Frankfurt am „frostigen Ufer der Oder“ – das Schicksal einer deutschen Universität

CREUTZ – HUMBOLDT – LÖFFLER – KLEIST

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Jochen Klepper (1903 – 1942), von heutigen Verfechtern des deutschen Konservatismus zu einem ihrer Stammväter auserkoren, ließ in seinem schriftstellerischem Hauptwerk „Der Vater. Roman eines Königs“ eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der ersten Jahrzehnte des preußischen Königreiches, Ehrenreich Bougslav von Creutz, vom ersten bis zum letzten Kapitel als ALTER EGO des Königs Friedrich Wilhelm für unsere Zeitgenossen auferstehen..

Dieser CREUTZ, erst später geadelt, führt uns nach Frankfurt an der Oder, an die alt-ehrwürdige VIADRINA. Von Creutz war der ranghöchste preußische Politiker, der an der Frankfurter Universität studiert hatte -heute nur einigen Preußen-Historikern bekannt, wie auch das Schicksal seiner Alma mater . Der 31. Juli des Jahres 1690 ist der Tag seiner Einschreibung als Student – stammend aus Stargard in Pommern – an der Oder-Universität – (Quelle: Ernst Friedlaender – Herausgeber, Aeltere Universitäts-Matrikeln. I. Universität Frankfurt a. O., Zweiter Band, Leipzig 1888, S. 214). Seinen Familiennamen schreibt er noch als CREITZ, den ersten Vornamen aber schon wie später auch EHRENREICH, den zweiten ursprünglich BOGISLAFF – daraus wird dann in den amtlichen Dokumenten Bogislav oder auch Boguslav. Vermutlich hatte er aus Gründen der späteren Laufbahn-Verheißung die juristische Fakultät gewählt, was auch die spätere Stellung als Militärjurist (Auditeur) im Regiment des Kronprinzen erklärt.
Diese Periode der Oder-Universität ab 1690 ist sowohl im juristischen wie auch im naturwissenschaftlich-technischen Bereich mit den Namen solcher Persönlichkeiten der Aufklärung verbunden wie Heinrich Cocceji, Leonhard Christoph Sturm, Johann Friedrich Retz. Etwa gleichzeitig mit Creutz studierten der Sohn seines Professors Cocceji, Samuel, an der Oder-Universität, der spätere preußische Justizminister und Großkanzler, wie auch andere Aspiranten auf höchste und höhere Positionen im kgl. preußischen Herrschaftssystem.
Die chronologisch erste überlieferte Personal-Urkunde des Ehrenreich Boguslav Creutz ist die seiner Bestallung als Rat und Kammer-Rat des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Jahre 1705 mit einem Jahresgehalt von 600 Talern. Diese Urkunde erwähnt seine bisherige Stellung als „Kriegs-Oberauditeur“, nicht aber seinen Universitäts-Abschluss.

Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Aus dieser ersten Tätigkeitsperiode des kronprinzlichen Rats ragt die Urkunde vom 18. November 1710 (fortgesetzt bis 13. Februar 1711) wegen ihrer politischen Bedeutung heraus: sie belegt die Teilnahme des (nun schon geadelten) Rats von Creutz an der Tätigkeit der vierköpfigen Untersuchungskommission zu den Verfehlungen der Minister von Wittgenstein, von Wartensleben und des Premierministers von Wartenberg.

Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Auszug, Bl. 1)

Unterschrift des Rats von Creutz unter das letzte Blatt des Untersuchungsberichts, Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Aus der Reihe der unzähligen Autoren, die sich mit der Geschichte des preußischen Hofes und seiner Persönlichkeiten v0n Rang in den letzten dreihundert Jahren beschäftigt haben, sind nur eine Handvoll zu nennen, die ernsthaft und gründlich rechercherten und somit auch die Rolle des Geheimrats von Creutz, des Absolventen der Oder-Universität Frankfurt, angemessen darstellten. Zu ihnen gehört Eduard Vehse. Ich erlaube mir, ihn im Kontext seiner Beschreibung des Abbruchs einer Reise des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Jahre 1705 zu zitieren: „. . . Er ward König, ohne gereist zu haben: die Feldzüge, die er als Prinz mitmachte, waren nicht geeignet, ihm freiere Begriffe zu erwerben. Bei seiner Zurückkunft ward er zu den Sitzungen des Staatsrats zugezogen und erhielt auch von seinem Vater endlich zur höchsten Freude ein Infanterieregiment. Bei der ersten Musterung desselben fand er einen Mann, dessen Größe ihn überraschte, den Auditeur Ehrenreich Bogislaus Creutz, einen Amtmannssohn. Dieser ward ihm sehr lieb, er machte ihn zu seinem Sekretär, der König adelte ihn 1708 auf die Empfehlung seines Sohnes, und sobald dieser den Thron bestiegen hatte, erhob er ihn zum Minister . . .“ (Eduard Vehse, Illustrierte Geschichte des preußischen Hofes bis zum Ende Wilhelms I., Bd. I, Stuttgart 1901, S. 174 f)

Ich erlaube mir- unbescheiden, wie man als Bloggist sein muss – dem lesenden Publikum entsprechende Passagen zu Creutz aus meinem Sachbuch (keine Poesie !) aus dem Jahre 1997 zu präsentieren:

Wo aber, fragt der Leser, ist der Bezug des Mannes Creutz zum Hackeschen Markt in Berlin ?

