Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder: Leutnant von Kleist und Generalsuperintendent Löffler Folge 14

Der Morgen beginnt mit einer unbedeutenden Frage, deren Suche nach einer befriedigenden Antwort aber sich über drei Tage hinzieht. – Liebe Edda, Sie haben doch zwei Bemerkungen, zwar nicht zusammenhängend, auf den ersten Blick auch weit voneinander entfernt, mir in den letzten Wochen auf den Tisch gelegt. Beim Nachdenken und Schreibtisch-Aufräumen gestern abend fand ich die beiden Notizen, bemühte mich um getrennte Wege der Antwort, stieß aber durch Gehirnakrobatik auf eine bisher verschlossene Trenntür, deren goldenes Schlüsselchen wie von Gottes Hand heute morgen vor meiner Nase baumelte, eingraviert ein Name: Guilielmo! Diese Tür sollten wir heute gemeinsam öffnen und zwei getrennte Rätsel um die Frankfurter Periode der Person Josias Löffler in einer einzelnen Aktion lösen. Einverstanden ? Edda stand der Mund offen, sie verstand absolut nichts.

Ich las ihr die beiden kurzen Texte vor, die sie mir vor einiger Zeit communiziert hatte:
Erstens – War Josias Löffler wirklich der Verfasser der folgenden wissenschaftlichen Arbeit : „Marcionem Paulli epistolas et Lucae evangelium adulterasse dubitur. Diss. Auctore D. Iosia Frid. Christi. Loeffler, Traiecti ad Viadrum 1788” ?;
Zweitens – gibt es Belege für homo-erotische Abenteuer des Viadrina-Studenten Alexander von Humboldt im Jahr 1788 ?
Die Überraschung war Edda an der Nasenspitze ablesbar – wie weggeblasen waren diese Fragen aus ihrem Gedächtnis, schien es. Nun aber sollte sie aus dem Nichts mittun an der Lösung, die sich gruppiert um jenen fremdländischen Namen , Guilielmo? – Edda, ich sehe, daß du aus dem Stegreif die Zusammenhänge, die dich damals zu den beiden Fragen geführt haben, heute nicht mehr hervorholen kannst. Ich werde versuchen, meine inzwischen gefundenen Puzzle-Teile auf den Tisch zulegen – durch Hin- und Herschieben kommen wir gewiß der Sache nahe !
Da ist also jener lateinische Titel und die Hintergründe der detaillierten historischen Studien und Publikationen Professor Josias Löfflers zum Neuen Testament, zu den Widersprüchen in den Werken der Kirchenväter, zu den echten und falschen Evangelisten seit seiner Zeit in Halle an der Saale:

Edda kann ihre Blicke nicht von jenem Buch loßreisen – eigentlich mehr ein Büchlein, eingebunden in hellbraunes Leder, das ich in den Händen halte. – Haben Sie etwas dagegen, Edda, wenn wir uns diesem Büchlein in Gänze widmen? – Bester Chef, ein für allemal, Sie sollten mich durchgehend duzen, nicht nur dann und wann, sondern permanent!!! Aber wie ist es Ihnen gelungen, aus den heiligen Beständen unsrere Bibliotheken dieses Exemplar herauszuschmuggeln? Ich hatte weniger Glück! -Edda, du überschätzt meinen Einfluß! So etwas gelingt auch mir nicht in ganz Mitteldeutschland. Die Sache ist einfacher – irgendein vermutlicher finanziell in der Klemme sitzender oder an das Ende seiner irdischen Existenz angelangter Mensch bot das gute Stück bei ebay an, ich schlug zu – über die Summe möchte ich nicht sprechen. Es ist jetzt mein Eigentum !!! Als ich das Angebot entdeckte und im Titelblatt den Namen Löffler und die semantische Nähe zum Thema Ehebruch erkannte, war kein Halten. – Chef, wie kommen Sie auf Ehebruch? – Aber liebe Edda, habe ich versäumt auf meine jugendlichen Träume vom Medizinstudium und die Versuche in Latein hinzuweisen? Daraus ist nichts geworden, sonst säßen wir nicht hier. – Edda blickt verwirrt vom Text hoch – „Wie kommen Sie auf Ehebruch? Auch ich durfte mich vor Jahren am Latein versuchen, vielleicht eine andere Variante als die für angehende Mediziner! Ich muss Sie enttäuschen, das verlockende adulterare steht hier nicht für ehebrechen, sondern für fälschen! Das hat uns die damalige Latein-Lehrerin an lustigen Beispielen eingebleut – Ehebruch sei Betrug und im Wort für Fälschen stecke eben das Betrügen !! – Aber ich liege doch richtig, Edda, wenn ich den Begriff Zweifel entdecke – Aber ja doch, Chef, Ich würde versuchsweise so formulieren: Man bezweifelt daß ein gewisser Marcion die Paulus-Briefe und das Lukas-Evangelium gefälscht habe! – Damit kann ich nichts anfangen, beende ich die kurze Debatte – ich bitte dich jedoch, liebe Edda, angesichts der Brisanz des Textes für das Verständnis der theologischen Positionen Löfflers, daß du dir den gesamten Text vornimmst und eine Rohübersetzung anfertigst – reichen 3 Tage? Ich bin ungeduldig.“

Sie nickte und zog sich in einen stillen Winkel zurück – unterm Arm einen dicken Wälzer, das Latein-Wörterbuch für Theologen.

Pünktlich am Morgen des vierten Tages saß Edda vor mir, rote vielversprechende Ohren, leuchtende Augen, auf dem Stuhl vor Erregung hin- und herrutschend: „Es ist eine Sensation in jeder Hinsicht, Chef! Erstens war Löffler ein Typ, der zuließ, dass studentische Arbeiten unter seinem Namen veröffentlicht wurden! Und zweitens war der Verfasser der Texte ein intimer, möglicherweise schwuler Freund des großen Alexander von Humboldt, ein gewisser Wilhelm Gabriel Wegener. Und drittens liegt da im Buch ein Zettelchen, der belegt, dass sich unser Josias auch mit dem Schicksal meiner sündigen und büßenden Lieblingsheiligen Maria Magdalena beschäftigt hatte. So interessant es wäre, aber ich habe nicht vor, den gesamten Gehalt der Semesterarbeit des von Professor Löffler betreuten Studenten Wegener hier vorzutragen. Es gibt Wichtigeres zu bereden !

Der Student Alexander von Humboldt

Ich spüre fast körperlich, wie die Blitze zwischen meinen kleinen grauen Zellen hin- und hersausen – Edda, hatten wir nicht etwas über Maria Magdalena ? – Aber ja, im Zusammenhang mit der Periode Löfflers in der Residenz Berlin, sein Besuch bei Spalding ! Später könnte man das Thema noch einmal aufgreifen – wie auch die Personalia der Evangelisten, wie ich sie nenne: die „Persönlichen Sekretäre und Vollender“ – Markus und Lukas !

Und da sind die Hinweise bei verschiedenen Germanisten, Heimatforschern, „modernen“ Erotik-Analytikern zu den Männer-Freundschaften des Studenten, Wissenschaftlers und reisenden Naturforschers Alexander von Humboldt, darunter fiel auch der Name Wilhelm Gabriel Wegener aus Frankfurt an der Oder.
Hier ein technisch schlechtes Porträt, es war das einzige Exemplar, das ich auftreiben konnte:

Wilhelm Gabriel Wegener (10.3.1767-16.11.1837) erlebte wie sein älterer Bruder Georg Jacob Ludwig (1757-1840), sein jüngerer Bruder August Daniel (1769-1829), seine Schwestern Georgine Friederike (1754-1784), Dorethea Elisabeth (1759-1817), Sophie Elisabeth (*1763) und seine weiteren drei, früh verstorbenen Geschwister, die Kindheit in Hohenlübbichow in der Neumark (polnisch Lubiechów Górny) im Hause des Pfarrers Balthasar Friedrich Wegener (1731-1800) und dessen Gattin Georgine Marie Catharine, geb. Fröhlich (1728-1793).

Lubiechów Górny (Hohenlübbichow) heute

Wilhelm Gabriel wurde teils vom Vater, teils von Hauslehrern unterrichtet. Die Pfarrer-Perspektive war vorbestimmt! Ab Oktober 1782 besuchte er dann das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin. Drei Jahre später folgte ihm Bruder August Daniel dorthin nach. Beide wohnten beim ältesten der Brüder G.J. Ludwig, der seit 1782 das Amt des Feldpredigers beim Berliner Regiment Gens d’armes innehatte, also Nachfolger des nach Frankfurt an der Oder übergesiedelten Josias Löffler war. lm Herbst 1785 bezog Wilhelm Gabriel die Universität Viadrina, studierte auf Wunsch des Vaters Theologie, sein bedeutendster akademischer Lehrer wurde Professor Josas Löffler. Unter seinen Studienfreunden der engste wurde, wie er in einer Selbstbiographie überliefert hatte, Alexander von Humboldt (1769-1859), mit dem er, wie in dessen Jugendbriefen zu lesen ist, am 13. Februar 1788 den heiligen Bund der Freundschaft schloss. Dieses besondere Kapitel verdient eine längere Darstellung: Beide Humboldt-Brüder wohnten zur Untermiete in Frankfurt im Hause des Professors und Pfarrers bei St. Marien, Josias Löffler, hatten als Adelige (niedere !) keinen besonderen Statur, waren voll integiert in das studentische Leben und in die gemeinschaftliche Lösung der wissenschaftlichen Aufgaben. Die Zeit war knapp und mußte effektiv genutzt werden, deshalb diskutierten die Humboldt-Brüder und der Student Wegener in den Monaten des Frankfurt-Aufenthalts unter Anleitung von Josias Löffler ein Thema, das dem auf ein Stipendium angewiesenen Pfarrerssohn Wilhelm Gabriel für eine dafür ausgesuchte Belegarbeit einschließlich in Latein geführter öffentlicher Disputation angepaßt war: Waren die Fremsprachen, in denen sich die Apostel verständigten, eine besondere Wundergabe oder nicht doch aus dem historiuschen Zusammenhang der damaligen Verhältnisse erklärbar – ohne Offenbarung! Die Arbeit war fast fertiggestellt, als in Berlin im Juli 1788 das berüchtigte Religions-Edict der konservatiben , Aufklärungsfeinde im Umkreis des neuen Königs Friedrich Wilhelm II. erschien und der Wissenschaft scharfe politische Grenzen setzte. Um das Stipendium nicht zu gefährden, mußte die Freunde das Thema wechseln – daher das Ausweichen auf die „ungefährliche“ Marcion-Kritik, auf die ich hier nicht in aller Breite eingehen kann. Wer möchte, kann in der Autobiographie von Wegener die Details nachlesen. Über die Komplikationen von Wilhelm Gabriels Studienabschluss erfahren wir Näheres aus einem mit vielen Abbildungen illustrierten „Familienbuch“, das von dem Vater des Naturforschers Alfred Wegener, Franz Richard Wegener (1843-1917 in seinen letzten Lebensjahren niedergeschrieben wurde: „Nach Absolvierung seines Studiums in Frankfurt verfaßte er eine theologische Dissertations-Schrift, die er am 17. September 1788 öffentlich verteidigte. Sie ist betitelt: ,Marcionem Paulli epistolas et Lucae evangelium adulterasse dubitatur‘ (Es wird bezweifelt, ob Marcion die Briefe des Paulus und das Lukas-Evangelium gefälscht habe). Wir können auf den Inhalt der Schrift, die in lateinischer Sprache verfaßt ist, nicht näher eingehen. In der theologischen Literatur findet man sie zuweilen als eine Löfflersches Schrift bezeichnet. Die Disputation fand unter dem Vorsitz von Johann Friedrich Christian Löffler statt.
Wie aus dem Archiv des Frommann-Verlages hervorgeht, gehörte der Student Wegener zu dem Freundeskreis, die dem scheidenden Professor Löffler im Februar und Oktober 1788 kunstvoll gestaltete mit allen Unterschriften (u.a. der Brüder Humboldt und des aus dem Kleist-Briefwechsel bekannten Christian Ernst Martini) versehenen Abschiedsmappen schenkten. Das ist der Hintergrund der außerordentlich engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen Wilhelm „Guilielmo“ Gabriel Wegener und Alexander von Humboldt, deren Intimität auch aus den veröffentlichten Briefen herausgelesen werden kann – erstmals erschienen 1896 in Leipzig unter dem Titel „Jugendbriefe Alexander von Humboldts an Wilhelm Gabriel Wegener“, herausgegeben von Albert Leitzmann, der sich ausgiebig mit den Details der Lebensläufe beider Freunde beschäftigte und damals der neugierigen Leserschaft viele Novitäten bot. Für uns heute liegt die Überraschung dieser Brieftexte weniger in der Intimität der freundschaftlichen Beziehung, sondern im hohen wissenschaftlichen Standard – Griechisch und Latein vorausgesetzt !!!:

