Rings um das Berliner Scheunenviertel (2) – die Torstraße

 

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Neben der Volksbühne rechts durch die Weydingerstraße gelangt man zum Ausgangspunkt dieses Spaziergangs. Mit der Ecke Karl-Liebknecht- Straße/Torstraße ist der nordöstlichste Punkt der Spandauer Vorstadt erreicht. Hier befand sich das Prenzlauer Tor, einer der vielen Zugänge in die Stadt Berlin.

Obwohl diese Vorstadt noch nicht offiziell eingemeindet war, verlief seit 1705 auf der Höhe der Linienstraße faktisch die nördliche Stadtgrenze Berlins. Die ,,Linie“, wie die Straße ursprünglich hieß, war Teil eines hölzernen Palisadenzaunes.

Fünf Tore (Prenzlauer, Schönhauser, Rosenthaler, Hamburger, Oranienburger Tor) verbanden die Spandauer Vorstadt hier mit ihrem noch ländlichen Umland. 1732/1734 wurde die Palisadenumwehrung durch eine steinerne Mauer ersetzt, Teil der unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. um ganz Berlin herum errichteten Akzisemauer. Diese wurde nach 1780 auf die Hähe der heutigen Torstraße vorverlegt.

Hatte sich die Stadtmauer der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cälln weit weg von dieser neuen Stadtgrenze befunden, so war auch von dem ehrgeizigen Vorhaben des Kurfürsten Friedrich Wilhelm l., Berlin nach dem Dreißigjährigen Krieg zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen, Anfang des 18. Jahrhunderts schon nicht mehr viel übrig. Nur der S-Bahnbogen zwischen Jannowitzbrücke und Friedrichstraße und die verwinkelte Straßenführung am Hackeschen Markt erinnern heute noch daran.

Den Toren an der ,,Linie“ wurde nicht nur die Funktion zugeschrieben, die Einlaß begehrenden Händler, Bauern und Fremden zu Gunsten der Stadtkasse tüchtig zu schröpfen. Militärische und polizeiliche Kontrolle diente zugleich dazu, Deserteure aus den Berliner Regimentern nicht herauszulassen und vermeintlichem ,,Gesindel“ den Zugang in die Stadt zu verweigern. Die ursprünglichen Tore der Akzisemauer werden von Architekturhistorikern als einfache, von mehr oder minder reich verzierten Pfeilern eingefasste Maueröffnungen beschrieben, die durch hölzerne Torflügel verschlossen wurden. Zur Anlage gehörte in jedem Fall ein Wachlokal und ein Haus für den Steuerbeamten, den Torschreiber. Nicht von ungefähr verzeichnen alte Adressbücher in der Nähe dieser Mauer Herbergen und Gaststätten, werden auffällig viele Bierbrauer und Branntweinbrenner aß Hausbesitzer aufgeführt.

Die Tore wurden mehrfach umgebaut und dabei immer pompöser. So wurden 1786 nach Entwürfen von Gontard und Unger das Oranienburger, Hamburger und Rosenthaler Tor neu errichtet. Ein Jahrhundert später blieb von ihnen kein Stein übrig – Straßenverkehr und Stadtexpansion forderten ihr Recht. Hingegen fanden künstlerische und bauhistorische Bedenken keine Unterstützung durch einflussreiche Gönner.

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Hamburger Tor

Das erste Haus der Linienstraße, die am Anfang der Tour als Sackgasse beginnt, trägt die Nummer 13. Das hat nichts mit magischen Zahlen oder Aberglauben zu tun. Ursprünglich reichte die Linienstraße bis zur Neuen Königsstraße, heute etwa bis zur Otto-Braun-Straße.

Schon nach wenigen Minuten Fußweg gelangt man an die nächste Straßenkreuzung. Am Rosa-Luxemburg-Platz befand sich das Schönhauser Tor. Gleich vier Straßen unterbrechen den Lauf der Linienstraße und deuten darauf hin, dass hier auch früher ein lebhafter Verkehr geherrscht hat. Nach dieser Kreuzung bleibt Muße, die Ruhe der Linienstraße aufzunehmen. Wohnbauten und relativ wenige Gewerbebetriebe, oft in den Quergebäuden der Höfe untergebracht und mit einer langen Firmengeschichte, koexistieren friedlich Seite an Seite. Immer wieder kann man das lieblose Nebeneinander von Plattenbauten der 80er Jahre sowie einiger oft unter radikaler Beseitigung allen Fassadenschmucks renovierter Bürgerhäuser betrachten.