Er liegt in den familiären Beziehungen des von Ceutz zu dem Grafen von Hacke, dem Namensgeber des Platzes in Berlin-Mitte und ebenfalls einem Vertrauten des jungen Königs.
Ungebeten schlage ich das Buch auf (Seite 22): „Das Jahr 1732 bringt einen weiteren entscheidenden Einschnitt in das Leben des Offiziers von Hacke. Sein König verlangt von ihm ein Opfer – ein Frauenopfer. Auf allerhöchste Ordre soll er heiraten. Der König selbst tritt als Brautwerber auf. Nicht eine Dame eigener Wah|,sondern ein adliges Fräulein, um das Wohl des Staates willen. Der Vater hatte einen Schwiegersohn aus Sachsen ausgesucht- König Friedrich Wilhelm verweigert die Zustimmung: kein Stück preußischen Eigentums sollte nach Sachsen wechseln. Der zur Heirat vergatterte von Hacke ist überrascht, zögerlich, die vorgesehene Braut sträubt sich mit Händen und Füßen, die Mutter kniet vor dem König und bittet um Verständnis für die Wünsche der Familie, der Vaterder Braut trifft sich heimlich mit unserem Hacke und verspricht ihm die für damalige Verhältnisse beträchtliche Summe von 25.000 Talern für den Verzicht, der zugleich eine Befehlsverweigerung gegenüber dem König wäre. Hauptmann von Hacke bedenkt sich kurz- dann verabschiedet er den künftigen Schwiegervater mit den Worten: Herr Geheimer Rat, ich habe nun Geschmack an der Sache gefunden, ich nehme die Tochter und ich gedenke die 25.000 als Teil des Gesamtvermögens lhrer Familie, der Familie von Creutz, auch ohnehin zu bekommen.
Vater und Tochter Sophie Albertine mußten sich fügen, der Vater, Geheimrat des Soldatenkönigs und dessen oberster Kassenprüfer und allmächtiger Mitdirektor des Generaldirektoriums konnte es schwerlich wagen, die Pläne seines Herrschers zu durchkreuzen.
König Friedrich Wilhelm hatte sich aus prinzipiellen Gründen sehr entschieden in die Heiratspläne seiner Untertanen eingemischt. So ist eine allerhöchste Anweisung aus dem Jahre 1739 bekannt, das „Edict Wieder die allzuungleiche und zum Theil schändliche Heyrathen derer von Adel in den Königl. Landen“.
Herr Boguslav Ehrenreich von Creutz war einer der Klügsten, einer der Zielstrebigsten und einer der Zähesten im Preußen des 18. Jahrhunderts. Am Ende seiner Laufbahn gehörte er zu den wohlhabendsten Grundbesitzern am königlichen Hofe. Zweimal hat er sich das Wohlwollen seines Königs fast verscherzt – und beidemale ging es um eine Frau. Die erste Affäre hatte er als Mittvierziger, sehr zum Mißvergnügen eines adligen Konkurrenten und sehr zum Verdruß seiner Ehefrau. Gegenstand der Begierde war ein Fräulein am Hofe der Königin, ein Edelfräulein von Wackenitz (oder Wagnitz).
Creutz war über 20 Jahre älter als das Fräulein, neben den körperlichen Reizen waren es wohl die lnformationen über die politischen Vorgänge im Umkreis der Königin, die den obersten Rechnungsführer des Königreiches zum Fräulein hinzogen und ihn veranlaßten, über 1.000 Taler an Geschenken auszugeben. Die Frau von Creutz, seit etwa fünf Jahren mit dem Geheimrat verheiratet – die Mitgift bestand in Geld und Gütern aus der einflußreichen Familie derer von Haeseler -, wagte den Canossagang zum König Friedrich Wilhelm l. und bat ihn untertänigst um Intervention. Der König ließ das Edelfräulein von Wackenitz zu sich kommen, in den Zeitungsberichten jener Jahre ist vom Angebot des Verprügelns die Rede, und das Fräulein plauderte und rückte zwei kompromittierende Briefe des Herrn von Creutz heraus. Als der nach Wusterhausen beorderte Creutz im Gespräch unter vier Augen seinem König „die Hurerei“ unter Eid ableugnete, war das Donnerwetter so gewaltig, daß sich Herr von Creutz fürzehn Tage krank melden mußte. Danach konnte er wieder in sein Bureau, die schon die Messer wetzenden Rivalen gingen leer aus. Nie wieder sollte Seine Majestät Creutz bei Liebeshändeln erwischen.
Friedrich Wilhelm kannte Creutz schon aus der kronprinzlichen Zeit, hatte den damaligen Absolventen der Universität Frankfurt an der Oder im Jahre 1 705 auf Empfehlung des mächtigsten Mannes im Königreich, des Reichsgrafen von Wartenberg, als Militärankläger und Gehilfe des Militärrichters (Ober-Auditeur] in sein neu geschaffenes Leibregiment nach Wusterhausen geholt. Friedrich Wilhelm fand auch deshalb Gefallen an Creutz, da dessen Körpermaße überdurchschnittlich waren. Creutz wurde Privatsekretär des Kronprinzen und Leiter der Gutsverwaltung Wusterhausen. Von diesem Moment an rührt die enge Vertrautheit von Kronprinz Friedrich Wilhelm und dem Juristen Creutz. Ehrenreich Bogislav Creutz war ein unbemittelter, strebsamer Mann, Sohn eines brandenburgischen Amtmannes aus Stargard/Pommern, geboren etwa um 1670. Es gibt kein Bild von ihm und keine genauen Geburtsdaten. Aber die weiteren Daten seiner steilen Karriere sind dokumentiert: Am 3. Februar 1705 wurde er durch den Kronprinzen zum persönlichen Hof- und Kammerrat ernannt. Ohne Aufgabe der bisherigen Stellung wurde er im November 1706 pommerscher Regierungsrat, im April 1707 Geheimer Kammerrat und am 1. Dezember 1708 in den Adelsstand erhoben. Den Kronprinzen und den Juristen verbindet vor allem die Abneigung gegenüber der Mißwirtschaft, dem Mätressenunwesen, dem hemmungslosen Treiben der Günstlinge des ersten preußischen Königs, Friedrich l., der Herren von Wartenberg, von Wittgenstein und von Wartensleben. Der Kronprinz studiert, spioniert, prüft die Finanzen – ohne Auftrag und nur mit wenigen Getreuen. Nach Jahren der Observierung haben sie den ersten der drei großen Herren am Haken – Wittgenstein hat nachweisbar