Wilhelm Gabriel Wegener wurde nach erfolgreich beendetem Studium 1789 Feldprediger beim Regiment Gens d’armes in Berlin (und somit der Amtsnachfolger seines Bruders G. J. Ludwig) sowie 1795 Superintendent und Oberpfarrer in Züllichau.
Die Humboldt-Episode hatte für Wegener ein politisches Nachspiel. Da Wilhelm Gabriel wie auch seine Brüder und mit ihnen alle preußischen Geistlichen freierer Denkungsart unter dem Woellnerschen Regime auch weiterhin mancherlei Schikanen und Drangsalierungen durch die Königl. Geistliche lmmediat-Examinations-Commission erfahren mussten, war es ihnen, eine besondere Genugtuung, sich eine Abschrift der Ordre des Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) an den Minister Woellner vom 12. Januar 1798 zu verschaffen, die mit den Worten beginnt: „Die Deutung, welche Ihr meiner Ordre vom 23 Nov. v. J. in Eurem unterm 5 Dez. an die Consistoria erlassenen Reskripte gegeben habt, ist sehr willkürlich, indem in meiner Ordre nicht ein Wort vorhanden ist, welches nach gesunder Logic zur Einführung des Religions-Edikts hätte Anlaß geben können“, und in der es weiter heißt: „Ihr seht hieraus, wie gut es sein wird, wenn Ihr bei Euren Verordnungen künftig nicht ohne vorherige Beratschlagung mit den geschäftskundigen und wohlmeynenden Männern, an denen in Eurem Departement kein Mangel ist, zu Werke geht.“
Johann Christoph von Woellner (1732-1800) war 1788, zwei Jahre nach dem Tod von Friedrich ll. (dem Großen, „dem Alten Fritz“; 1712-1786), unter dessen Neffen Friedrich Wilhelm ll. („dem Dicken Wilhelm“; 1744-1797) zum Staats- und Justizminister und Leiter des geistlichen Departements in Preußen aufgestiegen. Dem Religionsedikt vom 9. Juli 1788, das dem Einfluss des Gedankenguts der Aufklärung Einhalt gebieten sollte, folgte am 19. Dezember 1788 das Zensuredikt. Woellner seinerseits war zugleich Mitglied des geheimen Ordens der „Gold- und Rosenkreuzer“.
Zwei Monate später wurde Woellner ohne Pension entlassen. Ein Gemälde, das Woellner im Ornat der Rosenkreuzer zeigt, ist in der Sammlung der Burg Beeskow zu sehen.

Eine Ergänzung zu diesen Darstellungen ist nötig: Verbunden mit der Berufung an die Oder-Universität Frankfurt war traditionell die Ernennung zum Prediger an die Hauptkirche der Stadt, St.Marien (auch als Oberkirche bezeichnet) durch den Magistrat der Stadt. Als Josias Löffler die Bestallungsurkunde zu dieser Stelle erhält, findet er nicht nur gute Bedingungen für die seelsorgerische Tätigkeit, interessante und ihm freundschaftliche gesonnene Kollegen vor, sondern auch eine reichlich ausgestattete wissenschaftliche Bibliothek vor mit einem Bestand von etwa 2400 Büchern, wie der Frankfurter ordentliche Professor für Geschichte und Rektor der Viadrina, Carl Renatus Hausen in seiner „Geschichte der Universität und Stadt Frankfurt an der Oder seit ihrer Stiftung und Erbauung, bis zum Schluß des achtzehnten Jahrhunderts, größtentheils nach Urkunden und Archiv-Nachrichten bearbeitet“ (2. Auflage, Frankfurt/Oder 1806, S.131) schreibt. Diese Bibliothek erfüllt die Rolle einer „Ministerial-Kirchen-Bibliothek“ für die anderen Frankfurter Kirchen, ist also einer der wichtigsten wissenschaftlichen Arbeitsplätze für die Geistlichen, Studenten, Lehrer, Offiziere und kulturell Interessierten der Stadt neben der seit 1516 bestehenden Bibliothek der Universität und anderen Privatbibliotheken.

Dr. Dieter Weigert 20. August 2023 Berlin Prenzlauer Berg

Die nächsten Folgen der Erinnerungen des Saalfelder Stadtarchivarr erscheinen in unregelmäßigen Abständen.

Für Interessenten bisher:

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Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant von Kleist und Generalsuperintendent Löffler Folge 12

Kurz und knapp erwähnt Josias das bedeutende private Faktum seiner Frankfurter Jahre in den Lebenserinnerungen: „Löffler verheirathete sich im Winter 1784, am 9. November, mit der Tochter des Oberconsistorialraths Silberschlag in Berlin.“ (Kleine Schriften, Bd.I, S. XVI) Edda wirft bissig ein: Nicht einmal den Vornamen der Erwählten gibt er uns preis ! Also – durchsuchen wir den gesamten Packen nochmals nach Briefen oder ähnlichen intimen Papieren, die uns Auskunft über die Ehefrau des Predigers geben.
Josias hatte die schöne und kluge junge Frau vermutlich schon in den ersten Monaten seiner Berliner Zeit kennengelernt, als er durch die Vermittlung seiner Hallenser Universitätslehrer Semler und Nösselt die Runde bei den Spitzen der lutherischen Kirchen in Berlin absolvierte, auch auf der Suche nach einer Beschäftigung als Privatlehrer, also im Frühjahr und Sommer 1774. Da war sie noch ein Kind, aufgeweckt, eine vielversprechende sinnliche Schönheit, neugierig, aber als Tochter eines Oberkonsistorialrats familienbewusst und auch diszipliniert. Er verliert sie aus den Augen, nimmt am Krieg 1778/79 als Feldprediger teil, kommt 1779 zurück und wird sie um 1780 als junges, aufgeblühtes Mädchen wiedergesehen haben – im Hause ihrer Eltern. Aus Sympathie wird Erregung, Begehren und Liebe, aber der junge Mann hat noch keine Anstellung, die ihm so viel einbringt, dass er die Tochter eines hochgestellten Kirchenpolitikers heiraten kann. Da erscheint die Rettung am Horizont – die Professur in Frankfurt !
Der vor mir liegende Brief vom 1. Juni 1785, eine Kopie aus dem Archiv des Verlegers Frommann, verrät uns nun endlich den Namen des Mädchens: Dorothea ! Das Schreiben strahlt Zärtlichkeit aus, sehr viel Intimität: „dein zärtlich liebendes Dörtchen“ und „bestes Männchen“ sind nicht die Worte einer nur aus Vernunft und Laufbahn-Kalkül angetrauten Ehefrau. Aber lassen wir sie selbst sprechen – manche Krakelei muß ich leider auslassen –
„Glücklich und gesund bin ich gestern Abend um 10 Uhr hier in Berlin angekommen, bestes Männchen. Um 10 Uhr erst, wirst du fragen? Ja, ob mir gleich meine beyden Brüder in Dahlwitz schon erwarteten, so hatten wir doch noch so viel … , daß wir erst ziemlich spät von Dahlwitz abfuhren also auch nicht sehr früh hier ankommen konnten. Mit welchen Umarmungen und Küssen und Freude ich nun hier von meinen lieben Eltern empfangen ward, werde ich dir wohl nicht erst beschreiben dürfen, genug wenn ich dir sage, daß es ganz so wahr, wie wir es uns vorstellten.


Mama räumte sofort „meine“, „unsere“ Chaiselongue frei, damit ich mirs recht gemütlich mache. Ach, wärst du doch hier !!! Erinnerst du dich noch an die lustige Episode, wie Papa mit dir über die griechische Benennung jenes wunderschönen Möbelstücks in eine professorale Debatte geriet? Manchmal wird eben aus dem geruhsamen Consistorialrath ein streitsüchtiger Widder mit eingelegten Hörnern!
Es fehlt mir an nichts mehr hier in meinem väterlichen Hause, als ein gewisser Jemand mir zu Füßen auf dem lieblichen Polsterhocker sitzend, nicht wagte, mir die verliebten Augen zuzuwenden, aus Verlegenheit die gedrechselten Löwenfüße der Chaise longue streichelnd und wer der gewisse Jemand ist, das machst du allein …
Ich sitze jetzt in Mamans-Stube zu schreiben, Du kannst also wohl denken, daß mehrvom Plaudern als vom Schreiben wird, ich muß daher für heute … schließen, und Dir ein andermal, wenn ich oben … allein sitze werde … Ich küsse Dich in Gedanken so viel daß mir der Mund gewiß …

Hast du mich denn auch noch recht lieb, liebes Männchen? Ja wohl bin ich dir gut, dein bestes Dörtchen.

