Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant Heinrich und Generalsuperintendent Josias Folge 6

Was ist eine königl.-preuß. Hausvoigtey?

Einige Tage lasse ich Edda zur Entspannung, dann nehme ich den Textentwurf zur Hand, den ich zur Interpretation der „Berlin-Dokumente“ – vor mir so bezeichnete Gruppe der Briefe, der losen Blätter, der kolorierten Kupferstiche, der amtlichen Schreiben, Notizen ohne Datierung, Verfasser – und beginne zum Entsetzen der lieben Edda zu dozieren:
Über zwei Stunden argumentiert Spalding, dann ist der Widerstand gebrochen. Da fragt Löffler nach den Einzelheiten, um welche Stelle ginge es denn?  Oberkonsistorialrat Spalding zögert, aber muss Farbe bekennen: ja mein lieber Freund, es ist keine der großen Kirchen in Berlin, es ist etwas Unscheinbares, das aber die Tore für Sie öffnet!  Es ist eine Gefängniskirche, die Kirche der Hausvoigtey. Löffler zuckt zusammen – eine Gefängniskirche? Haben wir denn so etwas in Berlin?

Aber natürlich!  Ich glaube, sie kennen die Strukturen des lutherischen Oberkonsistoriums noch nicht so genau, dass Sie auf der Stelle zusagen können. Wir haben zwei getrennte Gefängnissysteme in der Residenz Berlin – eines für den königlichen Hof, seine Angehörigen und obersten Chargen im engen Sinne – nur die oberen paar Dutzend sowie die dazugehörigen Domestiquen und dann haben wir ein Gefängnis fürs gemeine Volk. Das erste heißt Hausvoigtey, das zweite heißt Stadtvoigtey.

Er geht zum Regal neben der Tür, öffnet einer der großen Schachtel und legt einige colorirte Stiche auf den Tisch.

-Hier mein junger Freund, das hat mir Nicolai geschenkt, frisch aus der Presse !

Die Hausvoigtey hat im Unterschied zur Stadtvoigtey einen eigenen Prediger. Es handelt sich ja doch immerhin um den königlich-preußischen Hof.  Wenn da so ein Prinz oder sein Stallmeister mal über die Stränge schlägt und eingelocht werden muss, dann braucht er Seelsorge auf allerhöchster Ebene. Daran sehen sie schon, dass das kaum eine große Arbeit macht, denn wann schlägt ein Prinz mal über die Stränge und wann erfrecht sich die Wache, ihn ins Gefängnis zu stecken? Ich habe in den letzten Jahren noch keinen solchen Fall vernommen, aber es muss auf dem Papier einen Prediger geben und der muss gut lutherisch sein. Das unansehnliche Gebäude der Hausvoigtey – also des Hausvoigts, des Gerichts und des Gefängnisses – stand bis vor kurzem zwischen dem Schloss und der Domkirche, nach dem Abriß des Doms wurde ein neues Gebäude auf dem Friedrichswerder zwischen der Nieder- und Oberwallstraße errichtet.

In den ältesten Zeiten wohnt der Hofrichter sogar auf dem königlichen Schlosse. Bei dem Bau des neuen Schlosses Anfang dieses Jahrhunderts wurde die Hausvoigtei auf den Werder in die Unterwasserstraße neben der Münze verlegt. Bei Erweiterung der Münze ward sie hierher versetzt, wo bis dahin die Stallungen des Jägerhofes standen – über denselben wohnten sogar einige Jagdbediente. Vorn ist in einem zweigeschossigen Gebäude, die Gerichtsstube, die Wohnung des Hofrichters und ein Saal zur Kirche. Hinten sind auf zwei Höfen Gefängnisse und deshalb steht auf dem ersten Hofe eine ständige militärische Wache.

Ich empfehle beim nächsten Rundgang durch die Stadt eine Besichtigung zumindest von außen. Und was ich noch dazu sagen möchte – zu dieser Prediger-Stelle gehört auch die Seelsorge an der Charité – Sehen Sie die anderen Blätter:

Jetzt hellt sich das Gesicht von Josias Löffler wieder auf: „das klingt ja interessant, aber soweit ich weiß, gibt es dort schon einen reformierten Prediger“ – „Ja, das stimmt, Sie werden dort eine eigene Wohnung haben im Charité-Gebäude. Die Nachbarwohnung hat vor kurzem erst ein reformierter Prediger bezogen, auch ein junger Mann, vielleicht haben sie die Gelegenheit mal mit ihm zu sprechen, aber ihre Hauptarbeit ist das Gefängnis zu betreuen, auch wenn da niemand drin sitzt.

Ihre Kammer liegt auf dem gleichen Flügel wie die des reformierten Kollegen – ich hoffe, Sie vertragen sich!

An Uniformen wird kein Mangel sein:

Also ich sehe ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen, es ist massenhaft Gelegenheit und Zeit für ernsthafte Studien, für Publikationen, für wissenschaftliche Gespräche und für dergleichen Wanderungen wie heute durch den Tiergarten mit mir“.