Auf der linken Seite unterbricht eine Backsteinmauer den Häuserfluss. Durch ein Gittertor bietet sich der Blick auf verfallene Grabmale und schattenspendende Bäume. Um die Ecke, in der kleinen Rosenthaler Straße, verspricht eine Pforte Einlass auf den Garnisonfriedhof. Nicht erst 1722, wie über dem zu diesem Zeitpunkt errichteten Tor zu lesen ist, sondern bereits zwischen 1703 und 1706 wurde dieser Platz für die Berliner Garnison der preußischen Armee eingerichtet. Ursprünglich gab es an der ,,Linie“ zwei sorgsam getrennte Totenfelder – für Soldaten und Offiziere.

Nur der größte Teil des Offizersfriedhofs blieb erhalten. Besonders beachtenswert an dieser parkähnlichen Stätte sind Zeugnisse der Grabmalkunst des 19. Jahrhunderts. Vor allem Beispiele des Berliner Eisenkunstgusses, aber auch des seltenen Zinkgusses geben diesem Ort das Gepräge. Gut erhalten und am bekanntesten sind die Grabstätten zweier herausragender Teilnehmer der antinapoleonischen Kriege: Adolph von Lützow (1782-1834), den Anführer der ,,wilden, verwegenen Schar“ und den hugenottischen Dichter Friedrich Freiherr de la Motte Fouqué (1777-1843), u.a. Autor des Kunstmärchens ,,Undine“. Erwähnenswert sind auch Massengräber für Opfer des 2. Weltkrieges, von denen nur wenige namentlich bekannt und benannt sind. Die Mehrzahl der Gräber des bis in die 60er Jahre genutzten Friedhofs wurde um 1978 eingeebnet. Eine behutsame Restaurierung der verbliebenen geschichtlichen Zeugnisse wie der ganzen Anlage ist geplant. lm Friedhofsgebäude ist eine informative Ausstellung zu sehen.

Zurückkehrend in die Linienstraße fällt die künstlerisch kreative Gestaltung der Rückfront wie aller Straßenfronten des Eckhauses Linienstraße Nr. 206 auf. Alternative Lebens- und Kunstauffassungen fanden hier wie anderswo im Kiez eine gewisse, nicht spannungsfreie behördliche Duldung, sind von unklaren Eigentumsverhältnissen und Mieterhöhungen existentiell bedroht.

Die Linienstraße kreuzt jetzt die Rosenthaler Straße.

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Hier, am Rosenthaler Platz, stieg Franz Biberkopf, der Held aus Alfred Döblins Roman ,,Berlin Alexanderplatz“ aus der Straßenbahn. Aus dem Moabiter Gefängnis entlassen, kehrte er zurück ins ,,Miljöh“. Eine eher traurige Berühmtheit erlangte das hier befindliche Rosenthaler Tor zwei Jahrhunderte früher als Merkzeichen für die tatsächliche Begrenztheit der geistigen Toleranz im absolutistischen PreuBen. Wie alle anderen Juden durfte 1743 ein junger Mann nur durch dieses Tor Berlin betreten: Moses Mendelssohn, später einer der weltbekanntesten Berliner, Freund Lessings und Nicolais, Aufklärer und Philosoph, zugleich auch erfolgreicher Geschäftsmann.