Neues kann ich dir noch nicht von Berlin melden“

Die Sache mit dem Möbelstück beschäftigt mich nun schon einen ganzen Tag – wie kommt „Dörtchen“ vom louis-quinze-Wort „chaiselongue“ auf das Altgriechische? In der Tischler-Berufsschule waren wir in der Geschichte der Möbelkultur vom Neo-Neo-Mix der Gegenwart nur bis zur deutschen Renaissance, zur Eiche und zum Nußbaum, gekommen, es bleibt nur der Anruf bei der Freundin Rita in Weimar. Sie weiß es, hat sie doch Innenarchitektur studiert! Ihre plausible Erklärung: französische Sitzmöbelgestalter der Periode nach dem Tode des Sonnenkönigs suchten neue Formen, neue Ideen, eine neue Sprache für die Innenausstattung der Paläste der gesellschaftlichen Elite, die nun aus Versailles in die urbanen Zentren zurückströmte – dazu gehörten praktische und luxuriöse Sitz- und Liegemöbel für die Damen, auf denen sie ihre Reize den Herren darbieten konnten. Zu bewundern übrigens heute in einigen wenigen Stücken in den Räumen von Fontainebleau und im Museum „Hotel de la Marine“ am Place de la Concorde, also der Pariser Innenstadt.

So wurden aus langweiligen Sesseln die langgestreckten chaiselongues, den man nach antiken Vorbildern lateinische oder griechische Namen zulegte: das Sofa mit nach oben gebogener Kopfstütze für drei Personen wurde als TRICLINIUM ein Modeschlager, wobei die Römer, die es zur Massenware entwickelten, die griechische Wurzel KLINE für Ruheliege im Unterschied zum Bett verwendeten. Soweit Rita. Meine Schlussfolgerung: Vater Silberschlag wollte vermutlich den künftigen Schwiegersohn auf seine Griechisch-Kenntnisse prüfen und nutzte Dorotheas Liebe zum französischen Möbelstück, das irgendwie in den Haushalt des Berliner Theologen geraten war, zu einem sprachgeschichtlichen Disput, dem Josias gewachsen sein musste, wie die in Griechisch eingeflochtenen Begriffe und Wendungen im Briefwechsel mit Semler und anderen Kollegen bezeugen. Wäre er bei dieser Prüfung durchgefallen, hätte „Dörtchen“ sich wohl gehütet, diese Episode zu erwähnen. Sie wird das Möbelstück auch in einem anderen Zusammenhang in Erinnerung haben – die Mädchen des 18. Jahrhunderts unterschieden sich wohl kaum von denen der Gegenwart, wenn sie sich der ersten Begegnung mit einem von den Eltern vermittelten möglichen Schwiegersohn in romantischer Verklärung erinnern.

Viel ist es nicht, was ich während der Abwesenheit der lieben Kollegin Edda herausfinden konnte – sie tröstete mich, es sei doch noch nicht jedes Papierchen mehrfach umgedreht. – Lassen Sie mich mal an jenen schwergewichtigen Packen, der da gesondert auf uns wartet und die Aufschrift „Stendal“ trägt. Sie schafft es, den komplizierten historischen Knoten ohne Beschäfigungen zu öffnen – da die nächste Überraschung – zwei getrennte, wiederum gut verschnürte Pakete – beschriftet: „privée“ und „Vauban“. – Chef, wir sollten uns zuerst ans Private machen, denn noch wissen wir nicht allzu viel über das Liebesleben unseres Predigers, der große Festungsdesigner Vauban kann warten!

Edda hat den Schlüssel gefunden! Briefe und Geständnisse! Beider Handschriften ! Und eine dritte, die vermutlich das Rätsel der Stendal-Aufschrift lösen wird. !

Es sind mehrere Briefe von drei verschiedenen Handschriften: die schon bekannte der Ehefrau Josias Löfflers, Dorothea, zweitens die Schrift einer Frau Namens Sophie Charlotte aus Stendal, einer Cousine unserer Dorothea – identifiziert aus der ihrer Unterschrift und der Anrede aus Briefen von Dorothea. Die dritte war schwieriger zuzuordnen, Dorothea hatte sie mir „Tantchen“ angeredet, und „Tantchen“ hatte mit Sophie Marianne unterschrieben. Wer war jene Sophie Marianne, wer war jene Sophie Charlotte? Wie standen sie zu Dorothea Löffler?

Aufschlußreich ist da zuvörderst jener Brief von Löfflers Ehefrau Dorothea aus Franfurt unmittelbar nach dem Umzug aus Berlin an die Cousine in Stendal, Sophie Charlotte.

Eine colorierte Postkarte flattert von ober auf meinen Tisch: – Bester aller Chefs, kennst du diese Touristenattraktion schon – das alte Kirchenbestückte Stendal?

Iczh verweigere die Antwort, trenne mich ungern vom Thema Eheglück der Löfflers. Die Cousine scheint noch minderjährig zu sein, deshalb hält sich „Dörte“ etwas zurück in der Beschreibung ihres ehelichen Freuden:

„Liebes Schwesterchen, ich darf dich wohl so nennen, da es mir an einer solchen mangelt, es drängt mich von Herzen, dir als nunmehrige ehelich anvertraute Gemahlin eines VIADRINA (!!!)Professors und Predigers an der größten Kirche vom Oderstrand die ersten Erfahrungen seit der Trennung von der Residenz Berlin zu erzählen. …

Hier an der Oder ist alles etwas kleiner, ruhiger, gemächlicher als in der Majestät Residenz. Nachbarinnen oder gar Freundinnen zum Schwatzen gibt es hier nicht – ich bin die verehrte Frau Professorin, man soll es mir ansehen ! Die Kleidung? – auch das kein Stoff zum Plaudern! Die Nachbarn? Preußisch-Zackige Militärs und schwarzgerockte, trockene, maulfaule Kirchenleute von St. Marien. Ach, wie ich mich nach Berlin sehne.
Man sieht schon das Kind im Bauch wachsen, bald wird es kommen, ich habe furchtbare Angst, darf sie aber nicht zeigen . . .

Beim Einräumen der Sachen und Einrichten in der Riesenwohnung hier im Winkel hinter der Kathetrale fand ich einen Zeitunsbereicht, den ich dir zurückschicke – denn es ist nicht mein Vater, sondern es kann nur dein Vater gemeint sein:

Der Schreiber des Berichtes in der Zeitung hätte einen Kupfer mit dem Porträt des „Herrn Conventual Silberschlag“ beifügen sollen, da wäre eine solche Verwechslung – wie sie auch gegenwärtig noch in Berlin bei gewissen Ignoranten geschieht, nicht passiert! Mein Vater war im Jahre 1761 lange dem Klosterjahren entwachsen ! Grüß den Onkel Georg von mir, tausend Küßchen vom Ufer des Oderstromes dem großen Geographen und Sternenkundigen – wenn er mal wieder bei der Familie weilt!

Mein noch jungfräuliches „Schwesterchen“, gewisse intime Nachrichten über die eheliche Liebe, die gegenüber den früheren jungendlichen Bruder-Schwester-Verhalten veränderten Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau in der Ehe werde ich dir trotz mehrfachen, nachdrücklichen Flehens nicht mitteilen – früh genug wird es dich ereilen!“

Die Zurückhaltung der frisch gebackenen Ehefrau Dorothea gegenüber ihrer jüngeren Cousine in Stendal macht mich neugierig auf den Briefwechsel Dorotheas mit der Stendaler Tante Sophie Charlotte, der sich überraschend in diesem Bündel befindet. Vielleicht hat Josias wegen des sehr intimen Gehaltes diese Papiere nicht dem offiziellen Nachlaß anvertrauen wollen – gelesen hat er die Briefe gewiß nach dem Tode Dorothes. Edda und ich hatten einiges Vergnügen beim Lesen der vertraulichen Ratschläge der beiden Frauen für den Umgang im Bett und auf dem Sofa mit ihren theologisch belasteten Männern. Es kling sehr modern, meinte Edda und zwinkerte mit den braunen Äuglein!

Dr. Dieter Weigert 15.August 2023 Berlin Prenzlauer Berg

Die nächste Folge der Erinnerungen des Stadtarchivars von Saalfeld zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler wird in Kürze erscheinen.

Für Interessenten bisher:

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LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720

LINK zu Folge 7: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34571

LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034

LINK zu Folge 9: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35090

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LINK zu Folge 11: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/37611

 

 

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder: Leutnant von Kleist und Generalsuperintendent Löffler Folge 11

Ein Traum wird wahr – der große König beordert Josias Löffler nach Frankfurt an der Oder, setzt ihn als Pfarrer an die lutherische Oberkirche St. Marien ein und besetzt mit ihm die durch den Tod des Professors Simonetti entstandene Vakanz an der Theologischen Fakultät der Viadrina.

-Wir schreiben das Jahr 1782. Suchen wir also in dem Konvolut nach Papieren und Dokumenten, die mit diesem Ereignis in Beziehung stehen, liebe Edda!
-Bester Chef, da wäre jener bedeutsame Satz, der uns in den Erinnerungen des Josias an das Ende seines militärischen Einsatzes in Schlesien und Böhmen 1779 schon einmal begegnet war: „Und nun kehrte bey ihm der Wunsch zurück, Lehrer der Wissenschaften, wenn möglich auch einer Universität zu seyn.“ Ich bemühe mich, weitere Belege zur Untermauerung dieses Wunsches oder Traumes zu finden und vielleicht auch manches zu finden, was zur Erleuchtung des Weges dienen kann, der ihn schließlich nach dreijähriger Wartezeit nach an die Oder-Universität führte. – Edda zog sich in eine stille Ecke zurück und wühlte sich schweigsam durch die sorgsam geordneten Stöße von Papier.

Der Blick aus dem Fenster zeigt – der Winter will nicht weichen. Trostlosigkeit und Trauer erfassen mich beim Blick aus dem Fenster, der graue See liegt erstarrt, die größeren Jungs spielen Eishockey, einige Anfänger üben sich im Langlauf. Es wird Zeit für mich in die Berge abzuhauen.

Aber: Ich mache mich an die Papiere, die Josias Löfflers Aufenthalt in Frankfurt an der Oder betreffen und die mir Edda vorgelegt hatte. Da ist ein historischer Stich: Wuchtig tritt sie uns entgegen, die Oberkirche, die Hauptkirche der Gemeinde der Lutheraner in der Odermetropole. Sie scheint uns den Weg zu versperren zu den Gebäuden der Universität, der VIADRINA.

St. Marien und der Nonnenwinkel in Frankfurt an der Oder

Nicht nur visuell, sondern materiell-praktisch symbolisierte dieses gewaltige gotische Bauwerk in den Jahrhunderten seit der Gründung der Oder-Universität die Einheit von Religion und Wissenschaft – auch in den Biographien der Universitätslehrer!