„Wann soll es denn losgehen mit der Gefängnis-Seelsorge?“ Löfflers Stimme hat ihre normale Tonart wiedergefunden – „Zu Weihnachten, wenn die Formalitäten erledigt sind. Sie können sich ja schon mal die beiden Kammern in der Charité ansehen, ich gebe Ihnen morgen ein Schreiben mit. Die Besichtigung des Zellengefängnisses eilt nicht, da wird zurzeit nicht gestorben und nicht gerichtet – soweit ich weiß auch nicht gefoltert!“ Spalding sah man die Erleichterung an, die ihm die Zusage Löfflers verursacht hatte.

Von nun an lud Spalding den künftigen Kollegen zu den weiteren Gesprächen in seine Propstei-Dienstwohnung in der Nikolai-Kirchgasse ein, die vor dem Umzug Spaldings von Barth nach Berlin auf Kosten des lutherischen Oberkonsistoriums aufs Beste hergerichtet und möbliert worden war. Josias Löffler bewundert im Stillen die reichhaltige Ausstattung der zwei Etagen im altehrwürdigen Gebäude am geräumigen Rasenplatz neben der Kirche, versteht die persönliche Einladung als Attribut des bevorstehenden Karrieresprungs und als Vertrauensbeweis des Oberkonsistorialrats und seiner königlichen Vorgesetzten. Er weiß, dass es nun kein Zurück gibt.  

Josias sieht die Vertrauensgeste auch als Aufforderung zu einem engeren Verhältnis; er versteht sich nun als Meisterschüler, als „Zögling ersten Grades“ des großen Spalding – und wagt sofort, eine diskrete Frage zu stellen, die sich ihm schon beim Eintreten in das Zimmer aufgedrängt hatte  – wie er sich die Vorliebe für Maria Magdalena erklären soll, die gleich dreimal hier im Dienstzimmer des evangelischen Probstes und Oberkonsistorialrats künstlerisch präsent ist.

Der brave Lutheraner Spalding findet nichts besonders Aufregendes an der Frage, hat auf der Stelle – ohne nachschlagen zu müssen – jene Oster-Predigt aus dem Jahre 1538 parat, in der „der große Wittenberger“ die „Sünderin“ und „Büßende“ des katholischen Heiligenkalenders kommentarlos beim Namen nannte. „Der dreiteilige Altar und der einsame Altarflügel stammen übrigens aus Ihrer Heimat, aus dem Thüringischen, Arnstadt und Erfurt, lieber Josias, wie vermutlich auch die Tafel in der Ecke neben dem Fenster.“ Josias konnte seine Überraschung kaum verbergen. Er kannte zwar das Neue Testament in der Fassung Martin Luthers, hatte sich dank der Bemühungen der Hallenser „Väter“ wie Semler und Nösselt auch mit den Differenzen zwischen den Übersetzungen Luthers und den aktualisierten Predigttexten der evangelischen Kirchen im mitteldeutschen Raum und in Brandenburg-Preußen beschäftigt, ist aber nun auf eine solche unverhoffte Begegnung mit der engen Vertrauten des Erlösers nicht vorbereitet. „Sehen Sie sich die Gemälde näher an, lieber Josias, ich freue mich schon auf die textkritische Debatte mit Ihnen – es muß ja nicht gleich heute sein“ – schmunzelte Spalding. Josias näherte sich vorsichtig dem dreiflügeligen Altarbild aus Arnstadt – links vor ihm die Szene mit zehn herbeieilenden Jüngern, in der Mitte die eigentliche Auferstehung: das steinerne leere Grab, flankiert von Petrus und Paulus, dominierend mit Banner der Erlöser, niedergeschmettert am Boden zwei Wächter und rechts die vier Frauen des Neuen Testaments mit ihren Attributen –  in der ersten Reihe, gleichrangig mit der Jungfrau Maria, Maria Magdalena mit dem Salbengefäß.

„Mein Lieblingsstück ist jene einsame, leidende Frau am Fuß des Kreuzes“ – Spalding nahm den jungen Kollegen am Arm und führte ihn nach hinten, in eine halbdunkle Ecke des Zimmers, vor eine Holztafel „sie ist dem Erlöser am nächsten, näher noch als Mutter Maria!“ – „Eigentlich ein ketzerischer Gedanke ?“ wagt Josias zu flüstern.

