern der Renaissance entgegentritt:

2-R42-M381-1431 (302467) ‚Die Kommunion der Heiligen Maria Magdalena‘ Moser, Lucas um 1390 – nach 1434. ‚Die Kommunion der Heiligen Maria Magdalena‘, 1431. Flügel des Magdalenenaltars. Auf Holz, Gesamtmaße ca. 300 x 240 cm. Tiefenbronn bei Pforzheim, Pfarrkirche. ORIGINAL: Communion of Saint Magdalene. Detail of the Altar of Magdalene (wings closed) 40-05-01/17 Tempera on parchment (on top of wood) (1432) Parish Church, Tiefenbronn, Germany

Auch das „Allzumenschliche“, ihre vermutlich körperliche Liebe zu Jesus und die ihr später durch die orthodoxen „Kirchenväter“ zugeschriebenen Prostitutions-Bezüge, finden heute mehr positive als negative Resonanz in Kreisen ihrer politischen Bewunderer*Innen und bei Künstler*Innen.

Caravaggio

Selbst die dem EUROPA-Zentrismus verpflichteten Vasallinnen und Vasallen des MAINSTREAMS trägt unsere Suche in Paris Rechnung:

Marie Guillemine Benoist, „Portrait d’une femme noire, Madeleine“ – Louvre, 1800

An dieser Stelle brechen wir für heute ab. Vielleich ergiebt sich bei der Beantwortung eingehender Fragen die Gelegenheit einer weiteren Debatte

Helfen Blicke ins tiefe Mittelalter ?

Fränkische Herrscherin – die alemannische Hildegard (758-783)

Es war schon eine Entscheidung von gewisser persönlicher Stärke, als Hildegard, die dritte Gemahlin des fränkischen Kaiser Karl die Benediktiner-Nonne LIOBA (um 710 – um 782) an ihren Hof holte. Sie erhoffte sich geistigen und moralischen Beistand von einer Frau, die im männlich dominierten christlichen Klerus ihren Platz, ihre Autorität erkämpft hatte. Obwohl LIOBA einen ständigen Aufenthalt in der Nähe der Kaiserin ausschlug, da er ihr unvereinbar erschien mit den Pflichten als Klosterinsassin und Äbtissin,

konnt sie als Lehrerin, Beraterin, Vertraute und mütterliche Freundin erheblichen Einfluss aus die Kaiserin, die Mutter von 8 Kindern, ausüben. Ihre in den Biographien überlieferte unorthodoxe Art der Lebensführung, der Wissensvermittlung, der Erziehung der ihr anvertrauten jungen Mädchen und Frauen in den Klöstern hat gewiss eine Rolle gespielt bei der Zuneigung der jüngeren Kaiserin zur theologisch und philosophisch hochgebildeten Gefährtin. Wir können m.E. davon ausgehen, dass in den Gesprächen zu den um die Rolle der Frau im christlichen Umfeld gruppierten Themen einen beträchtlichen Raum einnahmen – darunter sicherlich auch die Stellung Maria Magdalenas in den Ursprungsjahren des Christentums.

Maria Magdalena, die Büßerin

Gerade diese Frau im allernächsten Umkreis von Jesus Christus wurde jahrhundertelang verleumdet, als Prostituierte verachtet, schrittweise aus den „heiligen“ Schriften verbannt, und in ihrer Rolle als weibliche Vertraute des „Erlösers“ herabgewürdigt. Heinrich von Kleist hat ihr in dem Gedicht „Der Engel am Grabe des Herrn“ („Phöbus“, 1808) eine Würdigung zukommen lassen, die sich auch indirekt mit den vielfältigen Verfälschungen jener treuen Kameradin des Wanderpredigers Jesus in der bildenden Kunst seit dem Mittelalter auseinandersetzt.

das bekannteste künstlerische Fehlurteil – Maria Magdalena und die Erscheinung Jesu am Felsengrab

Allen Interessenten, die jene Passage aus dem „Phöbus“ nicht griffbereit haben, hier zu gefl. Lektüre der Abdruck des Originals (Erstes Stük, Januar 1808, S. 38/39):

SALLE 210 – AILE RICHELIEU – NIVEAU 0 :

France Lorraine, Musée du Louvre, Département des Sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des temps modernes, RF 1774 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010094077https://collections.louvre.fr/CGU

Sie steht ganz oben auf meiner nächsten Besuchsliste in Paris. Diese Statue der heiligen Maria Magdalena ( „Saint Marie Madeleine tenant un vase à parfum“, um 1430) begegnete mir bei meinem ersten Paris-Besuch durch Zufall im Louvre und blieb fest im Bildgedächtnis haften. Viel wusste ich damals noch nicht von ihr, der MADELEINE, aber die Neugierde war geweckt. Ich glaube, keine Stadt auf dieser Erde ist so eng mit dem Schicksal dieser christlichen Heiligen verknüpft wie PARIS.

Ich bin auch ebenso fest davon überzeugt, dass es in den Museen und Kirchen einer anderen Stadt so viele Gelegenheiten einer Begegnung mit Maria Magdalena gibt wie in der französischen Hauptstadt – und das liegt nicht primär an der Existenz der Kirche La Madeleine im 8. Arrondissement !

Ein zweites Beispiel für die Fülle der Kunstwerke zum Thema, ein Gemälde aus dem Mittelalter:

Quentin Metsys, Sainte Madeleine (1500-1535),
Louvre, aile richelieu, niveau 2, Salle 814

Exemplarisch vorab drittens ein „Tableau des Malers Charles Le Brun“ aus dem 17. Jahrhundert, das kürzlich durch eine Galerie zur Versteigerung kam. Die heilige Maria Magdalena ist zu Füßen des Kreuzes eindeutig zu identifizieren durch das Salbengefäß und das aufgelöste Haare, Attribut einer „Sünderin“.

La Crucifixion avec saint Jean-Babtiste, Charles Le Brun (Atelier) Versteigerung am 16. Juni 2020, Preisangebot 10.000 – 15.000 €

Aus der Ankündigung der Galerie ARTCURIAL:

„Commentaire : Dans sa ‚Vie de Charles Le Brun et description détaillée de ses ouvrages‘, Claude Nivelon évoque une ‚Crucifixion‘ commandée au peintre à Rome par Jean-Baptiste de Lascaris, Grand Maître de l’Ordre de Malte. Voici ce qu’écrit Nivelon : “ M. le résident de Malte fit faire à M. Le Brun un tableau pour le Grand maître [de l’ordre des chevaliers de Malte], qui est un Crucifix sur cuivre d’environ deux pieds de haut. Cette composition est de six figures. Saint Jean-Baptiste y est représenté debout comme étant le patron de cet ordre illustre des défenseurs de la religion. Il montre au spectateur le Christ en croix, comme pour expliquer ce qu’il porte écrit, que c’est l’agneau immolé pour le salut du monde. Saint François, dont le Grand maître portait le nom, y est représenté embrassant le bas de la croix, pour exprimer les saints vœux de ce grand chef de l’ordre des croisés… „1. Le reste de la description correspond elle aussi à l’iconographie de notre tableau.
Seul notre tableau semble à ce jour témoigner de cette composition décrite par Nivelon comme réalisée sur cuivre et non sur toile, il est particulièrement intéressant de noter sur notre tableau la figure supposé d’un saint François, recouverte dans un second temps d’un bleu de ciel et d’un paysage en repentir. Notre tableau aurait-il été réalisé dans l’atelier du maître devant le tableau décrit par Nivelon et ensuite modifié pour pouvoir satisfaire un client ne souhaitant pas voir saint François figurer au pied de la croix ? La mention de Nivelon stipulant que le tableau comprenait un saint François “ dont le Grand maître portait le nom “ nous étonne aussi alors que le Grand Maître se prénommait Jean-Baptiste.
Une gravure par Tardieu illustre cette composition mais avec des variantes ; cette dernière ne compte pas le même nombre de personnages, les figures de saint François et de saint Jean-Baptiste y font défaut. Autre œuvre en rapport, un dessin de Charles Le Brun conservé au musée du Louvre (fig.1, inv. 33318) représente la Vierge et saint Jean-Baptiste au pied de la croix et semble être préparatoire au tableau perdu décrit par Nivelon.“

(IMPRESSUM der Galerie: Le site internet artcurial.com est la propriété de la société Artcurial
Artcurial, Hôtel Marcel Dassault, 7 rond-point des Champs Élysées, F-75008 Paris
Société immatriculée au Registre du Commerce et des Sociétés de Paris sous le numéro B440 088 235)

In den Jahren 2008/2009 wurde durch die Pariser Galerie COATELEM ein anderes Gemälde von Charles Le Brun angeboten, dessen Hauptfigur ebenfalls die heilige Maria Magdalena ist :

Unter den Künstlern, deren Namen sich bisher in einer ersten Gruppe eingeprägt haben, steht jener Charles le Brun ganz oben. Daher darf in der Vorbereitung der nächsten Reise das Gemälde der reuigen Sünderin (Louvre) nicht fehlen:

Charles Le Brun, 1655, Die reuige Magdalena

Lassen Sie uns mit dem Lesen einer wissenschaftlichen, gut geschriebenen Einführung beginnen:

Thierry Murcia: Marie appellée LA MAGDALÉENNE ENTRE TRADITIONS ET HISTOIRE Ier – VIIIe SIÈCLE

Auf der Rückseite die Kurzfassung der Themen und auch ein Hinweis auf den Verfasser:

Ich folge der empfohlenen Struktur des Denkens:

Theologen, Historiker, Politologen beiderlei Geschlechts verwendeten und verwenden auch noch heute die Namen Maria Magdalena, Madeleine, Sainte Marie-Madeleine, Maddalena für verschiedene weibliche Personen, die in den Büchern des Neuen Testaments und auch in den Apokryphen auftauchen:

A: Maria aus dem Ort Magdala

Lukas-Evangelium
8 1-3: Frauen im Gefolge Jesu
1 In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn,

2 außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren,

3 Johanna, die Frau des Chuzas,  eines Beamten des Herodes, Susanna und  viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen. 

Es ist die gleiche Frau, die teilnimmt an der Abnahme des Leichnams Christi vom Kreuz, die gemeinsam mit zwei anderen Mariä am Ostersonntag zum Steingrab Christi wandert, um den Toten zu salben und die alleinige Zeugin der Aufersthung Christi wird und der Christus „Noli me tangere!“ zuruft.

Maler und Bildhauer seit dem Mittelalter wählten ein ihnen aus dem städtischen Umfeld sehr bekanntes Sujet und gestalteten es phantasievoll: eine vermögende kluge und schöne junge Frau lässt sich von einem ebenfalls klugen und schönem jungen Wanderprediger – bekannt für Wunderheilungen – gegen böse Träume, Depressionen und Wahnvorstellungen behandeln. Als die Kur anschlägt, die „sieben Dämonen“ ihren Körper unter dem Beifall der Nachbarn verlassen haben, erkennt sie die Fähigkeiten dieses Wnderpredigers und schließt sich – bei Übertragung ihres gesamten Besitzes – der Gemeinschaft dieses Mannes an. Ihr Name war MARIA, der Ort des Geschehens MAGDALA um Ufer des Tiberias-Sees in Galiläa (heute MIGDAL).

Louvre Meister des Bartholomäusaltars

maitre de Saint-Barthélemy, La Descente de croix (1475-1525)

Louvre, aile richelieu, niveau 2, salle 819

B: Maria aus Bethanien/Haus des Pharisäers Simon

REPAS CHEZ SIMON

Subleyras, PierreFrance, Musée du Louvre, Département des Peintures, INV 8000 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010064397https://collections.louvre.fr/
Evangelium des Lukas
Evangelium des Johannes

C: Die Sünderin/Ehebrecherin

Johannes 8

D: Die Ägypterin

LOUVRE Georges de La Tour

Beschreibung des Gemäldes
(aus: Jaques Thuillier, „Georges de La Tour“ Paris 1992, S, 152 ff):

Eine frühe Darstellung der Madeleine, in Deutschland entstanden, nun im LOUVRE zu bewundern: Aile Delon, salle 169, niveau 1, Meister Gregor Erhart aus Augsburg,

Erhart, GregorPays Germaniques et de l’Europe de l’Est, Musée du Louvre, Département des Sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des temps modernes, RF 1338 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010093565https://collections.louvre.fr/CGU

Object history: Proviendrait de l’église Sainte-Marie-Madeleine du couvent des Dominicains d’Augsbourg, vers 1515-1520.

Collection Siegfried Lämmle (fin du XIXe siècle), Munich. Commerce d’art, Paris. Acquise de l’antiquaire Godefroy Brauer (Nagymorton, Hongrie, 1857 – Nice, 1923) sur les arrérages du legs de Mme Emile-Louis Sévène, née Laure Eugénie Declerck (Soissons, 1834 – Paris, 1887) en 1902 (comité du 26 juin, conseil du 1er juillet, arrêté du 6 octobre 1902).

Eine Vorschau auf die Pariser Kirchen:

Église St. Germain- l’Auxerrois am Place du Louvre

La chapelle de la Sainte Vierge: Sainte Marie l’Égyptienne, pénitente; Sculpture en pierre polychrome fin XVeme siècl

Aber noch einmal zurück in den Louvre: Cima da Conegliano (1511-1513) Jungfrau mit Kind zwischen Johannes dem Täufer und Maria Magdalena

La Vierge et l’Enfant entre saint Jean-Baptiste et sainte Marie-Madeleine, Cima da Conegliano

L’église St. Sulpice

St. Sulpice, chapelle du péristyle, L’Apparition du Christ á la Madeleine (1705), Cl..-G. Hallé

L’église St. Severin: Glasmalerei

Wiederum eine frühe Darstellung im Louvre „Beweinung Christi“ um 1460, Meister aus Avignon, Aile Richelieu, niveau 2, salle 833

pietà de Villeneuve-lès-Avignon, (1450-1475), Cuarton, Enguerrand: Johannes der Täufer und Maria Magdalena (mit dem Attribut Salbengefäß) beweinen Christus, die Personen eindeutig zu identifizieren durch die Inschriften am Heiligenschein

Église Saint-Joseph-des-Carmes

Se trouvent deux statues de saint Pierre et sainte Marie-Madeleine, exemples de contrition, réalisées par Jacques Sarazin pour l’hôtel du chancelier Séguier.

Statue de Sainte Marie Madeleine, dans la chapelle Ste Thérèse du transept droit (in der rechten Vierung)

L’église ST. EUSTACHE

  • Le tableau de Manetti, L’Extase de la Madeleine[1],[2] (vers 1625), huile sur toile de 130 × 160 cm, se trouve dans la cinquième chapelle du déambulatoire (chapelle Sainte-Madeleine). La composition de ce tableau est inspirée de La Madeleine et deux anges de Simon Vouet et de L’Extase de la Madeleine de Francesco Rustici à Florence (Palais Pitti).
Rutilio Manetti, L’Extase de la Madeleine.

Noch einmal zurück zu jener o.a. Skulptur im Musée Cluny:

cl_1851_9

Details aus dem offiziellen Katalog des Museums: À l’origine éclatante de couleur, décapée et teintée au 19e siècle, cette figure de Marie-Madeleine a bénéficié d’un récent décirage. Seuls d’infimes vestiges de cette polychromie permettent de reconstituer la coloration rouge et bleue de sa robe.

Son exécution témoigne du savoir-faire du sculpteur, maître dans le rendu des vêtements et de la coiffure, inspirés des modes de son temps. L’élégant et complexe entrecroisement des nattes font de cette statue l’une des plus célèbres représentations de la pécheresse repentie élevée au rang de sainte.

Acquise en 1850

N° Inventaire : Cl. 1851, Hauteur : 97 cm,Largeur : 36 cm, Profondeur : 24 cm

Lieu de production : Bruxelles, Période : 4e quart du 15e siècle, Techniques : sculpturerestauration

Einzelne Beispiele aus anderen Pariser Museen:

MUSEUM MOREAU

moreau: Maria Magdalena am Kalvarienberg

Museum ORSAY

Emile Bernard, Madeleine au Bois d’Amour

Paul Cezanne La Madeleine 1869, Erdgeschoss, Salle 11

Cezanne

Musée Rodin

Musée Rodin 1884

Und vor dem Abschluss noch einmal: Charles Lebrun: Madeleine bereut ihr „sündiges Leben“, verabschiedet sich vom Luxus

La Madeleine repentante

Eitelkeiten: Charles Le Brun, Sainte Marie-Madeleine renoncant aux vanités du monde, (1654-1657), Louvre-Lens

Le Brun, Charles

INV 27675, Recto

Département des Arts graphiques

REPAS CHEZ SIMON

Subleyras, PierreFrance, Musée du Louvre, Département des Peintures, INV 8000 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010064397https://collections.louvre.fr/CGU

Zum Abschluss Versailles

Guido Reni, Marie-Madeleine en extase au pied de la croix, versailles

Ein letztes Mal – PARDON – zum LOUVRE:

Sebastian Bourdon, Louvre, Die Kreuzabnahme Christi

BLANCHARD, Jaques LOUVRE

Blanchard, Jacques, France, Musée du Louvre, Département des Peintures, RF 1938 57 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010061525https://collections.louvre.fr/CGU

Am Wege zu den Museen des Louvre, ziemlich versteckt liegt am Place du Louvre die ehemalige Hofkirche St.-Germain-l’Auxerroi, spätgotisch – beeindruckend vor allem durch ihre reichhaltigen Plastiken.  Maria Magdalena (in der Version einer Eremitin in der ägyptischen Wüste) ist gleich zweimal vertreten: im Inneren mit den Attributen der Eremitin- drei Brote und das den Körper verhüllende lockige lange Haar –

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und auf einem Podest der Vorhalle eine Kopie, ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert:

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Die nächste Kirche, etwas längeren Fußweg entfernt, heißt Église Saint-Joseph-des-Carmes, liegt im 6. Arrondissement – und kann ebenfalls eine Skulptur der Madeleine aufweisen, im vorderen Teil der Vierung:

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Die Kirche ist heute Teil eines größeren katholischen Forschungs- und Bildungsinstituts in der bekannten Rue de Vaugirard, so dass die Anwesenheit vor allem junger Leute während und außerhalb der Messen in hoher Zahl nicht überrascht. Madeleine auf ihrem Sockel symbolisiert an diesem Ort diesmal nicht die ägyptische Eremitin, sondern die reuige Sünderin und gleichzeitig die enge Vertraute des Erlösers, die mit dem Salbengefäß am Ostersonntag zum „Grab des Herrn“ kommt – gemeinsam mit zwei anderen Marien – und als erste Zeugin die Auferstehung Jesu als Wunder erlebt. Die von überwucherndem barockem Marmor umgebene Plastik aus dem 17. Jahrhundert ist ein Werk des bekannten Bildhauers Jacques Sarazin. Der mich begleitende Priester wies schmunzelnd darauf hin, dass „seine“ Kirche während der Revolution und der Zeit des Terrors der Jakobiner als Gefängnis gedient hatte und die spätere Kaiserin Josephine als Gemahlin des angeklagten Generals de Beauharnais hier eingesessen war.



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Die geplante Visite der Église Saint-Eustache de Paris – 1. Arrondissement – in unmittelbarer Nähe zum Centre Pompidou – fiel einem sehr natürlichen Umstand zum Opfer: der umfassenden Restaurierung des Bauwerkes. Also zurück über die Seine in die Nähe der Sorbonne, in den 5. Bezirk, zur Église Saint-Séverin de Paris, einem Muss für Liebhaber gotischer farbiger Glasfenster, wir wir sie vom Erfurter Dom und der Marienkirche in Frankfurt an der Oder kennen und bewundern. Aus dem 15. Jahrhundert stammt auch diese Glasarbeit:

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Eindeutig die Zuordnung zur Heiligen Madeleine und dem mittelalterlichen Bezug zur Provence:

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Auch äußerlich ein beeindruckendes Beispiel der Kirchenarchitektur von Paris:

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St. Sulpice

Aus dem Studentenviertel nun zum letzten Kirchenbeispiel: nach Monaten zum zweiten Mal zu St. Sulpice – bekannt durch den Spielfilm „Da Vinci Code“. Nur durch die Hilfe eines „Schlüsselgewaltigen“ durfte ich sie sehen:



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In einer abgeschlossenen, halbdunklen Kammer, der Chapelle du péristyle …
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„L’Apparition du Christ à la Madeleine“, 1705, Cl.-G. Hallé

Wie zu erwarten in St.Sulpice, trotz des ungewöhnlichen Ortes, eine bemerkenswerte künstlerische Arbeit – wiederum keine Eremitin, eine büßende Sünderin, sondern eine Verklärung der Auferstehungsszene, deren Zeugin Maria Magdalena im biblischen neuestamentarischen Verständnis gewesen sein soll. Mir kam in jener Kapelle Heinrich von Kleist in den Sinn, der im Gedicht „Der Engel am Grabe des Herrn“ (Phöbus. Ein Journal für die Kunst.1808) der Maria Magdalena eine sehr moderne, daher zeitlose, aktive Gestalt verlieh.

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Es sollte ein kurzer Spaziergang im Quartier Latin werden – von St. Sulpice zu St. Étienne du Mont – es wurden vielfache Erlebnisse und Begegnungen der besonderen Art. Der unscheinbare Funktionsbau der Eingangssituation zum Museum CLUNY versprach eine Kaffeepause.



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Das Museum stand auf meiner Wunschliste, aber nicht unter den ersten fünf Prioritäten. Ein Objekt war mir den Vorbereitungen aufgefallen – eine mittelalterliche Figur, eine Holzplasik, im Katalog detailliert beschrieben: À l’origine éclatante de couleur, décapée et teintée au 19e siècle, cette figure de Marie-Madeleine a bénéficié d’un récent décirage. Seuls d’infimes vestiges de cette polychromie permettent de reconstituer la coloration rouge et bleue de sa robe.  Son exécution témoigne du savoir-faire du sculpteur, maître dans le rendu des vêtements et de la coiffure, inspirés des modes de son temps. L’élégant et complexe entrecroisement des nattes font de cette statue l’une des plus célèbres représentations de la pécheresse repentie élevée au rang de sainte.    Acquise en 1850.

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Maria Magdalena, Brüssel, 4. Quartal des 15. Jahrhunderts

Die „nattes“ – geflochtene Zöpfe aus natürlichem Haar – majestätisch und doch charakteristisch für ein Mädchen aus dem Volke. Der Stil „flamboyant“, also spätgotisch, Nordfrankreich und Niederrhein – überwältigend schön die Holzarbeiten im Musée de Cluny, eingefärbt, als Altarschnitzereien und alleinstehende Skulpturen:



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Nordfrankreich um 1520-1530
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BEAUVAIS, um 1510-1520
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Martha, die „Gegenspielerin“ der Maria Magdalena im Neuen Testament
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Kreuzabnahme Jesu, Antwerpen, 1515-1520
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Maria Magdalena,
die reuige Büßerin mit den Kennzeichen der Sünden -Luxus, Kleidung, Schmuck
Niederhein um 1520
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Die Säle – zum Verirren verlockend
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Sainte Madeleine am Fuß des Kreuzes
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Diesmal keine Plastik, sondern eine Pietà (Öl auf Holz) aus der Gegend der Rhone-Mündung, Mitte des XV. Jahrhunderts, zur Zeit des großen Königs René, einem der gekrönten Verehrer der Heiligen
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… und wieder Holz: Madeleine mit Salbengefäß (sehr auffällige umfassende Vergoldung) Altarflügel, Niederrhein um 1483
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Altarflügel rechts oben, Madeleine mit Attribut Totenschädel
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Maria Magdalena als Klagende in der Kreuzigungsszene
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Aufgeklappter Altarflügel oben links:
Maria Magdalena ist Zeugin der Auferstehung Jesu

Die Stunden vergingen, CLUNY hat mich geschafft ! Louvre und Orsay müssen verschoben werden – bis bald!

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Maria Magdalena in Berlin:

Der Sprung in die Gegenwart am Hackeschen Markt:

RESUMEE: Die Frau, das EWIG WEIBLICHE : nicht die Gejagte; SONDERN EINE JÄGERIN !!!

Womit wir glücklicherweise beim Ausgangspunkt angelangt sind !!!

Wo preußische Generäle, Poeten und adelige Frauen begraben liegen

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Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Bezirk Mitte (an der Linienstraße in unmittelbarer Nähe zum Rosenthaler Platz) ist ein Kulturdenkmal preußischer Geschichte und seit Jahren bieten seine Gebäude bildenden Künstlern Raum für Ausstellungen.

2017: AUSSTELLUNG „FARBEN DES EWIGEN FRIEDENS“

Lucia Fischer

Eine der interessantesten Expositionen konnte man im Jahre 2017 bewundern: „Farben des ewigen Friedens“ der Berliner Malerin Lucia Fischer, eröffnet am 9. September 2017. Zum Verständnis der Beziehung Bildende Kunst und Preußischer Militärfriedhof stellen wir die Einführungsworte von Dr. Dieter Weigert, Vorsitzender des Fördervereins Alter Berliner Garnisonfriedhof e. V.  zur Eröffnung der Ausstellung vor.

DR. DIETER WEIGERT:

Zum fünften Mal seit 2014 lädt unser Verein zur Eröffnung einer Kunstausstellung im Lapidarium und im ehemaligen Verwalterhaus des alten Offizierskirchhofs, diesmal unter dem Titel „Farben des ewigen Friedens“ und diesmal nicht figürliche, nicht gegenständliche, sondern abstrakte Kunst, Arbeiten der Berliner Malerin Lucia Fischer, einer dezidierten Vertreterin des abstrakten Expressionismus.

Angesichts dieser abstrakt-expressionistischen Arbeiten, angesichts des Fehlens jeglicher religiöser oder moralischer Symbole, der Abwesenheit von Bildern des Schreckens von Krieg und Gewalt, ebenso von figürlichen Darstellungen eines friedlichen Paradieses im Jenseits – woher nehmen wir das Recht, ihre Arbeiten unter dem Titel „Farben des ewigen Friedens“ auszustellen? Die Antwort liegt in den unendlichen Dimensionen der Farben, die auf uns einwirken und die das Leben, die Träume, den Humanismus, die Freiheit von Gewalt und Tod verkörpern. Kräftige Farben in ihrer Durchdringung, in ihrem Fluss, in den Verästelungen bis in winzige Linien und Punkte – das ist die Sprache dieser Malerin, die sie dem Krieg und der Gewalt entgegensetzt, das ist ihre Botschaft. Diese Sprache bedarf keiner Figur, keines Gegenstandes, keiner religiösen oder moralischen Symbolik. Es ist die Sprache des abstrakten Expressionismus seit Wassili Kandinsky, seit über einem Jahrhundert. Bleiben wir einen Augenblick im Geschichtlichen – der große kirgisische Dichter Tschingis Aitmatow zitierte in der Einführung zu seinem Roman „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“ Fjodor Dostojewski. Ich erlaube mir dieses eine Zitat: „Das Phantastische muss sich so eng mit dem Realen berühren, dass es nahezu glaubhaft wird.“ In diesem Satz liegt für mich das Wesen der Kunst von Lucia Fischer.
Die Absage an das Figürliche in der Periode zwischen 1900 und 1915, das Eigenleben, die Eigendynamik, die „Befreiung“ der Farben – von Lyrikern und Prosaikern wie Rilke, Dostojewski, Döblin, van Hoddis, Johannes R. Becher begleitet und inspiriert. Das Figürliche ist der Schein, das Phänomen – das Wesen, das Innere ist die Abstraktion, die nur in der Spontaneität der Farbsetzung ihren Ausdruck finden kann.
Gemeinsam ist den Dichtern und bildenden Künstlern dieser Zeit: die seelische Vertiefung, die Sensibilisierung der Kunst, die Verbindung zum Nichtmateriellen, zum Unsichtbaren und Nichtgreifbaren, sie sind politisch und weltanschaulich engagiert, sie fühlen sich mehrheitlich sozialistischen Idealen verpflichtet. In dieser Bewegung sieht sich Lucia Fischer verwurzelt – ästhetisch und weltanschaulich-politisch. Der Zufall wollte es – Hegel hätte das Wirken des Weltgeistes zur Erklärung bemüht – , dass Lucia Fischer aus der Stadt Essen kommt, der Waffenschmiede der preußischen Könige und der deutschen Kaiser, der Region, aus der die Mehrheit der auf diesem Friedhof liegenden Offiziere ihre Kanonen, Degen und Säbel bezogen.