St. Marien ist nicht nur administrativ und theologisch die „obere Kirche“, sie steht auch auf einem Hügel und beeindruckt daher auch topographisch die LOandvhaft, die Stadt. Unter ihr liegt der Markt, daran anschließend das Rathaus, auf der anderen Seite die Gebäude der Universität und in einiger Entfernung die Kasernen des Militärs. Auf diesen Hügel stellt der preußische König Friedrich II. den Thüringer Theologen, in Halle an der Saale und Berlin ausgebildet und gerüstet für die politischen Auseinandersetzungen mit den Konservativen, gestählt im Krieg gegen die Habsburger, durch die verbündeten Verleger mit den wissenschaftlichen Lorbeerkränzen gekrönt – den Vorbedingungen für Professur und klerikaler Machtposition, mit dem Begriff Generalsuperintendent umschrieben.

Ein Renaissance-Gemälde aus Frankfurt an der Oder präsentiert uns die Einheit von Klerus, Wissenschaft, Bürgermacht – im 16. Jahrhundert, in den Strukturen aber auch für das Verständnis der Jahre brauchbar, in denen Josias Löffler in der Oderstadt wirkte:

Michel Ribestein, Epitaph für Hans Schreck und seine Gattin, 1555

Dass des Königs Minister von Zedlitz im Frühjahr 1782 den Theologen Löffler aus Berlin auf den Theologie-Lehrstuhl der VIADRINA, der Oder-Universität, als Nachfolger des im Januar 1782 verstorbenen Christian Ernst Simonetti beruft, bedeutet für den nunmehr 30jährigen Josias Friedrich Christian Löffler einen bedeutenden akademischen und sozialen Aufstieg.

Einer der Vorgänger Josias Löfflers als Lehrstuhlinhaber an der Oder-Universität, Friedrich Ebert, Professor für Hebräisch, um 1670/1680

Die chronologisch erste Urkunde, die Auskunft gibt über die Gunst des Königs:

Seite 1

Seite 2

Seite 3 – mit amtlichem Siegel

Meine (nicht-amtliche) Transkription:

Wir Friderich von Gottes Gnaden, König von Preußen u.s.f. Thun Kund und fügen hiermit zu wißen, daß Wir an des verstorbenen Simonetti Stelle, den bisherigen Feld-Prediger Unseres Regiments Gensd’armes Johann Christ Löffler, in Betracht seiner Uns angerühmten Geschicklichkeit, zum Professore Theologiae extraordinario bey Unsrer Universitaet zu Frankfurth an der Oder, allergnädigst bestallet und angenommen haben.

Wir thun solches auch hiermit und in Kundt dieses dergestalt und also daß Uns und Unserem Königlichen Hause denselben threu, gehorsam und gewärtig seyn, Unseren Nutzen und Bestes nach äußerstem Vermögen suchen und befördern, Schaden und Nachtheil aber, so viel an ihm ist, verhüten, … und abwenden helfen; das Amt eines Professoris Theologiae extraordinarü bey gedachter Unserer Universitaet im Lesen, Lehren, Disputiren und Praesidieren mit äußerster Application zu verwalten, der studierenden Jugend jederzeit mit gutem Exempel vorgehen, und die Stipendiaten treulich unterweisen, über Unsere bereits gemachten oder noch zu machende Reglements und Verordnungen gebührend halten und an sich nichts … lassen solle, damit die Universitaet immer mehr in … und Aufnahme gebracht und berühmt werden möge; Was Wir ihm sonst commitiren und befehlen, das soll er willig und getreu ausrichten, in Summa alles dasjenige thun und leisten, was einen getreuen Königlichen Diener und rechtschaffenen Professori, seinen abzulegenden Eidespflichten nach, zu thun oblieget und gebühret.

Dahingegen und für seine Dienste soll er, der Professor Löffler, sich nicht allein allen, denen übrigen Professoribus zukommenden Privilegien, Rechte und Prerogativen ebenmäßig zu erfreuen und, nach Verlauf des denen Simonetti ihre Erben zustehenden Neben-Jahres, der damit verknüpften Besoldung von Zweyhundert Reichsthalern zu erheben haben, sondern Wir wollen ihn auch bey sich … Gelegenheit … Merkmale Unserer Königlichen Huld verspüren laßen…

Berlin Zedlitz, Chef Unseres Christlichen Departements, 27ten April 1782

Das Studium des förmlichen Schreibens führt uns nicht sehr weit, es sagt nicht viel aus über die Qualifikation des jungen Josia Löffler für beide Positionen – die an der Kirche und die an de Viadrina. Aber gleich darunter findet sich ein Druck, starkes Papier, fast schon braun verfärbt vermutlich durch das ständige Sonnenlicht, dem es vermutlich ausgesetzt war. Auf der Rückseite eine Notiz in blauer Tinte „Rauch, 1533“, vermutlich von Josias Löffler:

Professor Josias Löffler bekennt sich zu den Renaissance-Tugenden, ohne jedoch in die Luthersche Orthodoxie zu verfallen. Damit erfüllt er die Ewartungen seines Königs, des Ministers von Zedlitz, der Frankfurter Studenten und der Gemeinde von St. Marien. In seinen Erinnerungen beschreibt Josias aber auch, mit welchen Widerständen und Intrigen er an der Viadrina zu kämpfen hatte (Zum Verständnis der politischen und wissenschafts-geschichtlichen Situation im damaligen Frankrut sollten wir einen längeren Abschnitt zu unsererm Bericht zitieren – meint mit meiner Billigung die kluge Edda) :

Kleine Schriften, Bd. 1, XII
XIII
XIV

In Ergänzung zu den umfangreichen Tätigkeiten, die Josias Löffler als Prediger an St. Marien, als Theologie-Professor an der Viadrina, als Oberaufseher des Frankfurter Bildungswesens zu erledigen hatte, wären seine Kontakte zu den Offizieren des königl.preuß. Infanterie-Regiments Nr. 24 eine Beschreibung wert – rät Edda.

Welch‘ freudige Überraschung, wird der aus dem aktiven Dienst entlassene Feldprediger Josias Löffler bei seinem Arbeisbeginn Frankfurt empfunden haben, als er den Antrittsbesuch beim Chef des in der Garnisonstadt an der Oder stationirten kgl-pr. Infanterie-Regiments Nr. 24 absolviert und dem „alten Bekannten“ aus dem „Kartoffelkrieg“ gegenübersteht: Prinz Leopold von Braunschweig, seit Januar 1776 in dieser Position als Oberst und später Generalmajor. Das Regiment ist der ruhmreichen Friderizianischen Tradition aus den Schlesische Feldzügen und dem Siebenjährigen Krieg verpflichtet, sein Kommandant war der vor Prag 1757 gefallene Feldmarschall Graf von Schwerin, dessen Porträt (Maler: Christian Bernard Rode) in der Berliner Garnisonkirche 1761 in Öl als Teil einer Gruppe von vier „Gedächtnisbildern“ präsentiert wurde, mit der Zerstörung der Kirche durch Bomben im Zweiten Weltkrieg verbrannte.

Christian Bernard Rode, Feldmarschall Schwerin wird sterbend von der Siegesgöttin bekränzt, Radierung um 1765

Den gesellschaftlichen Umgang mit hohen und höchsten Offizieren der königlich-preußischen Armee ist Josias Löffler nicht erst seit dem Feldzug von 1778/79 gewohnt, in Berlin war er im privaten Kontakt zum Kavallerie-Generaol von Prittwitz und anderen Militärs; hier aber ist sein Gegenüber ein Erbprinz, ein möglicher künftiger Herzog aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg, Ritter des Johanniter-Ordens, schon mit 20 Jahren Oberstleutnant in der Armee seines herzoglichen Vaters, und – wie schon erwähnt – ab 1776 in Diensten seiner preußischen Majestät – während seine Schwester Amalia dem herzoglichen Hof von Weimar standesgemäß anvermählt wurde, jene Amalia, die zur Förderung des Schriftstellers Goethe maßgeblich beitrug.

Sie sind gleichaltrig, der Theologe aus Thüringen und der Welfen-Prinz aus Braunschweig-Lüneburg, Neffe des preußischen Königs Friedrich II.
Sie verkörpern nicht nur die gleiche Generation, sie vertreten auch – trotz ihres Standesunterschieds – die gleichen Ideale und Werte der Aufklärung: der Zögling des großen Lessing, der ihn auf seinen Wunsch auf einer mehrmonatigen Italienreise begleitete, und Professor Josias Löffler, der Schüler Semlers und Nösselts. Sie sind auch im wirklichen Leben Nachbarn – Prinz Leopold residiert im sogenannten Kommandantenhaus hinter der Marienkirche, Löfflers Wohnung befindet sich, da er gleichzeitig Pfarrer an jener Marienkirche ist, im angeschlossenen Gemeindehaus.

Johann Friedrich Nagel, Blick auf Frankfurt vom Ostufer der Oder, um 1788. Links im Hintergrund St. Marien, davor am Ufer die Kasernen des IR 24


In jenem Kommandantenhaus oder auch im Salon des Generalsuperintendenten im Gemeinde-Gebäude neben der Kirche finden auf Einladung des jeweiligen Hausherrn abendliche Lesungen, Konzerte, Vorträge von Universitätsprofessoren statt. Für die Offiziere des Leopoldschen Regiments hat dieser Winkel noch eine dritte nachbarliche Bedeutung – hier wohnt ihr Kamerad, der Major von Kleist, Bataillonskommandeur, dessen 1777 geborener Sohn Heinrich seine familiär ebenfalls vorbestimmte militärische Laufbahn in einigen Jahren einschlagen wird.

Noch liegt der bunte Rock des Königs für Heinrich von Kleist in einiger Ferne, noch sind der Welfen-Prinz und der Theologie-Professor und Oberpfarrer der Marienkirche seine nachahmenswerte Idole in den Nachbarhäusern.

An diesem Punkt meiner Beschäftigung mit dem Papierbündel hatte ich einige Tage aus dienstlichen Gründen eine Pause. Edda war beauftragt, niemanden einsicht in unsere Papiere zu gewähren.
Auf mich wartete außerhalb monotoner Bürokram, die Übernahme des Privatarchivs eines Wissenschaftlers aus Jena, Einstellungsgespräche mit Kandidaten für unsere Einrichtung. Mit jedem Tag der Abwesenheit von meinem Schreibtisch wuchs meine Sehnsucht nach jenen alten Schriften. Am Vorabend meiner Rückkehr zu Löffler und Kleist hatte ich einen absonderlichen Traum – bei einem Gang durch die Zimmer des Archivs spürte ich ungewohnte Bewegung und Geräusche, aus einer entlegenen Ecke des Archivs wanderten Bücher auf angeklebten Füßen in meine Richtung, versammelten sich zu meinen Füßen und bewegten sich mit mir zu meinem Schreibtisch.