„Sie kommen der Sache näher, junger Freund; man munkelt, daß jene drei Kunstwerke – das letztere sogar aus der Cranachwerkstatt, den fanatischen Bilderstürmern der Reformationszeit von mutigen Männern (oder Frauen) aus den Händen gerissen wurden, ansonsten hätten sie das traurige Schicksal so vieler Gemälde, Statuen, die in Kirchen und  Klöstern geteilt, die zerschlagen oder verbrannt worden waren. Über die wundersamen Wege der Rettung dieser drei Stücke und des Erwerbs durch einen meiner Vorgänger hier in der Propstei gibt es nur mündliche Berichte, nichts Schriftliches.“ – Josias konnte sich nicht von der Figur der Maria Magdalena in der dunkler Zimmerecke lösen – „Bin ich einem Irrtum verfallen, Herr Oberconsistorialrath, oder unterscheidet sich nicht doch sehr wesentlich die Gestaltung der Gesichtszüge der beiden Figuren der Maria Magdalena – jener im Auferstehungsaltar und jener der Kreuzigungsszene – kunstgeschichtlich gesprochen?“ „Josias, man erkennt die Sprache des Absolventen der Hallischen Universität, des weiten Blicks des Theologiestudiums, das nicht an den Texten klebt, sondern alle kulturellen Entwicklungen einschließt! Natürlich sind zwischen dem dreiflügeligen Altar und der Holztafel aus der Wittenberger Werkstatt der Cranachs etwa einhundert Jahre Unterschied in der künstlerischen Wahrnehmung und der Gestaltung. Aber sehen Sie sich auch das Haupthaar der Maria Magdalena an, lang wallend über die Schultern, über den Rücken bis zu den Lenden jene Frau schmückend, die zu Füßen des Gekreuzigten kniet und den Holzbalken des Kreuzes im Schmerz umfaßt, lebendig, natürlich, den Betrachter ergreifend ! Währenddessen das Haupthaar der Frau auf der rechten Altartafel aus Arnstadt, vermutlich Mitte des 15. Jahrhunderts, züchtig unter einer Haube fast verschwindet und die weiße Haube durch den goldenen Heiligenschein erdrückt wird! Die Gesichtszüge sind steif, unnatürlich, starr wie auch die Hände.“

Spalding nimmt eine Bemerkung Löfflers, aus der er eine gewisse Verunsicherung über den möglichen Verlust der wissenschaftlichen Zukunft herausliest, zum Anlass, auf seinen eigenen Lebenslauf hinzuweisen: „Sehen sie mein lieber Freund, mein junger Kollege im spe, mir wurde an der Wiege nicht gesungen, dass ich Probst einer großen Kirche in Berlin sein werde, Mitglied im Oberkonsistorium, angesehener Buchautor, theologischer Berater des Königs, Bewohner einer hochherrschaftlichen Residenz  und zu entscheiden habe über die Zukunft meiner jungen Kollegen, Kandidaten wie Sie es sind für künftige Positionen in unserer gemeinsamen Kirche. Wie sie wissen, komme ich aus Pommern, damals noch Schwedisch. Mein Vater war ein sehr engagierter Pastor in der schwedischen lutherischen Kirche, er schickte mich auf das Gymnasium in Stralsund mit der Vorstellung, ebenfalls ein guter Pfarrer zu werden. Ich erfüllte seine Anforderungen – ich hatte im Unterschied zu Ihnen das Glück, dass mein Vater mich beraten konnte und dass ich mich an meinem Vater festhalten konnte in Situationen wo die Schule, das Studium an der Universität nicht so lief wie ich mir das vorstellte. Sie sind jedoch als Waise an eine gute Schule in Halle gekommen, hatten das Glück mit den Professoren Semler und Nösselt zusammen zu sein, deren Bibliotheken, deren Häuser nutzen zu können. Ich musste mir vieles selbst arbeiten, aber hatte immer den Traum, Pastor in einem in einer kleinen Stadt Pommerns nahe bei den Menschen zu sein, Gottes Wort im Miteinander zu lehren, zu vermitteln. Die Kanzel war für mich ein Tisch, an dem auf der anderen Seite der Gläubige sitzt, die Kanzel war nie etwas, was ich als Belehrungstisch von oben herab ansah.

Am liebsten saß ich unter den Menschen in einer Gruppe, versuchte ihre Fragen zu verstehen, ihre Zweifel, das hat mich befriedigt und auch das Studium in Rostock und Greifswald, das Studium der Philosophie der Theologie der alten Sprachen hat mich nicht von den Menschen weggebracht, sondern noch mehr an sie herangeführt.

Auch ich war privater Hauslehrer und habe als Hauslehrer die kostbare Freizeit genutzt, mich theoretisch weiterzubilden und den Traum der Doktor-Promotion zu realisieren. Ich habe es niemals versäumt oder abgelehnt, Tätigkeiten anzunehmen, die scheinbar einen Umweg bedeuteten zur Erreichung meines Traums, den Menschen das Wort Gottes direkt mündlich nahe zu bringen.

Ich habe selbst eine Situation wie die des Sekretärs eines schwedischen Gesandten in Berlin immer gesehen als Möglichkeit mein Wissen zu erweitern, meine praktischen Lebenskenntnisse zu vertiefen. Ich war glücklich über solche Tätigkeiten und habe nebenbei geschrieben,  auch schon publiziert. Mein erstes Buch, die „Betrachtung über die Bestimmung des Menschen“ konnte ich natürlich auch nur anonym veröffentlichen lassen – die preußische Zensur hätte es in der Luft zerrissen, weil es nicht von Gott Heil handelte, sondern von der Vervollkommnung Menschen. Das Individuum erreicht sein Glück über die Sinnlichkeit, über das Vergnügen des Geistes, über Tugend und auch Religion, aber nicht durch Offenbarung, sondern durch tugendhaftes Leben, so wie ich es bei Leibniz und Christian Wolff gelesen hatte.

