Dunkles, erstarrtes Mittelalter ! Plötzlich bekommt es Farbe, Lichter, Dynamik, Menschlichkeit. Zu studieren in Thüringen und Hessen – wenn man nicht dogmatisch an den alten Texten der sogenannten Aufklärung klebt wie die Fliege im Netz der Spinne. Der Petersberg in Erfurt,

die St. Michaelskirche in Fulda helfen bei der Blickerweiterung.

Zur Sache: Meine Kindheit und Jugend waren geprägt durch Aufklärung, aber vor allem durch die graue Lutherbrille. Romanische und gotische Kirchen und Klöster – reichlich zu finden im Zentrum Erfurts waren vor allem und fast ausschließlich Gegenstand der Architekturgeschichte für den angehenden Möbeltischler und späteren Philosophiestudenten. Der legendäre Bonifatius, „Apostel der Deutschen“ fand sich im Lesebuch der Großmutter aus Kaisers Zeiten, aber das wars auch.

Die atheistischen (aber luthertreuen) Großeltern hatten keine Antworten aus meine kindlichen Fragen nach jener Ur-Epoche der thüringischen Zivilisation. Frühes Mittelalter? Ja, Paris und Canterbury, die Scholastik, Thomas und die Kirchenväter, mit Mühe noch Meister Eckhart. Ansonsten Dunkel – am Rande die seltsame Geschichte des Grafen von Gleichen und seiner beiden Frauen aus dem Grabstein im Erfurter Dom.

Nach Jahrzehnten nun die Erleuchtung -geblendet durch den plötzlichen Einfall der Farben, der lebendigen Vielfalt in der Biographie einer vergessenen Frau jenes frühen Mittelalters – der großen Liebe des Asketen Bonifatius.

Ihr Name weckt Assoziationen – warum auch nicht zu LIEBE? Im frühen Mittelalter waren die frauenverachtenden Gebote des Klerus noch nicht peerfektioniert, es gab vielfältige Kontakte zwischen Mönchen und Nonnen, die Äbtissin LIOBA hatte einen guten Ruf, ihre hinterlassenen Briefe wie auch die ihres Verwandten Bonfatius zeugen sowohl von strenger Askese wie auch von Humanität und Achtung gegenüber dem anderen Geschlecht.



Leider ist Leben und Wirken der in England geborenen und aufgewachsenen Nonne und Äbtissin LIOBA, der Vertrauten der Kaiserin Hildegard, in Deutschland weitgehend unbekannt.

Ich kann nur die Publikation der Historikerin Dorothee von Kügelgen zu Bonifatius empfehlen, in der – lesbar geschrieben und gut dokumentiert – an alles finden kann, das dem deutschen Publikum bisher entgangen ist.
Vuel Vergnügen beim Lesen
Dieter Weigert, Berlin, Juli 2022