Wie ihre Vorläufer vor über einhundert Jahren sucht Lucia Fischer nicht zu vermitteln – weder in der Kunst, noch in der Weltanschauung, noch in der Politik – sie kämpft, sie sucht neue Wege, sie reibt sich an den Widerständen, am Material, sie will neue Räume entdecken – unser bisher den Spinnweben vorbehaltenes Lapidarium wurde ihr neuestes Experimentierfeld, womit wir wieder bei den Farben wären.


Haben die einzelnen Farben für den abstrakt-expressionistischen Künstler auch keinen figürlichen Bezug, so sind sie doch nicht bedeutungslos, sie korrespondieren mit Werten, Grundmustern, die wiederum unendliche Variationsreihen und Verbindungen erlauben. Bei Wassili Kandinsky beispielsweise ist Grün die Farbe der Ruhe, ist Weiß das große Schweigen, die Spannung zwischen Blau und Gelb bedeutet ihm Leidenschaft und Geistigkeit.
Zurück zum Thema: Wir suchen in den Bildern den gegenständlichen Frieden, und was finden wir? Expressiv-abstrakte Farben in einer Formensprache, die überrascht, die verblüfft, die erregt, die alle unsere Sinne anspricht.
Die Erregung kommt aus dem Fließen der Farben, einer Technik, erfunden im Kontext der Glasinstallation von Lucia Fischer. Wie setzt sie die Farben? Die Frage ist falsch gestellt – wie bringt sie die Farben zum Fließen, wie bringt sie die Farben zum Halten, was entsteht, wenn der Farbfluss zum Halten kommt? Winzige, aber doch wahrnehmbare erhabene Spuren in der Fläche. Es ist wie beim Puddingkochen – das Bild des warmen Puddings in einer Porzellanform – das Positiv – lässt ahnen, aber nur ahnen! wie das Bild des kalten, gestürzten Puddings auf dem Teller aussehen könnte – aber erst zum Finale ist die endgültige, die negative Form erkennbar. So beim Glas – erst das Vorzeigen auch der Rückseite, auch der Unterseite führt uns zum totalen Erlebnis des Kunstwerkes. Lucia Fischers Gemälde, Aktionen, Glasinstallationen präsentieren uns Seelenzustände, die aber nicht vordergründig lesbar sind. Es bedarf einer Öffnung für jene ausdrucksstarken Bilder, für die expressive Sprache der Künstlerin, um ihr Anliegen in unsere Gefühlswelt eindringen zu lassen: der EWIGE FRIEDEN, die Abkehr von Gewalt, die Rückkehr zur natürlichen GEMEINSCHAFT mit ihren gewaltfreien, solidarischen Spielregeln, wie sie Jean-Jaques Rousseau beschrieb und Dichter wie Rainer Maria Rilke poetisch benannten.
Damit steht Lucia Fischer in der Tradition amerikanischer Künstlerinnen und Künstler des 20. Jahrhunderts, überschreitet aber vor allem in ihren Glasinstallationen die Grenzen jener amerikanisch dominierten Periode – aus dem Paint-Dripping von Jackson Pollock, dem lyrischen Action-Painting der Helen Frankenthaler und insbesondere dem leuchtenden, ostasiatisch-lustvollen spontanen Farbspielen von Sam Francis hat sie eine ästhetisch und stilistisch auch für sich selbst neue Herausforderung geschaffen, für die die Kunstwissenschaft und Kunstkritik noch eine treffende Bezeichnung finden muss.
Sehr deutlich wird diese Grenzüberschreitung doppelt sichtbar beim Vergleich des Gemäldes von Helen Frankenthaler „Blaue Raupe“ aus dem Jahr 1961 und den heutigen neun Glastafeln von Lucia Fischer.
Erstens: Diese Glastafeln, eigens für unsere Ausstellung hier in unserem Lapidarium des altehrwürdigen preußisch-deutschen Offiziersfriedhofs in einem mehrmonatigen spannungsgeladenen, intellektuell anstrengenden Prozess geschaffen, lassen jeden Bezug zur Figürlichkeit vermissen. Keine bewusste, gezielte, gewollte Andeutung einer Raupe, einer Frau, einer Blume, eines Himmelskörpers, wenn auch die spontan sich herausbildenden dominierenden Rundungen viel Raum zu spekulativen Assoziationen bieten.
Zweitens: das Material Glas verhindert das spontane Verschmelzen von Bildträger und aufgetragenen dünnflüssigen Farben mit überraschenden Ergebnissen für den Künstler und den Betrachter, das einen Wesenszug der Malerei Helen Frankenthalers ausmachte. Glas widersetzt sich solchen Bestrebungen, die spontan verlaufenden Farben bei Lucia Fischer liegen zum Teil unvermischt aufeinander und demonstrieren so den Prozess im Ergebnis, dem eigentlichen Anliegen der Künstlerin. Und das für uns Betrachter Spannende: herumwandernd erfühlen wir durch das Glas sozusagen den Entstehungsprozess ein zweites Mal beim Betrachten der Farbschichten in umgekehrter Richtung, fast wie die Wirkung eines mittelalterlichen Kirchenfensters.
Abschließend: Das heutige weltanschaulich-politische Engagement von Lucia Fischer, ihre aktive Suche nach Wegen und Formen, die menschlichen Beziehungen von Krieg und Gewalt zu befreien, übersteigt den Einsatz der Helen Frankenthaler und ihrer Freunde in den USA der Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts für Bürgerrechte und intellektuelle Freiheiten. So ist auch Lucia Fischers Traum zu verstehen, ihre Glastafeln vielleicht eines Tages in Berliner oder Potsdamer Kirchen zu finden, deren Gemeinden sich weltanschaulich den globalen Zielen des ewigen Friedens, der Gewaltlosigkeit und des Humanismus verpflichtet fühlen. Auf diese Art hat sich Lucia Fischer auch mit dem Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals MACHT UND PRACHT auseinandergesetzt: die Pracht der Farben gegen die Macht des Krieges – die Farben des ewigen Friedens gegen eine Zukunft des Krieges.

Friedhöfe und Kirchen

Wie in Dörfern und Städten des Königreiches Preußen sind Kirchen und Friedhöfe eine Einheit. Der alte Garnisonfriedhof an der Linienstraße ist also im weiteren Sinne der „Kirchhof“ der am damaligen „Spandauisch Tor“ erbauten Garnisonkirche. Um die Geschichte dieses Friedhofes zu verstehen und zu erfühlen, ist ein Verständnis der Geschichte und des kulturhistorischen Wertes der Garnisonkirche Vorausssetzung.

Die Kirche – damals an der Berliner Stadtmauer (heute Hackescher Markt)

1703 in Anwesenheit von König Friedrich I. feierlich  eingeweiht, war die Alte Berliner Garnisonkirche durch ihre Bau- und Architekturgeschichte sowie ihre mehrfachen Um- und Ausbauten mit der Kultur- und Militärgeschichte der Mark- Brandenburg, des Königreichs Preußen und seiner Residenz Berlin eng verbunden. Ihr Untergang – 1943 ausgebombt und in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts abgetragen – wirkt wie ein Symbol für die Größe und den Untergang Preußens. Das benachbarte Gebäude der ehemaligen Garnisonschule ist erhalten geblieben (Anna-Louisa-Karsch-Straße 8).

Die Namen kulturgeschichtlich bedeutender Architekten wie Martin Grünberg, Johann Philipp Gerlach oder Karl Friedrich Schinkel, herausragender bildender Künstler wie Johann Friedrich Walther, Adolph Menzel und Christian Bernhard Rode wie auch des Orgelbaumeisters Joachim Wagner sind eng mit der Entwicklung der Alten Berliner Garnisonkirche verknüpft.

In den Grüften der Kirche waren über achthundert Offiziere der Berliner Garnison und deren Familienangehörige beigesetzt.

Als Kirche für das Militär präsentierte sich die Berliner Garnisonkirche zwischen 1703 und 1943 dem Betrachter janusköpfig: einerseits war sie ein Ort der stillen Andacht von Soldaten, Offizieren und deren Familien – andererseits eine Kultstätte, in der man sich laut und mit geschwellter Brust der militärischen Siege rühmte. Woran liegt es, dass die Kirche, die einst glanzvolle Tage erlebte, heute vergessen scheint? Wohl daran, dass sie nie so berühmt wie die „Königliche Hof- und Garnisonkirche“ in Potsdam wurde. Zudem erlebte die Kirche ab 1918, als die Garnison aufgelöst wurde und Kaiser Wilhelm II. ins holländische Doorn floh, stille Zeiten. Nach der Zerstörung 1943 lag die Kirche dann als eine von vielen Ruinen inmitten der zerstörten Stadt. Sie wurde abgerissen und geriet fast gänzlich in Vergessenheit.

 Der Standort der Garnisonkirche befand sich in Berlin-Mitte, dort wo die Anna-Louisa-Karsch-Straße (früher Neue Friedrichstraße) in die Spandauer Straße mündet . Eine Inschrift über der Tür des Hauses Anna-Louisa-Karsch-Straße 9 verweist darauf, dass dieses Gebäude einst als Garnison-Pfarramt genutzt wurde. Auf dem Nachbargrundstück, wo sich heute eine Straßenbahnhaltestelle befindet, am Schnittpunkt von Garnisonkirchplatz, Spandauer Straße, Anna-Louisa-Karsch-Straße, Spandauer Straße und der Straße An der Spandauer Brücke, stand die Garnisonkirche.

 Der Platz der ehemaligen Kirche ist heute umbaut – auf dem Terrain hinter dem S-Bahnhof Hackescher Markt sind Bürogebäude entstanden, Gaststätten, die Zentrale der GASAG, ein Hotel und andere Einrichtungen.

DIE KIRCHE IM 18. JAHRHUNDERT

Die Garnisongemeinde zu Berlin entstand 1655 als erste ihrer Art in Brandenburg-Preußen. Ihre Gründung steht im Zusammenhang mit dem Neuaufbau des Staatswesens nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges. Das neu geschaffene stehende Heer bedurfte einer bis dahin nicht vorhandenen Garnisonsstruktur und inneren Ordnung. In der von strenger ständischer Gliederung und Leibeigenschaft geprägten Gesellschaft übernahm das Regiment obrigkeitliche Funktionen für die Soldaten; die Kirchgemeinde sollte von jenen der Stadtbürgerschaft unabhängig sein.

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Der Grundstein für die Berliner Garnisonkirche wurde im Jahre 1701 gelegt. Will man ihre Geschichte erzählen, muss man weiter zurückblicken: in die Regierungsjahre Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten (1640 – 1688).

 Wüst war die Mark 1648 nach dreißig langen Jahren Krieg; Mensch und Tier getötet, ganze Orte verlassen – ein Neuanfang unter Führung des jungen Fürsten Friedrich Wilhelm musste auch den militärischen Schutz der Kurmark bedeuten. Das Geld für ein stehendes Heer, für die Befestigung der Städte wurde den Ständen aufgebürdet. Vor 350 Jahren, im Sommer 1653, konnte der Kurfürst den Widerstand der Stände brechen – der Kompromiss mit dem Landtag sah eine jährliche Summe von 530 000 Talern für das kurfürstliche Heer vor. Die Gegenleistung: Friedrich Wilhelm sicherte den adligen Grundbesitzern alle ständischen Privilegien wie Steuer- und Zollfreiheit, Obrigkeitsrecht über die Bauern, Verfügung über deren Frondienste, Festschreibung von bestehenden Leibeigenschaftsverhältnissen zu.  Als der Große Kurfürst die Söldnerheere nicht mehr vollständig auflöste und mit dem Aufbau eines stehenden Heeres begann, schickte man die Feldprediger nicht nach Hause. Sie wurden Regimentern zugeordnet, um die Soldaten nicht nur während des Krieges, sondern ebenso in Friedenszeiten zu betreuen. So entstand schrittweise mit den Garnisonen auch eine militärkirchliche Struktur

Die erste Kirche (1703-1720)

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Die erste Garnisonkirche im preußischen Staat wurde auf Weisung König Friedrichs I. als Kirche der Berliner Garnisongemeinde von 1701-1703 erbaut. Der Entwurf stammte vom Hofbaumeister Martin Grünberg (1655 – 1706). Dieser hatte mit Johann Arnold Nering einen berühmten Vorgänger, mit Philipp Gerlach einen nicht minder bekannten Nachfolger. Er selbst scheint vergessen, obwohl von ihm bedeutende Berliner Kirchen stammen und er an nahezu allen großen Bauvorhaben seiner Zeit mitwirkte: am Zeughaus, am Großen Friedrichshospital und am Bau des Charlottenburger Schlosses.

Einweihung der Kirche war am 1. Januar 1703. Grünberg schuf einen Zentralbau auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes und gestaltete den Bau sparsam, ganz zweckmäßig auf die Funktion zugeschnitten. 11 Eingänge garantierten den geordneten Einzug der in Formationen zum Gottesdienst einrückenden Soldaten. Im Innern fand sich ein schlichter Raum mit Kanzel und Altar. Emporen boten Platz für die Regimenter.

 Die erste Kirche stand nur 17 Jahre. 1720 sollte ein alter Pulverturm unmittelbar neben der Kirche abgetragen werden. Der Turm explodierte am 12. August, kurz nach 10 Uhr. Die eigentliche Ursache des Unglückes blieb ungeklärt. 72 Menschen wurden getötet, darunter auch 35 Soldatenkinder, die gerade am Schulunterricht teilgenommen hatten.  Das Schulgebäude war völlig zerstört, die Garnisonkirche stark beschädigt.

Ein Modell dieses Gebäudes ist in den Ausstellungsräumen des historischen Kirchhofs der Berliner Garnison in Berlin Mitte zu sehen – Kleine Rosenthaler Straße 3 (in der Nähe des Rosenthaler Platzes)

Die zweite Kirche (1722-1943)

Schon unmittelbar danach entstand der Plan des Wiederaufbaus. Bauherr war nunmehr König Friedrich Wilhelm I. (1713 – 1740). Er ließ die Trümmer beiseite räumen, besorgte das Geld und beauftragte den Oberbaudirektor Philipp Gerlach, mit den Entwürfen. Es entstand ein Quersaalbau auf rechteckigem Grundriß (ca. 58 m x 31,4 m) mit 11 : 5 Achsen. Um den reibungslosen Einmarsch der Regimenter zu sichern, wurden wie schon bei der Grünbergschen Kirche mehrere Eingänge konzipiert, diesmal acht.

Den Bau bekrönte ein hohes Dach. Es fehlten allerdings ein Kreuz oder gar ein Turm. Der Gottesdienst wurden den Mannschaften und Offizieren nicht durch Glockengeläut, sondern durch Trommelschlag angekündigt.

 Im Innern war die Kirche schlicht gehalten. In der Mitte des Raumes befand sich ein einfacher Tischaltar, an der nördlichen Langseite die Kanzel, ihr gegenüber, an der Eingangsseite, die königliche Loge.

 Die Kanzel gehörte mit der Orgel zu den Schmuckstücken der Kirche. Beide waren reich verziert – mit dem zur Sonne aufstrebenden Adler, mit Engelsfiguren, mit Harnisch, Helmbüschen und Kriegszeug – schließlich sollten die Besucher daran erinnert werden, dass sie sich in einer Militärkirche befanden. Als einzig erhaltenes Ausstattungsstück der ersten Kirche kam ein Taufstein in das neue Gebäude. Es handelt sich um eine meisterlich ausgeführte, mit plastischem Schmuck reich versehene Sandsteinarbeit, die vermutlich von Andreas Schlüter stammt. Seit 1994 ist dieser Taufstein in der Nikolaikirche zu sehen.

Eine Gruft in der Kirche scheint nichts Besonderes. Die unterirdische Begräbnisstätte in der Berliner Garnisonkirche darf sich dennoch so bezeichnen, entwickelte sie sich doch im Laufe der Zeit zum Prominentenfriedhof der preußischen Armee. Im Jahre 1723 angelegt, arbeitete König Friedrich Wilhelm I. persönlich die Gebührenordnung für Beisetzungen in der Gruft aus – wichtige Einnahmen für die Kirchengemeinde.

Unter Friedrich II. erfuhr die Garnisonkirche im Innern zahlreiche Veränderungen, die den Ruf der Kirche als Traditionsstätte begründeten. Fahnen und Standarten aus den Schlachten der Schlesischen Kriege wurden in der Kirche zur Schau gestellt. Der beauftragte König den Maler und Radierer Christian Bernhard Rode (1725 – 1797) mit der Anfertigung patriotischer Gemälde, die an gefallene „Helden“ des Siebenjährigen Krieges erinnern sollten. So entstanden nach 1759 Huldigungen an Kurt Christoph Graf von Schwerin, Ewald von Kleist, Hanns Karl von Winterfeld und Jakob von Keith. Ein fünftes Gemälde fertigte B. Rode Jahre später, vermutlich erst nach 1786 an – es stellte Hans Joachim von Zieten dar

DIE KIRCHE IM 19. JAHRHUNDERT

Preußens Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 schlug auch auf die Berliner Garnisonkirche zurück. Nach Napoleons Einzug in Berlin wurde die Kirche zu einem Heu- und Branntweinmagazin zweckentfremdet. Damit nicht genug, wurden in der Gruft auf der Suche nach Trophäen die Särge erbrochen und geplündert. Die Fahnen aus den Schlesischen Kriegen hatte man vor den Franzosen versteckt. Das 19. Jahrhundert darf für die Kirche als das Jahrhundert der Umbauten bezeichnet werden. Nach den großen Umbauten von 1817, 1863 und 1900 präsentierte sich die Kirche ihrem Besucher jeweils in neuem Antlitz.

Nach 1815 war sie im Stile des Schinkelschen Klassizismus gestaltet und durch ein kostbares Geschenk des Kirchenpatrons Friedrich Wilhelm III. bereichert worden – das Altargemälde von Karl Begas „Christus am Oelberge“. Der König ordnete 1822 auch die Anbringung vergoldeter Kreuze aus Eisen auf den Giebelseiten des Daches an und entschied 1835 über Details der Aufhängung eines zweiten Altargemäldes, das er der Kirche geschenkt hatte.

1863 wurde das Kircheninnere durch die Geheimen Oberbauräte Friedrich August Stüler und August Ferdinand Fleischinger verändert und erneuert.  Auf Stülers Pläne geht auch der Einbau eines Altartisches aus den Jahren 1853/54 zurück, der als eine der wenigen steinerne Zeugen der wechselvollen Geschichte der Kirche heute im Lapidarium auf dem Alten Garnisonfriedhof zu sehen ist – leider ohne die steinernen Originalsäulen.

Die grauweiße Tischplatte besteht aus schlesischem Marmor (Großkunzendorf in Schlesien), die roten Innenfelder der Spiegel aus französischem Marbre du Roi (Villefranche-de-Conflent, Departement Pyrenées-Orientales) und die grünen äußerem Rahmen der Spiegel aus niederschlesischem „Gabbro“ (Zobtenberg, Sudetenvorland).

Die Kirche erfuhr, wiederum auf Befehl ihres Patrons, am Ende des Jahrhunderts einen völligen Umbau.

Adolph Menzel  sollte unverhofft Gelegenheit bekommen, einige Helden aus der Zeit Friedrichs des Großen persönlich zu Angesicht zu bekommen. Im Jahre 1873 öffnete der Kirchenvorstand in Menzels Anwesenheit viele der 900 Särge in der Gruft zur Feststellung der Namen. In einem Sarg wurde ein preußischer Feldmarschall vollkommen konserviert vorgefunden, mit Haupthaar sowie dem Schwarzen Adlerorden auf der Brust. Menzel sagte sofort: „Das ist Keith, den erkenne ich an der Ähnlichkeit!“

Mehrfach muss der Künstler in jenem Jahr die Kellertreppe, die von der Seite der Predigerhäuser zum Gewölbe führte, hinab gestiegen sein. An den geöffneten Särgen fertigte er Bleistift-Studien von Leichen und Uniformen, die sich in der Gruft über mehr als ein Jahrhundert zum Teil völlig erhalten hatten.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Garnisonkirche wieder stärker in das öffentliche Leben getreten. Garnisonprediger Friedrich Adolph Strauß, von 1858 bis 1869 im Amt, konnte in der Kirche wiederholt Mitglieder der königlichen Familie begrüßen. Den Dankgottesdiensten nach den Kriegen Preußens gegen Dänemark und Österreich wohnte Wilhelm I. persönlich bei. Beginnend in den dreißiger Jahren, erwies sich die Garnisonkirche wegen ihrer Orgel und Akustik als begehrte Bühne für Musiker aus Berlin und anderen deutschen Städten.

Garnisonprediger Emil Frommel (1828-1896) war Sohn des Direktors der großherzoglich-badischen Galerie in Karlsruhe. Als Student der Theologie nimmt Frommel an den revolutionären Ereignissen 1848 als Burschenschaftler teil, distanziert sich aber im Herbst von der Bewegung. Auf Empfehlung eines Freundes wird Frommel als Prediger der Gardedivision nach Berlin geholt. Im Februar 1870 bezieht er das Garnisonpfarrhaus in der Neuen Friedrichstraße. Im Juli gingen die Gardedivisionen ins Feld. Nach dem Sieg bei Wörth drängte auch Frommel die Vorgesetzten, ihn an die Front zu schicken. Er wird Soldat, geht an die Front ins Elsaß. Nach der Kapitulation Straßburgs hält er den Gedenkgottesdienst in der Thomaskirche. Auf eigenen Wunsch bleibt er in Straßburg und wird zum Garnisonpfarrer von Straßburg ernannt. Frommel, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz, hielt im Juni 1871die Predigt beim Dankgottesdienst in Anwesenheit des Kaisers in der Garnisonkirche. 1871 ist Kirchentag in der Garnisonkirche: die Oktober-Konferenz. Frommel kam am ersten Tag zu Wort, auf besonderen Wunsch des Kaisers. Unter Frommel erlebt die Garnisonkirche ab 1872 einen Besucherzuwachs, besonders von Seiten der Offiziersfamilien der Garnison.

Auch zu Kaiser Wilhelm II. sind die Beziehungen Frommels eng. 1890 nimmt er auf Weisung des Kaisers als Komittee-Mitglied an der Reichs-Schulkonferenz teil, einberufen zur Bekämpfung des Sozialismus und der Reste der humanistischen Bildung, und ist dort einer der härtesten Verfechter des nationalen Gedankens und einer „Reform“ des Schulsystems.

Als „Volksschriftsteller“ wird Emil Frommel bekannt und berühmt, seine Themen sind die Kriegserlebnisse und das einfache, bescheidene Leben, die Abkehr von Utopien, das Sich-Abfinden mit den Bedingungen des Alltags. Sein Wunsch war es gewesen, auf dem Garnisonfriedhof ein Kruzifix gesetzt zu bekommen. Der Leipziger Bildhauer Trebst führte es in Carrara-Marmor aus.

Die Kirche im Jahre 1896

Am Abend des 13. April 1908 gegen 8 Uhr bricht Feuer in der Garnisonkirche aus. Der Brand war in der Nähe der Orgel ausgebrochen und hatte das gesamte Kircheninnere oberhalb der Emporen erfasst. Die alte Kanzel, der Taufstein und einzelne Altargeräte konnten den Flammen noch entrissen werden, ebenso das an Urkunden und Akten reiche Archiv der Kirche. Dagegen konnten das große Altarbild, die Bilder Rodes, die Fahnen und die Orgel nicht gerettet werden. Obwohl 1896 eine zweite evangelische Berliner Garnisonkirche am Südstern gebaut worden war, ordnete Wilhelm II. den unverzüglichen und orginalgetreuen Wiederaufbau der Alten Berliner Garnisonkirche an. Nur das Dach hatte jetzt eine Mansardenform erhalten. Am 29. August 1909 wurde der Neubau in Gegenwart des Kaisers feierlich eingeweiht.

 Der Zusammenbruch des Kaiserreiches blieb für die Berliner Garnisonkirche nicht ohne Folgen. Nun war die Garnison aufgelöst und damit wohl auch deren Gemeinde. Einen Patron hatte die Garnisonkirche auch nicht mehr. Deren Status und Rechtsverhältnisse als vormalige königliche Stiftung erwiesen sich im republikanischen System als äußerst kompliziert. Unter der Obhut des Reichswehrministeriums stehend, wurde die Kirche vom Garnison-Kirchen-Kollegium verwaltet. Von 1919 bis 1933/34 gehörte diesem der Feldpropst der Armee und der Marine, D. Friedrich Gottlob Erich Schlegel, an. Nach 1919, als in der Kirche kurzzeitig Kinovorführungen stattgefunden hatten, stand sie während der Weimarer Republik vor allem Traditionsverbänden der Reichswehr zur Verfügung.

Bis 1936 scheint sich eine Regelung der unklaren Rechtsverhältnisse hingezögert zu haben. Dann bemühte sich die Wehrmacht um das Patronat. Sie betrachtete sich als rechtmäßiger Nachfolger, da das Vermögen der einstigen königlichen Stiftung nicht nur aus Schenkungen Friedrich Wilhelms I., sondern auch aus Spenden von Heeresangehörigen erwachsen war. Trotz aller rechtlichen Unklarheiten erlebte das Gotteshaus weiterhin seinen kirchlichen Alltag. Bis in das Jahr 1943 geben die Kirchenbücher Auskunft. Am 21. November soll das Kirchengebäude seinen letzten Gottesdienst erlebt haben, bevor es am 23. November 1943 von einer Bombe getroffen zur Ruine ausbrannte.

