Folge 12 „Dein Dörtchen“
Kurz und knapp erwähnt Josias das bedeutende private Faktum seiner Frankfurter Jahre in den Lebenserinnerungen: „Löffler verheirathete sich im Winter 1784, am 9. November, mit der Tochter des Oberconsistorialraths Silberschlag in Berlin.“ (Kleine Schriften, Bd.I, S. XVI) Edda wirft bissig ein: Nicht einmal den Vornamen der Erwählten gibt er uns preis ! Also – durchsuchen wir den gesamten Packen nochmals nach Briefen oder ähnlichen intimen Papieren, die uns Auskunft über die Ehefrau des Predigers geben.
Josias hatte die schöne und kluge junge Frau vermutlich schon in den ersten Monaten seiner Berliner Zeit kennengelernt, als er durch die Vermittlung seiner Hallenser Universitätslehrer Semler und Nösselt die Runde bei den Spitzen der lutherischen Kirchen in Berlin absolvierte, auch auf der Suche nach einer Beschäftigung als Privatlehrer, also im Frühjahr und Sommer 1774. Da war sie noch ein Kind, aufgeweckt, eine vielversprechende sinnliche Schönheit, neugierig, aber als Tochter eines Oberkonsistorialrats familienbewusst und auch diszipliniert. Er verliert sie aus den Augen, nimmt am Krieg 1778/79 als Feldprediger teil, kommt 1779 zurück und wird sie um 1780 als junges, aufgeblühtes Mädchen wiedergesehen haben – im Hause ihrer Eltern. Aus Sympathie wird Erregung, Begehren und Liebe, aber der junge Mann hat noch keine Anstellung, die ihm so viel einbringt, dass er die Tochter eines hochgestellten Kirchenpolitikers heiraten kann. Da erscheint die Rettung am Horizont – die Professur in Frankfurt !
Der vor mir liegende Brief vom 1. Juni 1785, eine Kopie aus dem Archiv des Verlegers Frommann, verrät uns nun endlich den Namen des Mädchens: Dorothea ! Das Schreiben strahlt Zärtlichkeit aus, sehr viel Intimität: „dein zärtlich liebendes Dörtchen“ und „bestes Männchen“ sind nicht die Worte einer nur aus Vernunft und Laufbahn-Kalkül angetrauten Ehefrau. Aber lassen wir sie selbst sprechen – manche Krakelei muß ich leider auslassen –
„Glücklich und gesund bin ich gestern Abend um 10 Uhr hier in Berlin angekommen, bestes Männchen. Um 10 Uhr erst, wirst du fragen? Ja, ob mir gleich meine beyden Brüder in Dahlwitz schon erwarteten, so hatten wir doch noch so viel … , daß wir erst ziemlich spät von Dahlwitz abfuhren also auch nicht sehr früh hier ankommen konnten. Mit welchen Umarmungen und Küssen und Freude ich nun hier von meinen lieben Eltern empfangen ward, werde ich dir wohl nicht erst beschreiben dürfen, genug wenn ich dir sage, daß es ganz so wahr, wie wir es uns vorstellten.

Mama räumte sofort „meine“, „unsere“ Chaiselongue frei, damit ich mirs recht gemütlich mache. Ach, wärst du doch hier !!! Erinnerst du dich noch an die lustige Episode, wie Papa mit dir über die griechische Benennung jenes wunderschönen Möbelstücks in eine professorale Debatte geriet? Manchmal wird eben aus dem geruhsamen Consistorialrath ein streitsüchtiger Widder mit eingelegten Hörnern!
Es fehlt mir an nichts mehr hier in meinem väterlichen Hause, als ein gewisser Jemand mir zu Füßen auf dem lieblichen Polsterhocker sitzend, nicht wagte, mir die verliebten Augen zuzuwenden, aus Verlegenheit die gedrechselten Löwenfüße der Chaise longue streichelnd und wer der gewisse Jemand ist, das machst du allein …
Ich sitze jetzt in Mamans-Stube zu schreiben, Du kannst also wohl denken, daß mehrvom Plaudern als vom Schreiben wird, ich muß daher für heute … schließen, und Dir ein andermal, wenn ich oben … allein sitze werde … Ich küsse Dich in Gedanken so viel daß mir der Mund gewiß …
Hast du mich denn auch noch recht lieb, liebes Männchen? Ja wohl bin ich dir gut, dein bestes Dörtchen.
Neues kann ich dir noch nicht von Berlin melden“