Hunderttausende Taler veruntreut. Während das Land hungert, die Opfer der Brandkatastrophe von Krossen auf die Auszahlung ihrer Gelder aus der Feuerversicherungs-Kasse warten, prassen die Herren Oberkämmerer und Obermarschälle im neuen Schlüterschen Schloß. Auf Druck des Kronprinzen und aus der Einsicht in die Notwendigkeit, der Öffentlichkeit ein Bauernopfer zu bringen, muß der königliche Vater am 12. November 1710 eine Kommission zur Untersuchung der Mißwirtschaft des Reichsgrafen Wittgenstein einsetzen. Der Kronprinz setzt durch, daß sein engster Vertrauter Creutz Mitglied dieser Kommission wird. Kriegskommissar Geheimrat von Blaspiel, der Geheime Justizrat von Plathen, Johann von Alvensleben und der Geheime Hofkammerrat von Creutz lassen Akten kommen, hören Zeugen und prüfen die Zahlen. Creutz schreibt den Bericht, kann damit wichtige Nuancen im interesse des Kronprinzen formulieren. Die entscheidende Passage: „Die Acten und Briefschaften, die wir aus der Hofkammer gefordert, sind theils garnicht, theils erst nach langem Suchen aufzufinden gewesen, viele sind unvollständig, viele verstümmelt; Berichte, die längst zu den Acten gegeben sein sollten, sind erst nachträglich angefertigt der Krone und dem Lande unermeßlichen Schaden gebracht“ etc. pp. Der Schlußbericht wird am 23. Dezember dem König vorgelegt. Er führt zur Verhaftung Wittgensteins am 29. Dezember, der Graf wird in die Festung Spandau verbracht. Die Überführung und Verurteilung Wittgensteins zieht auch den Sturz Wartenbergs nach sich, desjenigen, der Creutz erst bei Hofe eingeführt hatte, sicherlich zum eigenen Nutzen als lnformanten und Gehilfen bei künftigen lntrigen. Nun also schlägt der Zögling zurück. Komplice Reichsgraf von Wartenberg wird am 30. Dezember durch den König über Wittgensteins Verurteilung informiert und seines Amtes als Oberkammerherr enthoben und auf sein Gut Woltersdorf verbannt. Dort stirbt er am 4. Juli 1711.
Aber zurück zu Creutz. 1713 wird Friedrich Wilhelm nach dem Tode seines Vaters König von Preußen – Creutz bleibt sein engster Vertrauter. Beim Regierungsantritt am 25. Februar übernimmt ihn der König sofort als Erster Kabinettssekretär in seinen Dienst, am 4. März wird er „Wirklicher Geheimer Rath“ und am 4. Mai Minister. Creutz erhielt die wichtigste Vertrauensstellung – die des obersten Finanzkontrolleurs des Königreiches. Eine Generalrechenkammer wird am 2. Oktober 1714 eingesetzt; an ihrer Spitze steht Creutz als „General-Controlleur aller Cassen“. Das sind Schritte einer grundsätzlichen Neugestaltung der zentralen Verwaltung, im Prinzip bedeuten sie die Abschaffung des aus der Zeit der Kurfürsten stammenden Kollegialitätssystems. 1719 wird Creutz Oberdirektor des Generalfinanzdirektoriums und Controleur général, mit der Schaffung des Generaldirektoriums im Jahre 1723 dessen Vizepräsident und dirigierender Minister im zweiten Departement. lm Auftrag des Königs hatte Creutz das Konzept der Verwaltungsreform von 1723 ausgearbeitet. Es war eine strategische Aufgabe, und Creutz war für den Soldatenkönig der wichtigste Stratege in Finanzfragen. Von allen zentralen Verwaltungsstrukturen wurde das Finanzwesen am gründlichsten umgestaltet: Die bisher getrennten Verwaltungen der Domänen, der Münze, der Post, der Hofkammer wurden zusammengefaßt im GeneraI-Finanz-Directorium unter der Leitung Ka- meckes; die Militärfinanzen standen unter Leitung von Blaspeil, dem General-Kriegs-Kommissar.
Später erhält Creutz weitere Staatsämter, jeweils verbunden mit Gehaltsaufbesserungen und der Möglichkeit, sich über Personalentscheidungen neue Einflußbereiche zu verschaffen: Er wurde Protector der Königlichen Societät der Wissenschaften, Director der kurmärkischen und magdeburgischen Landschaftssachen, Director des Ober-Collegium Medicum.
Soviel zur Person des Herrn von Creutz, der es gewagt hatte, eigene Wünsche bei der Wahl des Schwiegersohnes ins Spiel zu bringen. Doch alle Titel und Reiehtümer waren nichts vor der Order des Königs.
Am Ende wird doch noch glücklich geheiratet- im Februar 1732 im Palais Creutz in der Klosterstraße 36.
Das Grundstück Klosterstraße 36, schon seit dem 15. Jahrhundert als Burglehen der Hohenzollern im Besitz der kurfürstlichen Familie, ist nach jahrzehntelanger Mißwirtschaft und einem Brande nach der Übernahme der Regentschaft durch Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1713 nun wieder an den
König zurückgefallen. Ein Glücksfall, denn jetzt kann er es erneut vergeben und einen Günstling damit für treue Dienste entlohnen. Das Gebäude hat eben nur den Haken, daß es der Günstling auf eigene Kosten wieder aufbauen muß. Das ist der Kern der Baupolitik des Soldatenkönigs – seine Beamten und die Bürger seiner Residenz müssen auf eigene Kosten bauen und der König gibt ihnen die Grundstücke.
Wozu ist aber einer wie Creutz enger Vertrauter Seiner Majestät und gesuchter hoher Beamter, wenn es um die Finanzierung königlicher Projekte geht? Der letzte Hofbaumeister ist gerade mit Schimpf und Schande, ohne Zahlung ausstehender Gehälter und ohne die üblichen Geschenke entlassen worden. Der Schloßbau, halbfertig, ist dem Nachfolger im Bauamte, dem Herrn Böhme mit einem Appell an die königlich verordnete Sparsamkeit übergeben.
Böhme baut nun auch den Palast des Herrn von Creutz; inwieweit Materialien und Arbeitskräfte von anderen königlichen Bauvorhaben abgezweigt wurden, ist nicht bekannt. Da Creutz der oberste aller Kassenkontrolleure des Reiches
war, bleibt das eine offene Frage.