DAS ENDE DER BERLINER GARNISONKIRCHE

Im Trümmerfeld Berlin war die zerstörte Garnisonkirche nur eine Ruine unter tausenden. So wurde es still um die Kirche. Im Herbst 1947 berichteten Zeitungen über Plünderungen in den Grüften. Man sei in die offenen Gewölbe eingestiegen, habe nach Wertsachen gesucht, sich am Holz der Särge bedient, die Sohlen der Militärstiefel abgetrennt.

Nachdem die Eingänge daraufhin verschlossen wurden, 1949 sich aber ähnliche Vorgänge wiederholt hatten, entschlossen sich Magistrat und Synodalverband, eine Umbettung der Toten vorzunehmen. 199 Särge wurden zu diesem Zeitpunkt in der Kirche gezählt. Die Reste der Toten wurden zum Stadtsynodal-Friedhof in Stahnsdorf überführt und dort in würdiger Weise bestattet. Es schien schwer zu sein, für das große und stark zerstörte Gebäude der Kirche in der Nachkriegszeit einen Nutzer zu finden. Die zuständige Groß-Berliner Grundstücksverwaltungs-AG, die im Auftrag der Deutschen Treuhandverwaltung arbeitete, versuchte dies erfolglos. Schon 1949 wurde deshalb erwogen, die Ruine zu sprengen – ohne dass diese Pläne ausgeführt wurden.

Erst Ende 1960 kam ein Abriss wieder ins Gespräch. Pro und Kontra standen sich gegenüber: Einerseits stellte die Ruine eine Gefahrenquelle dar, und ein baldiger Aufbau war nicht in Sicht, andererseits gebot der kulturgeschichtliche Wert der Kirche ihre Erhaltung. 1962 wurde die Ruine abgetragen, ungeachtet des Denkmalcharakters der Kirche.

Ein Verzeichnis der in den Grüften der Berliner Garnisonkirche zwischen 1703 und 1829 beigesetzten Personen ist beim Vorstand des Fördervereins Alter Berliner Garnisonfriedhof e.V.  erhältlich, ein Auszug aus dieser Liste ist nachzulesen in der Publikation „Der Adler weicht der Sonne nicht – 300 Jahre Berliner Garnisonkirche“ von Barbara Kündiger und Dieter Weigert, Berlin

Der Friedhof an der Linienstraße

In Berlin gehörte rund zweieinhalb Jahrhunderte die Alte Garnisonkirche zum Stadtbild. Heute sucht man sie jedoch vergeblich – sie ist verschwunden. 1701 bis 1703 erbaut, war sie die erste Garnisonkirche Preußens. Im zweiten Weltkrieg zerstört, wurden ihre Überreste 1961 abgetragen.
Der Alte Garnisonfriedhof im Bezirk Mitte ist der älteste Militärfriedhof Berlins. Sein Anfang fällt mit der Gründung Preußens zusammen. Die Auflösung Preußens 1947 markiert sein Ende.
Der Spannungsbogen von Schicksalen, wie er an den Grabsteinen ablesbar ist, umfasst den preußischen Generalfeldmarschall, der im Verdacht steht, in seiner Jugend Sympathien für die französische Revolution gehegt zu haben, über die Offiziere aus den Kriegen gegen das Napoleonische Frankreich von 1813/15  bis zur Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Aber auch vom dichtenden „Don Quichote der Romantik“ hugenottischer Herkunft über den adligen Volksschriftsteller bis zum Mitbegründer der Ägyptologie in Berlin spannt sich dieser Bogen Berlin-brandenburgischer Kulturgeschichte.Die Berliner Bildhauerschule im 19. Jahrhundert und die aus ihr hervorgegangenen hier vertretenen Grabdenkmale haben diesen Friedhof zu einem Kleinod unter den historischen Friedhöfen Berlins werden lassen. Grabdenkmale nach Entwürfen Karl Friedrich Schinkels, David Gillys, Friedrich Tiecks, Ludwig Wichmanns, August Sollers finden sich auf diesem Friedhof, hergestellt zur Blütezeit des Berliner Eisenkunstgusses in den Werkstätten der Kgl. Eisengießerei.

Grabstein Holtzendorff – nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel, 1829

DIE ENTSTEHUNG DER GARNISONFRIEDHÖFE

 AN DER LINIENSTRASSE

Die „Alten Berliner Garnisonfriedhöfe“ entstanden zwischen 1701 und 1706 gleich zu Beginn der Anlage der Spandauer Vorstadt. Sie wurden auf dem Gelände des Mittelmarktes bzw. der sogenannten „Stadtfreiheit“, also außerhalb der alten Stadtbefestigung, angelegt. Von Anfang an wurde das Friedhofsgelände von der Laufgasse (Gormannstraße), durchzogen. Auf dem östlichen Teil erfolgte die Beisetzung der Gemeinen und auf dem westlichen Teil die der Offiziere und ihrer Angehörigen.

Die nördliche Grenze der Friedhöfe entstand im Jahre 1705. Vom Alten Spandauer Heerweg, heute die Oranienburger Straße, wurde in östlicher Richtung bis zur Großen Frankfurter Straße eine Circumvalationslinie abgesteckt, hinter der bald die neue Stadtmauer wuchs. Der damit entstandene Straßenzug trug gleich den Namen „Linie“, es ist seit 1821 offiziell die Linienstraße.

Das äußere Bild beider Friedhöfe verdeutlichte auch die unterschiedliche Belegung. Während es auf dem Gemeinenfriedhof nur Reihengräber gab und Zeitzeugen von einem „Belegungschaos“ sprachen, bestanden auf dem Offiziersfriedhof fast ausschließlich Erbbegräbnisplätze.

Der Offiziersfriedhof (O.) und der Gemeinenfriedhof (G.)

in der ersten Jahrzehnten ihres Bestehens –

erkennbar sind die ursprünglichen Namen der Strassen und Gassen der

Spandauer Vorstadt

DIE FRIEDHÖFE IM 18. UND 19. JAHRHUNDERT

Nachdem 1705 die Linienstraße angelegt worden war, wurde fortan von den „neuen Friedhöfen in der Linienstraße“ gesprochen. „Neu“- als im Sinne nicht mehr auf dem Friedhof des Heiliggeist-Hospitals. Aus den Auswertungen der Sterberegister und Kirchenbücher geht hervor, dass der Offiziersfriedhof im 18. Jahrhundert ein Schattendasein geführt haben muss. Die bedeutenden Beisetzungen fanden in den Grüften der Kirche statt. Nur ärmere Familien ließen ihre verstorbenen Angehörigen auf den Friedhöfen beerdigen.

Mit dem Preußischen Landrecht von 1794 wurde der Garnisonfriedhof aus seiner anfänglichen Bedeutungslosigkeit herausgerückt. Erst in seiner Folge entwickelte sich der Friedhof zu einer personal- und kunstgeschichtlich bedeutungsvollen Anlage. Vornehmlich betraf dies den heute noch erhaltenen Offiziersfriedhof, aber auch der Soldatenfriedhof erfuhr hierdurch eine Aufwertung. Das Preußische Landrecht legte u.a. fest: „…in den Kirchen und in bewohnten Gegenden der Städte sollen keine Leichen beerdigt werden“.

Der Garnisonfriedhof wurde über Berlin hinaus bekannt, als führende Offiziere um Adolph von Lützow nach 1815 hier ihre letzte Ruhe fanden. Das Grab des legendären Führers der „schwarzen Freischar“, Adolph von Lützow (1782 – 1834), ist durch zwei Gedenksteine gekennzeichnet, einer davon gewidmet von den Waffengefährten.

Auf dem Friedhof sind Offiziere dieser für Preußen ruhmreichen Periode beigesetzt, so Peter von Colomb, C. F. von dem Knesebeck, K. F. von Holtzendorff, F. de la Motte Fouqué, Carl Andreas von Boguslawski, K. G. von Loebell, E. L. von Tippelskirch, Leopold von Lützow, K. L. H. L. von Borstell.

Mitte des 19. Jahrhunderts war offensichtlich geworden, daß die nunmehrige Innenstadt-Lage des Friedhofs eine weitere Nutzung in Frage stellte. So kam es 1860 in der Hasenheide und im Wedding zur Gründung neuer Garnisonfriedhöfe. Nachdem noch Gefallene des Krieges von 1866 auf dem Gemeinenfriedhof beigesetzt worden waren, wurde der Friedhof 1867 geschlossen. In der Folge wurde das Gelände zur Naherholung genutzt. Die Flächen wurden bis 1890 als Laubenparzellen verpachtet, danach als Bauland verkauft.

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Die Grabanlage des Generals von Brauchitsch, eine Eisenguß-Stele
nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel,
auf einem Foto vor 1939

DER OFFIZIERSFRIEDHOF IM 20. JAHRHUNDERT

Der Offiziersfriedhof diente weiterhin als Begräbnisplatz. Zuletzt natürlich nicht mehr in seiner ursprünglichen Bedeutung als Friedhof einer Berliner Garnison. Die evangelische Garnisongemeinde war nie eine reine Parochial-, sondern immer eine Personalgemeinde, der die in Berlin ansässigen Militärs oder ehemalige Militärangehörige angehörten. In diesem Sinne als Gemeindefriedhof ist der „Offizierskirchhof“, wie er auch genannt wurde, bis zum Jahre 1945 genutzt worden, auch zur Umbettung der in den Weltkriegen Gefallenen. An der Ostseite war eine Kapelle im Ziegelbau aus dem Ende des 19. Jahrhunderts vorhanden.

Das noch bestehende Verwaltungsgebäude ist ein Putzbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Verstorbenen wurden auf dem Friedhof überwiegend erdbestattet, vereinzelt waren Familiengrüfte angelegt worden. Die Grabstellen waren oftmals mit wertvollen Gitteranlagen umgeben. Um die Jahrhundertwende waren entlang der östlichen Begrenzungsmauer zusätzlich vereinzelte Mausoleen errichtet worden. Der Offiziersfriedhof blieb in dieser Gestaltung bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges erhalten und befand sich in einem guten äußeren Zustand.

Der Offiziersfriedhof um 1976

An einen der traurigsten Abschnitte deutscher Geschichte gemahnen die Massengräber auf dem früheren Feld VI für die Opfer aus den letzten Tagen des II. Weltkrieges.

Ein Verzeichnis der auf diesem Gräberfeld beigesetzten Toten aus dieser Zeit ist als Liste des Deutschen Roten Kreuzes vorhanden. Andere Quellen sprechen von mehr als 1 000 beigesetzten Kriegsopfern, die während der Kampfhandlungen um die Befreiung Berlins in den umliegenden Straßen umgekommen waren und nach zum Teil nur provisorischen Beisetzungen hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Der Kreis der Geschichte schließt sich; mit diesen Massengräbern endet ein Abschnitt deutscher Militärgeschichte, der etwa zeitgleich mit der Gründung dieses Alten Berliner Garnisonfriedhofs begonnen hatte. Das gemeinsame Schicksal dieser Opfer, ihre Gräber lassen diesen Teil des Friedhofs besonders bedeutungsvoll erscheinen.

Heute finden sich auf den Grabstellen oder in den Beisetzungsregistern Namen altpreußischer Geschlechter, deren Nachfahren dann im Widerstandskampf gegen den Nationalsozialismus, für Freiheit und Recht ihr Leben eingesetzt und verloren haben. Damit schließt sich auch hier wiederum der Kreis der Geschichte. In diesem Zusammenhang sind auf dem Friedhof noch heute auffindbar Namen wie Herwarth von Bittenfeld, von der Schulenburg, von Stülpnagel.

In den Begräbnisregistern finden sich aus früher Zeit die Namen von Treskow, von Schlabrendorf, von Seydlitz, von Witzleben, von Wartenberg, von Moltke, von Gersdorff.

Auch Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fanden ihre letzte Ruhe auf diesem Friedhof, wie der im KZ Buchenwald 1941 zu Tode gefolterte Dr. Wilhelm von Braun, dessen Grab nicht mehr aufzufinden ist und die polnische Widerstandskämpferin Sonia Horn.

In Einzelfällen wurden während des II. Weltkrieges gefallene Offiziere und Soldaten, z.T. mit militärischen Ehren, beigesetzt oder einzelne gefallene Soldaten auch unmittelbar nach den Kämpfen Anfang Mai in Einzelgräbern bestattet, wie der 18-jährige Toni Feller. Toni Feller ist am 18. Februar 1927 in Weilburg/Lahn, Kreis Oberlahn geboren. Aufgewachsen ist er in Arfurt/Lahn, wo er bis 1942 seinen Wohnsitz hatte. Seine Eltern waren Simon und Katharina Feller. Ab 1942 lernte er an der Fliegertechnischen Vorschule in Oschersleben/Bode. Im Herbst 1944 erhielt Feller – 17jährig – seine Beorderung zum Deutschen Volkssturm.

Mit Ausnahme von zwei Mitschülern wurden alle Militärschüler aus Oschersleben in einer Pionierkompanie zusammengefaßt. Nach dreiwöchiger Ausbildung kam der erste Einsatz in Jüterbog. Gleich am ersten Tag wurde der Zug von Feller eingeschlossen. Unter Verlust des Zugführers und eines Drittels der Kompanie konnte der Rest sich zurückziehen. In Marienfelde wurden sie von russischen Panzern überrollt. Die übriggebliebenen zehn Mann gingen nach

Berlin und wurden einer neuen Kompanie zugeteilt. Den nächtlichen Bombenhagel überlebten von der Kompanie nur Toni Feller und Richard Noll, ebenfalls ein Mitschüler aus Oschersleben. Der nächste Einsatzort war das Regierungsviertel. Zwei Tage vor der Kapitulation Berlins verliert sich die Spur von Toni Feller. Nach vorhandenen Unterlagen ist er am 1. Mai am Dönhoffplatz gefallen. Sein Grab ist erhalten.

Dr. Wilhelm von Braun

Zum Schicksal des Dr. Wilhelm von Braun siehe www.biographien offiziere preußen – garnisonfriedhofberlin.de

DER OFFIZIERSFRIEDHOF NACH 1945

Der jeweilige Zustand und die Metamorphose des Friedhofareals seit dem Ende des II. Weltkrieges ist vor den sich verändernden politischen Verhältnissen im Ostteil Berlins und in der Relevanz der Entwicklung der Spandauer Vorstadt zu sehen, die, obwohl im Stadtzentrum gelegen, jahrzehntelang aus den bauplanerischen und denkmalpflegerischen Konzepten gestrichen wurde.

Die Grabanlagen waren von den Bombenangriffen weitestgehend verschont geblieben. April/Mai 1945 wurden über 1.000 Kriegsopfer in Massengräbern beigesetzt. Danach stand der Alte Garnisonfriedhof als Militäreinrichtung unter alliierter Aufsicht, folgend ohne wesentliches öffentliches Interesse – in keinem Stadtführer erwähnt.

Auffallend für die 50/60er Jahre war der ständige Verfall der Anlage. Mausoleen stürzten ein bzw. wurden eingeebnet; Eisenkunstgitter, Grabsteine und die Kapelle verschwanden.

Der Stadtbezirk Mitte verfügte schließlich die Schließung des Garnisonfriedhofes als Begräbnisstätte. Das Jahr 1978 war für die historische Friedhofsanlage von Bedeutung, da die Friedhofsordnung für Ost-Berlin auf dem Begräbnisplatz einen pflegeleichten, allen Traditionen widersprechenden, „Wohngebietspark“ vorsah. Die in den 80er Jahren, nach dem Verfall und Abriss ganzer Häuserreihen, errichteten Plattenbauten, z. B. auf der anliegenden Linienstraße, tangieren zumindest diese Absicht.

Die dem internationalen Trend folgende parkartige Umgestaltung und Einebnung des Areals, der über 300 der noch vorhandenen 489 Grabdenkmäler zum Opfer fielen, charakterisierte der „Sonntag“, das kulturpolitische Wochenblatt der DDR, als kulturgeschichtlich nicht reparable „Bulldozer“-Aktion der Obrigkeit.

Zu den massiven Abräumungen kam die vollständige Beseitigung der bisher vorhandenen Wege und Feldeinteilungen. Rasenflächen wurden angelegt. Erhalten und teilweise gepflegt sowie später restauriert blieben vor allem einige Grabstätten, die der damaligen sich ändernden Preußen-Geschichtsbeschreibung der DDR nutzbar gemacht werden konnten wie Adolph von Lützow, Freiherr de la Motte Fouqué und von Brauchitsch. Durch das Engagement von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Kulturbundes, die sich in einer Interessengemeinschaft zusammenfanden, wurden neben denkmalpflegerischen Arbeiten „vor Ort“ seit Anfang der 80er Jahre auch dokumentarische und kulturhistorische Aktivitäten zum Erhalt der Friedhofsanlage geleistet, die für erste Rekonstruktions- und Konservierungsmaßnahmen dominant waren. Der Friedhof und einzelne Grabstätten wurden unter Denkmalschutz gestellt.

Seit 1991 unterstand der Friedhof der Aufsicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, seit 1995 dem Naturschutz- und Grünflächenamt Mitte.

Der „Förderverein Alter Berliner Garnisonfriedhof e. V.“ bemüht sich seit 1993 um Öffentlichkeitsarbeit, um die Erschließung zusätzlicher finanzieller Quellen im privaten und öffentlichen Bereich für Restaurierung und Konservierung der Grabmale.

BEDEUTENDE PERSÖNLICHKEITEN

Der erste bisher bekannte urkundliche Beleg für eine Grabstelle auf dem Friedhof  gilt einem Kinde: Christian Tettschlag ist am 3. Januar im Jahre 1706 auf dem „neuen Garnison-Kirchhofe“ begraben worden.
Die letzte Beisetzung für Olga Görler fand statt im Jahre 1961 auf einer Wahlstelle aus dem Jahre 1949. Ein Gang über den heutigen Friedhof ruft Assoziationen vor allem zu zwei Abschnitten deutscher Geschichte hervor:
1. Der Zeitabschnitt der napoleonischen Kriege in den Jahren 1806-1815, insbesondere aber die Zeit der Befreiungskriege 1813/15. Eine Reihe von Zeitzeugen dieser Ereignisse, als geistige Vorbereiter und Initiatoren oder als aktive Teilnehmer der Befreiungskriege bekanntgeworden, sind auf dem Friedhof beigesetzt. Hierzu gehören Namen wie von Boguslawski, von dem Knesebeck, von Holtzendorff, von Lützow, von Colomb, de la Motte Fouqué, Herwarth von Bittenfeld.
2. Der Zeitabschnitt des II. Weltkrieges. Direkt zählen hierzu die teils namenlosen, in den Massengräbern beigesetzten Opfer aus den letzten Tagen des Krieges, insbesondere gehören hierzu das Grab der jungen polnischen Widerstandskämpferin Sonia Horn und die nicht mehr vorhandene Grabstelle des im KZ Buchenwald 1942 ermordeten Juristen Dr. von Braun.

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(In der folgenden Auflistung kennzeichnen die rot unterlegten Namen Personen, die in der Berliner Garnisonkirche beigesetzt wurden.)

Franz Heinrich von Barfuß

1740 – 1796

Die Grabstelle ist die älteste, heute auf dem Friedhof noch vorhandene und exakt nachweisbare Begräbnisstätte. Im Sterberegister findet sich die für den Stil der damaligen Zeit typische Eintragung: Major im hochlöbl. Infantrie Regiment v. Kunheim, alt 55 J. gebürtig aus der Mittel-Marck, luth, Religion, hinterläßt angeblich 1 Frau Gemahlin, 1 Sohn und 2 Töchter, sind alle minorenne, wohnhaft vor dem Königstor in der … Ekke … gerade der Zuckersiederei Stüler, gestorben in der Nacht vom 10. auf den 11. Nov. an den Schlag-Fluß beerd. 14.11. auf unserem Garnison- Kirchhof. Das Grab liegt im Feld VI.

Friedrich Adolf Ludwig von Bismarck

(1766-1830, beigesetzt am 15.4. auf dem Berliner Offiziersfriedhof an der Linienstraße), Generalleutnant, Sohn des Rittmeisters Karl Alexander v. B. aus Schönhausen, 1779 Fahnenjunker im Kürassierregiment 7, 1786 Kornett, 1790 Sekondeleutnant, Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich (Valmy) 1792/95, 1793 Premierleutnant, 1798 Stabsrittmeister beim Regiment Garde du Corps (KüR 13), 1801 Major, 1809 Kommandeur des
brandenburgischen Kürassierregiments, 1810 Roter Adlerorden, 1813 Generalmajor, 1814 Kommandeur von Leipzig, 1816 Generalleutnant

Johann Eberhard Ernst Herwarth von Bittenfeldt

Generalmajor, geboren am 16.12.1753, gestorben am 27.1.1833. Er war Kgl. preußischer Generalmajor, Teilnehmer an den Antinapoleonischen Kriegen und Inspekteur der Garnison- und Reservebataillone zwischen Oder und Weichsel. Sein Ururenkel wird im 20. Jahrhundert zum Kreis der Widerstandskämpfer des 20. Juli gehören. Ab 1773 war H.v.B. Fähnrich, dann Offizier im Infanterie-Regiment Herzog von Braunschweig, dessen Teilnahme am Feldzug gegen die französische Republik Goethe eindrucksvoll in der „Campagne in Frankreich“ beschrieb.

Albert von Boguslawski

Geboren am 24.12.1834, gestorben am 7.9.1905, Generalleutnant, Enkel des K. A. von Boguslawski. Er war ein bekannter Militärschriftsteller und setzte sich für eine zwei- statt dreijährige Dienstzeit ein. In seinem Buch „Armee und Volk 1806“ versucht er nachzuweisen, daß nicht die Armee, sondern hauptsächlich die Zauderpolitik den Zusammenbruch Preußens verursacht hatte. Sein Grab befindet sich im Feld IV, zusammen mit seiner Ehefrau Camilla.

Karl Andreas von Boguslawski

Geboren am 19.9.1758, gestorben am 21.9.1817, Kgl. Preußischer Generalmajor. Er wirkte an der Seite Scharnhorsts an der Neugestaltung der preußischen Armee mit und war Leiter der Kriegsschule. Schriftstellerische Betätigung führte ihn u.a. zur Übersetzung von Vergils „Landbau“ in Versen.

Karl Leopold Heinrich Ludwig von Borstell

General der Kavallerie, Mitglied der Preußischen Staatsrats. Geboren am 30.12.1773, gestorben am 9.5.1844. Er war ein verdienter preußischer Offizier während der Befreiungskriege und ohne Frage ein entschiedener Patriot und ein Original im preußischen Offizierscorps, er zeichnete sich durch eigenwillige Entscheidungen aus. Seine Grabanlage ist nicht mehr vorhanden, die Stadt Berlin hat ihrem Ehrenbürger im Feld II einen Gedenkstein gewidmet.

Ludwig Matthias Nathanael Gottlieb von Brauchitsch

Geboren am 7.5.1757, gestorben am 19.1.1827. Als Kgl. Preußischer Generalleutnant war er vom Jahre 1808 bis zu seinem Tode Kommandant, ab 1820 auch Gouverneur von Berlin. Damit war er auch Dienstherr der Garnisongemeinde. Sein Grabmal (Schinkel-Schule) gilt aus kunstgeschichtlicher Sicht als das bekannteste auf diesem Friedhof. Das Grab befindet sich im Feld IV

Historsche Aufnahme der Grabstele von Brauchitsch

General von Brauchitsch

Ernst Sigismund von Boyen

Geboren am 27.7.1726, gestorben am 12.6.1806, Kgl. Preußischer General der Kavallerie, Onkel des Generalfeldmarschalls und preußischen Kriegsministers Leopold Herrmann Ludwig von Boyen (1771-1848). Das Grab befindet sich im Feld VI.

Christoph Heinrich Gottlob von Braun

General der Infanterie (1714-1798, beigesetzt im Gouverneursgewölbe der Berliner Garnisonkirche) als Fähnrich in anhaltinischen, ab 1735 als Leutnant in preußischen Diensten

(IR 27). 1746 Kompaniechef, 1767 Oberst und Kommandeur des IR 27, 1774 Chef des IR 13, 1777 Generalmajor, 1781 Kommandant von Berlin, 1784 Ritter des Schwarzen Adler-Ordens

Dr. Wilhelm von Braun

1883-1941, antifaschistischer Jurist, ermordet im KZ Buchenwald. Seine Urne befand sich in der Familiengruft von Braun/von Gersdorf (Feld IV), die nicht mehr vorhanden ist.

28. August 2011

Rede des Vorsitzenden des Fördervereins Alter Berliner Garnisonfriedhof,Dr. Dieter Weigert, zum Gedenken an

Dr. Wilhelm von Braun, ermordet am 29. August 1941 im Konzentrationslager Buchenwald

Das Schicksal des königlich-preußischen Hauptmanns Dr. Wilhelm von Braun

Gedenken an Dr. Wilhelm von Braun

Wir gedenken heute eines Mannes, dessen Lebens- und Leidensweg mehrfach die überkommenen Konventionen, die Standesnormen des königlich-preußischen Offiziers und Juristen des 19. /20. Jahrhunderts durchbricht.

Der Platz auf dem Friedhof, an dem sich bis etwa 1979 die Grabdenkmale der Eltern des Dr. Wilhelm von Braun befanden

Das traditionelle Leitbild, wie es die Knesebecks, Brauchitschs, Holzendorffs, Lützows hier auf diesem Berliner Offizierskirchhof an der Linienstraße verkörpern, wird durch die vier Eckpunkte bestimmt:

erstens Offizier oder preußischer Beamter von der Wiege bis zur Bahre,

zweitens protestanisch,

drittens normgerechtes Familien- und Sexualverhalten,

viertens politisch neutral, passiv und loyal gegenüber der staatlichen Obrigkeit.

Grabanlage des Großvaters mütterlicherseits,

des Großindustriellen Friedrich Eduard Hoffmann,

auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof (Chausseestrasse)

in Berlin Mitte

Den ersten Ausbruch aus den Zwängen der Konvention versucht der Offizierssohn Wilhelm von Braun mit 21 Jahren. Hineingeboren 1883 in eine typisch märkische Offiziersfamilie – – Vater Regiments­kommandeur, einer der Ahnen sogar Stadtkommandant Berlins am Ende des 18. Jahrhunderts nimmt Wilhelm von Braun schon in jungen Jahren, kurz nach der Beförderung zum Artillerie-Leutnant im Jahre 1904, den Abschied, um sich der Wissenschaft und dem Jurastudium zu verschreiben. Er promoviert 1910 an der Universität Heidelberg zum Dr. der Jurisprudenz und promoviert nach Aussagen seines Neffen Ralph von Gersdorff (Brief an mich vom 2.Oktober 1995 und mündliche Aussage bei einem Besuch im Jahre 1996) zum Dr. der Theologie, was wir bisher aber nicht nachweisen können. Der erste Ausbruch muss unterbrochen werden, da ihn 1914 der Weltkrieg holt – an die Ostfront, die er zwar überlebt, und danach türkische Dienste. Braun beendet den Krieg in russischer Gefangenschaft.