Angeführt wurde der wüste Haufen von einem einigermaßen gut erhaltenen braun eingebundenen Buch im Quart-Format, unlesbar, verschmiert der Titel, herausgefallene Zettel vermerken Ideen -Anregungen für künftige Werke des Dichters Kleist aus der sinnlichen Wahrnehmung der Chorbilder von St. Marien: der Weltenrichter und der Dorfrichter Adam im Zerbrochenen Krug, der Antichrist, das Jüngste Gericht und vor Gott dem Richter steht nackt und bloß der Kleistsche sündige Dorfrichter Adam und signalisiert die Ankunft des Antichristen !

Erschreckt und verschwitzt versuche ich dem Traum zu entkommen. Wie ruhig und ausgeglichen waren doch die Tage mit Edda, vergleichbar mit jenen Jahren des Predigers Josias in Berlin im Vergleich zu jenen Tagen, Wochen, Monaten des kämpferischen Aufenthalts in Frankfurt.

Als wir – Edda und ich – wieder in trauter Gemeinsamkeit zusammen im Dachstübchen arbeiten, versuchen wir ein erstes Resumé der Anfangsjahre des Pedigers Löffler an der Oder:
Es ist bezeichnend für den Geist der Zeit, dass in den amtlichen Dokumenten und Bestallungsurkunden stets auf die bisherige Position Löfflers als Feldprediger im ruhmreichen Kavallerieregiment Gensd‘armes und weniger auf seine akademischen Verdienste verwiesen wird. Für den König, seinen Minister von Zedlitz und dessen zuständigen Staatssekretär Biester wird die wissenschaftliche Qualifikation vorausgesetzt, sie haben seine Aktivitäten auch nach der Rückkehr aus dem Feldzug 1779 nicht aus den Augen verloren.

Insbesondere Biester und sein Freundeskreis hatten sich – die harten Anforderungen der Oder-Universität und die Widerstände in den kirchlichen Kreisen des Bistums und der Stadt vor Augen – des jungen Wissenschaftlers in Uniform angenommen, hatten ihn in seinem Bestreben bestärkt, den literarischen Stoff, den er während des Feldzuges so sehr vermisste, nachzuarbeiten, hatten ihm wichtige Kontakte zu den führenden Köpfen der Berliner intellektuellen Elite an der Akademie der Wissenschaften, in kirchlichen Kreisen, der Verleger, Geschäftsleute und Schriftsteller vermittelt. Sie verstanden, wenn ihnen der junge Löffler in den Ohren lag mit den Träumen vom Lehrerberuf, von den Wünschen der Disputationen mit jungen Leuten, mit Schülern und Studenten. Schmerzlich wird ihnen bewusst, wie nötig die Residenz Berlin eine Universität braucht, wie anachronistisch die fürstliche Abneigung gegen die Unruhe ist, die Studenten und junge Wissenschaftler in die Mentalität des Beamtenstandes bringen könnten.
Nun also die VIADRINA, neben der Halleschen Fridericiana die zentrale Nachwuchsschmiede für Juristen und Theologen des preußischen Königreiches.  Nun also dem Traum von Bildung und Erziehung einen Riesenschritt näher. König, Minister und der unermüdliche Biester lassen Josias Löffler genügend Zeit für die Einarbeitung in die schwierigen Aufgaben. Die Professur an der Viadrina ist unmittelbar nach dem Tod von Simonetti auf Michaelis 1782 datiert, das Sommersemester wird vorwiegend dem Kennenlernen von Professor und Studenten gewidmet, Josias Löffler hält erste Vorlesungen zu ihm geläufigen Themen der Kirchengeschichte, der Beginn des Predigeramtes an St. Marien wird auf Januar 1783 gelegt.
Josias Löffler ist beeindruckt von Frankfurt. War die seelsorgerische Tätigkeit des jungen Pfarrers Löffler in Berlin auf einen kleinen Kreis und kleine Räume beschränkt – die Gefängnisinsassen und Beamten der königlichen Hausvoigtei, die Ärzte, Pfleger, Schwestern und Kranken der Charité – so muss er sich jetzt in der großen Halle der gotischen St-Marien-Kirche von Frankfurt bewähren, so hat er jetzt vor einer mehrere Hunderte Köpfe zählenden Zuhörerschaft zu predigen. Verbunden mit den kirchlichen Aufgaben an der Oberkirche ist für ihn auch neu die Pflicht der städtischen Schulaufsicht, beschrieben mit dem Begriff des „Generalsuperintendenten“. Hospitationen an den Schulen werden mindestens einmal jährlich durchgeführt, um den Wissensstand und die pädagogische Eignung der Lehrer zu überprüfen. Er hat Berichte an die Kirchenleitung und den Magistrat zu verfassen, disziplinarisch zu loben und zu strafen, Zwistigkeiten zu schlichten – also sehr viel Verwaltung und Personalia, diplomatisches Geschick ist gefragt, da kommen ihm die Erfahrungen aus der Militärzeit gelegen, die Fähigkeiten, die er sich im Feldzug 78/79 aneignen musste.
Josias Löffler „kommt gut an“ bei den Frankfurtern, in der Kirche und an der Universität. Der Chronist Christian Wilhelm Spieker kann noch Jahrzehnte später in seiner „Beschreibung und Geschichte der Marien- oder Oberkirche zu Frankfurt an der Oder“ den „ausgezeichneten Theologen“ Josias Löffler im Vergleich zu dessen Vorgängern ohne jeden Abstrich würdigen.

Besonders hebt er – gemessen an der streitsüchtigen und groben Manier des alten und kranken Simonetti – die jugendliche Frische, die lebendige Art des Predigens des neuen Diakons an St. Marien hervor. Ich erinnere mich an den Brief Amelangs an Josias Löffler aus dem Jahre 1777, der sehr anschaulich jenes das Publikum abweisende und abschreckende Moralisieren Simonettis beschrieb.
Der Chronist Spieker verweist aber auch auf die Gegner Löfflers an der Universität, sowohl in den Reihen der orthodoxen, aufklärungsfeindlichen  Lutheraner ebenso wie die Mehrheit der Reformierten. Was Spieker verschwieg oder nicht wusste, war der Zusammenhang der Berufung Löfflers an die Universität Frankfurt exakt vor diesem politischen Hintergrund – auf Empfehlung der der Aufklärung verpflichteten Zedlitz und Biester wurde Löffler einer der bedeutendsten „zivilen Offiziere“ des Königs im Feldzug der Aufklärung.

Doch genug für heute mit den relativ trockenen Angelegenheiten vor und hinter den Türen von St. Marien. Überlassen wir Löfflers Privatleben, den familiären Verflechtungen und den Intrigen der Aufklärungsgegner in Potsdam und Berlin den nächsten Folgen.

Dr. Dieter Weigert, 13. August 2023

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

Für Interessenten:

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720

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LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034

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LINK zu Folge 10: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35828

Frankfurt am „frostigen Ufer der Oder“ – das Schicksal einer deutschen Universität

CREUTZ – HUMBOLDT – LÖFFLER – KLEIST

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Jochen Klepper (1903 – 1942), von heutigen Verfechtern des deutschen Konservatismus zu einem ihrer Stammväter auserkoren, ließ in seinem schriftstellerischem Hauptwerk „Der Vater. Roman eines Königs“ eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der ersten Jahrzehnte des preußischen Königreiches, Ehrenreich Bougslav von Creutz, vom ersten bis zum letzten Kapitel als ALTER EGO des Königs Friedrich Wilhelm für unsere Zeitgenossen auferstehen..

Dieser CREUTZ, erst später geadelt, führt uns nach Frankfurt an der Oder, an die alt-ehrwürdige VIADRINA. Von Creutz war der ranghöchste preußische Politiker, der an der Frankfurter Universität studiert hatte -heute nur einigen Preußen-Historikern bekannt, wie auch das Schicksal seiner Alma mater . Der 31. Juli des Jahres 1690 ist der Tag seiner Einschreibung als Student – stammend aus Stargard in Pommern – an der Oder-Universität – (Quelle: Ernst Friedlaender – Herausgeber, Aeltere Universitäts-Matrikeln. I. Universität Frankfurt a. O., Zweiter Band, Leipzig 1888, S. 214). Seinen Familiennamen schreibt er noch als CREITZ, den ersten Vornamen aber schon wie später auch EHRENREICH, den zweiten ursprünglich BOGISLAFF – daraus wird dann in den amtlichen Dokumenten Bogislav oder auch Boguslav. Vermutlich hatte er aus Gründen der späteren Laufbahn-Verheißung die juristische Fakultät gewählt, was auch die spätere Stellung als Militärjurist (Auditeur) im Regiment des Kronprinzen erklärt.
Diese Periode der Oder-Universität ab 1690 ist sowohl im juristischen wie auch im naturwissenschaftlich-technischen Bereich mit den Namen solcher Persönlichkeiten der Aufklärung verbunden wie Heinrich Cocceji, Leonhard Christoph Sturm, Johann Friedrich Retz. Etwa gleichzeitig mit Creutz studierten der Sohn seines Professors Cocceji, Samuel, an der Oder-Universität, der spätere preußische Justizminister und Großkanzler, wie auch andere Aspiranten auf höchste und höhere Positionen im kgl. preußischen Herrschaftssystem.
Die chronologisch erste überlieferte Personal-Urkunde des Ehrenreich Boguslav Creutz ist die seiner Bestallung als Rat und Kammer-Rat des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Jahre 1705 mit einem Jahresgehalt von 600 Talern. Diese Urkunde erwähnt seine bisherige Stellung als „Kriegs-Oberauditeur“, nicht aber seinen Universitäts-Abschluss.

Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Aus dieser ersten Tätigkeitsperiode des kronprinzlichen Rats ragt die Urkunde vom 18. November 1710 (fortgesetzt bis 13. Februar 1711) wegen ihrer politischen Bedeutung heraus: sie belegt die Teilnahme des (nun schon geadelten) Rats von Creutz an der Tätigkeit der vierköpfigen Untersuchungskommission zu den Verfehlungen der Minister von Wittgenstein, von Wartensleben und des Premierministers von Wartenberg.

Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Auszug, Bl. 1)

Unterschrift des Rats von Creutz unter das letzte Blatt des Untersuchungsberichts, Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Aus der Reihe der unzähligen Autoren, die sich mit der Geschichte des preußischen Hofes und seiner Persönlichkeiten v0n Rang in den letzten dreihundert Jahren beschäftigt haben, sind nur eine Handvoll zu nennen, die ernsthaft und gründlich rechercherten und somit auch die Rolle des Geheimrats von Creutz, des Absolventen der Oder-Universität Frankfurt, angemessen darstellten. Zu ihnen gehört Eduard Vehse. Ich erlaube mir, ihn im Kontext seiner Beschreibung des Abbruchs einer Reise des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Jahre 1705 zu zitieren: „. . . Er ward König, ohne gereist zu haben: die Feldzüge, die er als Prinz mitmachte, waren nicht geeignet, ihm freiere Begriffe zu erwerben. Bei seiner Zurückkunft ward er zu den Sitzungen des Staatsrats zugezogen und erhielt auch von seinem Vater endlich zur höchsten Freude ein Infanterieregiment. Bei der ersten Musterung desselben fand er einen Mann, dessen Größe ihn überraschte, den Auditeur Ehrenreich Bogislaus Creutz, einen Amtmannssohn. Dieser ward ihm sehr lieb, er machte ihn zu seinem Sekretär, der König adelte ihn 1708 auf die Empfehlung seines Sohnes, und sobald dieser den Thron bestiegen hatte, erhob er ihn zum Minister . . .“ (Eduard Vehse, Illustrierte Geschichte des preußischen Hofes bis zum Ende Wilhelms I., Bd. I, Stuttgart 1901, S. 174 f)

Ich erlaube mir- unbescheiden, wie man als Bloggist sein muss – dem lesenden Publikum entsprechende Passagen zu Creutz aus meinem Sachbuch (keine Poesie !) aus dem Jahre 1997 zu präsentieren:

Wo aber, fragt der Leser, ist der Bezug des Mannes Creutz zum Hackeschen Markt in Berlin ?

Er liegt in den familiären Beziehungen des von Ceutz zu dem Grafen von Hacke, dem Namensgeber des Platzes in Berlin-Mitte und ebenfalls einem Vertrauten des jungen Königs.
Ungebeten schlage ich das Buch auf (Seite 22): „Das Jahr 1732 bringt einen weiteren entscheidenden Einschnitt in das Leben des Offiziers von Hacke. Sein König verlangt von ihm ein Opfer – ein Frauenopfer. Auf allerhöchste Ordre soll er heiraten. Der König selbst tritt als Brautwerber auf. Nicht eine Dame eigener Wah|,sondern ein adliges Fräulein, um das Wohl des Staates willen. Der Vater hatte einen Schwiegersohn aus Sachsen ausgesucht- König Friedrich Wilhelm verweigert die Zustimmung: kein Stück preußischen Eigentums sollte nach Sachsen wechseln. Der zur Heirat vergatterte von Hacke ist überrascht, zögerlich, die vorgesehene Braut sträubt sich mit Händen und Füßen, die Mutter kniet vor dem König und bittet um Verständnis für die Wünsche der Familie, der Vaterder Braut trifft sich heimlich mit unserem Hacke und verspricht ihm die für damalige Verhältnisse beträchtliche Summe von 25.000 Talern für den Verzicht, der zugleich eine Befehlsverweigerung gegenüber dem König wäre. Hauptmann von Hacke bedenkt sich kurz- dann verabschiedet er den künftigen Schwiegervater mit den Worten: Herr Geheimer Rat, ich habe nun Geschmack an der Sache gefunden, ich nehme die Tochter und ich gedenke die 25.000 als Teil des Gesamtvermögens lhrer Familie, der Familie von Creutz, auch ohnehin zu bekommen.
Vater und Tochter Sophie Albertine mußten sich fügen, der Vater, Geheimrat des Soldatenkönigs und dessen oberster Kassenprüfer und allmächtiger Mitdirektor des Generaldirektoriums konnte es schwerlich wagen, die Pläne seines Herrschers zu durchkreuzen.
König Friedrich Wilhelm hatte sich aus prinzipiellen Gründen sehr entschieden in die Heiratspläne seiner Untertanen eingemischt. So ist eine allerhöchste Anweisung aus dem Jahre 1739 bekannt, das „Edict Wieder die allzuungleiche und zum Theil schändliche Heyrathen derer von Adel in den Königl. Landen“.
Herr Boguslav Ehrenreich von Creutz war einer der Klügsten, einer der Zielstrebigsten und einer der Zähesten im Preußen des 18. Jahrhunderts. Am Ende seiner Laufbahn gehörte er zu den wohlhabendsten Grundbesitzern am königlichen Hofe. Zweimal hat er sich das Wohlwollen seines Königs fast verscherzt – und beidemale ging es um eine Frau. Die erste Affäre hatte er als Mittvierziger, sehr zum Mißvergnügen eines adligen Konkurrenten und sehr zum Verdruß seiner Ehefrau. Gegenstand der Begierde war ein Fräulein am Hofe der Königin, ein Edelfräulein von Wackenitz (oder Wagnitz).
Creutz war über 20 Jahre älter als das Fräulein, neben den körperlichen Reizen waren es wohl die lnformationen über die politischen Vorgänge im Umkreis der Königin, die den obersten Rechnungsführer des Königreiches zum Fräulein hinzogen und ihn veranlaßten, über 1.000 Taler an Geschenken auszugeben. Die Frau von Creutz, seit etwa fünf Jahren mit dem Geheimrat verheiratet – die Mitgift bestand in Geld und Gütern aus der einflußreichen Familie derer von Haeseler -, wagte den Canossagang zum König Friedrich Wilhelm l. und bat ihn untertänigst um Intervention. Der König ließ das Edelfräulein von Wackenitz zu sich kommen, in den Zeitungsberichten jener Jahre ist vom Angebot des Verprügelns die Rede, und das Fräulein plauderte und rückte zwei kompromittierende Briefe des Herrn von Creutz heraus. Als der nach Wusterhausen beorderte Creutz im Gespräch unter vier Augen seinem König „die Hurerei“ unter Eid ableugnete, war das Donnerwetter so gewaltig, daß sich Herr von Creutz fürzehn Tage krank melden mußte. Danach konnte er wieder in sein Bureau, die schon die Messer wetzenden Rivalen gingen leer aus. Nie wieder sollte Seine Majestät Creutz bei Liebeshändeln erwischen.
Friedrich Wilhelm kannte Creutz schon aus der kronprinzlichen Zeit, hatte den damaligen Absolventen der Universität Frankfurt an der Oder im Jahre 1 705 auf Empfehlung des mächtigsten Mannes im Königreich, des Reichsgrafen von Wartenberg, als Militärankläger und Gehilfe des Militärrichters (Ober-Auditeur] in sein neu geschaffenes Leibregiment nach Wusterhausen geholt. Friedrich Wilhelm fand auch deshalb Gefallen an Creutz, da dessen Körpermaße überdurchschnittlich waren. Creutz wurde Privatsekretär des Kronprinzen und Leiter der Gutsverwaltung Wusterhausen. Von diesem Moment an rührt die enge Vertrautheit von Kronprinz Friedrich Wilhelm und dem Juristen Creutz. Ehrenreich Bogislav Creutz war ein unbemittelter, strebsamer Mann, Sohn eines brandenburgischen Amtmannes aus Stargard/Pommern, geboren etwa um 1670. Es gibt kein Bild von ihm und keine genauen Geburtsdaten. Aber die weiteren Daten seiner steilen Karriere sind dokumentiert: Am 3. Februar 1705 wurde er durch den Kronprinzen zum persönlichen Hof- und Kammerrat ernannt. Ohne Aufgabe der bisherigen Stellung wurde er im November 1706 pommerscher Regierungsrat, im April 1707 Geheimer Kammerrat und am 1. Dezember 1708 in den Adelsstand erhoben. Den Kronprinzen und den Juristen verbindet vor allem die Abneigung gegenüber der Mißwirtschaft, dem Mätressenunwesen, dem hemmungslosen Treiben der Günstlinge des ersten preußischen Königs, Friedrich l., der Herren von Wartenberg, von Wittgenstein und von Wartensleben. Der Kronprinz studiert, spioniert, prüft die Finanzen – ohne Auftrag und nur mit wenigen Getreuen. Nach Jahren der Observierung haben sie den ersten der drei großen Herren am Haken – Wittgenstein hat nachweisbar Hunderttausende Taler veruntreut. Während das Land hungert, die Opfer der Brandkatastrophe von Krossen auf die Auszahlung ihrer Gelder aus der Feuerversicherungs-Kasse warten, prassen die Herren Oberkämmerer und Obermarschälle im neuen Schlüterschen Schloß. Auf Druck des Kronprinzen und aus der Einsicht in die Notwendigkeit, der Öffentlichkeit ein Bauernopfer zu bringen, muß der königliche Vater am 12. November 1710 eine Kommission zur Untersuchung der Mißwirtschaft des Reichsgrafen Wittgenstein einsetzen. Der Kronprinz setzt durch, daß sein engster Vertrauter Creutz Mitglied dieser Kommission wird. Kriegskommissar Geheimrat von Blaspiel, der Geheime Justizrat von Plathen, Johann von Alvensleben und der Geheime Hofkammerrat von Creutz lassen Akten kommen, hören Zeugen und prüfen die Zahlen. Creutz schreibt den Bericht, kann damit wichtige Nuancen im interesse des Kronprinzen formulieren. Die entscheidende Passage: „Die Acten und Briefschaften, die wir aus der Hofkammer gefordert, sind theils garnicht, theils erst nach langem Suchen aufzufinden gewesen, viele sind unvollständig, viele verstümmelt; Berichte, die längst zu den Acten gegeben sein sollten, sind erst nachträglich angefertigt der Krone und dem Lande unermeßlichen Schaden gebracht“ etc. pp. Der Schlußbericht wird am 23. Dezember dem König vorgelegt. Er führt zur Verhaftung Wittgensteins am 29. Dezember, der Graf wird in die Festung Spandau verbracht. Die Überführung und Verurteilung Wittgensteins zieht auch den Sturz Wartenbergs nach sich, desjenigen, der Creutz erst bei Hofe eingeführt hatte, sicherlich zum eigenen Nutzen als lnformanten und Gehilfen bei künftigen lntrigen. Nun also schlägt der Zögling zurück. Komplice Reichsgraf von Wartenberg wird am 30. Dezember durch den König über Wittgensteins Verurteilung informiert und seines Amtes als Oberkammerherr enthoben und auf sein Gut Woltersdorf verbannt. Dort stirbt er am 4. Juli 1711.
Aber zurück zu Creutz. 1713 wird Friedrich Wilhelm nach dem Tode seines Vaters König von Preußen – Creutz bleibt sein engster Vertrauter. Beim Regierungsantritt am 25. Februar übernimmt ihn der König sofort als Erster Kabinettssekretär in seinen Dienst, am 4. März wird er „Wirklicher Geheimer Rath“ und am 4. Mai Minister. Creutz erhielt die wichtigste Vertrauensstellung – die des obersten Finanzkontrolleurs des Königreiches. Eine Generalrechenkammer wird am 2. Oktober 1714 eingesetzt; an ihrer Spitze steht Creutz als „General-Controlleur aller Cassen“. Das sind Schritte einer grundsätzlichen Neugestaltung der zentralen Verwaltung, im Prinzip bedeuten sie die Abschaffung des aus der Zeit der Kurfürsten stammenden Kollegialitätssystems. 1719 wird Creutz Oberdirektor des Generalfinanzdirektoriums und Controleur général, mit der Schaffung des Generaldirektoriums im Jahre 1723 dessen Vizepräsident und dirigierender Minister im zweiten Departement. lm Auftrag des Königs hatte Creutz das Konzept der Verwaltungsreform von 1723 ausgearbeitet. Es war eine strategische Aufgabe, und Creutz war für den Soldatenkönig der wichtigste Stratege in Finanzfragen. Von allen zentralen Verwaltungsstrukturen wurde das Finanzwesen am gründlichsten umgestaltet: Die bisher getrennten Verwaltungen der Domänen, der Münze, der Post, der Hofkammer wurden zusammengefaßt im GeneraI-Finanz-Directorium unter der Leitung Ka- meckes; die Militärfinanzen standen unter Leitung von Blaspeil, dem General-Kriegs-Kommissar.
Später erhält Creutz weitere Staatsämter, jeweils verbunden mit Gehaltsaufbesserungen und der Möglichkeit, sich über Personalentscheidungen neue Einflußbereiche zu verschaffen: Er wurde Protector der Königlichen Societät der Wissenschaften, Director der kurmärkischen und magdeburgischen Landschaftssachen, Director des Ober-Collegium Medicum.
Soviel zur Person des Herrn von Creutz, der es gewagt hatte, eigene Wünsche bei der Wahl des Schwiegersohnes ins Spiel zu bringen. Doch alle Titel und Reiehtümer waren nichts vor der Order des Königs.
Am Ende wird doch noch glücklich geheiratet- im Februar 1732 im Palais Creutz in der Klosterstraße 36.
Das Grundstück Klosterstraße 36, schon seit dem 15. Jahrhundert als Burglehen der Hohenzollern im Besitz der kurfürstlichen Familie, ist nach jahrzehntelanger Mißwirtschaft und einem Brande nach der Übernahme der Regentschaft durch Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1713 nun wieder an den
König zurückgefallen. Ein Glücksfall, denn jetzt kann er es erneut vergeben und einen Günstling damit für treue Dienste entlohnen. Das Gebäude hat eben nur den Haken, daß es der Günstling auf eigene Kosten wieder aufbauen muß. Das ist der Kern der Baupolitik des Soldatenkönigs – seine Beamten und die Bürger seiner Residenz müssen auf eigene Kosten bauen und der König gibt ihnen die Grundstücke.
Wozu ist aber einer wie Creutz enger Vertrauter Seiner Majestät und gesuchter hoher Beamter, wenn es um die Finanzierung königlicher Projekte geht? Der letzte Hofbaumeister ist gerade mit Schimpf und Schande, ohne Zahlung ausstehender Gehälter und ohne die üblichen Geschenke entlassen worden. Der Schloßbau, halbfertig, ist dem Nachfolger im Bauamte, dem Herrn Böhme mit einem Appell an die königlich verordnete Sparsamkeit übergeben.
Böhme baut nun auch den Palast des Herrn von Creutz; inwieweit Materialien und Arbeitskräfte von anderen königlichen Bauvorhaben abgezweigt wurden, ist nicht bekannt. Da Creutz der oberste aller Kassenkontrolleure des Reiches
war, bleibt das eine offene Frage.