Ich hatte das Glück, einen Menschen als Freund zu finden wie unser Väterchen Gleim in Halberstadt, der meine ersten Schritte als Pastor in der Kleinstadt Lassan In der Nähe von Stralsund begleitete.  Er hat mich motiviert, er hat mir Mut zugesprochen, hat mich ermuntert. Wir haben meine Fehler lange Nächte diskutiert, die ich gemacht habe in meinem jugendlichen Überschwang. Das kleinstädtische, das Dörflich-Gemeinschaftliche  dieser pommerschen Umwelt, nicht die Nähe des Hofes, sondern der Umgang mit ganz normalen Menschen hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin – Gott in den Menschen und in ihrer täglichen praktischen Umwelt suchend und nicht in theoretischen Debatten.“

Josias hatte mit 24 Jahren durch sein Ja zum Angebot von Spalding die Tür zu einer neuen Etappe in seinem Leben aufgestoßen – auf eigenen Füßen stehen, wichtige Entscheidungen treffen und in allen kommenden Situationen zu ihnen stehen, das heißt einen hohen Grad an Selbstdisziplin entwickeln, noch höher als an der Schule und beim Studium.

Ich nahm eine der Urkunden zur Hand, die ich zwar schon unter den abgeschlossenen abgelegt hatte, suchte darin nach Hinweisen auf sehr Persönliches, Individuelles des Menschen Josias in jenem ersten Jahr in Berlin. Es war ein amtliches Schreiben Spaldings vom 2. November 1776 über ein Gespräch mit Löffler in Berlin, unten links die zustimmenden Zeilen von drei Kollegen. Der Text war einigermaßen lesbar:

„Eben itzo hat sich der Candidatus Theologiae, Hr. Löffler, der schon verschiedene Jahre hier in Berlin eine Informationsstelle verwaltet hat, wegen der Predigerstelle an der Hausvogtey bey mir gemeldet und wird auch bey meinen Hochgelahrten Herren Collegen zu Ihnen an dem heutigen Tage nicht beschwerlich zu werden, morgen sein Gesuch persönlich anbringen.

Da er wegen seiner vorzüglichen Geschicklichkeit sowohl als Bescheidenheit unter unseren besten Candidaten gehöret, und wir überdem schon in Verlegenheit sind ein anderes taugliches Subject zu finden, so halte ich ihn an meinem Theile für sehr ansehungswürdig. Er wird aber vorher noch eine Probepredigt zu halten haben, welche allenfalls am bevorstehenden Freytage geschehen kann.“ Von den zustimmenden Zeilen der Kollegen, vermutlich Mitglieder des Oberkonsistoriums, sind die des dritten Herrn besonders beachtenswert, da er sich keinen besseren Candidaten als Löffler vorstellen kann – Herr Nummer zwei verspricht seinem Chef Spalding den Besuch der Probepredigt, um sich ein Bild des Candidaten machen zu können.

Beim heutigen nochmaligen Studium dieses Schreibens erkenne ich auch den Zusammenhang mit jenes Königlichen Schreibens vom 28. November 1776 an Spalding:

„Von Gottes Gnaden Friederichs König von Preußen … p.p.p.

Unseren gnädigen Gruß zuvor Würdiger Hochgelahrter Rath, Lieber Getreuer!

Demnach der zum Gefangen Prediger bey der Hauß Voigtey berufene Candidat Loeffler dato darauf confirmirt wurde, also befehlen wir Euch hiermit allergnädigst, denselben gewöhnlichen Maaßen zu introduciren und seine Zuhörer zur gebührenden Pflicht und Achtung gegen ihn anzuweisen.“

Keine formale Hürde, keine Prüfung  blieb Josias Löffler erspart – am Beginn der Laufbahn eines Pfarrers stand im protestantisch-lutherischen Preußen die Predigt-Erlaubnis, ausgestellt vom Ober-Konsistorium, nachdem der Kandidat eine Prüfung abgelegt und eine öffentliche Probepredigt unter den Augen der Mitglieder dieses Gremiums gehalten hatte. Spalding hatte in weiser Voraussicht und im Rahmen seiner Personal-Politik jene Prüfung und das erste öffentliche Auftreten Löfflers schon für den  Sommer 1776  eingeplant, so dass die Prüfungs-Urkunde das Datum vom 5. September trägt, also lange bevor Spalding die ersten Gespräche mit Löffler führen wird.

Man geht nicht fehl, wenn man dahinter nicht die leitende Hand des Ministers von Zedlitz in Absprache mit dem König vermutet. Sie überlassen die wichtigen Personalentscheidungen nicht dem Zufall, nicht tagespolitischen Erwägungen, sondern treffen solche Entscheidungen in strategischer Sicht. Kirchenpolitik ist für die Majestät eben auch Politik, nicht Geplänkel – Jeder mag nach seiner Facon seelig werden – aber ihm abgesteckten Rahmen der königlichen Strategie.