Johann Georg Emil von Brause

(1774 – 1836, beigesetzt am 13.4. auf dem Alten Offizierskirchhof) Generalmajor, Kommandeur des Berliner Kadettenkorps 1817, Sohn eines preußischen Offiziers, 1788 Eintritt in die Académie militaire, 1794 Fähnrich im IR 18, 1796 Sekondeleutnant,

1805 Generaladjutant beim Generalmajor von Knobelsdorff, 1807 Stabskapitän, 1808 dem Generalstab zugeordnet, enge Zusammenarbeit mit den Obersten von Scharnhorst, von Massenbach. Als umfassend gebildeter Offizier setzte sich von Brause entschieden für grundlegende Veränderungen im System der Aus-und

Weiterbildung des preußischen Offizierskorps ein. Adjutant der Generäle von Blücher, von Bülow, 1811 Major, 1812 Orden Pour le mérite, 1813 Gouverneur des Prinzen Wilhelm, Adjutant beim General von L’Estocq, 1817 Roter Adlerorden, Kommandeur des Kadettenkoprs, 1818 Oberst, 1825 Generalmajor, 1834 Direktor der Allgemeinen Kriegsschule zu Berlin

Peter von Colomb

Geboren am 19.7.1775, gestorben am 12.11.1854. Er war hugenottischer Abstammung, verwandt mit der Mutter der Brüder Humboldt und ein Schwager Blüchers. Als Rittmeister und Kampfgefährte Lützows nahm er in den Jahren 1813/14 an den Napoleonischen Kriegen teil und zeichnete sich als Anführer einer Freischar aus. Er war zuletzt General der Kavallerie und ab 1841 Kommandant von Berlin. Sein Grab befindet sich im Feld VI.

Johann Wilhelm von Dittmar

(1725-1792, beigesetzt am 6.2. in der Berliner Garnisonkirche) Generalmajor,

1744 Eintritt in das Feldartilleriekorps, 1748 Sekondeleutnant, 1761 Kompaniechef und Stabskapitän,

1778 Oberstleutnant und Kommandeur des AR 3, 1782 Oberst, 1785 Chef AR 3, 1785 Chef AR 1 und Generalinspekteur Artillerie, 1786 Erhebung in den erblichen Adelsstand, 1788 Generalmajor, Direktor des 3. Departements im Oberkriegskollegium, Vater von 19 Kindern

Friedrich Albrecht Gotthilf Freiherr von Ende

Generalleutnant, geboren am 15.2. 1765, gestorben am 4.10. 1829.

Der Sohn eines Staatsministers des Kurfürsten von Hannover und Königs von England und einer Gräfin von der Schulenburg war nach dem Besuch der Kadettenanstalt Kavallerieoffizier im Dragoner-Regiment von Estorff. Mit 17 Jahren wurde er Leutnant, trat später in belgische Dienste und kämpfte in der belgischen aufständischen Armee 1790 gegen Österreich. In den hannoverschen Dienst als Rittmeister und Oberadjutant zurückgekehrt, nahm er an den Feldzügen gegen Frankreich 1792/1794 teil, erlitt beim Sturm auf Frankfurt/Main eine Verwundung und erhielt im Dezember 1792 den Orden Pour le Mérite.

1798 zum Major befördert, bemühte er sich um die Aufnahme in die preußische Armee, die aber trotz energischer Fürsprache Scharnhorsts beim preußischen König erst 1803 erfolgte.

Als Major im Berliner Regiment Garde du Corps war Major von Ende aktiver Teilnehmer der Bildungs- und Strukturreform-Versuche in der preußischen Armee zwischen 1803 und 1806, er war Mitglied in der von Scharnhorst geführten „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“ und stand in engem Kontakt zu jungen reformfreudigen Offizieren wie Clausewitz, Rühle von Lilienstern, Boyen und Knesebeck. Die Niederlage in der Schlacht bei Auerstedt am 14. Oktober 1806 und den Zusammenbruch von Armee und Staat Preußens erlebte von Ende als Eskadronchef im Dragonerregiment Nr. 1 König von Bayern. Mit Erlaubnis Scharnhorsts und des Königs scheidet von Ende 1808 aus der preußischen Armee aus und wird am Hofe des Herzogs von Weimar Hofmarschall der Großfürstin Maria Pawlowna, wirkt in dieser Position zusammen mit anderen preußischen Offizieren wie Rühle von Lilienstern und von Müffling konspirativ gegen die französische Besetzung. Sowohl in den Briefsammlungen Goethes als auch des Herzogs Karl August von Weimar sind wertvolle Zeugnisse der Tätigkeit von Endes zu finden, insbesondere über den Gedankenaustausch zu mathematischen und naturwissenschaftlichen Themen.

Mit dem Ausbruch des Krieges 1813 kehrt von Ende in das preußische Heer zurück, wird Generalstabsoffizier bei Blücher, ab 1814 bei Yorck. Den Rang eines Obersten erhält er 1814, den eines Generalmajors 1815, gleichzeitig wird er Kommandant und Landwehrinspekteur von Köln. 1825 wird er als Generalleutnant in den Ruhestand versetzt.

Am 4. Oktober 1829 starb General von Ende in Berlin, sein Grab befindet sich auf dem Alten Garnisonfriedhof, die Grabstelle liegt im ehemaligen Nordfeld, heute Feld I. Das Grabmal ist nicht mehr vorhanden.

Hinweise auf die Beisetzung von Endes auf dem Garnisonfriedhof ergaben sich vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Recherchen zu den Mitgliedern der „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“ in den Beisetzungslisten der Berliner Garnison.

Leider ist es bisher nicht gelungen, ein Porträt des Generals von Ende zu entdecken.

Friedrich Heinrich Carl Baron de la Motte Fouqué

Geb. am 12.02.1777, gestorben am 23.01.1843. Er entstammte einer adligen hugenottischen Emigrantenfamilie. Der Großvater war General unter Friedrich II. Fouqué war ab 1794 acht Jahre im aktiven Militärdienst. 1813 meldete er sich für die freiwilligen Verbände gegen Napoleon. Ende 1813 quittierte er den Dienst aus gesundheitlichen Gründen. Zu seinem militärischen Freundeskreis zählten u.a. von Gneisenau, von Valentini und von dem Knesebeck.

Im Januar 1803 heiratete Fouqué Karoline Rochow, geborene von Briest. Wohnsitz war nun für etwa 30 Jahre Schloß Nennhausen. Fouqué arbeitete als Schriftsteller und Herausgeber. Nennhausen wurde Treffpunkt für einen literarischen Freundeskreis. Von der Vielzahl romantischer Dichtungen ist das bis in die Gegenwart bekannteste Werk „Undine“. Dieses 1811 entstandene Kunstmärchen wurde von E.T.A. Hoffmann und A. Lortzing vertont. H.W. Henze erarbeitete daraus ein Ballett.

Das Grab befindet sich im Feld III.

Johann Friedrich Friedel

Von Johann Friedrich Friedel (1722-1793) war unter Fachleuten sicher, dass er als Mitarbeiter Knobelsdorffs seine Spuren im Park von Rheinsberg, beim Schlossbau von Zerbst, im Park von Sanssouci in Potsdam und in der Stadt Berlin hinterlassen hatte. Den Besuchern des Offizierskirchhofs der Berliner Garnison an der Linienstraße war sein Grabmal nur als “anonymer Urnenhügel” aufgefallen, da nur Lebensdaten, nicht aber Namen im Sockel eingemeißelt waren. Recherchen stellten die Verknüpfungen her – Friedel und seine Söhne Carl Friedrich und Johann Friedrich Julius Wilhelm verbergen sich hinten den Daten. Für den zweiten der königlichen Bauadjutanten in den Reihen der Berliner Garnisongemeinde hätte es doch mehr Gründe als für seinen Kollegen Richter gegeben, in der Kirche beigesetzt zu werden – angesichts seiner Verdienste um den Ausbau der Garnisonschule im Jahre 1785. Aber sein Grab befindet sich auf dem Kirchhof.

Emil Frommel

Geboren am 5.1.1828, gestorben am 9.11.1896. Er war der Sohn des Zeichners, Stahlstechers und späteren Direktors der Großherzoglichen Kunstgalerie in Karlsruhe, Karl Frommel. Seit 1869 war Emil Frommel Garnisonprediger und ab 1872 Hofprediger in Berlin. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde er zum Soldaten in seines Königs schwarzem Rock und zog mit ins Feld. Die reaktionäre Allianz von Thron und Altar, das Segnen von Fahnen und Standarten, fanden in ihm einen Verfechter. Gleichwohl verstand er es, seine Erlebnisse volkstümlich in Wort und Schrift festzuhalten. Dies brachte ihm das Attribut eines Volksschriftstellers ein. An seinem Wohnhaus in der Anna-Luisa Karsch-Strasse erinnert eine Tafel an sein Wirken. Sein Grab befindet sich im Feld IV.

Emil Frommel mit dem EK für Nichtkombattanten

Gero Erdmann Constantin von Gersdorff

Geboren am 10. Mai 1913 – Gestorben im Lazarett nach Fluzeugabsturz am 9.1. 1942, Neffe des im Familiengrab beigesetzten Hauptmanns Dr. Wilhelm von Braun. Rittmeister im 9. Kavallerieregiment, Mitverschwörer der Widerstandsgruppe Henning von Tresckow. Beigesetzt mit militärischen Ehren auf dem Garnisonfriedhof.

Levin von Geusau

(1734–1808)

Der spätere Chef des Generalstabs der preußischen Armee wurde als Sohn eines markgräflich badischen Landvogts im thüringischen Creutzburg (bei Eisenach) geboren, begann seine militärische Laufbahn mit 18 Jahren im Füsilierregiment Nr. 40 (von Kreytz) und nahm als Fähnrich, Sekondeleutnant und schließlich Kapitän und Stabsoffizier (Quartiermeistersleutnant) am Siebenjährigen Krieg teil. König Friedrich II. erkannte sehr früh die kartographischen und zeichnerischen Fähigkeiten des jungen Offiziers, beförderte ihn zum Major, kurz vor seinem Tode im Jahre 1786 zum Obersten und setzte ihn kontinuierlich zu Generalstabsarbeiten in seiner Suite ein.

Friedrich Wilhelm II. ernannte Geusau zu seinem Generaladjutanten, 1790 zum Generalmajor sowie zum Chef des Feldjägerkorps. Ab November 1790 versetzte ihn der König in das Ober-Kriegs-Direktorium und übertrug ihm die Leitung des Ersten Departements mit der Konsequenz des Ausscheidens aus dem aktiven Armee-Dienst. Schon 1796 wird Geusau reaktiviert, zum Generalleutnant befördert und zum Chef des preußischen Generalstabs (Generalquartiermeister) und Generalinspekteur sämtlicher Festungen ernannt. Auch das Ingenieurkorps wurde ihm unterstellt, so daß General von Geusau eine Fülle an strategischen Entscheidungen zu verantworten hatte – eine Situation, an der er besonders in den Jahren unmittelbar vor 1806 scheitern mußte. Diese Überforderung wurde schon 1792/94 sichtbar, als Geusau für die logistische Vorbereitung der Feldzüge gegen Frankreich und Polen zuständig war, diese Tätigkeit vorwiegend aus den Büros des Oberkriegskollegiums erfolgte und nach dem Urteil der Militärexperten wenig Kreativität aufwies.

Die offensichtlichen Schwächen der Stabsarbeit unter dem strategisch unbeweglichen und unter seinem Alter leidenden Geusau wurden durch Scharnhorst und seine reformfreudigen Mitarbeiter zwischen 1801 und 1806 zum Ausgangspunkt ihrer Bemühungen um grundlegende Veränderungen gemacht, ohne daß sie aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen des alten Preußens reale Möglichkeiten zur Umsetzung hatten.

General von Geusau hatte durch seine starre Haltung, durch sein Unvermögen zu einer realistischen Lagebeurteilung und vor allem durch seine Ablehnung der Vorschläge Scharnhorsts zu dringlichen Stabsaktivitäten noch im Sommer 1806 unmittelbar zu den verheerenden Niederlagen von Jena und Auerstedt beigetragen. Im Dezember 1806 zog er die Konsequenz für sein Versagen, beantragte seine Entlassung aus allen Dienststellungen und zog sich ins Privatleben zurück. Am 30. Dezember 1808 wurde von Geusau auf dem Offiziersfriedhof an der Linienstraße beigesetzt.

Karl Ludwig Bogislaw von Goetze

(1743-1806, beigesetzt am 18.Februar 1806 in der Berliner Garnisonkirche, Gouverneursgewölbe) Generalleutnant, Kommandant von Berlin

Der Sohn eines preußischen Generals begint seine militärische Laufbahn 1758 als Gefreiterkorporal im IR 36,

wird 1763 Leutnant und 1764 in den Generalquartiermeistersatb in die Nähe des Königs nach Potsdam versetzt.

1783 Kapitän und Kompaniechef im IR 4, 1787 Quartiermeisterleutnant, Orden Pour le mérite im Feldzug in Holland.

1789 zum Obersten befördert und als Militärberater in die Türkei entsandt.1793 zurück aus der Türkei, Teilnahme an den Feldzügen gegen Frankreich, 1794 Generalmajor, Roter Adlerorden, Chef des IR 18, Feldzug gegen den polnischen Aufstand, 1798 Kommandant von Berlin, 1800 Generalleutnant

Georg Goens

Geboren am 15.4.1859, gestorben am 26.7.1918. Er war Nachfolger Frommels im Garnisonpfarramt. Mit der „Geschichte der Königlichen Berlinischen Garnisonkirche“, erschienen 1897, hatte er sich um die Geschichte der Garnisongemeinde verdient gemacht. Sein Grab befindet sich im Feld IV.

Karl Franz Freiherr von der Goltz

1740-1804 , (beigesetzt 17.4. in der Gruft der Garnisonkirche) Generalleutnant, Geh. Staats- und Kriegsminister

1758 Kornett im Regiment Garde du Corps, 1762 Leutnant, 1770 Abschied, Eintritt in die polnische Armee, polnischer Generaladjutant, 1787 Rückkehr ins preußische Heer, Oberst der Kavallerie, Intendant im Oberkriegskollegium, 1789 in den Grafenstand erhoben, 1793 Generalmajor, 1794 Generalintendant, 1798 Generalleutnant, 1799 Kriegsminister, Direktor des 1. Departements des Oberkriegskollegiums, 1803 Roter Adlerorden,

Karl Ludwig Gontard

Preußischer Oberstleutnant, geboren am 30.7.1764, gestorben am 1.3.1839. Als Platzmajor übergab er im Jahre 1806 die Stadt Berlin den heranrückenden französischen Truppen. Umstritten blieb sein Verhalten. Er war ein Sohn des Baumeisters Carl Philipp Christian von Gontard (1731-1791). Ehrenbürger der Stadt Berlin. Seine Grabanlage ist nicht mehr vorhanden, die Stadt Berlin hat ihm einen Gedenkstein gewidmet.

Julius August Reinhold von Grawert

(1746 -1821) General von der Infanterie, Ritter des Ordens Pour le mérite (1789), Ritter des Ordens vom Schwarzen Adler (1810)

Eberhard von Hager

Generalleutnant (1723 – 1790) , beigesetzt in der Berliner Garnisonkirche

1742 Fähnrich im IR 22, 1757 Kompaniechef, 1768 Kommandeur des IR 22, Ritter des Ordens Pour le mérite, 1776 Oberst, 1783 Chef des IR 38, 1784 Generalmajor, 1790 Generalleutnant und Direktor des 1. Departements im Oberkriegskollegium

Karl Friedrich von Holtzendorff

Generalleutnant, Geboren am 17. August 1764, gestorben am 26.9.1828. Seine militärische Laufbahn begann er im Artillerieregiment I. Er war Teilnehmer des Feldzuges gegen den polnischen Aufstand von 1794 und der Feldzüge von 1806 und 1813/15 gegen Napoleon. Ab 1825 war Holtzendorff Generalinspekteur des preußischen Militärerziehungs- und Bildungswesens. Die künstlerisch hochwertige Bronzetafel an seinem Grabstein trägt die Inschrift: Dem General Lieutenant von Holtzendorff – die Offiziere der Artillerie MDCCCXXIX. Er befindet sich im Feld III.

Friedrich Adolf Graf von Kalckreuth

1737-1818, beigesetzt am 13.6. in der Garnisonkirche Berlin, General-Feld-Marschall und Gouverneur Berlins

Vater kursächsischer Major, 1752 Eintritt in die Armee im Garde du Corps als Standartenjunker, 1753 Kornett, 1757 Leutnant, 1758 Generaladjutant beim Prinzen Heinrich von Preußen, 1760 Rittmeister, 1762 Major, 1769 Eskadronchef im Dragonerregiment 8, 1775 Oberstleutnant, 1782 Oberst, Kommandeur Dragonerregiment Nr. 8, 1784 Chef des Kürassierregiments Nr. 7, 1785 Generalmajor, 1786 in den Grafenstand erhoben, 1788 Chef des Dragonerregiment Nr. 5, Generalinspekteur der west- und ostpreußischen Kavallerie, 1790 Generalleutnant, 1792 Roter Adlerorden, Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich 1792/95 (Mainz, Kaiserslautern), 1793 Schwarzer Adlerorden für Mainz (24.7.1793), 1795 Gouverneur von Danzg und Thorn, 1798 General von der Kavallerie, 1807 Verteidigung von Danzig gegen Napoleon, Orden Pour le mérite, Russ. Alexander-Newski-Orden, Schwedischer Schwert-Orden, Generalfeldmarschall, Gouverneur von Königsberg, Kommandierender General von Ostpreußen und Litauen, 1809 Gouverneur von Berlin, 1813 Gouverneur von Breslau, 1814 Berlin

Christoph Wilhelm von Kalckstein

1682-1759, beigesetzt in der Berliner Garnisonkirche, Feld-Marschall

1702 Eintritt in das hessen-kasselsche Grenadierregiment, 1704 Adjutant beim Erbprinzen von Kassel, 1709 Übertritt in die preußische Armee, eingestellt als Major IR 5, 1715 als Oberstleutnant zum IR 1 versetzt, 1718 Oberst, Gouverneur beim Kronprinzen Friedrich, 1723 Kommandeur IR 1, gleichzeitig Gouverneur beim Kronprinzen, 1729 Chef IR 25, Ende der Tätigkeit als Gouverneur, 1733 Generalmajor, 1736 Oberaufsicht Berliner Charité, 1741 Generalleutnant, Schwarzer Adlerorden für Brieg am 9.5., 1745 General von der Infanterie, Gouverneur von Glogau, 1747 Generalfeldmarschall

James von Keith, Feldmarschall

Geboren auf Schloss Inverugie (Schottland) am 11. Juni 1696, beteiligt am bewaffneten Aufstand der Anhänger der Stuarts gegen die englische Krone. Nach Mißlingen der Aktion mußte er nach Frankreich fliehen, trat in spanische Dienste, ab 1728 als General, später Feldmarschall in der russischen Armee. 1743 Botschafter Rußlands in Schweden, ab 1747 am Hofe Friedrichs II. In Potsdam. Der preußische König befördete ihn zum Feldmarschall, zeichnte ihn mit dem Schwarzen Adlerorden aus und ernannte ihn 1749 zum Gouverneuer der Festung Berlin.

 Am 14. Oktober 1758 in der Schlacht von Hochkirch gefallen, beigesetzt in den Grüften der Berliner Garnisonkirche. Die mumifizierte Leiche des Feldmarschalls wurde von Menzel 1873 in den Grüften der Garnisonkirche gezeichnet.

Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf Kleist von Nollendorf

1772-1823, beigesetzt am 20.2. in der Garnisonkirche, 1821 Ehrenbürger der Stadt Berlin, Sohn des Domdechanten Brandenburg/Havel Geheimer Rat Friedrich Conrad v.Kleist, Mutter eine geb. von Schwerin,

1775 Page am Hofe des Prinzen Heinrich, 1778 Fähnrich im IR 46, 1783 Sekondeleutnant, 1784 Adjutant, 1790 Generalstab, 1792 Kapitän, Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich 1792/95, 1792 Orden Pour le mérite, 1793 Inspektionsadjutant bei General von Möllendorff, 1795 Major, 1796 Aufnahme in den Johanniterorden, 1799 Bataillonskommandeur im IR 13, 1803 Generaladjutant (Infanterie) bei König Friedrich Wilhelm III., 1805 Oberstleutnant, 1806 Oberst, Jena/Auerstedt, 1808 Generalmajor und Chef der niederschlesischen Brigade, 1809 Stadtkommandant von Berlin, 1810 Roter Adlerorden Klasse III, 1812 Rußlandfedzug, Befehlshaber der Infanterie des mobilen Korps, Roter Adlerorden Klasse II und I, Orden der Ehrenlegion, Generalleutnant, Feldzüge 1813/15: 1813 Kommandant des mobilen Armeekorps, EK II, EK I für Bautzen, Schwarzer Adlerorden für Kulm, 1814 Chef IR 6, General der Infanterie, Nachfolger des General von Yorck als Befehlshaber der preußischen Truppen, 1814 Erhebung in den Grafenstand „Graf Kleist von Nollendorf“, 1821 Ruhestand mit dem Titel Generalfeldmarschall

Karl Friedrich von dem Knesebeck

Geboren am 5.5.1768, gestorben am 12.1.1848. Er war als Oberst Generaladjudant des Königs Friedrich Wilhelm III. und beteiligte sich in den Befreiungskriegen am Zustandekommen des Bündnisses zwischen Preußen und Rußland gegen Frankreich. In der Militärgeschichte wurde ihm der Plan zugeschrieben, Napoleon in die Weiten Rußlands zu locken, um ihn hierdurch strategisch zu besiegen. Die französische Kriegsgeschichtsschreibung soll v.d. Knesebeck gleichfalls als Urheber dieses Feldzugsplanes ansehen. Allerdings bescheinigten ihm Gneisenau und Mehring eine zögernde Haltung, Fontane dagegen rühmte seine Entschlußkraft. Ein Jahr vor seinem Tode wurde er zum Generalfeldmarschall befördert. Die Eintragung im Begräbnisregister lautet:

„19.1.1848 Generalfeldmarschall Freiherr von dem Knesebeck, Exz. Marienplatz im Gitter links neben der verst. Gemahlin“ Das Grab befindet sich im Feld III,

Valmy, September 1792

Unter den Offizieren, die in der Garnisonkirche oder auf dem -friedhof beigesetzt wurden, sind auch solche Persönlichkeiten, die an den Feldzügen Preußens gegen das revolutionäre Frankreich 1792-1794 und gegen die polnischen Aufständischen 1794 teilnahmen und in ihren Lebenserinnerungen, ihren Briefen oder ihren militärhistorischen Analysen eindrucksvoll Schilderungen der Feldzüge, der politischen Entwicklungen und vieler persönlichen Details ihres Offiziersdaseins hinterlassen haben.

Der bekannteste unter ihnen war der damalige Leutnant Karl Friedrich von dem Knesebeck (1768–1848). Einer der Schnittpunkte der Geschichte der preußischen Armee und der Biographien ihrer Offiziere war die Kanonade von Valmy am 20. September 1792, die durch Goethes bekannten Satz „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“ Berühmtheit erlangte. Dabei gewesen sind zusammen mit K. F. v. d. Knesebeck in den preußischen Regimentern vor Valmy: Heinrich von Minutoli (1772-1846), Carl Andreas von Boguslawski (1758-1817), Georg Friedrich Ludwig von Tempelhoff (1737-1807), Johann Eberhard Ernst Herwarth von Bittenfeld (1753-1833), Heinrich Christoph Karl Hermann Graf von Wylich und Lottum (1773-1830), Friedrich Adolf Ludwig von Bismarck (1766-1830), Johann Carl Ludwig Braun (1771-1835), Johann Wilhelm von Krauseneck (1774-1850), Johann Otto Heinrich von Schmidt (1758-1841), Ludwig Mathias Nathaniel Gottlieb von Brauchitsch (1757-1827), Peter von Colomb (1775-1854), Karl Ludwig von Oppeln-Bronikowski (1766-1842), Karl Leopold Heinrich Ludwig von Borstell (1774-1844), Ludwig Ernst Philipp von Toll (1775-1851).

Von denen, die in den Grüften der Garnisonkirche beigesetzt wurden, hatten Friedrich Heinrich Ferdinand Graf Kleist von Nollendorf (1772-1823), Karl Ludwig Bogislaw von Goetze (1743-1806), Karl Franz Freiherr von der Goltz (1740-1804), Anton Wilhelm von L’Estocq (1738-1815), Friedrich Adolf Graf von Kalckreuth (1737-1818) an diesen Feldzügen teilgenommen.

IV/79 Karl Friedrich von dem Knesebecks Brief an Gleim in Halberstadt aus dem Lager bei Verdun, 3. September 1792, also drei Wochen vor Valmy . Der Brief, geprägt von den Illusionen des preußischen Offizierskorps, beginnt mit den Worten: „Die größten Schwierigkeiten sind gehoben, zwei Festungen sind in unseren Händen. Es hält uns nichts mehr auf, gerade nach Paris zu gehen!“

Eine Kriegsheirat 1815

Auch in Kriegszeiten wurde in der Garnisonkirche getauft, getraut und getrauert. Karl Friedrich von dem Knesebeck, Königlich-Preußischer Oberst im Generalstab, heiratete im Alter von 49 Jahren am 7. Mai 1815, acht Wochen nach der Rückkehr Napoleons von Elba und sechs Wochen vor der Schlacht von Waterloo, die damals 42jährige Adolphine, geborene von Klitzing, geschiedene von Werdeck – eine Jugendfeundin Heinrich von Kleists.

Adolphine Susanne Luise Karoline Johanna von dem Knesebeck

Ehefrau des Generals von dem Knesebeck, gesch. von Werdeck, geb. von Klitzing

Geboren am 27.9.1772, gestorben am 26.3.1844.

Als Tochter des preußischen Generalmajors Karl Friedrich von Klitzing (1728-1786) wächst Adolphine (Schreibweise auch Adolfine) auf dem Familiengut Schorbus in der Nähe von Cottbus auf und kommt in ihrer Jugend in enge freundschaftliche Beziehung zu Heinrich von Kleist. 1791 heiratet sie den preußischen Kriegs- und Steuerrat Christoph Wilhelm von Werdeck, einen trockenen Beamten, der ihren geistigen Ansprüchen nicht gerecht wird und von dem sie sich schließlich 1813 scheiden läßt. Während der Potsdamer Amtszeit ihres Ehemanns wird sie enge Vertraute der preußischen Königin Luise; in dieser Zeit und auf mehreren Auslandsreisen kommt es zu weiteren intensiven Kontakten zu H. V. Kleist und seinem Kreis und zu einem regen Briefwechsel. Überliefert sind Stellen aus dem Tagebuch einer Schweizreise Adolphine von Werdecks vom August 1803, in der sie die Begegnung mit Heinrich von Kleist schildert.