Sicher ist, daß Martin Böhme eine Meisterleistung in der Klosterstraße vollbracht hat. lm Stadtführer des Dr. Franz Lederer von 1930 lesen wir: „Die Klosterstraße war im alten Berlin die Straße der vornehmen Leute. Eine ganze Reihe von Palästen entstanden hier im 18. Jahrhundert um das alte Kloster herum. Dem Geheimen Staatsrat von Kreutz schenkte er (der König) das Grundstück Klosterstraße 36. Dieser ließ sich durch Martin Böhme ein palastartiges Gebäude mit Freitreppe und schmückenden Genien erbauen, das, wenn auch mit erneuerter Front, noch heute wohlerhalten ist. Das nischenartig vertiefte, mit Volutenbogen geschlossene Mittelfenster ist ein echt Schlütersches Motiv. Eine breite Treppe, deren reich geschnitztes Geländer Trophäen und Waffenschmuck aufweist, führt in den Festsaal des Hauses. Dieser zeigt eine Barockdekoration von solcher Feinheit der Ausführung, daß man dieses Werk Schlüter selbst zuschrieb und dem Saal den Namen „Schlütersaal“ gab. Martin Böhme hat sich hierals gelehriger Schüler des Meisters gezeigt. Die fein getäfelte Wand teilt er durch korinthische Pfeiler. Der Dreifenstergruppe der Außenwand setzt er eine große Bogentür und zwei Rundbogennischen gegenüber. ln diesen erblicken wir die überlebensgroßen, vergoldeten Gestalten des Großen Kurfürsten mit dem Feldherrnstab und des ersten preußischen Königs. Die Decke schmückt ein Gemälde mit einer der antiken Mythologie entnommenen Darstellung. Ringsherum gruppieren sich im reizenden Wechsel die mannigfachen Motive, die die Kunst des Barock liebte.“ Das Palais, das Hacke als einziger Schwiegersohn des reichen Creutz erbte, wurde später wegen familiären Geldmangels der Krone zurückgegeben. Es beherbergte im 19.Jahrhundert das königliche Gewerbeinstitut und im 20. Jahrhundert ein Museum. Der Palast wurde mehrfach gezeichnet, eine der schönsten Darstellungen stammt von Eduard Gärtner aus dem Jahre 1830. Gärtner nutzte die Chance und setzte in das Gemälde als Passanten in der Klosterstraße die beiden, die maßgeblich die Bedeutung des Königlichen Gewerbeinstituts ausmachten, Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) und Peter Christian Beuth (1781- 1853]. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges ließen keine steinernen Zeugen der Pracht Schlüters und Böhmes und der Festlichkeiten der Familien von Creutz und von Hacke übrig . . . Der alte Creutz hat anscheinend das Scheitern seines Heiratplanes nie verwunden. Er wird schwer krank und stirbt ein Jahr später, am 13. Februar 1733. Begraben ist er neben seiner Frau in der Gruft von St. Marien zu Berlin.“

Soweit also zu CREUTZ, dem bedeutendsten der Absolventen der Oder-Universität in Frankfurt. Soweit also auch die Ergebnisse gründlichen Recherchierens zu Biographien bedeutender Persönlichkeiten der preußischen Geschichte.

Frankfurt an der Oder

Was aber, wenn Poeten sich an eine Sache wagen, die ihnen fremd ist – wie zum Beispiel Auffinden relevanter historischer Archive, wie zum Beispiel tagelanges Recherchieren in alten Handschriften, wie zum Beispiel mühevolles, nächtelanges Vergleichen alter Texte ? Man denkt sich kurzerhand eine Geschichte aus !

Man nimmt den irgendwo gehörten Anfang – der Mann stamme aus Pommern, man nimmt das bekannte Ende – der Mann ist irgendwann des Königs oberster Rechnungsprüfer und schon schreibt sich das Zwischenstück von ganz allein – wie bei den Poeten Martin Stade und Ulrich Plenzdorf, die damit auch noch die Vorlag für einen historischen Spielfilm fabrizieren, der ja als Genre von derlei Fabrikationen lebt:

So wird nun lustig drauflos fabuliert:

(Seite 27:) Gundling erinnert sich: Ich kannte einen Mann, von dem ich dachte, er könne mir helfen. Es war Creutz, der Sekretär des Königs, und so sehr hoffte ich auf ihn, daß ich versuchte, seine geheimsten Gedanken zu erraten, daß ich mich sogar, wo immer es ging, in diesen Mann versetzte, um zu ergründen, was er tun konnte oder was er tun würde.
Ehrenreich Boguslaw Creutz. Er war unentbehrlich geworden. Er, der Sohn eines pommerschen Beamten, eines armen Beamten, eines längst gestorbenen Beamten. Vier Jahre hockte er schon in der Residenz und in Wusterhausen. Im Elend zuerst, inmitten von Schulden und Dreck, in einer engen, schmutzigen Gasse an der Spree. Er hatte das träge Wasser mit dem sachte treibenden Unrat vor Augen, damals, vor dreieinhalb Jahren. Er hatte es immer vor Augen in der Stadt Berlin, und das Wasser verband sich bei ihm mit seinem Elend. Er erhielt keine Stellung, solange er auch lief und sooft er auch fragte. Mein Junge, hatte sein Vater vor vielen Jahren zu ihm gesagt, Schreiben und Lesen und Rechnen mußt du können, dann wirst du fortkommen in deinem Leben. ]a, Herr Vater, hatte der Sohn Ehrenreich Boguslaw geantwortet. Und folgsam begann er zu pauken, nach der Anweisung seines Herrn Vaters. Die Bibel, das Hausbuch der Creutzens, vermochte ihn allerdings nicht zu fesseln. Vielmehr waren es Zahlen, die er hin und her schob. Seine Welt waren die Zahlen, und es mochte vielleicht in seinem Gehirn eine Extrakammer eingerichtet sein für sie, eine größere vielleicht als bei anderen Leuten. Das ging sonderbar schnell vonstatten, und sein Herr Vater War stolz auf ihn.
Aber dann, in der großen Residenz Berlin, brauchte keiner seine Rechenkünste und seine zierliche, ausgewogene Schrift. Er lief sich die Sohlen von den geflickten Schuhen und wetzte sich mit der Zeit die Lumpen von dem langen Leib. Und als er sah, daß es gar nichts mehr gab, sah er nur noch das Wasser, das träge floß und manchmal gurgelte und in dem der Unrat sachte vorübertrieb.
Da war in dem langen Ehrenreich Boguslaw Creutz nur noch Verzweiflung, nichts anderes mehr, nicht einmal der Funke einer Hoffnung. Es wollte ihm gewissermaßen scheinen, daß hier einer zu viel auf der Welt war. So nahm er sich vor, aus dieser Welt in eine andere hinüberzuwechseln, in der es sorgloser zuging.
Doch setzte er sein Vorhaben behutsam ins Werk. Er stürzte oder glitt vielmehr mit einem dumpfen, verzweifelten Schrei vom Ufer in die Spree, und das just in dem Moment, als eine Wache des Königs im Begriff war vorüberzustampfen. Nun ia, man zog ihn heraus, den armen Mann Creutz, und wenn er gezwungen wurde darüber zu sprechen, dann verklärte sich ihm dieserAugenblick. Das Gleiten insWasser wurde unmerklich in seinem Gedächtnis ein verzweifelter, alles hinter sich lassender Sprung, und nicht mehr entsinnen konnte er sich an den dumpfen, hoffnungslosen Schrei. Nein, geschrien hatte er nicht. Wozu sollte er damals geschrien haben, nach wem sollte er gerufen haben, nein, die Wache hatte sich getäuscht. Das Rechnen hatte von ihm in einem Maße Besitz ergriffen, daß er vergaß, auch in diesem Augenblick Berechnungen angestellt zu haben, vielleicht über den Weg, den die Wache noch zurückzulegen hatte, vielleicht über die Höhe des Wassers, das an dieser Stelle nur bis zur Brust des langen Creutz ging. Nein, obwohl es nur wenige ]ahre her war, dieser Augen- blick zwischen Verzweiflung und Hoffnung, dieses sekundenlange, dieses sorgsame und genaue Rechnen in jenem Augenblick verklärte sich in Creutzens Kopf zur Tat eines Mannes, der Schluß machen wollte mit seinem Leben.