Eine Abschrift jener Prüfungs-Urkunde habe ich mir inzwischen besorgt – ein einmaliges Dokument: „Predigterlaubnis Licentia Concionandi, 5. September 1776, Ober-Consistorium Berlin …

Nachdem der Studiosus Theologiae Josias Friedrich Christian Löffler aus Saalfeld gebürtig, zu Erlangung der Erlaubnis zu predigen, von denen dazu bestallten Examinatoren wie gewöhnlich geprüft worden und dabei sich nichts hervorgetan, weshalb ihm die gesuchte Erlaubnis zu predigen versagt werden könte, so wird darüber und daß derselbe licentiam concionandi  erhalten, gegenwärtiges testimonium unter des Ober-Consistorii Insiegel hierdurch ertheilt, auch derselbe zugleich angewiesen, bey dem Inspektori zu dessen Diceces der Ort seines Aufenthalts gehört, sich zu melden und hiernächst, wann er diese Inspektion verändern sollte, sich mit dem Zeugnisse seines bisherigen Inspectoris, bey demjenigen wieder zu melden, unter dessen Inspektion er alsdann sich begibt.
Berlin, königlich preußisches evangelisch-Lutherisches Ober-Consistorium           Hagen

Es ist kurz vor Feierabend, ich mache Odnung auf meinem Tisch. Zwischen zwei Urkunden liegt ein Brief, von „Esther“ an „Josias“, ohne Datum, ohne Familiennamen, mit zerbrochenem, daher nicht mehr entzifferbarem Siegel, zwei engbeschriebene Blätter, Vorder- und Rückseite genutzt, der Inhalt für damalige Verhältnisse sehr intim und verblüffend wissenschaftlich und weltanschaulich!  Was soll ich damit anfangen? Wie soll ich ihn einordnen, darf ich ihn der Öffentlichkeit preisgeben? Ich versuche, den Brief mit einigen anderen Einzelpapieren in Verbindung zu bringen, vergleiche Namen, Daten, Bezug zu historischen Ereignissen. Erfolglos.

Edda sieht auf den ersten Blick, dass mit mir etwas nicht stimmt. Fraulicher Instinkt. Wortlos reiche ich ihr den Brief hinüber. Sie wendet und dreht und sucht nach Blatt zwei. Sie bittet um Vertagung, möchte aber an der Sache dranbleiben. Drei Tage später hat es „gefunkt“: das Bauchgefühl triumphiere wieder einmal über den nüchternen Verstand, sie sei einer Liebensgeschichte auf der Spur! Einer Liebesgeschichte unseres heiligen Josias! Ob sie vortragen dürfe.

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 26. Juli 2023

Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant Heinrich und Generalsuperintendent Josias Folge 5

Folge 5: Willkommen in der Residenz

Es ist Anfang November – später Herbst – geworden, wir müssen schon in unserem Dachkämmerchen die Heizung voll aufdrehen. Edda war es gelungen, mir die Zusage abzuringen – trotz starker Brandschutzbedenken –, einige echte Kerzen aufzustellen, so dass eine freundlichere Arbeitsatmosphäre entstanden war.

Aus den unterschiedlichsten Belegstellen der Dokumente des Konvoluts, an den Rand mancher Papiere und Briefe mit fremder Hand gekritzelten Bemerkungen, offiziell angeforderter Anlagen zu Aktenstücken, im Nachhinein geschriebener Erinnerungen aus der Feder von Josias Löffler selbst konnte ich mir in den Wochen in Zusammenarbeit mit Edda ein Bild machen von jener Situation, in die der junge Absolvent der Universität Halle an der Saale hineingeworfen wurde bei seinen ersten Begegnungen mit der königlich-preußischen Residenz Berlin Mitte der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts.

Friedrich II.

Die Hallischen Überväter Semler und Nösselt hatten es geschafft, den ungestümen Saalfelder Jungen für den Ernst des studentischen Lebens hinzubiegen, so dass Josias mit 22 Jahren, zu Johannis 1774, in unserem heutigen Kalenderverständnis im Juni, die Universität beenden konnte. Vorher, zu Ostern, war er auf Anraten Semlers mit einigen Adressen, die er ihm in die Manteltasche gesteckt hatte, nach Berlin gereist. Schon die erste Adresse war ein Erfolg: im Haus von Oberkonsistorialrat Teller gab es nicht nur eine Übernachtung und gutes Frühstück, sondern auch das nicht auszuschlagende Angebot einer Hauslehrerstelle bei einem reichen Kaufmann, beginnend im September. 