Die Sache mit dem Möbelstück beschäftigt mich nun schon einen ganzen Tag – wie kommt „Dörtchen“ vom louis-quinze-Wort „chaiselongue“ auf das Altgriechische? In der Tischler-Berufsschule waren wir in der Geschichte der Möbelkultur vom Neo-Neo-Mix der Gegenwart nur bis zur deutschen Renaissance, zur Eiche und zum Nußbaum, gekommen, es bleibt nur der Anruf bei der Freundin Rita in Weimar. Sie weiß es, hat sie doch Innenarchitektur studiert! Ihre plausible Erklärung: französische Sitzmöbelgestalter der Periode nach dem Tode des Sonnenkönigs suchten neue Formen, neue Ideen, eine neue Sprache für die Innenausstattung der Paläste der gesellschaftlichen Elite, die nun aus Versailles in die urbanen Zentren zurückströmte – dazu gehörten praktische und luxuriöse Sitz- und Liegemöbel für die Damen, auf denen sie ihre Reize den Herren darbieten konnten. Zu bewundern übrigens heute in einigen wenigen Stücken in den Räumen von Fontainebleau und im Museum „Hotel de la Marine“ am Place de la Concorde, also der Pariser Innenstadt.
So wurden aus langweiligen Sesseln die langgestreckten chaiselongues, den man nach antiken Vorbildern lateinische oder griechische Namen zulegte: das Sofa mit nach oben gebogener Kopfstütze für drei Personen wurde als TRICLINIUM ein Modeschlager, wobei die Römer, die es zur Massenware entwickelten, die griechische Wurzel KLINE für Ruheliege im Unterschied zum Bett verwendeten. Soweit Rita. Meine Schlussfolgerung: Vater Silberschlag wollte vermutlich den künftigen Schwiegersohn auf seine Griechisch-Kenntnisse prüfen und nutzte Dorotheas Liebe zum französischen Möbelstück, das irgendwie in den Haushalt des Berliner Theologen geraten war, zu einem sprachgeschichtlichen Disput, dem Josias gewachsen sein musste, wie die in Griechisch eingeflochtenen Begriffe und Wendungen im Briefwechsel mit Semler und anderen Kollegen bezeugen. Wäre er bei dieser Prüfung durchgefallen, hätte „Dörtchen“ sich wohl gehütet, diese Episode zu erwähnen. Sie wird das Möbelstück auch in einem anderen Zusammenhang in Erinnerung haben – die Mädchen des 18. Jahrhunderts unterschieden sich wohl kaum von denen der Gegenwart, wenn sie sich der ersten Begegnung mit einem von den Eltern vermittelten möglichen Schwiegersohn in romantischer Verklärung erinnern.
Viel ist es nicht, was ich während der Abwesenheit der lieben Kollegin Edda herausfinden konnte – sie tröstete mich, es sei doch noch nicht jedes Papierchen mehrfach umgedreht. – Lassen Sie mich mal an jenen schwergewichtigen Packen, der da gesondert auf uns wartet und die Aufschrift „Stendal“ trägt. Sie schafft es, den komplizierten historischen Knoten ohne Beschäfigungen zu öffnen – da die nächste Überraschung – zwei getrennte, wiederum gut verschnürte Pakete – beschriftet: „privée“ und „Vauban“. – Chef, wir sollten uns zuerst ans Private machen, denn noch wissen wir nicht allzu viel über das Liebesleben unseres Predigers, der große Festungsdesigner Vauban kann warten!
Edda hat den Schlüssel gefunden! Briefe und Geständnisse! Beider Handschriften ! Und eine dritte, die vermutlich das Rätsel der Stendal-Aufschrift lösen wird. !
Es sind mehrere Briefe von drei verschiedenen Handschriften: die schon bekannte der Ehefrau Josias Löfflers, Dorothea, zweitens die Schrift einer Frau Namens Sophie Charlotte aus Stendal, einer Cousine unserer Dorothea – identifiziert aus der ihrer Unterschrift und der Anrede aus Briefen von Dorothea. Die dritte war schwieriger zuzuordnen, Dorothea hatte sie mir „Tantchen“ angeredet, und „Tantchen“ hatte mit Sophie Marianne unterschrieben. Wer war jene Sophie Marianne, wer war jene Sophie Charlotte? Wie standen sie zu Dorothea Löffler?
Aufschlußreich ist da zuvörderst jener Brief von Löfflers Ehefrau Dorothea aus Franfurt unmittelbar nach dem Umzug aus Berlin an die Cousine in Stendal, Sophie Charlotte.
Eine colorierte Postkarte flattert von ober auf meinen Tisch: – Bester aller Chefs, kennst du diese Touristenattraktion schon – das alte Kirchenbestückte Stendal?