Ich wußte nicht, wie es kam, daß der Kronprinz davon hörte. Ein gewisser Kapitän von Einsiedel kam zu Creutz und fragte ihn aus. Ob es wahr sei, daß er schreiben und rechnen könne. Aber sicher sei es wahr, Euer Wohlgeboren. Ob er eine Probe davon geben könne. Da sprang er auf, der arme Mann Creutz, und zog aus dem Tischkasten säuberlich gefaltetes, graues Papier, zeigte dem Kapitän seine recht kunstvolle Schrift, warf Zahlenkolonnen mit dem einzigen Federkiel, den er besaß, aufs Papier und addierte sie geschwind. Ob er wüßte, wer vor ihm stehe, fragte der Uniformierte. Wohlgeboren ist ein Offizier von der Wache, antwortete der arme Mann Creutz. Er sei der Kapitän von Einsiedel, und er käme, um Soldaten für den Herrn Kronprinzen zu werben. ]etzt durchfuhr es den Mann Creutz, und schnell schob er das Papier zurück. Oh, er wußte, was vor sich ging in Wusterhausen. Der Kronprinz hatte dort seine Kompanie. Seltsame Gerüchte machten die Runde. Die Soldaten seien alle sechs Fuß groß und darüber und sie bekamen jeden Tag ihre Prügel wie andere ihre tägliche dünne Suppe. Das war nichts für den armen Mann Creutz. Zum Soldaten tauge er nicht, sagte er dem von Einsiedel. Er könne aber Schreiber werden in der Kompanie und hätte sodann sein Auskommen. Er hätte die Listen unter sich und müsse die Zu- und Abgänge fixieren und was derlei Sachen mehr wären. Und noch dazu sei er wohlproportioniert, wenn auch jetzt ein wenig mager und eingefallen. Aber das gebe sich mit der Zeit. Ja, da spürte es der arme Mann Creutz, seine Länge hatte es dem Herrn Offizier angetan, das kommt selten zusammen, lang wie ein Lulatsch und schreiben und rechnen können noch dazu. So fing es an mit ihm. Nun war er fleißig und saß hinter seinen Listen, und seinem Herrn Obersten, dem Kronprinzen, stachen Zahlen und Schrift ins Auge. Das War ein Haushalt nach seinem Herzen. Ein Rechenkünstler ist er, Creutz, er ist sehr geschickt, Creutz, er ist mir lieb so. Und dem Manne Creutz flossen die Augen über vor Dankbarkeit, er lernte das Strammstehen im Nu, und wie er rechnend über seinen Listen saß, fing er an, achtzugeben auf die Dinge um ihn her.

Nicht lange dauerte es, so war der Kronprinz eine Sache, die er einbezog in seine Berechnungen. Er war fleißig zur rechten Zeit, er war schweigsam zur rechten Zeit, und er sagte zur rechten Zeit ein kleines wohlabgewogenes Wort, das so recht hineinpaßte in seine Berechnungen. Er ist klug, Creutz, sagte der Herr Oberst, er wird mir den Regimentsauditeur machen, und wenn ich ihn brauche, Creutz, dann muß er zur Stelle sein. Und der arme Mann Creutz stand stramm und war voller Glück, wie es nur ein armer Mann sein konnte. Wer schrieb so gut wie er, wer rechnete so gut wie er, wer war so klug wie er. Der Einsiedel kannte sich nur aus in Patronentaschen und in Handgriffen, die Korporale konnten nur brüllen wie die Stiere und waren deshalb angesehen, aber er, Creutz, er war ein kluger Mann, der seinem Herrn ganz anders zur Hand ging.
Und dann, vor zwei Jahren, kam der große Tag für ihn. Ehrenreich Boguslaw Creutz, Auditeur beim Kronprinzenregiment, wird Protokollant in einer Untersuchungskommission. Was Wunder auch, die Provinzen zahlen keine Steuern mehr, Pest und Hungersnot grassieren, und alles scheint sich einem Abgrund zu nähern. Schon gibt es Zusammenrottungen und Rebellionen, schon gibt es Plünderung und Mord, Während das Triumvirat der drei Minister, an ihrer Spitze Wartenberg, dem König immer noch Sand in die Augen streut. Aber was wollen sie machen,wenn die Taler fehlen. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wo sind die achtzigtausend Taler für die Stadt Krossen? Die Stadt ist ausgebrannt vor zwei Jahren, und die achtzigtausend Taler waren in der Brandkasse, die der Generaldomänendirektor Graf Wittgenstein verwaltet. ]etzt sind sie nicht mehr da, die Taler, und die Untersuchungskommission, auf Betreiben des Kronprinzen zusammengestellt, stellt hartnäckige Fragen. Und Abend für Abend zeigt der Protokollant Creutz dem Kronprinzen die vollgeschriebenen Seiten. Das war ein böses Weihnachtsfest siebzehnhundertzehn, für den Reichsgrafen Wittgenstein. Ihm bleibt nichts übrig, er muß sich schlotternd auf den Weg begeben und dem Kö- nig ein Geständnis machen. Er macht ein Geständnis und bittet um Gnade. Aber anderntags kommt die Wache zu dem großmächtigen, unfähigen und verbrecherischen Herrn. Man bindet ihn und führt ihn durch die Straßen von Berlin, und das Volk, die Weiber und Straßenjungen, die Dirnen und das herrenlose, hungernde Gesindel, von Creutz durch Zwischenträger unterrichtet und auf die Beine gebracht, läuft johlend und fluchend mit und gibt ihm Geleit bis zur Feste Spandau, und der General von Gersdorf reißt ihm den Schwarzen Adlerorden herunter. Es war, als sei ein Windstoß in einen schlecht brennen- den Scheiterhaufen gefahren. Creutz war wer, er drehte mit am Rad der Geschichte. Nicht, daß er ein kleines Rädchen im Getriebe war, nein, er drehte mit an der Kurbel, er machte sich unentbehrlich und war ein treuer Helfer seines Herrn. Und weil der von Wittgenstein schreit, daß er immer nur auf Befehl seines Herrn und Gönners, des Grafen Wartenberg, gehandelt und weil die Untersuchung dies bestätigt, wird der letzte Tag des Jahres für den Reichsgrafen Kasimir Kolbe von Wartenberg zugleich der letzte Tag im Amt. Auch er zittert schon voller Angst und denkt an Spandau. Er hätte es verdient, denkt Creutz. Er hätte es verdient, denkt der Kronprinz, aber der König, irre geworden an der Welt, die‘ ihn umgibt, entläßt ihn nur. Nun ja, da steckt vielleicht des Reichsgrafen Frau dahinter, die schöne Schankmamsell aus Emmerich, die es damals schon mit den Rheinschiffern getrieben hat, die es jetzt mit dem König und zur gleichen Zeit mit dem Englischen Gesandten und mit dem Kammerjunker Schenk treibt, da schreckt der König zurück und läßt Gnade vor Recht ergehen.
Ja, und jetzt, nach dem Tod des Königs, ist Creutz endlich eingerückt in die Residenz, sein Platz ist im Schloß, er hat ein spartanisch eingerichtetes Zimmer und ist der erste Geheimschreiber des neuen Königs von Preußen. Und eigentlich ist er noch mehr, denn zusammen mit seinem Herrn zählt er die Einnahmen des Staates, wägt Einnahmen und Ausgaben ab und läßt die Ko- lonnen der Zahlen marschieren. Und mit jedem Tag, der anbricht, spürt Creutz wie etwas zwischen ihm und dem König wächst. Jetzt, da die Tage länger werden, sitzen sie schon um fünf Uhr auf ihren Schemeln, Creutz vor dem hohen Rechenpult, angetan mit Leinenschürze und Leinenärmeln. Und Creutz sagt auf Befragen seines Herrn, daß er damals, als er noch Ladenschwengel im Pommerschen war, es immer so gehalten hat. Der König befühlt Schürze und Ärmel und meint, daß es praktisch wäre. Er sei sehr für praktische Dinge. Sehr nützlich wäre das. Und zwei Tage später sitzt auch er mit grüner Leinenschütze und grünen, übergestreiften Ärmeln am Schreibtisch und meint, daß man damit sehr gut seine Kleidung schonen kann. Diese kleinen Dinge und der Umstand, daß Creutz weiß, wie es mit dem Volk steht, was die Leute auf den Tellern haben und was ihre Sorgen sind, daß er antworten kann, wenn er gefragt wird und dabei noch gescheite Antworten gibt, diese kleinen Dinge sind es, die Creutz spüren lassen, wie etwas zwischen ihnen wächst. Creutz scheint es, als rücke der König täglich ihm näher oder als rücke er, der Mann Creutz, dem König immer näher.
Und so weiter, und so fort . . .

Adieu historische Wahrheit, adieu !!! Adieu Frankfurt an der Oder Wenn es nicht die anderen Große aus der Geschichte Preußens gäbe wie zum Beispiel die Humboldts.

Alexander von Humboldt

Die Oder-Universität in Frankfurt – ist Alma Mater der Brüder Humboldt – die Wendung „am frostigen Ufer der Oder“ fließt aus der Feder des jüngeren Humboldt, Alexander, und ist in einem Brief an dessen Berliner Freund Ephraim Beer der Nachwelt erhalten.

Und einer ihrer akademischen Lehrer wie auch väterlicher Ratgeber des Dichters Heinrich von Kleist an der VIADRINA ist der Theologe Josias Friedrich Christian Löffler – auch fast in Berliner und ehemals preußischen Landen unbekannt, dafür aber doch – ausgleichende Gerechtigkeit – mit Denkmalen und Namensgebungen in der ehemaligen herzoglichen Residenz GOTHA geehrt!

Und da wir nun schon bei den zu Unrecht fast vergessenen Wissenschaftlern der ost- und mitteldeutschen Geschichte angelangt sind, sei der bedeutendsten Persönlichkeit ehrenvoll und dankbar gedacht, die mit dem Namen und der Geschichte der Oder-Universität verbunden ist: Günter Mühlpfordt !

Prof. Günter Mühlpfordt (verstorben 2017)

Danke fürs Lesen und Verständnis

Dr. Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg im Mai 2023