Die Bekanntschaft mit der preußischen Residenz war für den provinziellen Thüringer in den ersten Wochen ein kulturelles Erdbeben – das Betuliche, Behagliche des Saalfelder Lebens; das Abgehobene, in der Gottesgelahrtheit Schwebende der Universität Halle war über Nacht dem lauten Treiben der ausgedehnten Berliner Magistralen gewichen. Josias brauchte einige Tage, die Weitläufigkeit der Plätze und Märkte der Friedrichstadt zu verdauen, das Gigantische des königlichen Schlosses am Lustgarten nicht mehr als Bedrohung zu empfinden, die junge Lindenallee in Richtung Charlottenburg anzunehmen. Dennoch – es war die Stadt des großen Friedrich, die ihn vom ersten Tage, ja von der ersten Stunde an in den Bann zog! 

Zeichner: Daniel Chodowiecki

Schnell hatte Josias das Netzeknüpfen begriffen: Semler kannte Teller, Teller war eng befreundet mit Propst und Oberkonsistorialrat Spalding, Spalding hatte über Minister von Zedlitz und dessen Staatssekretär Biester Zugang zur Majestät, letztlich entschied der König persönlich – die besten Hallenser Absolventen waren begehrt in Berlin, als Privatlehrer, als Prediger, als Juristen, als Ärzte, auch als Feldprediger im Heer.

Josias erkannte, dass insbesondere der Oberkonsistorialrat Johann Joachim Spalding ihn beobachtete. Man traf sich bei den Predigten in den altehrwürdigen Hallen von St. Nikolai und St. Marien, in den Bibliotheken, bei den gutbetuchten Eltern der Privatschüler, die vor allem in den antiken Sprachen und der Kirchengeschichte durch die jungen Hallenser Absolventen eine Erweiterung des Schulstoffes erfuhren.

Noch in Halle hatten seine beiden Mentoren Semler und Nösselt dem Absolventen Löffler wärmstens den Ratschlag ins Reisegepäck gesteckt, sich in Berlin an den Oberkonsistorialräten Wilhelm Abraham Teller und Johann Joachim Spalding zu orientieren, wenn ihm an einem Fortkommen in der Residenz gelegen sei. Josias entnahm den ausführlichen Erzählungen, dass e seine sehr enge, freundschaftliche, ja fast intime Bekanntschaft der Hallischen Professoren mit den führenden Berliner Kirchenleuten bis in die höchsten ministeriellen Kreise gab – bis in die Vorzimmer des Königs.

So hatte ihm in einem vertraulichen Gespräch Nösselt lachend und in aller Ausführlichkeit und Breite erzählt, wie er als junger Student im Jahre 1754 gemeinsam mit dem jetzigen Minister von Zedlitz in einer auf Spezialorder des Königs in höchster Eile kompilierten Vorlesung des bedächtigen und trockenen Philosophieprofessors Meier gesessen habe und sich beim Anhören des offensichtlich nur angelesenen und nicht verarbeiteten Sammelsuriums der erkenntnistheoretischen Ansichten von John Locke verstohlen vertrauliche Blicke der Missbilligung mit Zedlitz ausgetauscht habe. Noch Tage später hätten Zedlitz und er ihr Unbehagen und ihre scharfe Kritik an einer solchen Prozedur privat ausgetauscht und darüber hinaus mannigfaltige Berührungspunkte in ihren weltanschaulichen Positionen gefunden.

Nösselt hatte bewusst darauf verzichtet, seinem Lieblingsstudenten und Privat-Assistenten Löffler moralisierend eine „Lehre fürs Leben“ mitzugeben – den Weg zum jetzigen Minister von Zedlitz in Berlin müsste Löffler schon selbst finden. Lächelnd hatte er aber noch ergänzt, dass insgesamt nur vier Studenten die auf königliche Order zustande gekommene Vorlesung von Meier besucht hatten und Professor Meier dieses Thema niemals wieder berührt habe.

Johann Erich Biester

In den Ostertagen des Jahres 1774 – wir wissen es aus einem nachgelassenen Brief Johann Erich Biesters an seine Lübecker Freundin Luise Haake  vom 27. Juli 1776 aus Berlin, der durch einen der nicht seltenen Zufälle in unserem Archiv gelandet war – war es auch zu einem Gespräch Löfflers mit dem frisch promovierten Dr. jur. Biester im Gasthaus Zum Schwarzen Adler in der Berliner Poststraße gekommen, vermittelt durch den Vater eines Löffler anvertrauten Privatschülers. Ich suche den Brief nochmals heraus und bitte Edda, ihn vorzulesen, um mich konzentriert mit nunmehr geschultem Blick für das Berliner „Geflecht“ der jungen Akademiker Löffler und Biester der historischen Situation widmen zu können:

„Luise, mein geliebtes Täubchen, die elende Warterey hat ein Ende!!! Noch ist es nicht offiziell, aber du bist die erste, die vom angehenden Geheimsekretär des Ministers die geheime Nachricht von seiner geheimen Bestallung im geheimen Büro erhält – bitte aber geheim zu betrachten bis auf Weiteres!!! Offiziell wird es Staats Secretair heißen, aber der alte Fuchs von Zedlitz, der mich mit dem geschulten Blick des Kenners persönlich aus der Gruppe der Männer mit großen Ohren, geschlossenen Mäulern und  unersättlicher Wissensbegierde erwählte,  machte mich zum  Anwärter für Höheres, läßt mich aber vorerst nur Probestückchen meines Talents abliefern, die hoffentlich der Majestät zusagen werden.