Sicher ist, daß Martin Böhme eine Meisterleistung in der Klosterstraße vollbracht hat. lm Stadtführer des Dr. Franz Lederer von 1930 lesen wir: „Die Klosterstraße war im alten Berlin die Straße der vornehmen Leute. Eine ganze Reihe von Palästen entstanden hier im 18. Jahrhundert um das alte Kloster herum. Dem Geheimen Staatsrat von Kreutz schenkte er (der König) das Grundstück Klosterstraße 36. Dieser ließ sich durch Martin Böhme ein palastartiges Gebäude mit Freitreppe und schmückenden Genien erbauen, das, wenn auch mit erneuerter Front, noch heute wohlerhalten ist. Das nischenartig vertiefte, mit Volutenbogen geschlossene Mittelfenster ist ein echt Schlütersches Motiv. Eine breite Treppe, deren reich geschnitztes Geländer Trophäen und Waffenschmuck aufweist, führt in den Festsaal des Hauses. Dieser zeigt eine Barockdekoration von solcher Feinheit der Ausführung, daß man dieses Werk Schlüter selbst zuschrieb und dem Saal den Namen „Schlütersaal“ gab. Martin Böhme hat sich hierals gelehriger Schüler des Meisters gezeigt. Die fein getäfelte Wand teilt er durch korinthische Pfeiler. Der Dreifenstergruppe der Außenwand setzt er eine große Bogentür und zwei Rundbogennischen gegenüber. ln diesen erblicken wir die überlebensgroßen, vergoldeten Gestalten des Großen Kurfürsten mit dem Feldherrnstab und des ersten preußischen Königs. Die Decke schmückt ein Gemälde mit einer der antiken Mythologie entnommenen Darstellung. Ringsherum gruppieren sich im reizenden Wechsel die mannigfachen Motive, die die Kunst des Barock liebte.“ Das Palais, das Hacke als einziger Schwiegersohn des reichen Creutz erbte, wurde später wegen familiären Geldmangels der Krone zurückgegeben. Es beherbergte im 19.Jahrhundert das königliche Gewerbeinstitut und im 20. Jahrhundert ein Museum. Der Palast wurde mehrfach gezeichnet, eine der schönsten Darstellungen stammt von Eduard Gärtner aus dem Jahre 1830. Gärtner nutzte die Chance und setzte in das Gemälde als Passanten in der Klosterstraße die beiden, die maßgeblich die Bedeutung des Königlichen Gewerbeinstituts ausmachten, Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) und Peter Christian Beuth (1781- 1853]. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges ließen keine steinernen Zeugen der Pracht Schlüters und Böhmes und der Festlichkeiten der Familien von Creutz und von Hacke übrig . . . Der alte Creutz hat anscheinend das Scheitern seines Heiratplanes nie verwunden. Er wird schwer krank und stirbt ein Jahr später, am 13. Februar 1733. Begraben ist er neben seiner Frau in der Gruft von St. Marien zu Berlin.“