Heinrich von Kleist hatte in ein Exemplar von Moses Mendelssohns „Phädon“ seiner Freundin Adolphine von Werdeck die folgende Widmung geschrieben: „Wo die Nebel des Trübsinns grauen, flieht die Teilnahme und das Mitgefühl. Der Kummer steht einsam und vermieden von allen Glücklichen wie ein gefallener Günstling. Nur die Freundschaft lächelt ihm. Denn die Freundschaft ist wahr, und kühn, und unzweideutig. H.K.“

Im Jahre 1815 heiratet Adolphine, die geschiedene von Werdeck, den damaligen preußischen Obersten Karl Friedrich von dem Knesebeck (1768 – 1848), lebt in Berlin und entwickelt eine rege schriftstellerische Produktion. Leider sind die meisten Briefe, Tagebücher und Reisebeschreibungen verloren.

Die Berliner Dichterin und Novellistin Helene von Hülsen (1829 – 1892), Gemahlin des preußischen Offiziers und Theaterintendanten Botho von H. (1815 – 1886) hatte in der Wochenschrift „Der Bär von Berlin“ in den Jahrgängen 1889/90 in einer Fortsetzungsfolge Briefe Adolphines von dem Knesebeck aus den Jahren 1825 bis 1840 an Familienangehörige veröffentlicht, die ein interessantes Bild der Berliner Hof-, Diplomaten- und Militär-Gesellschaft zeichnen und auch den lebendigen Stil der Jugendfreundin Heinrich von Kleists verdeutlichen. Die Schriftstellerin H.v. Hülsen charakterisiert ihre Großtante mit bewundernden Worten: „Adolfine von dem Knesebeck, geborene von Klitzing, war eine durchaus eigentümliche, in ihrer Art einzige Erscheinung … Ungewöhnliche Schärfe des Verstandes, Güte des Herzens, eigenartige Lebensverhältnisse und Schicksale hatten diesen Charaktere so originell und scharf ausgeprägt, daß er der Mehrzahl der Fernerstehenden ein unlösbares Problem blieb, und selbst in ihrem engeren Familienkreise oft nicht verstanden wurde. In den Kreisen des Hofes ihres oft beißenden Witzes halber mehr gefürchtet als geliebt und bewundert, zeigte Adolfine von dem Knesebeck ihr warmes, für alle, die sie liebte, so opferfähiges Herz nur wenigen in seinem ganzen Reichtume …“ In der Vorrede zu der Briefsammlung hatte übrigens Helene von Hülsen sehr beredt die Begegnung ihrer Großtante mit dem damaligen ersten Konsul Bonaparte in Paris geschildert – für die Familie ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung.

Johann Wilhelm von Krauseneck

General der Infanterie, Chef des Preußischen Generalstabes von 1829 bis 1850. Geboren am 13. Oktober 1774, gestorben am 2. November 1850.

Seine militärische Laufbahn begann er als Artillerist, Ingenieur und Topograph in Ansbach, Teilnahme Feldzug gegen die französische Republik 1793/94, Offizier im Generalstab ab 1813, Kommandant der Festungen Graudenz und Mainz 1812/1814. Krauseneck gehörte im 19. Jahrhundert zu den angesehensten Offizieren der preußischen Armee.

Die Grabstelle ist nicht erhalten.

Curt Kruge

(1889 – 1914), Leutnant, gefallen in Polen, Sohn des Generalleutnants Konrad Kurt Kruge

Grabstein, Fritz Klimsch zugeschrieben

Friedrich Karl von Langenair

(1737 – 1802) Generalmajor, Ritter des Ordens Pour le mérite, beigesetzt in den Grüften der Berliner Garnisonkirche

Anton Wilhelm von L’Estoq

Am Dienstag, d. 10. Januar 1815 meldeten die „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“: „Am 5ten dieses, früh um ein Viertel auf 6 Uhr, endigte eine Lungen-Entzündung das thatenvolle Leben Sr. Exzellenz des Generals der Cavallerie, Ritters des Königl. großen schwarzen und des rothen Adler-, imgleichen des Verdienst-Ordens, auch des Russischen St. Alexander-Newsky und Stt. Georgen-Ordens zweiter Klasse, Domprobst zu Brandenburg etc. etc., Herrn Anton Wilhelm von L’Estocq, im 77sten Jahre seines Alters.“

Geboren 1738 in Celle als Sohn eines preußischen Offiziers hugenottischer Abstammung, trat L’Estocq 1757 als Fahnenjunker in das Berliner Regiment Gensd’armes ein und nahm im Siebenjährigen Krieg an den Schlachten von Zorndorf, Kunersdorf und Torgau teil. 1761 erhielt er für das Gefecht bei Langensalza den Orden Pour le mérite. Im Jahre 1768 wurde er Premierleutnant und in das Regiment des Husaren-Generals von Zieten versetzt, dessen Adjutant er wurde. In kürzester Zeit durchlief er die Stationen Stabsrittmeister, Major und Oberstleutnant, schließlich ernannte König Friedrich Wilhelm II. 1790 den Husarenoffizier L’Estocq zum Obersten und Bataillonskommandeur im Regiment von Eben (Husarenregiment Nr. 2).

Im Feldzug gegen Frankreich 1793/94 nahm er an den Gefechten bei Kaiserslautern, Morsbrunn und Trippstadt teil und wurde 1794 Kommandeur des Husarenregiment Nr. 2. Nach dem Frieden von Basel (1795) war das Regiment Nr. 2 Bestandteil des Armeekorps in Westfalen, das die Demarkationslinie zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich überwachte.

1803 wurde der inzwischen zum Generalmajor avancierte L’Estocq im nach der dritten polnischen Teilung gewonnenen Neu Ostpreußen eingesetzt und zum Chef des Husarenregiments Nr. 9 sowie zum Oberkommandierenden aller in diesem Gebiet stationierten preußischen Truppen ernannt.

1805 erreichte er den Rang eines Generalleutnants, den Feldzug 1806/07 erlebte er in der Schlacht bei Preußisch-Eylau, dort konnte er mit dem Schwarzen Adler Orden ausgezeichnet werden.

L’Estocq war einer der wenigen Generale, die ihren Rang nach dem Zusammenbruch der alten preußischen Armee behalten durften. 1807 belohnte ihn der König darüberhinaus mit der Domprobstei von Brandenburg/Havel und ernannte ihn zum Mitglied der Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und sonstiger Ereignisse des letzten Krieges.

Einen der Höhepunkte der militärischen Karriere des Generals von L’Estocq bildete die Berufung zum Gouverneur der Residenz Berlin am 12.11. 1808. Im Jahre 1815 starb L’Estocq in Berlin und wurde am Sonntag, d. 8. Januar in den Grüften der Garnisonkirche mit feierlichen Ehren bei Anwesenheit der königlichen Prinzen und der Berliner Generalität beigesetzt.

Friedrich von Lingelsheim

Generalleutnant, geboren am 13. November 1755, gestorben am 13. Januar 1835.

Seine Karriere begann Lingeslheim als Kadett in Berlin, nahm als Fähnrich am Feldzug 1778/79 teil, wurde 1798 Kommandeur des Kadettenkorps Berlin. Als Chef sämtlichen Kadettenanstalten Preußens seit 1806 hat er sich Verdienst um die Modernisierung der Lehrpläne und die Verbesserung der sozialen Lage der Kadetten erworben. Die Grabstelle befindet sich im Feld I.

Karl Georg von Loebell

Generalleutnant, geboren am 2. Oktober 1777, gestorben am 15. Oktober 1841. Kadett zu Berlin, Fähnrich im Kürassierregiment Herzog von Weimar zusammen mit Friedrich de la Motte Fouqué, stationiert in Aschersleben. Nahm 1794 am Feldzug gegen die französische Republik teil und erlebte als Adjutant des Generals von Quitzow die Niederlage von Jena und Auerstedt 1806. Teilnahme an den Feldzügen von 1813/15 im brandenburgischen Kürrassierregiment Nr. 6. 1840 Kommandant von Berlin und Chef der Landgendarmerie.

Das Grab ist im Feld IV.

Adolph von Lützow

Geboren am 18.5.1782, gestorben am 6.12.1834. Er war der Führer der schwarzen Freischar in den Befreiungskriegen 1813/14. Die Eintragung im Sterberegister lautet: Herr Ludwig Adolph Wilhelm Freiherr von Lützow, Generalmajor, aus Berlin gebürtich, Evgl. Gl. hinterlässt seine Ehegattin ohne Kinder, Thiergartenstraße No. 34. Sterbeursache: Schlagfluß. Begräbnis: 10. Dezember 1. Garnisonfriedhof. In militärgeschichtlicher Hinsicht dürfte es sich um die bekannteste Persönlichkeit handeln, die auf dem Garnisonfriedhof beigesetzt ist. Sein Grabstein trägt die Inschrift Ludwig Adolph von Lützow, Führer eines Freicorps im Befreiungskriege 1813 und 1814, errichtet von seiner früheren Gemahlin, der Gräfin Ahlefeldt. Ein zweiter, stehender Grabstein, war von seinen Waffengefährten gestiftet worden. Beide Grabmale sind in diesem Jahrhundert erneuert worden. Das Grab liegt im Feld I.

Johann Heinrich Freiherr Menu von Minutoli

Generalleutnant und Ägyptologe, geboren am 12. Mai 1772 in Genf, gestorben am 20. September 1846.

Nach dem Offiziersdienst in der preußischen Armee beendete von Minutoli nach einer Kriegsverletzung 1793 seine aktive Laufbahn. Er wurde zum Kadettencorps kommandiert und im Jahre 1811 als Major Gouverneur des Prinzen Carl von Preußen.

1820 begab sich von Minutoli im königlichen Auftrag auf eine lange vorbereitete wissenschaftliche Expedition nach Nordafrika.

Um die Jahrhundertwende war nicht zuletzt unter dem Einfluß Goethes die abendländische Kulturwelt vornehmlich der griechischen Antike verpflichtet, die altägyptische Kultur blieb hierbei im Schatten. Mit den napoleonischen Feldzügen in Ägypten erkannte man stärker den eigenständigen Wert dieser Kultur. In diesem Kontext ist die Expedition zu sehen. Es gelang von Minutoli als erstem Europäer die Stufenpyramide des Königs Djoser in Sakkara zu öffnen und zu erkunden. Sie gilt als das erste steinerne Monumentalbauwerk der altägyptischen Kultur. Aufgrund der archäologischen Erkundungen gelang es ihm, einen umfangreichen Schatz an Altertümern zu sammeln, um sie nach Deutschland zu bringen.

 Der größte Teil ging bei einem Schiffbruch in der Elbemündung verloren. Den kleineren Teil, der auf dem Landwege befördert worden war, verkaufte von Minutoli an den preußischen König. Auf diesem Grundstock aufbauend, wurde 1824 die Berliner Ägyptische Sammlung eingerichtet. Freiherr von Minutoli war 1820 zum Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt worden. Gedenkstein im Feld III.

Carl Rudolph von Mosch

(1718 – 1798) Generalleutnant, Chef Kadettenkorps

Ritter des Ordens pour le mérite, beigesetzt am 27. Juli 1798 in der Gruft der Garnisonkirche

August Wilhelm von Neumann-Cosel

Generalleutnant, geboren am 17.April 1786, gestorben am 20. Mai 1865.

Teilnehmer an den Feldzügen 1806 und 1813/1815, Sohn des Generals David von Neumann, des Verteidigers von Cosel 1806/1807. Im Jahre 1808 Generaladjutant, 1815 Kommandeur des Garde-Jägerbataillons, 1838 Chef des Stabes beim Prinzen von Preußen, 1840 Generaladjutant König Friedrich Wilhelm IV. und Inspekteur der preußischen Jäger- und Schützenverbände. Das gußeiserne Grabkreuz befindet sich im Feld II.

Karl Ludwig von Oppeln-Bronikowski

Generalleutnant, geboren am 4. Februar 1766, gestorben am 5. Juli 1842. War Offizier im Infanterie-Regiment Herzog von Braunschweig und hatte am Feldzug 1806 teilgenommen. Adjutant Friedrich Wilhelm III., wurde er 1807 vom König zum Mitglied der Militär-Reorganisations-Kommission ernannt und Flügeladjutant im Preußischen Kriegsministerium. 1817-1821 Kommandant der Festung Erfurt.

Die Grabstelle befindet sich im Feld I.

Joachim Friedrich Wilhelm von Oppen

1747-1815, beigesetzt am 23.10. auf dem Garnisonkirchhof, Generalmajor

1763 Elíntritt in des Artilleriekorps der preußischen Armee, Offizier ab 1772, 1794 Stabskapitän und Professor für Mathematik an der Artllerieschule, 1806/07 Verteidigung von Danzig, 1807 Pour le mérite, 1808 Mitglied der Untersuchungskommission für die Kriegsereignisse, 1809 Brigadier der preußischen Artilleriebrigade, 1811 Oberst, 1813 Generalmajor, Roter Adlerorden, 1814 Kommandeur der mobilen Artillerie in Berlin,

Karl von Neander von Petersheiden

Hauptmann der Artillerie, Kartograph, Ingenieur und Erfinder, geboren am 25. Dezember 1761, gestorben am 30. April 1842. Bruder des Generals Johann Friedrich Wilhelm Neander von Petersheiden und des Obersten und Direktors der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule Johann Christoph. Als Kapitän und Kompaniechef Teilnahme am Feldzug gegen die französische Republik 1793/94. Träger des Ordens Pour le Mérite. Als Hauptmann und Batteriechef schied er nach der Niederlage von 1806 aus der Armee aus und widmete sich der Kartographie. Schon Um 1800 hatte er den chaotischen Zustand der Berliner Straßennamen und Hausnumerierung erkannt und 1801 „Neue Anschauliche Tabellen von der gesammten Residenz-Stadt Berlin…“ , ein Grundstücks-, Bewohner- und Eigentümerverzeichnis publiziert. Neander war auch der Verfasser eines Entwurfs zur Verbesserung der Berliner Straßenbeleuchtung, zu dessen Durchsetzung er vom König zum „Chef der Erleuchtungskompagnie“ ernannt wurde.

Das Grab ist nicht erhalten.

Grab Max Plüddemann, Granitstele mit Text und Relief

Max Plüddemann

 Kaiserlicher Konteradmiral

1846 – 1910

Der Segler SMS Leipzig, auf dem Plüddemann als Kapitän zur See 

1889/1890 Kommandant war.

Kapitän zur See Max Plüddemann (3. v. l.) neben Konteradmiral Deinhard

an Bord der SMS Leipzig, 1889

War auch kurze Zeit Kolonialbeamter auf den Karolinen.

Obwohl Konteradmiral Plüddemann 1900/1901 nicht aktiv an der Niederschlagung des Volksaufstandes gegen die ausländischen Mächte in China („Boxeraufstand“) beteiligt war, hatte er sich publizistisch an der Heldenverehrung für die deutschen Offiziere und Soldaten hervorgetan und Artikel über die „Lehren“ für künftige Aktionen der Marineinfanterie aus den Kämpfen in China geschrieben.  

Nach dem Ausscheiden aus der Flotte als Schriftsteller tätig

(„Modernes Seekriegswesen“, „Der Krieg um Cuba im Sommer 1898“)

und Herausgeber des jährlichen Flottenkalenders.

Die SMS Oldenburg, auf der Korvettenkapitän Plüddemann 1886 Kommandant war.

Gemälde des bekannten Marinemalers Hugo Graf.

Max Plüddemann (2.v.r., neben dem Kapitän zur See Tirpitz)

beim Stapellauf der SMS Falke, Kiel 1891,

in Erwartung des Kaisers

Geboren in Stettin, wohnte in Kleinmachnow bei Potsdam.,

während seiner aktiven Zeit als Kapitän von Kriegsschiffen

und Befehlshaber von Flottenverbänden an der Expansion

des kaiserlich-deutschen Kolonialreiches im Pazifik beteiligt.

Relief auf dem Grabstein

(dargestellt vermutlich die SMS Leipzig)

Hermann George Heinrich Christian Baron von Puttkamer

Geboren am 10.9.1804, gestorben am 19.4.1844. Er war als Hauptmann a.D. der erste bestallte Spezialdirektor der Berlin-Potsdamer Eisenbahn. Sein Grab befindet sich im Feld III. Das Grabkreuz aus Gußeisen wurde kürzlich restauriert.

Ernst Ludwig von Pfuel

(1718 – 1789) Generalmajor, Direktor 2.Dept. Kriegskollegium, Absolvent der Ritterakademie Brandenburg/Havel

beigesetzt am 26. Juli 1789 in der Berliner Garnisonkirche

Hieronymus Franz Seraph Roedlich

(1767-1833) Die wohlhabende bürgerliche mährische Familie Roedlich konnte dem jungen Franciscus eine gute Privatbildung im elterlichen Hause angedeihen lassen – er sollte Beamter werden, tritt aber nach kurzzeitiger Tätigkeit bei einer Domänenverwaltung mit 18 Jahren als Kadett in das Kaiserliche Österreichische Dragonerregiment Nr.4, das neuformierte Kosakenkorps, ein und nimmt am Feldzug gegen die Türken 1788/89 als Unterleutnant teil.

Schon in diesen ersten Dienstjahren erfüllte Roedlich Aufklärungs- und Kurieraufträge für den kommandierenden General in Galizien und war an Landvermessungen als Kalkulator beteiligt. In den folgenden Jahren diente er in den verschiedensten Stäben in der Türkei und in Rußland und wurde 1796 offiziell zum Hauptmann im Generalstabe ernannt. In den Feldzügen Österreichs gegen Napoleon nahm er u.a. an den Schlachten von Arcole, Rivoli teil, gehörte zur Verhandlungsdelegation in Napoleons Hauptquartier von Monte Bello 1797, diente im Auftrage des österreichischen Kaisers 1798 im neapolitanischen Heer bis zu dessen Zerschlagung durch Napoleon, war ab 1799 in vielfältigen Stabs- und Truppenkommandos in Österreich, Deutschland, Italien eingesetzt und erhielt schließlich 1805 ein Angebot zum Übertritt in preußische Dienste, das aber erst nach dem Tilsiter Frieden 1807 realisiert wurde, an dessen Zustandekommen Roedlich als Geheimkurier zwischen Wien und Memel Anteil hatte.

Als preußischer Oberstleutnant leistete Roedlich zwischen 1807 und 1813 offene und konspirative diplomatische Dienste, war Verbindungsoffizier zu den in Preußen und Polen stationierten französischen Truppen und wurde 1813 als Oberst in den Stab von General Blücher versetzt, wo er u.a. mit Rühle von Lilienstern und Krauseneck zusammenarbeitete und zum Kommandanten von Frankfurt/Main ernannt wurde. 1814 erhielt er das Offizierskreuz der französischen Ehrenlegion. Nach dem Sieg über Napoleon 1815 war Roedlich zum Generalmajor befördert worden, im Kommando am Rhein angestellt, zum Landwehrinspekteur nach Ostpreußen und 1817 nach Düsseldorf versetzt worden. Zwischen 1807 und 1830 wurde Roedlich in der preußischen Armee durch eine Anzahl technischer Erfindungen bekannt wie auch durch Publikationen zu Fragen der Militärtechnik, der Kartographie, der Kriegsgeschichte, der Geographie und des Transportwesens.

Sein Grab auf dem Offizierskirchhof ist nicht mehr erhalten.

Johann Jakob August Rühle von Lilienstern

Geboren am 16.4.1780, gestorben am 1.7.1847. Der spätere preußische General und Chef des Generalstabs der Armee stammte aus einer märkischen Offiziers- und Gutsbesitzersfamilie (Königberg/Prignitz). Geprägt durch die Jahre als Kadett in Berlin und Offizier im Regiment Garde (IR 15) zu Potsdam und die enge lebenslange Freundschaft mit Heinrich von Kleist, konnte sich R.v.L. im militärischen Dienst vor allem durch seine Leistungen als Kartograph, Historiker, Pädagoge auszeichnen. Von 1802 bis 1805 war er Mitglied der von Scharnhorst gegründeten und geführten „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“, damit in die Gruppe von jüngeren preußischen Offizieren eingebunden, die sich nach den Feldzügen gegen Frankreich 1792-1795 und gegen den polnischen Aufstand von 1794 für grundlegende Reformen in Armee und Gesellschaft Preußens einsetzte.

Nach der preußischen Niederlage 1806 war er einige Jahre an den Hof des Herzogs von Weimar abkommandiert, war wissenschaftlich und schriftstellerisch tätig und beteiligte sich aktiv im Kreis der Offiziere um Scharnhorst, Boyen und Clausewitz an der Reorganisation der Armee. R.v.L. war Mitglied der preußischen Delegation auf dem Wiener Kongreß 1814/15 und arbeitete ab 1815 in der zweiten Abteilung des Kriegsministeriums, dem Generalstab, die er ab 1819/21 leitete. In dieser Periode initiierte er die Bildung einer staatlichen Einrichtung für den Druck von Karten und graphischen Werken, die als Königliches Lithographisches Institut 1818 in Berlin geschaffen wurde und als deren erster Direktor er bekannt wurde.

Im Jahre 1837 wurde er von König Friedrich Wilhelm III. zum Direktor der Allgemeinen Kriegsschule zu Berlin ernannt. R.v.L. gab den ersten Schulatlas in Deutschland heraus und verfaßte eine Reihe philosophischer und militärhistorischer Schriften.

Die Lage seines Grabes ist nicht bekannt.

Carl von Schachtmeyer

Geboren am 27.8.1779, gestorben am 17.3.1825. Er war Kgl. Oberst und Kommandeur des Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiments. Sein Grab befindet sich im Feld III.

Theodor Schiemann

Geboren am17.7.1847, gestorben am 26.1.1921. Historiker und Professor für osteuropäische Geschichte, Lehrer an der Preußischen Kriegsakademie.Die Lage des Grabes ist nicht bekannt.

Kurd Wolfgang Wilhelm Gustav von Schöning

Generalmajor, geboren am 13. August 1789, gestorben am 2. April 1859.

Der Sohn eines preußischen Gutsbesitzers und Landrats tritt mit 11 Jahren in die Berliner Kadettenanstalt ein, wird im Kriegsjahr 1806 Fähnrich, dann Sekondeleutnant im Infanterieregiment Nr. 35 “Prinz Heinrich” und ist aktiv am Neuaufbau der preußischen Armee nach Jena und Auerstedt beteiligt. An den Feldzügen 1813/1815 nimmt er aktiv im 1. Westpreußischen Infanterieregiment Nr. 6 teil, erhält den Orden des Eisernen Kreuzes 2. und 1. Klasse und wird 1814 zum Premierleutnant befördert.

1815 wird er, nunmehr Kapitän im Berliner Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiment, als Adjutant in den Stab der Grenadierbrigade versetzt. Im Jahre 1820 wählt ihn Prinz Karl von Preußen zu seinem Adjutanten. 1827 nimmt er seinen Abschied vom Militärdienst und widmet sich voll der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit, gleichzeitig wird er zum Hofmarschall des Prinzen ernannt, erhält 1845 der Roten Adler Orden und wird 1856 zum Generalmajor ernannt sowie durch König Friedrich Wilhelm IV. mit dem offiziellen Titel „Historiograph der Armee“ ausgezeichnet.

S. war einer der bekanntesten und anerkannten Militärschriftsteller des 19. Jahrhunderts. Insbesondere sein Lebenswerk über die Generale der kurbrandenburgisch-preußischen Armee bis zum Jahre 1840 war Standard-Handbuch der Lehre und Forschung im preußischen Heer. Von herausragender Bedeutung sind weiterhin die Publikationen „Geschichte des Regiments Garde du Corps“, „Geschichte des Bayerischen Erbfolgekrieges“ und „Der Generalfeldmarschall von Schöning“. Der General von Schöning wurde am 5. April 1859 auf dem Offiziersfriedhof an der Linienstraße beigesetzt.

Die Grabstelle ist nicht mehr vorhanden.

Lewin Rudolph von der Schulenburg

1721-1788 Generalleutnant

1743 Eintritt in die preußische Armee als Gefreiterkorporal, IR 25, 1745 Fähnrich, 1750 Sekondeleutnant, 1758 Kapitän und Flügeladjutant des Königs, 1760 Major, 1771 Oberst, 1779 Generalmajor, Departements- und Kriegsminister, 1787 Generalleutnant, Chef des 3. Departements des Oberkriegskollegiums, Direktor des Potsdamer Waisenhauses, Geheimer Staats- und Kriegsminister

Familie von Stülpnagel

Daniel Friedrich Gottlob Teichert

Preußischer Oberstleutnant der Artillerie, geboren am 1. Februar 1796 in Berlin, gestorben an der Cholera am 21. September 1853. Freiwilliger im Jahre 1813, später Artillerieoffizier und Lehrer an der Artillerieschule in Berlin, als preußischer Major gewählter Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main 1848/49. Ab 1849 Beamter im Preußischen Kriegsministerium.

Das gußeiserne Grabdenkmal in Gestalt eines neugotischen Tabernakels befindet sich im Feld V.

Friedrich Karl von Langenair

(1737 – 1802) Generalmajor, Ritter des Ordens Pour le mérite, beigesetzt in den Grüften der Berliner Garnisonkirche

Särge in den Grüften unter der Garnisonkirche, gezeichnet von Adolf Menzel

Anton Wilhelm von L’Estoq

Am Dienstag, d. 10. Januar 1815 meldeten die „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“: „Am 5ten dieses, früh um ein Viertel auf 6 Uhr, endigte eine Lungen-Entzündung das thatenvolle Leben Sr. Exzellenz des Generals der Cavallerie, Ritters des Königl. großen schwarzen und des rothen Adler-, imgleichen des Verdienst-Ordens, auch des Russischen St. Alexander-Newsky und Stt. Georgen-Ordens zweiter Klasse, Domprobst zu Brandenburg etc. etc., Herrn Anton Wilhelm von L’Estocq, im 77sten Jahre seines Alters.“

Geboren 1738 in Celle als Sohn eines preußischen Offiziers hugenottischer Abstammung, trat L’Estocq 1757 als Fahnenjunker in das Berliner Regiment Gensd’armes ein und nahm im Siebenjährigen Krieg an den Schlachten von Zorndorf, Kunersdorf und Torgau teil. 1761 erhielt er für das Gefecht bei Langensalza den Orden Pour le mérite. Im Jahre 1768 wurde er Premierleutnant und in das Regiment des Husaren-Generals von Zieten versetzt, dessen Adjutant er wurde. In kürzester Zeit durchlief er die Stationen Stabsrittmeister, Major und Oberstleutnant, schließlich ernannte König Friedrich Wilhelm II. 1790 den Husarenoffizier L’Estocq zum Obersten und Bataillonskommandeur im Regiment von Eben (Husarenregiment Nr. 2).

Im Feldzug gegen Frankreich 1793/94 nahm er an den Gefechten bei Kaiserslautern, Morsbrunn und Trippstadt teil und wurde 1794 Kommandeur des Husarenregiment Nr. 2. Nach dem Frieden von Basel (1795) war das Regiment Nr. 2 Bestandteil des Armeekorps in Westfalen, das die Demarkationslinie zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich überwachte.