In Berlin weiß es bisher nur mein alter Freund Josias Löffler, mit dem ich am Ostersonntag 1774 auf einer Bank am Spreeufer gegenüber dem königlichen Schloß Zukunftspläne schmiedete. Er war aus Halle herübergekommen, um sich nach einer Stelle als Privatlehrer umzusehen, war auch glücklich gelandet, so daß wir gemeinsam den Tintenkleksern der Residenz an beiden Ufern der Spree tüchtig einheizen können. Das Schloß fand er übrigens gar nicht so beeindruckend – es sei Gigantomanie, aufgeblasen, wirke kalt und tot. Er, Josias Löffler, habe nach kurzer Wartezeit in den privaten Schulräumen bei Bankiers und Handelsleuten eine königliche Predigerstelle erhalten, ich aber, wie du weißt, hatte weniger Glück, reiste im Mecklenburgischen herum, unterrichtete um des Broterwerbs willen störrische Adelssprosse, antichambrierte wieder in Berlin. Zwei schlimme Jahre, aber doch gefüllt mit Erfahrungen und endlich der Bekanntschaft des lieben Nicolai, dessen Bibliothek und Befreundetsein mit einflußreichen Hofbeamten nun Gottseidank Früchte trägt …“

In der Geschichte versunken, bitte ich Edda um etwas Geduld, bevor wir uns an Biester und Zedlitz heranmachen. Ich würde sie, die inzwischen eng Vertraute meiner Recherchen, gern in jene Gedanken einführen, die mir nach dem Durchblättern anderer Briefe Löfflers an Bekannte in Halle gekommen waren und die doch ein authentisches Bild der „Anfängerjahre“ des jungen Theologen Josias in der königlichen Residenz vermitteln:

An einem noch warmen, trockenen Oktoberabend 1776 bittet der Probst der Berliner Marienkirche Spalding – weißhaarig, mir einem goldbelegten Stock in der Linken, den rechten Arm auf gute schottische Art hinter den Rücken gelegt – den jungen Löffler zu einem Spaziergang in den Tiergarten. Er lässt sich von Josias über die Fortschritte bei dessen Studium der Kirchenväter berichten, zu dem er ihm ernsthaft vor zwei Jahren für die freien Abendstunden nach dem doch nicht allzu anstrengenden Unterricht mit den Privat-Zöglingen geraten hatte, verfällt dabei wie in Gedanken versunken ins Latein, freut sich im Stillen über die glänzende Parade des Zöglings, schlägt sich an die Stirn: „Ach mein Lieber, nun bin ich gar ins Antikische abgerutscht, bitte verzeihen Sie die Altersschwachheit! – Aber da wir nun schon mal vom Pfade abgekommen sind, auf die Wege des Herrn gelangt sind – Was halten sie denn, junger Freund, von einer Predigerstelle in Berlin? Es wird Zeit dafür, ansonsten ersaufen Sie im Sumpf des alltäglichen Trotts in den Familien der Wohlhabenden und kleinkarierten Hofbeamten !

Da wird zu Weihnachten eine Stelle frei, für die ich Sie wärmstens beim Minister empfehlen möchte – vorausgesetzt sie machen mir keine Schande und eine Schande wäre schon nach reiflicher Überlegung eine Ablehnung. Im Übrigen – der Minister erwartet von mir derartige Gefälligkeiten. Vergeben sie mir die Offenheit.  Aber so ist das Leben, so ist das Leben im Oberkonsistorium; solche Sachen werden ja nicht lange hin und hergeschoben, solche Sachen werden in kürzester Zeit entschieden! Sie, Josias Löffler, gelahrter Absolvent bei Semler und Nösselt in Halle, stehen bei mir ganz oben auf der Liste.“ Er nimmt Löffler vertraulich am Arm: „ Lassen sie uns in einer Woche am selben Ort wieder darüber sprechen, da kann ich Ihnen mehr sagen. Vorher verlangt es die Geheimniskrämerei in diesem Konsistorium, dass ich Ihnen nichts genaues sagen möchte.  Aber es ist in Berlin, es ist eine schöne interessante Tätigkeit als Prediger, nicht an einer Schule und nicht privat, sondern öffentlich und sehr nah am Hofe – das kann ich hier und heute schon sagen. Mehr noch nicht – schlagen Sie in den nächsten Tagen mal bei Christian Wolff nach, Sie wissen schon – Vollkommenheit und ähnliche Sujets!“

Als sie sich getrennt hatten, ist Josias Löffler hin und her gerissen. Das war nicht sein Lebensplan, die trockene Theologie, das Predigen in den Kirchen, die Seelsorge. Lehrer wollte er werden, Kinder und Jugendliche erziehen, ihnen Bildung für das ganze Leben vermitteln. Aber er wusste, wenn er Spaldings Angebot ausschlug, war seines Bleibens in Berlin nicht mehr sicher. Ohne feste Stellung, ohne Zuspruch und Föderung durch Spalding und seinen Kreis landete er in der Mittelmäßigkeit – und er könnte vor allem – was er ihm für die Laufbahn noch fehlte  – nicht publizieren. Er hat gerade ein neues französisches Buch auf seinem Tisch über die Kritik an der Orthodoxie, über das Verhältnis der Kirchenväter zur griechischen Philosophie, zu Platon, das reizte ihn ungeheuer. Vielleicht findet er einen Verleger, Berlin hat unendliche Mengen an Verlagen. Über seine Freunde könnte er vielleicht an den bekannten Friedrich Nicolai herankommen.