Soweit also zu CREUTZ, dem bedeutendsten der Absolventen der Oder-Universität in Frankfurt. Soweit also auch die Ergebnisse gründlichen Recherchierens zu Biographien bedeutender Persönlichkeiten der preußischen Geschichte.

Frankfurt an der Oder

Was aber, wenn Poeten sich an eine Sache wagen, die ihnen fremd ist – wie zum Beispiel Auffinden relevanter historischer Archive, wie zum Beispiel tagelanges Recherchieren in alten Handschriften, wie zum Beispiel mühevolles, nächtelanges Vergleichen alter Texte ? Man denkt sich kurzerhand eine Geschichte aus !

Man nimmt den irgendwo gehörten Anfang – der Mann stamme aus Pommern, man nimmt das bekannte Ende – der Mann ist irgendwann des Königs oberster Rechnungsprüfer und schon schreibt sich das Zwischenstück von ganz allein – wie bei den Poeten Martin Stade und Ulrich Plenzdorf, die damit auch noch die Vorlag für einen historischen Spielfilm fabrizieren, der ja als Genre von derlei Fabrikationen lebt:

So wird nun lustig drauflos fabuliert:

(Seite 27:) Gundling erinnert sich: Ich kannte einen Mann, von dem ich dachte, er könne mir helfen. Es war Creutz, der Sekretär des Königs, und so sehr hoffte ich auf ihn, daß ich versuchte, seine geheimsten Gedanken zu erraten, daß ich mich sogar, wo immer es ging, in diesen Mann versetzte, um zu ergründen, was er tun konnte oder was er tun würde.
Ehrenreich Boguslaw Creutz. Er war unentbehrlich geworden. Er, der Sohn eines pommerschen Beamten, eines armen Beamten, eines längst gestorbenen Beamten. Vier Jahre hockte er schon in der Residenz und in Wusterhausen. Im Elend zuerst, inmitten von Schulden und Dreck, in einer engen, schmutzigen Gasse an der Spree. Er hatte das träge Wasser mit dem sachte treibenden Unrat vor Augen, damals, vor dreieinhalb Jahren. Er hatte es immer vor Augen in der Stadt Berlin, und das Wasser verband sich bei ihm mit seinem Elend. Er erhielt keine Stellung, solange er auch lief und sooft er auch fragte. Mein Junge, hatte sein Vater vor vielen Jahren zu ihm gesagt, Schreiben und Lesen und Rechnen mußt du können, dann wirst du fortkommen in deinem Leben. ]a, Herr Vater, hatte der Sohn Ehrenreich Boguslaw geantwortet. Und folgsam begann er zu pauken, nach der Anweisung seines Herrn Vaters. Die Bibel, das Hausbuch der Creutzens, vermochte ihn allerdings nicht zu fesseln. Vielmehr waren es Zahlen, die er hin und her schob. Seine Welt waren die Zahlen, und es mochte vielleicht in seinem Gehirn eine Extrakammer eingerichtet sein für sie, eine größere vielleicht als bei anderen Leuten. Das ging sonderbar schnell vonstatten, und sein Herr Vater War stolz auf ihn.
Aber dann, in der großen Residenz Berlin, brauchte keiner seine Rechenkünste und seine zierliche, ausgewogene Schrift. Er lief sich die Sohlen von den geflickten Schuhen und wetzte sich mit der Zeit die Lumpen von dem langen Leib. Und als er sah, daß es gar nichts mehr gab, sah er nur noch das Wasser, das träge floß und manchmal gurgelte und in dem der Unrat sachte vorübertrieb.
Da war in dem langen Ehrenreich Boguslaw Creutz nur noch Verzweiflung, nichts anderes mehr, nicht einmal der Funke einer Hoffnung. Es wollte ihm gewissermaßen scheinen, daß hier einer zu viel auf der Welt war. So nahm er sich vor, aus dieser Welt in eine andere hinüberzuwechseln, in der es sorgloser zuging.
Doch setzte er sein Vorhaben behutsam ins Werk. Er stürzte oder glitt vielmehr mit einem dumpfen, verzweifelten Schrei vom Ufer in die Spree, und das just in dem Moment, als eine Wache des Königs im Begriff war vorüberzustampfen. Nun ia, man zog ihn heraus, den armen Mann Creutz, und wenn er gezwungen wurde darüber zu sprechen, dann verklärte sich ihm dieserAugenblick. Das Gleiten insWasser wurde unmerklich in seinem Gedächtnis ein verzweifelter, alles hinter sich lassender Sprung, und nicht mehr entsinnen konnte er sich an den dumpfen, hoffnungslosen Schrei. Nein, geschrien hatte er nicht. Wozu sollte er damals geschrien haben, nach wem sollte er gerufen haben, nein, die Wache hatte sich getäuscht. Das Rechnen hatte von ihm in einem Maße Besitz ergriffen, daß er vergaß, auch in diesem Augenblick Berechnungen angestellt zu haben, vielleicht über den Weg, den die Wache noch zurückzulegen hatte, vielleicht über die Höhe des Wassers, das an dieser Stelle nur bis zur Brust des langen Creutz ging. Nein, obwohl es nur wenige ]ahre her war, dieser Augen- blick zwischen Verzweiflung und Hoffnung, dieses sekundenlange, dieses sorgsame und genaue Rechnen in jenem Augenblick verklärte sich in Creutzens Kopf zur Tat eines Mannes, der Schluß machen wollte mit seinem Leben.