1803 wurde der inzwischen zum Generalmajor avancierte L’Estocq im nach der dritten polnischen Teilung gewonnenen Neu Ostpreußen eingesetzt und zum Chef des Husarenregiments Nr. 9 sowie zum Oberkommandierenden aller in diesem Gebiet stationierten preußischen Truppen ernannt.

1805 erreichte er den Rang eines Generalleutnants, den Feldzug 1806/07 erlebte er in der Schlacht bei Preußisch-Eylau, dort konnte er mit dem Schwarzen Adler Orden ausgezeichnet werden.

L’Estocq war einer der wenigen Generale, die ihren Rang nach dem Zusammenbruch der alten preußischen Armee behalten durften. 1807 belohnte ihn der König darüberhinaus mit der Domprobstei von Brandenburg/Havel und ernannte ihn zum Mitglied der Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und sonstiger Ereignisse des letzten Krieges.

Einen der Höhepunkte der militärischen Karriere des Generals von L’Estocq bildete die Berufung zum Gouverneur der Residenz Berlin am 12.11. 1808. Im Jahre 1815 starb L’Estocq in Berlin und wurde am Sonntag, d. 8. Januar in den Grüften der Garnisonkirche mit feierlichen Ehren bei Anwesenheit der königlichen Prinzen und der Berliner Generalität beigesetzt.

Friedrich von Lingelsheim

Generalleutnant, geboren am 13. November 1755, gestorben am 13. Januar 1835.

Seine Karriere begann Lingeslheim als Kadett in Berlin, nahm als Fähnrich am Feldzug 1778/79 teil, wurde 1798 Kommandeur des Kadettenkorps Berlin. Als Chef sämtlichen Kadettenanstalten Preußens seit 1806 hat er sich Verdienst um die Modernisierung der Lehrpläne und die Verbesserung der sozialen Lage der Kadetten erworben. Die Grabstelle befindet sich im Feld I.

Karl Georg von Loebell

Generalleutnant, geboren am 2. Oktober 1777, gestorben am 15. Oktober 1841. Kadett zu Berlin, Fähnrich im Kürassierregiment Herzog von Weimar zusammen mit Friedrich de la Motte Fouqué, stationiert in Aschersleben. Nahm 1794 am Feldzug gegen die französische Republik teil und erlebte als Adjutant des Generals von Quitzow die Niederlage von Jena und Auerstedt 1806. Teilnahme an den Feldzügen von 1813/15 im brandenburgischen Kürrassierregiment Nr. 6. 1840 Kommandant von Berlin und Chef der Landgendarmerie.

Das Grab ist im Feld IV.

Adolph von Lützow

Geboren am 18.5.1782, gestorben am 6.12.1834. Er war der Führer der schwarzen Freischar in den Befreiungskriegen 1813/14. Die Eintragung im Sterberegister lautet: Herr Ludwig Adolph Wilhelm Freiherr von Lützow, Generalmajor, aus Berlin gebürtich, Evgl. Gl. hinterlässt seine Ehegattin ohne Kinder, Thiergartenstraße No. 34. Sterbeursache: Schlagfluß. Begräbnis: 10. Dezember 1. Garnisonfriedhof. In militärgeschichtlicher Hinsicht dürfte es sich um die bekannteste Persönlichkeit handeln, die auf dem Garnisonfriedhof beigesetzt ist. Sein Grabstein trägt die Inschrift Ludwig Adolph von Lützow, Führer eines Freicorps im Befreiungskriege 1813 und 1814, errichtet von seiner früheren Gemahlin, der Gräfin Ahlefeldt. Ein zweiter, stehender Grabstein, war von seinen Waffengefährten gestiftet worden. Beide Grabmale sind in diesem Jahrhundert erneuert worden. Das Grab liegt im Feld I.

Johann Heinrich Freiherr Menu von Minutoli

Generalleutnant und Ägyptologe, geboren am 12. Mai 1772 in Genf, gestorben am 20. September 1846.

Nach dem Offiziersdienst in der preußischen Armee beendete von Minutoli nach einer Kriegsverletzung 1793 seine aktive Laufbahn. Er wurde zum Kadettencorps kommandiert und im Jahre 1811 als Major Gouverneur des Prinzen Carl von Preußen.

1820 begab sich von Minutoli im königlichen Auftrag auf eine lange vorbereitete wissenschaftliche Expedition nach Nordafrika.

Um die Jahrhundertwende war nicht zuletzt unter dem Einfluß Goethes die abendländische Kulturwelt vornehmlich der griechischen Antike verpflichtet, die altägyptische Kultur blieb hierbei im Schatten. Mit den napoleonischen Feldzügen in Ägypten erkannte man stärker den eigenständigen Wert dieser Kultur. In diesem Kontext ist die Expedition zu sehen. Es gelang von Minutoli als erstem Europäer die Stufenpyramide des Königs Djoser in Sakkara zu öffnen und zu erkunden. Sie gilt als das erste steinerne Monumentalbauwerk der altägyptischen Kultur. Aufgrund der archäologischen Erkundungen gelang es ihm, einen umfangreichen Schatz an Altertümern zu sammeln, um sie nach Deutschland zu bringen.

 Der größte Teil ging bei einem Schiffbruch in der Elbemündung verloren. Den kleineren Teil, der auf dem Landwege befördert worden war, verkaufte von Minutoli an den preußischen König. Auf diesem Grundstock aufbauend, wurde 1824 die Berliner Ägyptische Sammlung eingerichtet. Freiherr von Minutoli war 1820 zum Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt worden. Gedenkstein im Feld III.

Carl Rudolph von Mosch

(1718 – 1798) Generalleutnant, Chef Kadettenkorps

Ritter des Ordens pour le mérite, beigesetzt am 27. Juli 1798 in der Gruft der Garnisonkirche

August Wilhelm von Neumann-Cosel

Generalleutnant, geboren am 17.April 1786, gestorben am 20. Mai 1865.

Teilnehmer an den Feldzügen 1806 und 1813/1815, Sohn des Generals David von Neumann, des Verteidigers von Cosel 1806/1807. Im Jahre 1808 Generaladjutant, 1815 Kommandeur des Garde-Jägerbataillons, 1838 Chef des Stabes beim Prinzen von Preußen, 1840 Generaladjutant König Friedrich Wilhelm IV. und Inspekteur der preußischen Jäger- und Schützenverbände. Das gußeiserne Grabkreuz befindet sich im Feld II.

Karl Ludwig von Oppeln-Bronikowski

Generalleutnant, geboren am 4. Februar 1766, gestorben am 5. Juli 1842. War Offizier im Infanterie-Regiment Herzog von Braunschweig und hatte am Feldzug 1806 teilgenommen. Adjutant Friedrich Wilhelm III., wurde er 1807 vom König zum Mitglied der Militär-Reorganisations-Kommission ernannt und Flügeladjutant im Preußischen Kriegsministerium. 1817-1821 Kommandant der Festung Erfurt.

Die Grabstelle befindet sich im Feld I.

Joachim Friedrich Wilhelm von Oppen

1747-1815, beigesetzt am 23.10. auf dem Garnisonkirchhof, Generalmajor

1763 Elíntritt in des Artilleriekorps der preußischen Armee, Offizier ab 1772, 1794 Stabskapitän und Professor für Mathematik an der Artllerieschule, 1806/07 Verteidigung von Danzig, 1807 Pour le mérite, 1808 Mitglied der Untersuchungskommission für die Kriegsereignisse, 1809 Brigadier der preußischen Artilleriebrigade, 1811 Oberst, 1813 Generalmajor, Roter Adlerorden, 1814 Kommandeur der mobilen Artillerie in Berlin,

Karl von Neander von Petersheiden

Hauptmann der Artillerie, Kartograph, Ingenieur und Erfinder, geboren am 25. Dezember 1761, gestorben am 30. April 1842. Bruder des Generals Johann Friedrich Wilhelm Neander von Petersheiden und des Obersten und Direktors der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule Johann Christoph. Als Kapitän und Kompaniechef Teilnahme am Feldzug gegen die französische Republik 1793/94. Träger des Ordens Pour le Mérite. Als Hauptmann und Batteriechef schied er nach der Niederlage von 1806 aus der Armee aus und widmete sich der Kartographie. Schon Um 1800 hatte er den chaotischen Zustand der Berliner Straßennamen und Hausnumerierung erkannt und 1801 „Neue Anschauliche Tabellen von der gesammten Residenz-Stadt Berlin…“ , ein Grundstücks-, Bewohner- und Eigentümerverzeichnis publiziert. Neander war auch der Verfasser eines Entwurfs zur Verbesserung der Berliner Straßenbeleuchtung, zu dessen Durchsetzung er vom König zum „Chef der Erleuchtungskompagnie“ ernannt wurde. Das Grab ist nicht erhalten.

Der Konteradmiral des Kaisers

Grab Max Plüddemann, Granitstele mit Text und Relief

Max Plüddemann

 Kaiserlicher Konteradmiral

1846 – 1910

Max Plüddemanns Wirken als Marineoffizier für Kaiser und Reich umfasst vier Komplexe, die sich auch zeitlich zuordnen lassen:

Südsee (1884 -1885),

strategischer Kriegsschiffbau (1886 – 1889 und 1890 – 1896),

Ostafrika ( 1989 – 1890) und

das Wirken als Publizist (nach 1897)

Der Segler SMS Leipzig, auf dem Plüddemann als Kapitän zur See 

1889/1890 Kommandant war.

Kapitän zur See Max Plüddemann (3. v. l.) neben Konteradmiral Deinhard

an Bord der SMS Leipzig, 1889

Max Plüddemann war nach der Beendigung seiner aktiven Laufbahn 1897

außerordentlich arbeitsam als Publizist, Historiker und Übersetzer.

(„Modernes Seekriegswesen“, „Der Krieg um Cuba im Sommer 1898“, Übersetzung des

Briefwechsels und der Tagebücher der englischen Königin Victoria

Herausgeber des jährlichen Flottenkalenders.)

Obwohl er 1900/1901 nicht aktiv an der

Niederschlagung des Volksaufstandes gegen die ausländischen Mächte in China

(„Boxeraufstand“) beteiligt war, hatte er sich publizistisch an der Heldenverehrung

für die deutschen Offiziere und Soldaten hervorgetan und Artikel über die „Lehren“ für

künftige Aktionen der Marineinfanterie aus den Kämpfen in China geschrieben.  

Die SMS Oldenburg, auf der Korvettenkapitän Plüddemann 1886 Kommandant war.

Gemälde des bekannten Marinemalers Hugo Graf.

Max Plüddemann (2.v.r., neben dem Kapitän zur See Tirpitz)

beim Stapellauf der SMS Falke, Kiel 1891,

in Erwartung des Kaisers

Geboren in Stettin, wohnte in Kleinmachnow bei Potsdam.,

während seiner aktiven Zeit als Kapitän von Kriegsschiffen

und Befehlshaber von Flottenverbänden an der Expansion

des kaiserlich-deutschen Kolonialreiches im Pazifik

und an der Niederschlagung des Aufstandes der afrikanischen Bevölkerung

gegen die deutsche Kolonialisten beteiligt.

Relief auf dem Grabstein

(dargestellt vermutlich die SMS Albatros)

Hermann George Heinrich Christian Baron von Puttkamer

Geboren am 10.9.1804, gestorben am 19.4.1844. Er war als Hauptmann a.D. der erste bestallte Spezialdirektor der Berlin-Potsdamer Eisenbahn. Sein Grab befindet sich im Feld III. Das Grabkreuz aus Gußeisen wurde kürzlich restauriert.

Ernst Ludwig von Pfuel

(1718 – 1789) Generalmajor, Direktor 2.Dept. Kriegskollegium, Absolvent der Ritterakademie Brandenburg/Havel

beigesetzt am 26. Juli 1789 in der Berliner Garnisonkirche

Hieronymus Franz Seraph Roedlich

(1767-1833) Die wohlhabende bürgerliche mährische Familie Roedlich konnte dem jungen Franciscus eine gute Privatbildung im elterlichen Hause angedeihen lassen – er sollte Beamter werden, tritt aber nach kurzzeitiger Tätigkeit bei einer Domänenverwaltung mit 18 Jahren als Kadett in das Kaiserliche Österreichische Dragonerregiment Nr.4, das neuformierte Kosakenkorps, ein und nimmt am Feldzug gegen die Türken 1788/89 als Unterleutnant teil.

Schon in diesen ersten Dienstjahren erfüllte Roedlich Aufklärungs- und Kurieraufträge für den kommandierenden General in Galizien und war an Landvermessungen als Kalkulator beteiligt. In den folgenden Jahren diente er in den verschiedensten Stäben in der Türkei und in Rußland und wurde 1796 offiziell zum Hauptmann im Generalstabe ernannt. In den Feldzügen Österreichs gegen Napoleon nahm er u.a. an den Schlachten von Arcole, Rivoli teil, gehörte zur Verhandlungsdelegation in Napoleons Hauptquartier von Monte Bello 1797, diente im Auftrage des österreichischen Kaisers 1798 im neapolitanischen Heer bis zu dessen Zerschlagung durch Napoleon, war ab 1799 in vielfältigen Stabs- und Truppenkommandos in Österreich, Deutschland, Italien eingesetzt und erhielt schließlich 1805 ein Angebot zum Übertritt in preußische Dienste, das aber erst nach dem Tilsiter Frieden 1807 realisiert wurde, an dessen Zustandekommen Roedlich als Geheimkurier zwischen Wien und Memel Anteil hatte.

Als preußischer Oberstleutnant leistete Roedlich zwischen 1807 und 1813 offene und konspirative diplomatische Dienste, war Verbindungsoffizier zu den in Preußen und Polen stationierten französischen Truppen und wurde 1813 als Oberst in den Stab von General Blücher versetzt, wo er u.a. mit Rühle von Lilienstern und Krauseneck zusammenarbeitete und zum Kommandanten von Frankfurt/Main ernannt wurde. 1814 erhielt er das Offizierskreuz der französischen Ehrenlegion. Nach dem Sieg über Napoleon 1815 war Roedlich zum Generalmajor befördert worden, im Kommando am Rhein angestellt, zum Landwehrinspekteur nach Ostpreußen und 1817 nach Düsseldorf versetzt worden. Zwischen 1807 und 1830 wurde Roedlich in der preußischen Armee durch eine Anzahl technischer Erfindungen bekannt wie auch durch Publikationen zu Fragen der Militärtechnik, der Kartographie, der Kriegsgeschichte, der Geographie und des Transportwesens.

Sein Grab auf dem Offizierskirchhof ist nicht mehr erhalten.

Johann Jakob August Rühle von Lilienstern

Geboren am 16.4.1780, gestorben am 1.7.1847. Der spätere preußische General und Chef des Generalstabs der Armee stammte aus einer märkischen Offiziers- und Gutsbesitzersfamilie (Königberg/Prignitz). Geprägt durch die Jahre als Kadett in Berlin und Offizier im Regiment Garde (IR 15) zu Potsdam und die enge lebenslange Freundschaft mit Heinrich von Kleist, konnte sich R.v.L. im militärischen Dienst vor allem durch seine Leistungen als Kartograph, Historiker, Pädagoge auszeichnen. Von 1802 bis 1805 war er Mitglied der von Scharnhorst gegründeten und geführten „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“, damit in die Gruppe von jüngeren preußischen Offizieren eingebunden, die sich nach den Feldzügen gegen Frankreich 1792-1795 und gegen den polnischen Aufstand von 1794 für grundlegende Reformen in Armee und Gesellschaft Preußens einsetzte.

Nach der preußischen Niederlage 1806 war er einige Jahre an den Hof des Herzogs von Weimar abkommandiert, war wissenschaftlich und schriftstellerisch tätig und beteiligte sich aktiv im Kreis der Offiziere um Scharnhorst, Boyen und Clausewitz an der Reorganisation der Armee. R.v.L. war Mitglied der preußischen Delegation auf dem Wiener Kongreß 1814/15 und arbeitete ab 1815 in der zweiten Abteilung des Kriegsministeriums, dem Generalstab, die er ab 1819/21 leitete. In dieser Periode initiierte er die Bildung einer staatlichen Einrichtung für den Druck von Karten und graphischen Werken, die als Königliches Lithographisches Institut 1818 in Berlin geschaffen wurde und als deren erster Direktor er bekannt wurde.

Im Jahre 1837 wurde er von König Friedrich Wilhelm III. zum Direktor der Allgemeinen Kriegsschule zu Berlin ernannt. R.v.L. gab den ersten Schulatlas in Deutschland heraus und verfaßte eine Reihe philosophischer und militärhistorischer Schriften.

Die Lage seines Grabes ist nicht bekannt.

Carl von Schachtmeyer

Geboren am 27.8.1779, gestorben am 17.3.1825. Er war Kgl. Oberst und Kommandeur des Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiments. Sein Grab befindet sich im Feld III.

Theodor Schiemann

Geboren am17.7.1847, gestorben am 26.1.1921. Historiker und Professor für osteuropäische Geschichte, Lehrer an der Preußischen Kriegsakademie.Die Lage des Grabes ist nicht bekannt.

Kurd Wolfgang Wilhelm Gustav von Schöning

Generalmajor, geboren am 13. August 1789, gestorben am 2. April 1859.

Der Sohn eines preußischen Gutsbesitzers und Landrats tritt mit 11 Jahren in die Berliner Kadettenanstalt ein, wird im Kriegsjahr 1806 Fähnrich, dann Sekondeleutnant im Infanterieregiment Nr. 35 “Prinz Heinrich” und ist aktiv am Neuaufbau der preußischen Armee nach Jena und Auerstedt beteiligt. An den Feldzügen 1813/1815 nimmt er aktiv im 1. Westpreußischen Infanterieregiment Nr. 6 teil, erhält den Orden des Eisernen Kreuzes 2. und 1. Klasse und wird 1814 zum Premierleutnant befördert.

1815 wird er, nunmehr Kapitän im Berliner Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiment, als Adjutant in den Stab der Grenadierbrigade versetzt. Im Jahre 1820 wählt ihn Prinz Karl von Preußen zu seinem Adjutanten. 1827 nimmt er seinen Abschied vom Militärdienst und widmet sich voll der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit, gleichzeitig wird er zum Hofmarschall des Prinzen ernannt, erhält 1845 der Roten Adler Orden und wird 1856 zum Generalmajor ernannt sowie durch König Friedrich Wilhelm IV. mit dem offiziellen Titel „Historiograph der Armee“ ausgezeichnet.

S. war einer der bekanntesten und anerkannten Militärschriftsteller des 19. Jahrhunderts. Insbesondere sein Lebenswerk über die Generale der kurbrandenburgisch-preußischen Armee bis zum Jahre 1840 war Standard-Handbuch der Lehre und Forschung im preußischen Heer. Von herausragender Bedeutung sind weiterhin die Publikationen „Geschichte des Regiments Garde du Corps“, „Geschichte des Bayerischen Erbfolgekrieges“ und „Der Generalfeldmarschall von Schöning“. Der General von Schöning wurde am 5. April 1859 auf dem Offiziersfriedhof an der Linienstraße beigesetzt.

Die Grabstelle ist nicht mehr vorhanden.

Lewin Rudolph von der Schulenburg

1721-1788 Generalleutnant

1743 Eintritt in die preußische Armee als Gefreiterkorporal, IR 25, 1745 Fähnrich, 1750 Sekondeleutnant, 1758 Kapitän und Flügeladjutant des Königs, 1760 Major, 1771 Oberst, 1779 Generalmajor, Departements- und Kriegsminister, 1787 Generalleutnant, Chef des 3. Departements des Oberkriegskollegiums, Direktor des Potsdamer Waisenhauses, Geheimer Staats- und Kriegsminister

Familie von Stülpnagel

Ein 19-jähriges Opfer des I. Welkrieges aus der uckermärkischen Familie von Stülpnagel

Ferdinand Wolf Konstantin entstammte dem Adelsgeschlecht von Stülpnagel aus der Uckermark. Er war der Sohn des späteren preußischen Generals der Infanterie Ferdiand Wolf (1813-1885) und dessen Ehefrau Cäcilie, geborene von Lossau (1809–1886).

Grabkreuz für Jeannette von Stülpnagel (1786 – 1866), geborene von Blankenstein, die Ehefrau des Generals Ferdinand Wilhelm Wolf von Stülpnagel (1871 – 1839).

Das Grabkreuz für General von Stülpnagel ist verschwunden, vermutlich stand es auf dem noch vorhandenen Steinsockel.

Wolf Louis Anton Ferdinand von Stülpnagel

(1813 – 1885)

Sohn eines preußischen Generals, geboren in Berlin, besuchte er das Gymnasium in Königsberg und trat mit 16 Jhren in das Infanterieregiment Nr. 3 ein,wurde 1830 Portepéefähnrich und 1831 Unterleutnant.

1840 ist er Premierleutnant, 1847 Hauptmann und Kompaniechef in Neuruppin (IR 24). In diesem Regiment nimmt er 1848/1849 an der Niederschlagung revolutionärer Bewegungen in Berlin und am Feldzug gegen demokratische Kräfte in Westfalen, in der Pfalz und in Baden teil.

Enge Beziehungen zum General Wrangel und Prinz Friedrich Carl führen General von Stülpnagel in den Kriegen zwischen 1864 und 1870 auf höchste Kommandostellen, u.a. zum Gouverneur von Berlin und Chef der Landgendarmerie.

Daniel Friedrich Gottlob Teichert

Preußischer Oberstleutnant der Artillerie, geboren am 1. Februar 1796 in Berlin, gestorben an der Cholera am 21. September 1853. Freiwilliger im Jahre 1813, später Artillerieoffizier und Lehrer an der Artillerieschule in Berlin, als preußischer Major gewählter Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main 1848/49. Ab 1849 Beamter im Preußischen Kriegsministerium.

Das gußeiserne Grabdenkmal in Gestalt eines neugotischen Tabernakels befindet sich im Feld V.

Georg Friedrich Ludwig von Tempelhoff

Geboren am 19. März 1737, gestorben am 13. Juli 1807, Mathematiker, Generalleutnant, Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Preußischen Akademie der Künste. Ab 1805 General-Inspektor aller militärischen Erziehungsanstalten des preußischen Staates.

Aus einer preußischen Beamtenfamilie stammend, trat der Absolvent der Universitäten Frankfurt an der Oder und Halle an der Saale im Jahre 1756 in die Armee König Friedrichs II. ein, nahm als einfacher Artillerist an den bedeutenden Schlachten des Siebenjährigen Krieges teil, wurde 1759 Offizier und begann unmittelbar nach dem Krieg mit militärhistorischen, mathematischen und astronomischen Studien. Im Jahre 1775 vollendete er sein erstes Buch über die Taktik der Artillerie, das zur Zufriedenheit König Friedrichs II. ausfiel, aber sogleich aus Gründen der militärischen Geheimhaltung nicht publiziert werden durfte. T. konnte aber Mathematik und Ballistik für die Offiziere der Berliner Garnison lehren, erreichte durch seine Teilnahme am Feldzug von 1778/79 den Rang eines Kapitäns. Nach der Rückkehr in die Hauptstadt Berlin hielt von Tempelhoff vor den Offizieren der Residenz Vorlesungen über Festungslehre. Auch sein zweites Buch aus dem Jahre 1781 “Le Bombardier Prussien” blieb militärische Verschlußsache. König Friedrich II. erhob 1784 T. in den erblichen Adelsstand, verweigerte ihm aber die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften.

Unter Friedrich Wilhelm II. erhielt T. ein Artillerieregiment, den Generalsrang und nun auch endlich die ersehnte Aufnahme in beide preußische Akademien zu Berlin, die der Wissenschaften und die der Künste. Zugleich beauftragte ihn der König 1787 mit der Ausbildung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seines Bruders Ludwig in den mathematischen und militärischen Wissenschaften. Im Jahre 1791 wurde von Tempelhoff zum Direktor der neuerrichteten Artillerieakademie in Berlin ernannt, widmete den Großteil seiner Zeit der militärwissenschaftlichen Forschung und veröffentlichte zwischen 1783 und 1802 sein Hauptwerk, die “Geschichte des Siebenjährigen Krieges” in 6 Bänden.

Am Feldzug gegen Frankreich 1792-94 nahm er als Chef eines Artillerieregiments teil, mußte wegen offener Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten auf Weisung des Königs Friedrich Wilhelm II. das Kommando abgeben, wurde aber später durch König Friedrich Wilhelm III. rehabilitiert, 1802 zum Generalleutnant befördert und mit dem Roten und Schwarzen Adler Orden ausgezeichnet. Der König vertraute ihm auch die Ausbildung seiner Brüder, der Prinzen Heinrich und Wilhelm, in Fortifikation und Artilleriewesen an. Eines der historischen Verdienste von Tempelhoffs war die Bemühung um die Aufnahme Scharnhorsts in die Reihen der preußischen Armee und dessen Unterstützung als sein Regimentschef in den Jahren ab 1801.

Die Grabstelle des Generals von Tempelhoff auf dem Alten Garnisonfriedhof ist nicht mehr auffindbar.

Ernst Ludwig von Tippelskirch

Geboren am 26.7.1774, gestorben am 23.1.1840. Als Kgl. Generalleutnant war er von 1827-1840 Kommandant und Militärgouverneur von Berlin, damit auch Dienstherr der Garnisongemeinde. Nach Eintragungen in den Militärkirchenbüchern und Gemeindeakten achtete er auf strengste Sparsamkeit bei der Regelung wirtschaftlicher Fragen.

Sein Grab befindet sich im Feld III.

Ludwig Ernst Philipp von Toll

(1775 – 1851) Der Westfale v. T. war Sohn eines preußischen Offiziers und begann seine militärische Karriere im Infanterieregiment Nr. 10 als 14jähriger Gefreiterkorporal im Jahre 1789. Als Fähnrich nahm er an den Feldzügen gegen das republikanische Frankreich von 1792 bis 1794 teil und erlebte auch die historische Kanonade von Valmy am 21. September 1792.

Nach Jahren des Garnisondienstes in verschiedenen Infanterieregimentern mußte er seine Offizierslaufbahn nach dem Zusammenbruch von 1806/07 unterbrechen, da er als Westfale nach den Bedingungen des Tilsiter Friedens nicht in der preußischen Armee dienen durfte. In den Reihen der französischen Armee kämpfte er in Spanien gegen die Engländer und in Deutschland gegen die preußisch-russische Allianz, erhielt für seine Verdienste in der Schlacht bei Dresden 1813 das Offizierskreuz der französischen Ehrenlegion. Nach der Befreiung Westfalens von der französischen Besetzung kehrte er als Major in die Reihen der preußischen Armee zurück, nahm am Feldzug 1815 teil und wurde bei Belle Alliance mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. 1816 wurde er zum Infanterieregiment Nr. 33 versetzt, erhielt 1830 seine Ernennung zum Oberst und 1838 zum Generalmajor. Ab 1834 war von Toll Kommandant der

Festung Graudenz. König Friedrich Wilhelm IV. zeichnete ihn 1841 mit dem Roten Adler Orden aus und beförderte ihn 1842 zum Generalleutnant.