Ihm sind die Worte Nösselts und der anderen der väterlichen Freunde in Halle im Ohr und leuchtend vor Augen: Spalding ist unsere Speerspitze in Berlin und unser Schirm!  Seine Stellung verdankt er seinem Fleiß, seiner Weltsicht und seinem literarischen Vermögen! Wenn du etwas erreichen willst, übe dich unter seiner Anleitung im Ausdruck, schriftlich wie mündlich, beeindrucke die gelehrte Welt schon in deiner Jugend durch Veröffentlichungen, über die man spricht so wie es Spalding durch seine „Bestimmung des Menschen“ schaffte.

Ihm wurde während der Studienjahre ebenfalls schon früh klar, wie dicht und fest die Verbindungen der führenden theologischen Vordenker der Aufklärung, der so genannten Neologen, in Berlin, Halle, Magdeburg geknüpft sind. Obwohl er nicht hinter alle Kulissen schauen konnte, erkannte er, dass sie nicht als einsame Gründerfiguren, Universitätsprofessoren oder Schulhäupter auftraten, sondern als Persönlichkeiten einer immer mehr um sich greifenden Bewegung, die die Stärkung individueller religiöser Mündigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hatte – unter dem Schutz mächtiger Fürsten, ab 1740 sogar unter dem Schutzschirm des preußischen Königs Friedrich II.
Alle Erwägungen überzeugen jetzt den jungen Josias Löffler, dass er sich durch Zögern oder gar Ablehnung des Angebots der führenden preußischen Kirchenoberen seine Zukunft verbauen würde. Er lässt sich die Einzelheiten des Angebots erklären und erklärt offiziell seine Bereitschaft, mit sofortiger Wirkung in den Dienst des Oberkonsistoriums in Berlin treten. Im Stillen glaubt er nur an eine zeitlich begrenzte Tätigkeit, die ihn in die Nähe des Hofes bringt.  Er könne weiterhin seine privaten Unterrichtsstunden bei den Reichen und Mächtigen ableisten, er könne privat historischen Studien betreiben und größere Veröffentlichungen vorbereiten.

Zu Hause angekommen in seiner kleinen Dachstube machte er sich sofort an die Übersetzungsarbeit dieses Franzosen und es ging ihm zügig von der Hand.

Morgen würde er versuchen an Nicolai heranzukommen, der hatte ihn schon mal angesprochen wegen einer Arbeit von Moses Mendelssohn, für die er einen Bearbeiter suchte. Vielleicht reizt den Nicolai diese Übersetzung. Und den Wolff und nebenbei den Leibniz hatte er nicht vernachlässigt – da war Einiges, das  er seit den ersten Hallischen Tagen mit sich unerledigt herumschleppte.

Publikation Löfflers bei Frommann in Züllichau (Neumark)

Die Woche verging im Fluge. Auch das Wetter spielte mit, die Linden verloren im Abendwind ihre Blätter, gelb und braun mit leichtem rötlichen Schimmer wirbelten sie um ihre Füße.

Ohne gefragt zu werden entwickelt Josias Löffler beim nächsten Spaziergang Spalding gegenüber seine Bedenken; er glaubt das sei die beste Taktik. Er weiß, dass Spalding keine Jasager und Duckmäuser liebt; Spalding liebt Leute mit Verstand und mit eigenem Kopf und wenn ein junger Mann ihm auf ein so glänzendes Angebot mit Bedenken kam, dann reizt ihn das auch zum Widerstand. Der Herr Oberkonsistorialrat sollte erkennen, dass der Widerstand Löfflers nicht gespielt ist und er müsse schon das gesamte Repertoire der erfolgversprechenden Überzeugungsinstrumente auspacken:  die Hoffnung auf eine glänzende Zukunft, eine interessante Tätigkeit und auf viele Kontakte und Bekanntschaften vielleicht auch Reisen, vielleicht auch eine Professur an der Universität – vielleicht Halle, vielleicht Frankfurt – denn was ist ein Universitätsprofessor anders als die höchste Form des Lehrens, des Bildens, des Unterrichts.

Mitten in meine kunstvoll gestrickten Darlegungen platzt ein fremdes Geräusch – Edda war zusammengezuckt und rot geworden, ihr Täschlein war vom Tisch gefallen, Zeichen der Langeweile oder Müdigkeit? Also Pause, keine Überforderung !

Dr. Dieter Weigert 25. Juli 2023

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

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LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245