Ich wußte nicht, wie es kam, daß der Kronprinz davon hörte. Ein gewisser Kapitän von Einsiedel kam zu Creutz und fragte ihn aus. Ob es wahr sei, daß er schreiben und rechnen könne. Aber sicher sei es wahr, Euer Wohlgeboren. Ob er eine Probe davon geben könne. Da sprang er auf, der arme Mann Creutz, und zog aus dem Tischkasten säuberlich gefaltetes, graues Papier, zeigte dem Kapitän seine recht kunstvolle Schrift, warf Zahlenkolonnen mit dem einzigen Federkiel, den er besaß, aufs Papier und addierte sie geschwind. Ob er wüßte, wer vor ihm stehe, fragte der Uniformierte. Wohlgeboren ist ein Offizier von der Wache, antwortete der arme Mann Creutz. Er sei der Kapitän von Einsiedel, und er käme, um Soldaten für den Herrn Kronprinzen zu werben. ]etzt durchfuhr es den Mann Creutz, und schnell schob er das Papier zurück. Oh, er wußte, was vor sich ging in Wusterhausen. Der Kronprinz hatte dort seine Kompanie. Seltsame Gerüchte machten die Runde. Die Soldaten seien alle sechs Fuß groß und darüber und sie bekamen jeden Tag ihre Prügel wie andere ihre tägliche dünne Suppe. Das war nichts für den armen Mann Creutz. Zum Soldaten tauge er nicht, sagte er dem von Einsiedel. Er könne aber Schreiber werden in der Kompanie und hätte sodann sein Auskommen. Er hätte die Listen unter sich und müsse die Zu- und Abgänge fixieren und was derlei Sachen mehr wären. Und noch dazu sei er wohlproportioniert, wenn auch jetzt ein wenig mager und eingefallen. Aber das gebe sich mit der Zeit. Ja, da spürte es der arme Mann Creutz, seine Länge hatte es dem Herrn Offizier angetan, das kommt selten zusammen, lang wie ein Lulatsch und schreiben und rechnen können noch dazu. So fing es an mit ihm. Nun war er fleißig und saß hinter seinen Listen, und seinem Herrn Obersten, dem Kronprinzen, stachen Zahlen und Schrift ins Auge. Das War ein Haushalt nach seinem Herzen. Ein Rechenkünstler ist er, Creutz, er ist sehr geschickt, Creutz, er ist mir lieb so. Und dem Manne Creutz flossen die Augen über vor Dankbarkeit, er lernte das Strammstehen im Nu, und wie er rechnend über seinen Listen saß, fing er an, achtzugeben auf die Dinge um ihn her.

Nicht lange dauerte es, so war der Kronprinz eine Sache, die er einbezog in seine Berechnungen. Er war fleißig zur rechten Zeit, er war schweigsam zur rechten Zeit, und er sagte zur rechten Zeit ein kleines wohlabgewogenes Wort, das so recht hineinpaßte in seine Berechnungen. Er ist klug, Creutz, sagte der Herr Oberst, er wird mir den Regimentsauditeur machen, und wenn ich ihn brauche, Creutz, dann muß er zur Stelle sein. Und der arme Mann Creutz stand stramm und war voller Glück, wie es nur ein armer Mann sein konnte. Wer schrieb so gut wie er, wer rechnete so gut wie er, wer war so klug wie er. Der Einsiedel kannte sich nur aus in Patronentaschen und in Handgriffen, die Korporale konnten nur brüllen wie die Stiere und waren deshalb angesehen, aber er, Creutz, er war ein kluger Mann, der seinem Herrn ganz anders zur Hand ging.
Und dann, vor zwei Jahren, kam der große Tag für ihn. Ehrenreich Boguslaw Creutz, Auditeur beim Kronprinzenregiment, wird Protokollant in einer Untersuchungskommission. Was Wunder auch, die Provinzen zahlen keine Steuern mehr, Pest und Hungersnot grassieren, und alles scheint sich einem Abgrund zu nähern. Schon gibt es Zusammenrottungen und Rebellionen, schon gibt es Plünderung und Mord, Während das Triumvirat der drei Minister, an ihrer Spitze Wartenberg, dem König immer noch Sand in die Augen streut. Aber was wollen sie machen,wenn die Taler fehlen. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wo sind die achtzigtausend Taler für die Stadt Krossen? Die Stadt ist ausgebrannt vor zwei Jahren, und die achtzigtausend Taler waren in der Brandkasse, die der Generaldomänendirektor Graf Wittgenstein verwaltet. ]etzt sind sie nicht mehr da, die Taler, und die Untersuchungskommission, auf Betreiben des Kronprinzen zusammengestellt, stellt hartnäckige Fragen. Und Abend für Abend zeigt der Protokollant Creutz dem Kronprinzen die vollgeschriebenen Seiten. Das war ein böses Weihnachtsfest siebzehnhundertzehn, für den Reichsgrafen Wittgenstein. Ihm bleibt nichts übrig, er muß sich schlotternd auf den Weg begeben und dem Kö- nig ein Geständnis machen. Er macht ein Geständnis und bittet um Gnade. Aber anderntags kommt die Wache zu dem großmächtigen, unfähigen und verbrecherischen Herrn. Man bindet ihn und führt ihn durch die Straßen von Berlin, und das Volk, die Weiber und Straßenjungen, die Dirnen und das herrenlose, hungernde Gesindel, von Creutz durch Zwischenträger unterrichtet und auf die Beine gebracht, läuft johlend und fluchend mit und gibt ihm Geleit bis zur Feste Spandau, und der General von Gersdorf reißt ihm den Schwarzen Adlerorden herunter. Es war, als sei ein Windstoß in einen schlecht brennen- den Scheiterhaufen gefahren. Creutz war wer, er drehte mit am Rad der Geschichte. Nicht, daß er ein kleines Rädchen im Getriebe war, nein, er drehte mit an der Kurbel, er machte sich unentbehrlich und war ein treuer Helfer seines Herrn. Und weil der von Wittgenstein schreit, daß er immer nur auf Befehl seines Herrn und Gönners, des Grafen Wartenberg, gehandelt und weil die Untersuchung dies bestätigt, wird der letzte Tag des Jahres für den Reichsgrafen Kasimir Kolbe von Wartenberg zugleich der letzte Tag im Amt. Auch er zittert schon voller Angst und denkt an Spandau. Er hätte es verdient, denkt Creutz. Er hätte es verdient, denkt der Kronprinz, aber der König, irre geworden an der Welt, die‘ ihn umgibt, entläßt ihn nur. Nun ja, da steckt vielleicht des Reichsgrafen Frau dahinter, die schöne Schankmamsell aus Emmerich, die es damals schon mit den Rheinschiffern getrieben hat, die es jetzt mit dem König und zur gleichen Zeit mit dem Englischen Gesandten und mit dem Kammerjunker Schenk treibt, da schreckt der König zurück und läßt Gnade vor Recht ergehen.
Ja, und jetzt, nach dem Tod des Königs, ist Creutz endlich eingerückt in die Residenz, sein Platz ist im Schloß, er hat ein spartanisch eingerichtetes Zimmer und ist der erste Geheimschreiber des neuen Königs von Preußen. Und eigentlich ist er noch mehr, denn zusammen mit seinem Herrn zählt er die Einnahmen des Staates, wägt Einnahmen und Ausgaben ab und läßt die Ko- lonnen der Zahlen marschieren. Und mit jedem Tag, der anbricht, spürt Creutz wie etwas zwischen ihm und dem König wächst. Jetzt, da die Tage länger werden, sitzen sie schon um fünf Uhr auf ihren Schemeln, Creutz vor dem hohen Rechenpult, angetan mit Leinenschürze und Leinenärmeln. Und Creutz sagt auf Befragen seines Herrn, daß er damals, als er noch Ladenschwengel im Pommerschen war, es immer so gehalten hat. Der König befühlt Schürze und Ärmel und meint, daß es praktisch wäre. Er sei sehr für praktische Dinge. Sehr nützlich wäre das. Und zwei Tage später sitzt auch er mit grüner Leinenschütze und grünen, übergestreiften Ärmeln am Schreibtisch und meint, daß man damit sehr gut seine Kleidung schonen kann. Diese kleinen Dinge und der Umstand, daß Creutz weiß, wie es mit dem Volk steht, was die Leute auf den Tellern haben und was ihre Sorgen sind, daß er antworten kann, wenn er gefragt wird und dabei noch gescheite Antworten gibt, diese kleinen Dinge sind es, die Creutz spüren lassen, wie etwas zwischen ihnen wächst. Creutz scheint es, als rücke der König täglich ihm näher oder als rücke er, der Mann Creutz, dem König immer näher.
Und so weiter, und so fort . . .