An der Ecke Ackerstraße unterbricht am Koppenplatz eine weitere grüne Insel den Weg durch graue Häuserfluchten. Der Platz wurde nach Christian Koppe (gest. 1721) benannt, der sich um das Berliner Armenwesen verdient machte. Das von ihm gestiftete Armenhaus für Frauen und ein Armenfriedhof sowie das gerichtliche Obduktionshaus erhielten hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihren Platz. Links neben dem Schulgebäude (Koppenplatz Nr. 12), einer der vielen Berliner Schulbauten Ludwig Hoffmanns (1852-1932), erinnert ein nach Entwürfen von Friedrich August Stüler (1800-1865) errichtetes Denkmal an Koppes uneigennütziges Wirken. Mit etwas Mühe kann man die verblasste, ehemals goldfarbene Inschrift entziffern: ,,Herr Christian Koppe Raths Verwandter und Stadt Hauptmann zu Berlin widmete diesen Platz und dessen Umgebung im Jahre 1705 als Ruhestatte den Armen und Waisen, in deren Mitte er selbst mit den Seinigen ruhen wollte und ruht. Sein Andenken ehrt dankbar die Stadt Berlin 1855″. Unter dem Park und der Spielanlage des Platzes sind die Trümmer von Luftschutzbunkern verborgen.
Wieder zur Linienstraße einbiegend führt der Weg an einem Seniorenheim vorbei (Koppenplatz Nr.11), einen 1835 errichteten klassizistischen Putzbau. Über dem Eingang ist noch ein Hinweis auf die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes erhalten: Erinnert wird an Wilhelmine Amalie Hollmann, deren Mann 1834, nach ihrem Tode, hier die Hollmannsche Wilhelminen-Amalien-Stiftung für Witwen und Töchter höherer Beamter errichtet hatte. Der Erinnerung an diese Frau ist im Hof eine Kunststeinstele mit aufgesetzter Eisenschale gewidmet. Mit der Linienstraße Nr. 162 fällt ein weiterer, 1911 errichteter Schulbau Ludwig Hoffmanns auf, in der die Volkshochschule Mitte ihr Domizil hat.
Auf der gegenüberliegenden Seite passt sich nach der Hausnummer 100 die Seitenfront eines roten Klinkerbaus an die Traufhöhe der umgebenden Häuser an. Man muss aber die Toreinfahrt des Hauses Nr. 100 durchschreiten, um die Vorderansicht eines der schönsten Sakralbauten in Formen der ,,neuen Sachlichkeit“ betrachten zu können. Die katholische St. Adalbert-Kirche wurde 1933 errichtet.

Die folgende unscheinbare Querstraße, die heute von einem Sportplatz durchschnittene Kleine Hamburger Straße, krönte das nächste, das Hamburger Tor. Es gehörte zu den imposantesten, am reichsten geschmückten Toren der Stadtbefestigung.

Empfohlen wird, in den Hof des Hauses Nr. 147 zu gehen. Seit seiner Errichtung hat dieses wie die benachbarten Häuser keine neue Farbe gesehen. Es ist auch noch von Einschüssen aus der Zeit des 2. Weltkrieges übersät. Dennoch gehört dieser Hof vor allem in den Sommermonaten zu den schönsten im Kiez; Theateraufführungen finden hier statt und man kann sich vom Grau der Großstadt erholen.

Nach der Kreuzung Tucholskystraße (früher Artilleriestraße) fällt die bunte Mischung von Gewerbebetrieben und Wohnhäusern auf, die Hinterfront einer Schule (Nr. 122-123), der Zugang zu einer Kegelbahn mit Bewirtschaftung (Nr. 121).

Auf die Oranienburger Straße stoßend, endet der Spaziergang am ehemaligen Oranienburger Tor, das durch einen U-Bahnhof und auch sonst umgangssprachlich als einziges Tor der Spandauer Vorstadt noch in Erinnerung blieb. Rechter Hand, leicht zu übersehen, hat im Haus Nr. 128-129 ein Trupp der freiwilligen Feuerwehr seinen Sitz; es soll sich um das älteste Feuerwehrgebäude Berlins handeln. Der nordwestlichste Punkt der Spandauer Vorstadt und auch die Hausnummernkehre der Linien-Straße mit den Nummern 135/136 ist erreicht.

 

Autor: Sternberlin

Dr. phil. habil.(Philosophie und politische Wissenschaften) , inzwischen Pensionär - aktiv in Denkmalschutz und Denkmalpflege, besonders Kirchen und historische Friedhöfe in Berlin an Wochenenden - unter der Woche in unregelmäßigen Abständen engagiert in Lehrerfortbildung (Geschichte, Architektur, Literatur und Theater,Bildende Kunst)

8 Kommentare zu „Rings um das Berliner Scheunenviertel (2) – die Torstraße“

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