Iczh verweigere die Antwort, trenne mich ungern vom Thema Eheglück der Löfflers. Die Cousine scheint noch minderjährig zu sein, deshalb hält sich „Dörte“ etwas zurück in der Beschreibung ihres ehelichen Freuden:
„Liebes Schwesterchen, ich darf dich wohl so nennen, da es mir an einer solchen mangelt, es drängt mich von Herzen, dir als nunmehrige ehelich anvertraute Gemahlin eines VIADRINA (!!!)Professors und Predigers an der größten Kirche vom Oderstrand die ersten Erfahrungen seit der Trennung von der Residenz Berlin zu erzählen. …
Hier an der Oder ist alles etwas kleiner, ruhiger, gemächlicher als in der Majestät Residenz. Nachbarinnen oder gar Freundinnen zum Schwatzen gibt es hier nicht – ich bin die verehrte Frau Professorin, man soll es mir ansehen ! Die Kleidung? – auch das kein Stoff zum Plaudern! Die Nachbarn? Preußisch-Zackige Militärs und schwarzgerockte, trockene, maulfaule Kirchenleute von St. Marien. Ach, wie ich mich nach Berlin sehne.
Man sieht schon das Kind im Bauch wachsen, bald wird es kommen, ich habe furchtbare Angst, darf sie aber nicht zeigen . . .
Beim Einräumen der Sachen und Einrichten in der Riesenwohnung hier im Winkel hinter der Kathetrale fand ich einen Zeitunsbereicht, den ich dir zurückschicke – denn es ist nicht mein Vater, sondern es kann nur dein Vater gemeint sein:

Der Schreiber des Berichtes in der Zeitung hätte einen Kupfer mit dem Porträt des „Herrn Conventual Silberschlag“ beifügen sollen, da wäre eine solche Verwechslung – wie sie auch gegenwärtig noch in Berlin bei gewissen Ignoranten geschieht, nicht passiert! Mein Vater war im Jahre 1761 lange dem Klosterjahren entwachsen ! Grüß den Onkel Georg von mir, tausend Küßchen vom Ufer des Oderstromes dem großen Geographen und Sternenkundigen – wenn er mal wieder bei der Familie weilt!

Mein noch jungfräuliches „Schwesterchen“, gewisse intime Nachrichten über die eheliche Liebe, die gegenüber den früheren jungendlichen Bruder-Schwester-Verhalten veränderten Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau in der Ehe werde ich dir trotz mehrfachen, nachdrücklichen Flehens nicht mitteilen – früh genug wird es dich ereilen!“
Die Zurückhaltung der frisch gebackenen Ehefrau Dorothea gegenüber ihrer jüngeren Cousine in Stendal macht mich neugierig auf den Briefwechsel Dorotheas mit der Stendaler Tante Sophie Charlotte, der sich überraschend in diesem Bündel befindet. Vielleicht hat Josias wegen des sehr intimen Gehaltes diese Papiere nicht dem offiziellen Nachlaß anvertrauen wollen – gelesen hat er die Briefe gewiß nach dem Tode Dorothes. Edda und ich hatten einiges Vergnügen beim Lesen der vertraulichen Ratschläge der beiden Frauen für den Umgang im Bett und auf dem Sofa mit ihren theologisch belasteten Männern. Es kling sehr modern, meinte Edda und zwinkerte mit den braunen Äuglein!
Dr. Dieter Weigert 15.August 2023 Berlin Prenzlauer Berg
Die nächste Folge der Erinnerungen des Stadtarchivars von Saalfeld zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler wird in Kürze erscheinen.
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