Adieu historische Wahrheit, adieu !!! Adieu Frankfurt an der Oder Wenn es nicht die anderen Große aus der Geschichte Preußens gäbe wie zum Beispiel die Humboldts.

Alexander von Humboldt

Die Oder-Universität in Frankfurt – ist Alma Mater der Brüder Humboldt – die Wendung „am frostigen Ufer der Oder“ fließt aus der Feder des jüngeren Humboldt, Alexander, und ist in einem Brief an dessen Berliner Freund Ephraim Beer der Nachwelt erhalten.

Und einer ihrer akademischen Lehrer wie auch väterlicher Ratgeber des Dichters Heinrich von Kleist an der VIADRINA ist der Theologe Josias Friedrich Christian Löffler – auch fast in Berliner und ehemals preußischen Landen unbekannt, dafür aber doch – ausgleichende Gerechtigkeit – mit Denkmalen und Namensgebungen in der ehemaligen herzoglichen Residenz GOTHA geehrt!

Und da wir nun schon bei den zu Unrecht fast vergessenen Wissenschaftlern der ost- und mitteldeutschen Geschichte angelangt sind, sei der bedeutendsten Persönlichkeit ehrenvoll und dankbar gedacht, die mit dem Namen und der Geschichte der Oder-Universität verbunden ist: Günter Mühlpfordt !

Prof. Günter Mühlpfordt (verstorben 2017)

Danke fürs Lesen und Verständnis

Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg im Mai 2023

Heinrich von Kleist, St. Marien in Frankfurt an der Oder und der Generalsuperintendent Josias F. C. Löffler

Vor fast drei Jahren, am 5. Oktober 2018, veröffentlichte ich an dieser Stelle einen Blog unter dem Titel „Der Antichrist auf Kleists Bühne – Glasfenster in St. Marien an der Oder“ (wird als Anlage zur Erinnerung angefügt).

Auf Anfrage von Leserinnen und Lesern suchte ich in den relevanten Archiven nach personellen Bezügen des jungen Heinrich von Kleist unter den damaligen Pfarrern an der Marienkirche – und wurde fündig.
Der aus dem thüringischen Saalfeld stammende Theologe Josias Friedrich Löffler (1752 – 1816 war von 1782 bis 1787 Oberpfarrer an der Gemeinde von St. Marien, Generalsuperintendent der evangelisch-lutherischen Kirchen in Frankfurt/Oder und Professor für Theologie an der Viadrina.

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Gemeindehaus St. Marien mit Arbeitsräumen und Wohnung des Superintendenten J.F.C. Löffler

Löffler hatte nach dem Schulbesuch an den Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale an der dortigen Friedrichsuniversität Theologie studiert, erhielt in Berlin eine Predigerstelle an der Charité und an der Hausvogteikirche, nahm als Feldprediger des berühmten königlichen Regiments Gensd’Armes am Krieg 1778/79 teil und wurde mit einem eindeutigen aufklärerischen Auftrag 1782 durch Minister von Zedlitz an die VIADRINA in Frankfurt/Oder berufen. Als Theologieprofessor hatte er bedeutenden Anteil an der studentischen Ausbildung der Gebrüder Humboldt, zu seinem Freundeskreis gehörte u.a. der Kommandeur des in Frankfurt stationierten Infanterieregiments, Prinz Leopold von Braunschweig, der Bruder der Weimarer Herzogin Anna Amalia.