General von Toll wurde am 17. Januar 1851 auf dem Offiziersfriedhof an der Linienstraße beigesetzt. Auch seine Ehefrau Friederike fand drei Jahre später auf diesem Friedhof ihre Ruhe. Die Grabkreuze aus Eisenguß sind bis heute erhalten.

Georg Wilhelm, Freiherr von Valentini

General, Militärhistoriker und Schriftsteller, geboren am 21. August 1775, gestorben am 6. August 1834.

Kadett zu Berlin, Teilnahme als Offizier im Jägerkorps an den Feldzügen gegen Frankreich 1793/1794, Verfasser des Buches „Vom Kleinen Kriege“, mehrere Auflagen, Bekanntschaft mit dem Militärschriftsteller Berenhorst,

1804 Versetzung in den Generalstab, 1809 Buch „Versuch einer Geschichte des Feldzuges von 1809“, 1810 in russischen Diensten, 1812 als Oberstleutnant wieder im Preußischen Generalstab, Lehrer des Kronprinzen, Teilnahme an den Feldzügen 1813/1815 im Korps Blücher, später Yorck, 1815 Kommandant der Festung Glogau. Es folgen Publikationen (1820 „Die Lehre vom Kriege“, 1828 „Erinnerungen eines alten preußischen Offizieres aus den Jahren 1792 bis 1794“, 1830 „Buch über den Türkenkrieg 1830“). 1828 wurde er Generalinspekteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens.

Die Grabstelle ist nicht erhalten.

Porträt des Schriftstellers Julius von Voss,
gezeichnet von E.T.A. Hoffmann

Julius von Voß

Geboren am 24. August 1768 in Brandenburg/Havel. Gegen den Willen des Vaters trat er mit 14 Jahren in das Heer ein. Er beschäftigte sich mit der Kriegswissenschaft, arbeitete Reformvorschläge aus und schlug Verbesserungen im Artilleriewesen vor; die Anerkennung hierfür blieb ebenso aus wie für seine Leistungen im Kriege. Im polnischen Feldzug 1794 gelang es ihm, die Kriegskasse aus Thorn zu retten; sein Oberst erhielt die Belohnung, Voß zwar den pour le mérite, wartete aber vergeblich auf seine Beförderung. Enttäuscht nahm er 1798 seinen Abschied, ließ sich nach Auslandsreisen in Berlin nieder und verdiente durch schriftstellerische Tätigkeit seinen Lebensunterhalt.

Voss war ein ausgezeichneter Offizier, Autodidakt, technisch und wissenschaftlich befähigt. Der spätere Berliner Schriftsteller und Bühnenautor Julius von Voss (1768–1832), zwischen 1782 und 1788 Fähnrich und später Offizier im Infanterie-Regiment (Nr. 12) des Generals von Wunsch zu Prenzlau, umschrieb in seiner Autobiographie im Anhang seiner Publikation „Abriß zu einer sublimen Kriegskunst mit der militairischen Laufbahn des Verfassers“, Berlin 1808, das Prenzlauer Alltagsleben der Offiziere und Fähnriche mit den Begriffen Drill, Dirnen, Spiel, Trunk.

Unter anderem beschrieb Voss bildreich den sonderbaren Intellektuellen – Leutnant Carl Andreas von Boguslawski -, der für den jüngeren Voss zum Freund, zum intellektuellen und militärischen Vorbild wurde. Die geistigen Bedürfnisse des jungen Offiziers ließen Voss nach dem Tode des Generals von Wunsch über den Vater und über die Verbindungen von Förderern eine erfolgreiche Versetzung weg von Prenzlau in die Residenz Berlin (Infanterieregiment Nr. 46 „Alt-Pfuhl“) bewerkstelligen.

Mit diesem Regiment zieht von Voss 1794 in den Krieg – gegen die polnischen Aufständischen, ausführlichst beschrieben in der Autobiographie im Anhang zur „Sublimen Kriegskunst“ von 1808.

Auf die Initiative und auf die Planungen des Leutnant von Voss geht die erfolgreiche Verteidigung der befestigten Stadt Thorn im Jahre 1794 gegen die Truppen der polnischen Insurgenten unter Führung der Generale Dabrowski, Madalinski und Bielamowski zurück. Für diese militärische Leistung erhielt er den Orden Pour le mérite. Mangelnde Selbstdisziplin, ungezügeltes Temperament und blindes Vertrauen in den „gerechten König” führten Leutnant von Voß nach 1794 angesichts der täglichen Ungerechtigkeiten, des Nepotismus, der persönlichen Kränkungen durch Vorgesetzte in eine Karriere-Sackgasse, der er nur durch den radikalen Bruch mit der dennoch geliebten Armee entfliehen konnte. Den ungestümen Kämpfer gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse der Armee jener Tage liest man in jeder militärtheoretischen Schrift heraus, die er vor und nach 1806 publiziert. Von den über zwanzig zeitgeschichtlichen, militärwissenschaftlichen und politischen Publikationen sind als bedeutend zu nennen: “Beiträge zur Philosophie der Kriegkunst” 1804, “Geschichte eines bei Jena gefangenen preußischen Offiziers” 1807, “Was war nach der Schlacht von Jena zur Rettung des preußischen Staates zu thun?” 1807, “Fragmente über Deutschlands Politik und Kriegskunst” 1807, “Anleitung zur sublimen Kriegskunst” 1808, “Feldtaschenbuch für junge Freiwillige” 1813, “Sendschreiben eines Brandenburgers an die Bewohner Rheinpreußens” 1818). Die militärische und gesellschaftliche Katastrophe Preußens von 1806 sieht er wie viele seiner sinnesverwandten Kollegen voraus, bleibt aber ohne Einfluß, da außerhalb der Armee.

Das Theater hatte ihn immer angezogen, sehr zum Leidwesen der Eltern, die eine exzellente militärische Karriere von ihm erwarteten. Schon während der Abkommandierungen nach Berlin zur militärischen Weiterbildung in den Wintermonaten war er mehr in den Theatersälen als in den Unterrichtsräume zu sehen. Nach dem Ausscheiden aus der Armee im Jahre 1798 hatte sich Julius von Voss auf Reisen in Frankreich, Österreich, Italien, Dänemark mit modernen Entwicklungen in der Dramatik und dem Lustspiel bekannt gemacht. Seine Bestrebungen nach einer festen Theater-Anstellung oder gar der Leitung eines Berliner Theaters bleiben ergebnislos, trotz der Bekanntschaft mit E. T. A. Hoffmann, die aus der Militärzeit in der Festung Glogau zwischen 1796 und 1798 herrührte.

Auf dem Berliner Theater ist 1804 erstmalig mit der Übersetzung der “Armide” von Qinault (Paris 1802) zu sehen, es folgen Lustspiele und Possen (u. a. “Ton des Tages” 1805, “Der Bankerott” 1805, das wohl bekannteste Stück “Künstlers Erdenwallen”, in dem er sich in der Rolle des Magister Lämmermeier selbst charakterisiert), Der Philosoph Immanuel Kant und der Dramatiker Friedrich Schiller sind seine Leitsterne, den Kreis der Romantiker um die Gebrüder Schlegel, de la Motte Fouqué und die romantische Graecomanie bekämpft er mit Hohn und Satire. Der “Almanachskatholizismus” ist ihm verhaßt, bigotte Frömmelei wird in ihrer christlichen und jüdischen Gestalt satirisch behandelt (“Die Flitterwochen” 1818, “Die Griechheit” 1807, Der Berlinische Robinson” 1810).

Voss gilt als einer der letzten Berliner Aufklärer, den Ideen und Idealen der Zeit Friedrich II. verhaftet und fast hilflos den neuen ökonomischen und moralischen Tendenzen des anbrechenden 19. Jahrhunderts ausgesetzt. Aus der fast unübersehbaren Menge seiner literarischen Produkte ragen diejenigen Werke heraus, die der Darstellung des Berliner Kleinbürgertums gewidmet sind. Auf diesem Felde kann man ihn als Bahnbrecher sehen (“Die Schildbürger” 1823, “Fräulein, Mamsell und Jungfer Kunkel” 1817)

Ein bedeutender Teil seiner über 200 Werke sind Prosaschriften. Darunter sind die folgenden Romane und Erzählungen erwähnenswert: “Ignatz von Jablonsky oder die Lebenden in den Tiefen der Weichsel” 1806, “Gemälde der Verfinsterung in Abessinien” 1818, „Florens Abenteuer in Afrika” 1808,

Das Lustspiel “Der Stralower Fischzug” war von Julius von Voss programmatisch in der Vorrede als Volksstück mit Gesang konzipiert worden. Am 18. Oktober 1821 überaus erfolgreich im Königlichen Opernhaus Berlin uraufgeführt, machte es Voss über Nacht berühmt. Für die Berliner war es sofort ihr Stück, nicht zuletzt auch, weil ihr Dialekt und auch das sehr verwandte Plattdeutsche auf die Bühne gebracht wurde.

Der nun einmal Erfolgreiche aber kann seine finanzielle Situation nicht dauerhaft verbessern. Die verbleibenden zehn Jahre lebt Voss unter ärmlichen Bedingungen, wenn auch eine königliche Pension einen Umzug aus dem proletarischen Voigtland in die bürgerliche Stallschreiberstraße im Stadtzentrum erlaubt hatte. Vereinsamt stirbt Voss in Berlin im Jahre 1832, als ehemaliger Offzier wird er auf dem Alten Garnisonfriedhof an der Linienstraße beigesetzt.

Julius von Voß

(1768 – 1832)

Leutnant, Schriftsteller

Friedrich Wilhelm von Wartenberg

(1725 -1807, beigesetzt am 30.2. in der Berliner Garnisonkirche) Generalleutnant

geboren in Luggendorf, Ostprignitz

1738 Kadett zu Berlin, 1741 Leibpage Friedrichs II., 1743 Sekondeleutnant und Flügeladjutant, 1745 Kapitän, 1763 Oberst, Generalintendant, Direktor im Oberkriegskollegium, 1770 Generalmajor, 1781 Generalleutnant, SA (1784), Gutsbesitzer zu Trampe

Heinrich Emin von Wildenbruch

Geboren am 21.10.1842, gestorben am 14.3.1893. Er war Oberst des Generalstabes der Armee und Mitglied der Kriegsakademie. Er ist der älteste Bruder des Dichters Ernst von Wildenbruch und ein Urgroßneffe Friedrichs II.

Das Grab des Dichters Ernst von Wildenbruch befindet sich auf dem historischen „Alten Friedhof“ in Weimar. Es bestehen Hinweise, daß die Mutter und zwei Brüder des Dichters auf dem Garnisonfriedhof bestattet worden waren. Der Grabstein des ältesten Bruders, Emin von Wildenbruch, ist noch vorhanden. Die Brüder waren Urgroßneffen Friedrichs II. Ihr Vater, General Louis von Wildenbruch, war ein Sohn des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen.

Heinrich Christoph Karl Hermann Graf von Wylich und Lottum

Generalleutnant, geboren als Sohn eines Generals am 8. Januar 1773, gestorben am 8. Februar 1830. Als Dragoneroffizier Teilnahme an den Feldzügen gegen die französische Republik 1792/1795 und an den Feldzügen gegen Napoleon 1806 und 1813/1815. 1803-1805 Mitglied der Militärischen Gesellschaft in Berlin. Ab 1829 Kommandant der Festung Torgau.

Die Grabstelle ist nicht erhalten.

Gustav Adolf von Ziegler

Generalmajor (1808-1882), Sohn eines preußischen Offiziers, 1824 Eintritt als Grenadier in das Berliner Kaiser-Franz-Regiment. 1826 Sekondeleutnant, 1830-33 Besuch der Allgemeinen Kriegsschule, 1846 Hauptmann im 17. IR. Teilnahme am Feldzug gegen die Volksbewegungen in der Pfalz und in Baden 1849. Roter Adler Orden, Erlebnisdbericht „Erinnerungen aus dem Jahre 1849 für das Königl. Preuß. 17. Infanterieregiment“. Danach Kommandeur eines Ladwehrregiments und der Festung Minden, Chef der Freimaurerloge Berlin.

Grabstein Zieglers auf dem Garnisonfriedhof, am Kubus die Insignien der Freimaurerloge, vereint mit dem

Symbol des preußischen Offiziers, dem Eisernen Kreuz nach dem Entwurf Schinkel

Rühle von Lilienstern – Einer der klügsten Offiziere der preußischen Armee, Freund des Dichters Heinrich von Kleist, Herausgeber und Verfasser bedeutender militärwissenschaftler Publikationen, Schüler und lebenslanger Verehrer des Generalstäblers Christian von Massenbach, hat auf dem Berliner Garnisonfriedhof seine Spuren hinterlassen, obwohl er selbst in Salzburg begraben liegt. Aber das Grab seiner Frau befindet sich auf diesem Friedhof, daher beginnt die Spurensuche an Ihrem Grab, obwohl kein Stein oder Eisenkreuz zu finden ist. Aber eine Broschüre in den Berliner Archiven:


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anno 1848 – am 10. April. Unruhige Tage im revolutionärer Berlin. Angereist sind Kunsthändler von Rang aus Kopenhagen, London, aus Köln, Hamburg, Breslau, Leipzig, Braunschweig, anwesend die Herren Meyer und Walter aus Berlin. 56 wertvolle Stücke kommen unter den Hammer – von Hans Holbein bis Bartolomé Esteban Murillo. Eine Sammlung aus dem Nachlass des preußischen Generals Rühle von Lilienstern, verstorben vor einem Dreivierteljahr in Salzburg.

Wer war dieser General, dessen Name nicht nur den Militärhistorikern, sondern auch den Germanisten und Kunstwissenschaftlern geläufig ist, dessen Schriften auch heute noch im renommierten Wiener Karolinger Verlag herausgegeben werden (Man lasse sich nicht durch die martialisch anmutenden Titel abschrecken – „Reise mit der Armee 1809“ oder „Apologie des Krieges).

Geboren wurde er 1780 in der Prignitz, im kleinen Dörfchen Königsberg, das Gutshaus aus jener Periode steht noch, mehrfach umgebaut, eine Schule angehängt, aber doch noch erkennbar als Schmuckstück der einfachen adligen Grundbesitzerfamilie aus friderizianischen Zeiten. Der Vater schickte den 13-Jährigen in die Berliner Kadettenanstalt, dort fiel Johann Jakob Otto August durch Fleiß, Neugier, Sprachbegabung und und Zeichentalent auf. Nicht verwunderlich, waren doch zwei seiner Professoren die in der Kulturszene der königlichen Residenz hochangesehenen und später in Spitzenpositionen gelangten Karl Wilhelm Ramler (Intendant des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt)  und Heinrich von Minutoli (einer der Gründungsväter der ägyptischen Sammlungen).  Der begabte Jüngling erstieg schnell die ersten Sprossen der militärischen Stufenleiter, schon mit 15 Jahren ist er Fähnrich in der Potsdamer königlichen Garde. Obwohl ihm die Kriegserfahrung fehlt, ist er bald Leutnant im Regiment Nr. 5, versetzt dank seines Zeichentalents in die „Plankammer“, der topografischen Abteilung des Generalstabes.

In jenem Potsdamer Eliteregiment kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit dem Leutnant Heinrich von Kleist, beide vereint in der Ablehnung des Kadavergehorsams, der Säule der preußischen Armee, für denkende und humanistisch gesinnte Offiziere in der Periode der Aufklärung eine Schande, ein hassenswertes Überbleibsel aus den Tagen des großen Friedrich. Kleist demissioniert, Rühle von Lilienstern bleibt, aber in der Nische der Plankammer. Ihre enge Freundschaft überdauert die Jahre, überdauert den nächsten Krieg, ihr Idol wird der  Stabsoffizier Christian von Massenbach, einer der politisierenden Köpfe in Preußens Militär, der den Leutnant Rühle von Lilienstern in die Gruppe der jungen Talente aufnimmt, denen er in der „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“, in der „École de génie de Potsdam“ und in einer topographischen Spezialeinheit des Generalstabes eine Sonderausbildung zukommen lässt.

Informell wird Rühle persönlicher Adjutant des Obersten von Massenbach, teilt auch dessen politische Auffassung, dass nicht das revolutionäre Frankreich, sondern die konservativen Mächte Russland, Österreich und England die strategischen Gegner Preußens seien. Der Oktober 1806 findet Rühle nun offiziell als Adjutant im Stab des Fürsten Hohenlohe, kommandiert von Massenbach, verheerend geschlagen durch die Truppen Napoleons in Thüringen. Rühle veröffentlicht als einer der Ersten einen schonungslosen Bericht über den Zusammenbruch von Armee und Staat Preußens in jenem Herbst („Bericht eines Augenzeugen …“, herausgegeben bei Cotta in Tübingen). Dem Schicksal der längeren Gefangenschaft entgangen, trifft Rühle 1807 seinen Freund Kleist in Dresden wieder und wird in die kulturpolitischen Auseinandersetzungen um die neue Ästhetik der Künstlergruppe um Caspar David Friedrich hineingezogen. Seine publizistischen Arbeiten aus diesen Jahren sind heute noch lesenswert, insbesondere zum Gemälde „Kreuz im Gebirge“. Er unterstützt Kleist bei der Herausgabe der Zeitschrift „Phoenix“, im Ringen um die Aufführung der Theaterstücke, beim Aufspüren von Geldmitteln.

Nach dem Tode Kleists und dem Ende der Napoleonischen Kriege wird Rühle zu einem der herausragenden und geschätzten höheren Offiziere im Berliner Großen Generalstab Preußens. Er initiiert die Schaffung eines eigenen lithograpischen Instituts der Armee, setzt sich leidenschaftlich für die Erhöhung der Qualität der Kartographie ein, für intensive Forschungen auf den Gebieten der Orientalistik, der Afrikanistik, der Statistik, der Wirtschaftsgeographie. So ist es nicht verwunderlich, dass der nunmehrige General Rühle von Lilienstern, Abteilungsleiter im Generalstab, im engen Kontakt zu den Freunden in Dresden, Weimar, Erfurt, Jena und im Rheinland sich auf dem Laufenden hält über neuen Tendenzen der Kunst- und Literaturszene und auch auf dem Kunstmarkt aktiv ist. (Interessierte können jenes Auktionsverzeichnis ab Mitte Oktober auf Anfrage über meine e-mail-Adresse dr.dieter.weigert@gmail.com bestellen)

Die Hugenotten

Der „gesunde Menschenverstand“ sagt uns, dass Hugenottenfamilien in Brandenburg-Preußen für die Beisetzung ihrer Angehörigen sich Plätze auf ihren eigenen Friedhöfen auswählten – an der Liesenstaße, an der Chausseestraße. Dort finden wir die Gräber Fontanes, Chodowieckis, Ravenés, Ancillons und Devrients. Aber da gab es auch Ausnahmen – die Offiziere der Berliner Garnison hugenottischer Abstammung. Drei von Ihnen liegen auf dem alten Garnisonkirchhof an der Linienstraße begraben und die sterblichen Überreste eines Generals fanden sich – mumifiziert – in einer Gruft unter der l’église militaire, der Garnisonkirche an der Kreuzung Spandauer Straße und Neue Friedrichstraße. Die Gruft wurde samt der Kirche durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges zerstört, die Gräber der anderen drei sind erhalten, zwei davon mit ihren originalen Grabmonumenten des 19. Jahrhunderts.

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Da finden wir den Grabstein für Pierre de Colomb, geboren am 19. Juli 1775, gestorben am 12. November 1854. Er war hugenottischer Abstammung, verwandt mit der Mutter der Brüder Humboldt und ein Schwager Blüchers. Als Rittmeister und Kampfgefährte Lützows nahm er in den Jahren 1813/14 an den Napoleonischen Kriegen teil und zeichnete sich als Anführer einer Freischar aus. Er war zuletzt General der Kavallerie und ab 1841 Kommandant von Berlin. Sein Grab befindet sich im Feld VI des alten Friedhofs.

Nur wenige Schritte entfernt liegt eine Steinplatte, auf ihr die Daten eines Oberstleutnant mit französischem Familiennamen – GONTARD (1764 – 1839). Karl Ludwig werden als Vornamen verzeichnet, als militärische Funktion die eines „Platzmajors“. Jener Offizier, Ehrenbürger der Stadt Berlin, war der Sohn des großen königlichen Architekten Carl Philipp Christian von Gontard, des Schöpfers der Kuppelbauten neben den beiden Kirchen auf dem Gendarmenmarkt.

Der Ehrenbürgertitel wurde ihm verliehen, weil er aus Sicht der Stadtverwaltung in den Jahren der französischen Besatzung 1906-1809 umsichtig und diplomatisch die französisch-deutschen Konflikte auf ein Minimum reduzierte. Von seiner ursprünglichen Grabanlage ist leider nur ein Foto erhalten.

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Der Baron de la Motte Fouqué ist der bekannteste der auf jenem Friedhof beigesetzten Offiziere hugenottischer Abstammung. (1777 – 1843). Er entstammte einer adligen hugenottischen Emigrantenfamilie. Der Großvater war General unter Friedrich II. Fouqué war ab 1794 acht Jahre im aktiven Militärdienst.

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1813 meldete er sich für die freiwilligen Verbände gegen Napoleon. Ende 1813 quittierte er den Dienst aus gesundheitlichen Gründen. Zu seinem militärischen Freundeskreis zählten u.a. von Gneisenau, von Valentini und von dem Knesebeck.

Im Januar 1803 heiratete Fouqué Karoline Rochow, geborene von Briest. Wohnsitz war nun für etwa 30 Jahre Schloss Nennhausen. Fouqué arbeitete als Schriftsteller und Herausgeber. Nennhausen wurde Treffpunkt für einen literarischen Freundeskreis, gruppiert um Heinrich von Kleist. Von der Vielzahl romantischer Dichtungen ist das bis in die Gegenwart bekannteste Werk „Undine“. Dieses 1811 entstandene Kunstmärchen wurde von E.T.A. Hoffmann und A. Lortzing vertont. H.W. Henze erarbeitete daraus ein Ballett.

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Das Grab befindet sich im Feld III.

Bleibt noch der General, dessen mumifizierte Leiche in Uniform bis zum Zweiten Weltkrieg in einer Gruft der Berliner Garnisonkirche ruhte:

Anton Wilhelm von L’Estoq

Am Dienstag, d. 10. Januar 1815 meldeten die „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“: „Am 5ten dieses, früh um ein Viertel auf 6 Uhr, endigte eine Lungen-Entzündung das thatenvolle Leben Sr. Exzellenz des Generals der Cavallerie, Ritters des Königl. großen schwarzen und des rothen Adler-, imgleichen des Verdienst-Ordens, auch des Russischen St. Alexander-Newsky und Stt. Georgen-Ordens zweiter Klasse, Domprobst zu Brandenburg etc. etc., Herrn Anton Wilhelm von L’Estocq, im 77sten Jahre seines Alters.“

Geboren 1738 in Celle als Sohn eines preußischen Offiziers hugenottischer Abstammung, trat L’Estocq 1757 als Fahnenjunker in das Berliner Regiment Gensd’armes ein und nahm im Siebenjährigen Krieg an den Schlachten von Zorndorf, Kunersdorf und Torgau teil. 1761 erhielt er für das Gefecht bei Langensalza den Orden Pour le mérite. Im Jahre 1768 wurde er Premierleutnant und in das Regiment des Husaren-Generals von Zieten versetzt, dessen Adjutant er wurde. In kürzester Zeit durchlief er die Stationen Stabsrittmeister, Major und Oberstleutnant, schließlich ernannte König Friedrich Wilhelm II. 1790 den Husarenoffizier L’Estocq zum Obersten und Bataillonskommandeur im Regiment von Eben (Husarenregiment Nr. 2).

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Im Feldzug gegen Frankreich 1793/94 nahm er an den Gefechten bei Kaiserslautern, Morsbrunn und Trippstadt teil und wurde 1794 Kommandeur des Husarenregiment Nr. 2. Nach dem Frieden von Basel (1795) war das Regiment Nr. 2 Bestandteil des Armeekorps in Westfalen, das die Demarkationslinie zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich überwachte.

1803 wurde der inzwischen zum Generalmajor avancierte L’Estocq im nach der dritten polnischen Teilung gewonnenen Neu Ostpreußen eingesetzt und zum Chef des Husarenregiments Nr. 9 sowie zum Oberkommandierenden aller in diesem Gebiet stationierten preußischen Truppen ernannt.

1805 erreichte er den Rang eines Generalleutnants, den Feldzug 1806/07 erlebte er in der Schlacht bei Preußisch-Eylau, dort konnte er mit dem Schwarzen Adler Orden ausgezeichnet werden.

L’Estocq war einer der wenigen Generale, die ihren Rang nach dem Zusammenbruch der alten preußischen Armee behalten durften. 1807 belohnte ihn der König darüberhinaus mit der Domprobstei von Brandenburg/Havel und ernannte ihn zum Mitglied der Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und sonstiger Ereignisse des letzten Krieges.

Einen der Höhepunkte der militärischen Karriere des Generals von L’Estocq bildete die Berufung zum Gouverneur der Residenz Berlin am 12.11. 1808. Im Jahre 1815 starb L’Estocq in Berlin und wurde am Sonntag, d. 8. Januar in den Grüften der Garnisonkirche mit feierlichen Ehren bei Anwesenheit der königlichen Prinzen und der Berliner Generalität beigesetzt.

SONIA HORN – polnische Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime

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Das „Scheunenviertel“ im Berliner Osten war Zufluchtsort seit Jahrhunderten für verfolgte aus dem Riesenreich der russischen Zaren – Juden und Nichtjuden aus Polen, der Ukraine, den baltischen Ländern, Weißrussland. Die Kneipen, kleinen Kellerläden, die Hinterhöfe der Münz-, Grenadier-, Hirten-, Dragoner-, Mulackstraße beherbergten die Ärmsten der Armen, aber auch schon diejenigen, die es schon zu etwas gebracht hatten – kleine Straßenhändler, Musikanten, Zuhälter, Spitzel der Geheimpolizei, Flickschuster und Änderungsschneider.

Wir wissen leider nicht, wie die Frau hieß und welche Tätigkeit sie ausgeübt hatte, bei der die Polin Sonia Horn im April 1945 nach ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager Ravensbrück Zuflucht gesucht hatte. Wir wissen, dass sie eine Verwandte oder eine Freundin der Mutter Stanislawa Kowalska war, dass sie in der Mulackstraße 23 wohnte. Und wir kennen das tragische Schicksal der jungen Frau, denn ihr Grabstein in der südöstlichen Ecke des benachbarten alten historischen Garnisonfriedhof gibt Auskunft: sie starb am 29. April 1945, am vorletzten Tag des Krieges.