Wie schon oben erwähnt, berief ihn der Magistrat der Stadt Frankfurt nach Fürsprache durch den preußischen König Friedrich II. und dessen Minister von Zedlitz zum Oberpfarrer an die Marienkirche.

Josias Friedrich Christian Löffler

Nach dem Tode Friedrich II. verlor der der Aufklärung verpflichtete von Zedlitz sein Amt. Unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II., den Arnold Zweig „eine Null von frommem König“ nannte, gewannen konservative Kreise in der Religionspolitik, den Kirchenleitungen und den Schulverwaltungen die Oberhand, so dass Löffler sich entschied Frankfurt zu verlassen. Auf Einladung des Herzogs Ernst II. von Gotha übernahm er das Amt des Generalsuperintenden des Herzogtums, machte sich vor allem durch die Verteidigung aufklärerischer Positionen und eine progressive Schulpolitik verdient. In diese Gothaer Periode fällt auch die durch einen Brief Kleists aus dem Jahre 1793 bekannte Begegnung mit dem zu seinem Regiment reisenden Fähnich Heinrich von Kleist. Über weitere Begegnungen bei späteren Besuchen des Dichters in Gotha und über den Einfluss des Theologen und Pädagogen Löffler auf den jungen Kleist in Frankfurt/Oder können aufgrund fehlender schriftlicher Quellen Vermutungen angestellt werden. Sehr wahrscheinlich sind auch angesichts der engen Kontakte der Familie von Kleist mit dem im Nachbarhause wohnenden und arbeitenden Oberpfarrers und Professors Löffler Führungen in der Marienkirche und zum Bildprogramm der Fenster aus dem 14. Jahrhundert für den jungen neugierigen Offizierssohn Heinrich von Kleist. Leider geben die wenigen schriftlichen Quellen zur Kindheit und Jugend Kleists auch zu diesem Thema keine Auskunft.

Die Chorfenster von St. Marien aus dem 14. Jahrhundert

17. August 2021

Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg

Anlage – Kopie des Blogs von 2018
Der Antichrist auf Kleists Bühne – Glasfenster in St. Marien an der Oder
5. Oktober 2018

Wenige Meter entfernt von den Backsteinmauern der mittelalterlichen Kirche St. Marien von Frankfurt an der Oder reißen Bagger und Presslufthämmer einen Wohnblock aus DDR-Zeiten ab, schaffen Platz für einen Neubau. Es ist genau die Stelle, an der im 18. Jahrhundert das Wohnhaus des Stadtkommandanten von Kleist stand, in dem Heinrich von Kleist seine Kindheit verbrachte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu sich vorzustellen, wie der verträumte Junge im benachbarten Kirchenraum ehrfürchtig die Steine aus dem 14. Jahrhundert berührte, die Säulen und das Gewölbe bewunderte und sich im Chor den hohen Glasfenstern neugierig näherte.

Besonders das rechte der drei reichlich geschmückten Fenster hatte es ihm angetan. Aufrechte Christenmenschen und der Antichrist, Engel und Wanderprediger, Sünder im Höllenrachen, viel Feuer, Martyrium und Wunder. Althergebrachtes biblisches Wissen wird in leuchtenden Farben erzählt – auch für Analphabeten oder Kinder im Vorschulalter verständlich, begreifbar, zu erfühlen. Dem Dramatiker Heinrich von Kleist sind diese Bilder voll gegenwärtig, der Erwachsene kleidet Jahrzehnte später die kindlichen Eindrücke in ein Gewebe aus bühnenwirksamen Handlungsfäden. Anschaulich, aber heute nicht mehr ohne Weiteres, nur über die Mühen der Kleistforschung zu verstehen, gleich im 1. Auftritt des I. Aktes des « Käthchens von Heilbronn » : Käthchens Vater, der Waffenmeister Theobald, deutet vor Gericht die Gründe für die bedingungslose Liebe seiner Tochter zum Grafen von Strahl als schwarze Kunst, Teufelszauber, Verbrüderung mit dem Satan. Seine Beschreibung der Werkzeuge des Satans « mit Hörnern, Schwänzen, und Klauen, wie sie zu Heilbronn, über dem Altar abgebildet sind » entspricht dem rechten Chorfenster der Marienkirche von Frankfurt an der Oder ! Kleist bringt seine Kindheitserinnerungen auf die Bühne. Kleists Theobald fordert die Verurteilung des Verführers, seine sofortige Festsetzung : « Nehmt ihn, ihr irdischen Schergen Gottes, und überliefert ihn allen geharnischten Scharen, die an den Pforten der Hölle stehen und ihre glutroten Spieße schwenken ». Da sind sie, jene Figuren der Henkersknechte, jene Tore des Höllenfeuers, der Scheiterhaufen, auf dem Menschen verbrannt werden, in den Bildern des Fensters von St. Marien !

Heinrich von Kleist war kein Kunstwissenschaftler, kein Fachhistoriker für Religionsgeschichte oder die Geschichte des ausgehenden Mittelalters, aber sein untrügliches Gefühl leitet ihn zu dramatischen Gestaltungen, die ebenso verschlüsselt komponiert sind wie die Abfolge der einzelnen Bilder  und die Detailprogramme jener Glasfenster. Es lohnt sich also für uns heute nicht nur wieder mal ein Theaterbesuch sondern auch eine Fahrt an die Oder und ein Gang zu St. Marien.