Was wissen wir aus ihrem Leben? Sonia war die Tochter einer Polin und eines deutschen Vaters, wuchs bei der Mutter in Myslowice (Schlesien) auf, nahm als Kind Tanzunterricht, wird aber in einer Klosterschule auf das „wirkliche Leben“ vorbereitet. Sie verliebt sich in den Lehrer Franticzek Roj, folgt ihm 1939 nach der Niederlage der polnischen Armee, deren Angehöriger ihr Geliebter als Reserveoffizier ist, in den Untergrund und nimmt aktiv am Widerstandskampf teil. Durch Verrat fliegt die Gruppe auf. Franticzek, der die Zusammenarbeit mit den Deutschen im Krieg mit der Sowjetunion ablehnt, wird 1943 von den Nazis in Auschwitz erschossen, Sonia in des KZ Ravensbrück verschleppt. Sie übersteht die Quälereien, spendet ihren mitgefangenen Frauen und Kindern durch Tanz Trost, überlebt das Grauen und kommt im Frühjahr 1945 frei. Zwei mögliche Erklärungen für das „Verschwinden“ des Häftlings Sonia in diesen letzten Monaten des Krieges, als die Rote Armee näher rückt, werden aufgrund mangelnder Archivmaterialien von den Historikern angeboten  – entweder die Flucht aus der Stadt Oranienburg, nachdem es ihr gelungen war, sich eine Stelle als „dienstverpflichtete Helferin“ bei einem SS-Arzt zu verschaffen oder ein Listenplatz für die Transporte nach Skandinavien des Internationalen Roten Kreuzes, den sie sich durch Bestechung oder falsche Papiere besorgt haben könnte.

Es gelingt – sie schlägt sich nach Berlin in die Mulackstraße durch, will das Ende des Krieges hier abwarten. Es ist ihr nicht vergönnt – sie fällt den letzten Straßenkämpfen in Berlin-Mitte, im „Scheunenviertel“ zum Opfer, ihr Körper wird in einem Massengrab Anfang Mai auf dem alten Militärfriedhof zwischen Linien- und Mulackstraße beigesetzt.

Dr. Dieter Weigert, im März 2023

Grün und Rot raus in Berlin – Zeichen an der Wand ?

Nach der Bundestagswahlahl 2021 schaute die Welt verwundert – die Einen erschreckt, die Anderen komplizenhaft erleichtert – auf Berlin – und war verunsichert: ein unheilschwangeres Brodeln unter der Oberfläche, die Bayern dominierten den Plenarsaal des Bundestages, die befehlsgewohnten Rheinländer begannen sich in Demut (Angebot statt Anspruch) zu üben. Die europäische Supermacht lag wie ein Panther mit eingezogenen, aber geschärften Krallen in geballter Spannung zwischen Landwehrkanal, Spreebogen und Neuem Tor.

So oder ähnlich hatte ich einen Blog unmittelbar nach den Wahlen begonnen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, was sich seither ereigen sollte.

Auch wenn es heute schwer zu lesen ist, führen wir uns die Vorstellungen von damals vor Augen:

Während Zeitungs-Schreiber, Redakteure, Schwatzmeisterinnen und Schwatzmeister der TV-Shows das Stimmvolk mit Nichtigkeiten und Personalspekulationen beschwichtigen und belustigen, halten sich die Granden in der die Außenwelt interessierenden Frage bedeckt – was steckt in den Gewehrläufen der deutschen Soldaten von heute? Eichenlaub oder Ölzweig? Neue globale Ansprüche der europäischen Nr. 1 oder die Beibehaltung der durch Angela Merkel so meisterhaft umgesetzten Strategie der Balance.

Bundestag im Glanze der Lobbyisten

Die Verlockungen und Herausforderungen liegen auf der Straße: die Afghanistan-„Schmach“ der USA, der von Präsident Macron schon vor langem verkündete „Hirntod“ der NATO,  der neue asiatisch-pazifische strategische Schauplatz des Wettbewerbs der Supermächte China, Russland und USA. Aljazeera: “A German economy that is the envy of the world but unprepared for the digital age”. Sind die Ideologen der Grünen, ist ihre bisher sich in Talkshows so bravourös geschlagene Personage (vor allem Özdemir, Baerbock, Nouripour ) in der Lage, diesen Anforderungen der globalen Wirtschaft gerecht zu werden? Lassen wir die jüngsten Fakten sprechen.

Ein sehr zeitgemäßes Beispiel ist der „Hamburg-Shanghai-Express“: Am 28. September eröffnete gleichzeitig die Fracht-Express-Linie Hamburg-Shanghai mit zwei – jeweils mit 50 Containern beladenen – Zügen eine neue erfolgversprechende eurasische Eisenbahnverbindung Europas mit China.

Die chinesische Seite geht in ihren Veröffentlichungen davon aus, dass die neue Expressverbindung die Frachtkosten schon in der Anfangsphase um etwa 30 % senken wird. Diese einmalig kurze Landverbindung ist nur möglich durch die Zusammenarbeit der Bahnverwaltungen Chinas, Kasachstans, Russlands, Belarus, Polens. Schon die Erwähnung dieser Staaten trifft unsere NGO-Finanziers am Berliner Neuen Tor ins Mark. Was werden sie tun auf dem möglichen Ministersessel oder als Ausschuss-Vorsitzende im Bundestag? Werden sie Kanzler Olaf Scholz in die Hamburger Suppe spucken? Werden sie den Präsidenten XI, Lukaschenko und Putin und den anderen direkt und indirekt mitwirkenden „Autokraten“ wie Orban oder Erdogan den Wirtschaftskrieg erklären? Können sie dem Druck der milliardenschweren Handelsketten der deutschen Großstädte, der angeschlagenen Autofirmen standhalten, die auf Ersatzteile, Solarzellen, Möbel, Maschinenteile, Bekleidung, Mikrochips schon seit Monaten warten und ihre Niederlassungen in China kurzfristig beliefern wollen?

(200412) — ALATAW PASS, April 12, 2020 (Xinhua) — Photo taken on April 11, 2020 shows cargos to be exported in Alataw Pass, northwest China’s Xinjiang Uygur Autonomous Region. Customs and border inspection officials at the Alataw Pass, a major land port in northwest China, are carrying out strict measures to prevent the COVID-19 epidemic from spreading through the port. (Xinhua/Sadat)

Jeder unaufgeregte sachliche Beobachter des Berliner politischen Theaters weiß: Die Grünen müssen ihre kriegerische NGO-Praxis und Rhetorik gegenüber China, Russland, Belarus überprüfen, sonst verliert Deutschland das zukunftsträchtige Geschäft. Innenpolitische Veränderungen in anderen Staaten – das müsste inzwischen bei der bürgerlichen Elite in Berlin und Stuttgart nach drei Jahrzehnten angekommen sein – erreicht man effektiver durch eine Politik des „Wandels durch Annäherung“ ( siehe Polen, Ungarn, DDR) als durch militärischen Druck  oder völkerrechtswidrigen „Sanktionen“ unter Führung eines inzwischen zahnlosen atlantischen Partners USA.

Mit einem Wort – bei den Grünen ist DEMUT angesagt. Sie hatten sie abgelegt nach der Wahlniederlage der Schröder-Fischer-Koalition, ihr Wahlkampf in diesem Jahr war von phantastischen Zielstellungen, Arroganz und unübersehbarer Unkenntnis in wesentlichen Bereichen der Politik geprägt – auffällig insbesondere im Auftreten von Baerbock und Özdemir. Sie glaubten ihren eigenen Sprüchen, ihr Realitätsverlust ist trotz rauschendem Beifall ihres Anhangs offensichtlich ! Die verheerende Niederlage – dem deutschen Publikum bisher in den Details wohlweislich verschwiegen – der Online-Taktik des von den Experten am Neuen Tor präparierten russischen Hauptverbündeten Navalny bei den Wahlen zur Staatsduma Russlands belegt darüber hinaus, dass das Unternehmen Baerbock & Co. auch in ihrem ureigensten Feld, der aggressiven Einmischung in ausländische Wahlen, nicht mehr up-to-date st. Auch im „Grünen Haus am Neuen Tor“ sollten die neuesten digitalen Erfahrungen bald Einzug halten, damit man weiß, was man ausländischen Partnern auf die Reise in den Koffer packt.

Da sind die Gesprächspartner und möglichen Koalitionspartner SPD und FDP schon drei Schritte weiter! Sie mussten in der Opposition und in der Großen Koalition die Bescheidenheit angesichts der strategischen Überlegenheit einer Angela Merkel schmerzhaft lernen. – und haben die mehrfachen Lektionen verstanden. Man kann nur hoffen, dass das erfahrene Scholz-Team mit Unterstützung pragmatischer Führungskreise der FDP die historische Chance einer neuen globalen Politik Deutschlands nicht verspielt – den Ölzweig der strategischen friedlichen Zusammenarbeit im Konzert der Groß- und Supermächte nicht dem aggressiven, ruhmlosen, interventionistischen preußisch-deutschen Eichenlaub opfert.

Soweit meine „narratives“ von damals. Was damals als Fragen aufgeschrieben war, ist nun einesteils bittere Realität – die schießwütigen Grünen im Verein mit hyper-aggressiven FDP-Damen

übertrumpfen die Neonazis in ihrem Russenhass und ihren Grundgesetzverstößen (Zensur der Medien), anderenteils das Versinken einer realistischen Opposition im Sumpf der manipulierten Masse – tragische Symbolfigur Bodo Ramelow, den ich bisher so geschätzt hatte.

EICHENLAUB ist doppelt angesagt, das furchtbare Synonym für Preußens dunkelsten Jahre – von Ölzweig spricht heute niemand.

Soweit die Lage 2021/22. Da entdeckt man die mangelnde CORRECTNESS bei den letzten Landtags- und Kommunalwahlen in Berlin, wir werden wieder an die URNE gerufen – Grün und Rot/Rot fliegen die Fetzen um die Ohren.

VORHER:

NACHHER ?

Lederer und Ramelow können gemeinsam heulen, in Erwartung, dass auch Bodo in Erfurt bei den nächsten Wahlen wegen seines hartleibigen Anti-Russismus durch die Thüringer Wähler abgestraft wird. Annalena sollte sich schon mal um einen Platz in der Hütte am Neuen Tor bewerben. Kanzler Merz wird sich nicht mit Studienabbrechern umgeben, ein Mann wird ihn bei den Antrittsbesuchen in Beijing und Moskau als Außenminister begleiten, kein Feminist und kein Bismarck-Verächter –

vielleicht der junge Mann aus dem thüringischen APOLDA ! Oder doch eine Frau – weiß man, wie die Welt in zwei/drei Jahren aussieht? Friedrich Merz ist alles zuzutrauen – er könnte sich zu einem deutschen TRUMP mausern !!!

(Foto vom Wahlabend Sachsen 2019)

Dr. Dieter Weigert, Berlin März 2023

Ein Wehrdienstverweigerer vor 222 Jahren 

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Vor den Toren Berlins wurde dem Charlottenburger Bürgermeister Otto Ferdinand Sydow und dessen Ehefrau Karoline Sophie Henriette geb. Müncheberg am 23. November 1800 ein Sohn geboren und in der Berliner Nikolaikirche  getauft. Als Geburtsort ist nicht Charlottenburg, sondern Berlin angegeben, weil die Mutter – obwohl sehr königstreu und voller Verehrung für Königin Luise – ihre fünf Knaben in Berlin bei ihren Eltern zur Welt brachte, um sie wegen der „Kantonfreiheit“ der Residenz Berlin dem preußischen Militärdienst zu entziehen. Schon als Kind kam Sydow in enge Berührung zum preußischen Offizierskorps, wurden doch seine Schwestern gemeinsam mit der Tochter des preußischen Stadtkommandanten, General von L ‚Estocq, erzogen. Durch Privatlehrer gut vorbereitet, konnte der Knabe Adolph ab 1812 das bekannte „Gymnasium zum Grauen Kloster“ in Berlin besuchen. Ein Stipendium versetzte ihn in die Lage, an der Berliner Universität bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Theologie zu studieren. Wegen der Teilnahme an burschenschaftlichen Aktivitäten wurde er 1819 verhört, durfte aber das Studium fortsetzen.  Schon während des dritten Studienjahres war der  Chef des Berliner Kadettenkorps, General von Brause,  auf Sydow aufmerksam geworden und hatte ihm auf  Empfehlung der Lehrer vom Gymnasium zum Grauen  Kloster das Angebot einer Repetentenstelle, eine Art  Hilfsprediger, an der Kadettenanstalt gemacht. General von Brause gehörte zum engeren Kreis der Offiziere um Scharnhorst und Boyen, die sich nach 1806 energisch um die Reformierung der preußischen Armee, um die Qualifizierung des Offizierskorps bemühten. Es ist daher nicht zufällig, dass er den durch beste Studienleistungen aufgefallenen Sydow für die Tätigkeit im reformierten Kadettenkorps ausgewählt hatte.  Mit 21 Jahren trat Sydow damit in den Staatsdienst, studierte nachts und legte seine Abschlussprüfungen an der Universität erst im Jahre 1827 ab – mit vorzüglichem Erfolg, was ihm die zweite theologische Prüfung ersparte. Diese Zeit an der Kadettenanstalt brachte ihn in engen Kontakt zu jungen Offizieren, die später bekannte Generale der preußischen Armee wurden – von Roon und von Scheliha.

Die ausgezeichneten Prüfungsergebnisse und die Protektion durch General von Brause bewogen das Konsistorium, dem jungen Sydow schon 1828 eine reguläre Predigerstelle an der Kadettenanstalt zu übertragen. Bis 1837 hat er diese Stelle ausgefüllt, geschätzt von den Kollegen, beliebt bei den Militärschülern und stets im Blickfeld des Königs. König Friedrich Wilhelm III. hatte 1836 beim Besuch einer seiner Predigten in der Berliner Garnisonkirche den Entschluss gefasst, ihn an die Garnisonkirche von Potsdam zu versetzen – eine Rangerhöhung im militärischen Sinn und eine Auszeichnung auch unter kirchenpolitischen Gesichtspunkten. Seine Probepredigt hielt er am 6. November 1836 in der Berliner Garnisonkirche. Sie fiel positiv aus, und der anwesende Prinz Wilhelm schrieb die positive Beurteilung als Kommandeur der Gardedivision an das Königliche Konsistorium. Er bezeichnete die Anstellung Sydows als „einen wahren Gewinn für die Militärgemeinde“.  Sydow war der Abschied von Berlin nicht leicht gefallen, musste er doch einen Freundeskreis und eine in den Jahren gewachsene Personalgemeinde zurücklassen.  In Potsdam gelang es Sydow relativ schnell, enge Kontakte zu führenden zivilen und militärischen Persönlichkeiten aufzubauen, aber auch seelsorgerische Aufgaben in den unteren Schichten der Gesellschaft zu erfüllen. 1840/41 erreicht er durch eine öffentliche Vortragsreihe zu theologischen und kulturellen Themen einen breiten Kreis von literarisch und philosophisch Interessierten.

Dem Regierungsantritt König Friedrich Wilhelms IV. sah Sydow wie viele seiner Zeitgenossen hoffnungsvoll entgegen, die ersten Kontakte und Diskussionen mit dem König bestätigten seine Erwartungen. Sydow erhielt in diesen Jahren den Auftrag, die anglikanischen Kirchenverhältnisse in England zu studieren, um den König in der Frage zu beraten, inwieweit Möglichkeiten der Übertragung dieser Verhältnisse auf Preußen bestünden. Der ablehnende Bericht Sydows 1844 nach  eineinhalb Jahren Vor-Ort-Untersuchung enttäuschte  den König ebenso wie Sydows kritisches Auftreten in  der Provinzialsynode von 1846, das wesentlich dazu  beitrug, Friedrich Wilhelms IV Projekt einer konservativen Kirchenreform in Preußen zu Fall zu bringen.  1846 wird Sydow Pfarrer an der Neuen Kirche in Berlin, dabei in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen des Vormärz hineingerissen – und entwickelt sich zu einem ihrer führenden Akteure.  Doch gehen wir zurück in das Frühjahr 1840, Friedrich Wilhelm, der preußische Kronprinz, verfasste ein Konzept für die Erneuerung der Kirche – eine apostolische Kirche sollte es sein, vom patriarchalischen Verständnis über Staat und Gesellschaft ausgehend, ohne Rationalismus und Pantheismus. Gott sei nicht rational erklärbar, Gott sei nicht nach menschlichen Vorstellungen messbar.  Es ging dem späteren König Friedrich Wilhelm IV.  um die Wiederherstellung der reinen Verfassung der primitiven Kirche, angepasst an die Zustände des christlichen Staates des 19. Jahrhunderts. So wie die Apostel neue Kirchen gestiftet hatten, sollte nun in Preußen eine neue apostolische Kirche gestiftet werden. An der  Spitze des kirchlichen Systems sollte ein König von  Gottes Gnaden stehen, ihm untergeben ein Erzbischof  nach dem Vorbild der anglikanischen Kirche in England  – eine katholische Struktur mit evangelischen Lehren.  Der König ist 45 Jahre, das Konzept ist das eines poetischen Charakters, illusionär, romantisch – aber es schließt Toleranz gegenüber anderen Strömungen ein – aber außerhalb der Kirche. Die Kirche soll rein bleiben.  1845/46 trägt der nunmehrige König seine Vorstellungen einer Kirchenreform in zwei Aufsätzen noch-mals vor – mit Änderungen in der Struktur der Kirchenleitung. Eine letzte Niederschrift stammt von der Jahreswende 1847/48, schon pessimistisch gehalten, das Scheitern dieser Ideen war offensichtlich.  Der Ablauf der auf Weisung des Königs seit 1840 einberufenen Synoden zeigte, dass sich die evangelischen Pfarrer Preußens mit den Ideen Friedrich Wilhelms IV nicht anfreunden konnten und wollten. Die liberalen, weltoffenen Pfarrer hatten besonders in der Provinz Brandenburg die Mehrheit. Auf der Brandenburgischen Provinzialsynode vom 8. November 1844 wurde eine vom Staat unabhängige Kirchenverfassung gefordert. Der Bericht der Verfassungskommission verwarf explizit alle Ideen einer Ordination oder Weihe der Pfarrer im Sinne einer ununterbrochenen Abfolge seit den Aposteln, also genau der Lieblingsidee des Königs. Als führender Kopf der liberalen Mehrheit trat in Berlin der Pfarrer an der Nikolaikirche, Ludwig Jonas (1797-1859), Anhänger und später Herausgeber des Nachlasses Schleiermachers, hervor. Seit 1845 hatte er gemeinsam mit Sydow die „Zeitschrift für die unirte evangelische Kirche“ herausgegeben, das publizistische Zentrum der evangelischen Linken. Jonas war 1844 Mitbegründer des großen Berliner Handwerker- Vereins, wurde 1848 in die Verfassungsgebende Preußische Versammlung gewählt, gehörte ihr bis November 1848 an, war 1858/59 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.  Auf der konservativen Seite heißen die Führer Otto  von Gerlach, Pfarrer mit großem sozialen Engagement,  ab 1833 im Berliner Vogtland (Elisabethkirche in der  Invalidenstraße) und Ernst Wilhelm Hengstenberg,  Theologie-Professor an der Berliner Universität, der ab  1827 die Evangelische Kirchenzeitung herausgab.  Scheitelpunkt der Auseinandersetzungen war die vom König einberufene Pfingstsynode der evangelischen Kirche Preußens, die so genannte Generalsynode von 1846. Sie setzte sich aus geistlichen und weltlichen Würdenträgern zusammen, Vorsitzender war Kultusminister Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, Stellvertreter der von der Synode gewählte Bischof  Daniel Amadeus Neander.  Auch in dieser Versammlung dominierten die Liberalen der Schleiermacher-Richtung (59 von 75 Mitgliedern), der führende Kopf der Linken innerhalb der  Liberalen war Adolph Sydow. Obwohl die Synode in einem Gesamtkompromiss bezüglich der Kirchenverfassung endete, war sie doch eine Niederlage für den König und die Konservativen. Sie wurde am 29. August 1846 vertagt und nicht wieder einberufen.Die wichtigste Erkenntnis: Die Synode hatte gezeigt, dass die Kirche ebenso wie die gesamte Gesellschaft im Vormärz politisiert und polarisiert war.

In diese explosive Situation fliegen die Funken des März 1848.  Am Nachmittag, Abend und in der Nacht des 18.  März (Samstag) liegt die Garnisonkirche unmittelbar im Frontbereich. Sie wird zwar noch vom Militär verteidigt, ist aber ringsum von Demokraten belagert; Barrikaden stehen an der Herkulesbrücke, der Spandauer Brücke, in der nördlichen Burgstraße zwischen Herkulesbrücke und Neuer Friedrichstraße.  Weiterhin haben die Aufständischen Barrikaden am Hackeschen Markt, an den Zugängen zum Schloss Monbijou, innerhalb der Neuen Friedrichstraße an der Kreuzung Klosterstraße errichtet. Das Militär in Bataillonsstärke hat Posten gefasst in der Nähe der Marienkirche und in der Klosterstraße, an der Kreuzung Königstraße.  Garnisonpfarrer Ziehe ist einer der Verteidiger der Kirche, wie uns Georg Goens berichtet: „Und in der That, einen königstreueren Mann hat’s wohl gegeben.  Als die Flut revolutionärer Gedanken und Thaten im Jahre 1848 auch durch Berlin rauschten, da stand der alte Ziehe mit dem Volke in Waffen, wie eine Säule zu dem ,Königthum von Gottes Gnaden‘. In unmittelbarer Nähe der Garnisonkirche, an der Ecke der Spandauer Straße, hatten die Aufrührer eine Barrikade gebaut, und da Droschken und Fässer nicht mehr zur Stelle  waren, machte man sich daran, die Kirche zu erbrechen, um mit den Bänken die Lücken auszufüllen. Da  eilte der Pfarrer mit seinem Töchterchen hinab auf die  Straße und deckte mit seinem Leibe die Kirchenthür,  und das Bild des hünenhaften, greisen Geistlichen und  neben ihm das des tapferen jungen Mädchens machte  auf den Pöbel einen solchen Eindruck, daß sie die  Kirche beschämt verließen.“  Das Militär wird zurückgezogen, auf beiden Seiten wird die Bilanz aufgemacht und es werden die Toten bestattet – mit und ohne militärischen Ehren, aber mit religiöser Feier.

Die Aufbahrung der Toten erfolgt in Sydows Neuer Kirche. Nach einem feierlichen Marsch durch die Stadt erfolgt die Beisetzung der 183 Barrikadenkämpfer am 22. März 1848 im Friedrichshain, an der auf Befehl des  Königs die gesamte Berliner Geistlichkeit im Ornat teilzunehmen hatte!  Die Leichenpredigt an den Gräbern  hält Adolph Sydow für die Evangelischen. Der Eindruck der Rede ist so gewaltig, dass Sydow zur Kandidatur für die Wahlen zur Preußischen Verfassungsgebenden Versammlung gedrängt und im Mai 1848 für den 5.  Berliner Bezirk im ersten Wahlgang zum Mitglied gewählt wird. Adolph Sydow ist einer von den 50 Geistlichen, die eines der 395 Abgeordnetenmandate erringen?  In den parlamentarischen Sitzungen zeigte sich bald, dass Sydow kein Revolutionär war. In wichtigen Fragen stimmte der königstreue Prediger mit den Konservativen, so dass er auf dem Platz vor dem Parlament im  „Kastanienwäldchen“ am 9. Juni 1848 durch aufgebrachte Demonstranten aus Enttäuschung und Wut vor  der Tür der Tagungsstätte beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen wurde.

Die konservative Haltung Sydows zeigte sich auch im Juni 1848 während des Zeughaussturms und im November 1848, als er und Jonas der Aufforderung des Königs folgen, nach Verkündung des Ausnahmezustandes nach Brandenburg zu ziehen, während die revolutionäre Minderheit des Parlaments dem König die  Stirn bietet und in Berlin bleibt. Das Kapitel Revolution ist abgeschlossen. Sydows parlamentarisches Mandat war erloschen, um ein neues hat er sich – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht beworben.

Noch zweimal gerät er in politische Turbulenzen. Im Jahre 1859 begeht Berlin den 100. Geburtstag Friedrich Schillers. Der Magistrat beauftragt Sydow mit einer Gedenkrede zur Grundsteinlegung eines Denkmals auf dem Gendarmenmarkt. Die konservative Hofpartei und persönlich Wilhelm I., Prinzregent, später preußischer König und deutscher Kaiser, haben das Denkmal zu Ehren des Dichters der „Räuber“ nicht verhindern können, nun aber wollen sie wenigstens die Feierlichkeiten in ihrer Wirkung begrenzen. Wenn schon der populäre Sydow Redner sein soll, dann aber in „Zivil“, nicht im Talar eines Pfarrers der Landeskirche, an deren Spitze eben der Regent stand. Sydow  antwortet auf die Provokation mit den Worten: „Sagen Sie Sr. Königlichen Hoheit, der Talar sei meine Uniform, und er würde doch keinem Offizier eine Handlung zu vollziehen gestatten, zu der er genöthigt sei,  seines Königs Rock vorher auszuziehen.“°  Wie Menzels Zeichnung dokumentiert, hat Sydow  seine Rede im Talar gehalten. Wilhelm, der Prinzregent, zog es vor, in Abänderung des vereinbarten Programms, sich nicht öffentlich zu zeigen. Hinter den Gardinen eines Gebäudes mit Sicht auf den Gendarmenmarkt (Preußische Seehandlung) hat er die Zeremonie beobachtet.

Der zweite Anlass, der ihn nochmals in Widerspruch zum Hof bringt, ist ein öffentlicher Vortrag am 12.  Januar 1872 zum Thema „Die wunderbare Geburt Jesu“ in einer Veranstaltungsreihe des Berliner Unionsvereins. Sydow weist nach, dass die jüdische Vorstellung der Gottessohnschaft oder Messianität eine andere gewesen sei als die später aufgekommene christliche Lehre. Er lässt die Quellen des Neuen Testaments sprechen, die Jesus als den Sohn Josephs bezeichnen?  Der Vortrag erregte Aufsehen, die Zeitungen berichteten darüber – das Königliche Konsistorium der Provinz Brandenburg forderte Sydow zur Stellungnahme auf – es habe Proteste gegeben. Angesichts des öffentlichen Interesses der Debatte in den Berliner Zeitungen und der starken Unterstützung für Sydow in der Stadt bis zum Magistrat und zur Stadtverordnetenversammlung statuierte die Kirchenleitung auf Druck des Hofes ein Exempel: Sydow wurde des Amtes enthoben. Als der Druck der Öffentlichkeit zunahm, wandelte das Konsistorium die Strafe in einen scharfen Verweis um.  Schließlich ergeht es Adolph Sydow wie Johann Friedrich Walther und anderen historischen Gestalten – sie sind entweder vergessen oder nur den Experten mit einer Seite ihres Wirkens bekannt. Im Biographisch- Bibliographischen Kirchenlexikon von 1969 ist er zwar als Theologe mit einer Doppelspalte vertreten – aber ohne Bezug zu seinen politischen Aktivitäten 1848 – und natürlich auch ohne Bezug zu den besonderen Umständen von Geburt und Taufe.  Ebenfalls gibt es keinen Bezug im der Gedenktafel an Sydow Kirche am Gendarmenmarkt  zu seiner Person – leider!

Dieter Weigert, Berlin , überarbeitet im Juli 2022

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