Preußisch Blau und Lutherisch Schwarz – oder Leutnant Heinrich und Generalsuperintendent Josias Folge 6

Was ist eine königl.-preuß. Hausvoigtey?

Einige Tage lasse ich Edda zur Entspannung, dann nehme ich den Textentwurf zur Hand, den ich zur Interpretation der „Berlin-Dokumente“ – vor mir so bezeichnete Gruppe der Briefe, der losen Blätter, der kolorierten Kupferstiche, der amtlichen Schreiben, Notizen ohne Datierung, Verfasser – und beginne zum Entsetzen der lieben Edda zu dozieren:
Über zwei Stunden argumentiert Spalding, dann ist der Widerstand gebrochen. Da fragt Löffler nach den Einzelheiten, um welche Stelle ginge es denn?  Oberkonsistorialrat Spalding zögert, aber muss Farbe bekennen: ja mein lieber Freund, es ist keine der großen Kirchen in Berlin, es ist etwas Unscheinbares, das aber die Tore für Sie öffnet!  Es ist eine Gefängniskirche, die Kirche der Hausvoigtey. Löffler zuckt zusammen – eine Gefängniskirche? Haben wir denn so etwas in Berlin?

Aber natürlich!  Ich glaube, sie kennen die Strukturen des lutherischen Oberkonsistoriums noch nicht so genau, dass Sie auf der Stelle zusagen können. Wir haben zwei getrennte Gefängnissysteme in der Residenz Berlin – eines für den königlichen Hof, seine Angehörigen und obersten Chargen im engen Sinne – nur die oberen paar Dutzend sowie die dazugehörigen Domestiquen und dann haben wir ein Gefängnis fürs gemeine Volk. Das erste heißt Hausvoigtey, das zweite heißt Stadtvoigtey.

Er geht zum Regal neben der Tür, öffnet einer der großen Schachtel und legt einige colorirte Stiche auf den Tisch.

-Hier mein junger Freund, das hat mir Nicolai geschenkt, frisch aus der Presse !

Die Hausvoigtey hat im Unterschied zur Stadtvoigtey einen eigenen Prediger. Es handelt sich ja doch immerhin um den königlich-preußischen Hof.  Wenn da so ein Prinz oder sein Stallmeister mal über die Stränge schlägt und eingelocht werden muss, dann braucht er Seelsorge auf allerhöchster Ebene. Daran sehen sie schon, dass das kaum eine große Arbeit macht, denn wann schlägt ein Prinz mal über die Stränge und wann erfrecht sich die Wache, ihn ins Gefängnis zu stecken? Ich habe in den letzten Jahren noch keinen solchen Fall vernommen, aber es muss auf dem Papier einen Prediger geben und der muss gut lutherisch sein. Das unansehnliche Gebäude der Hausvoigtey – also des Hausvoigts, des Gerichts und des Gefängnisses – stand bis vor kurzem zwischen dem Schloss und der Domkirche, nach dem Abriß des Doms wurde ein neues Gebäude auf dem Friedrichswerder zwischen der Nieder- und Oberwallstraße errichtet.

In den ältesten Zeiten wohnt der Hofrichter sogar auf dem königlichen Schlosse. Bei dem Bau des neuen Schlosses Anfang dieses Jahrhunderts wurde die Hausvoigtei auf den Werder in die Unterwasserstraße neben der Münze verlegt. Bei Erweiterung der Münze ward sie hierher versetzt, wo bis dahin die Stallungen des Jägerhofes standen – über denselben wohnten sogar einige Jagdbediente. Vorn ist in einem zweigeschossigen Gebäude, die Gerichtsstube, die Wohnung des Hofrichters und ein Saal zur Kirche. Hinten sind auf zwei Höfen Gefängnisse und deshalb steht auf dem ersten Hofe eine ständige militärische Wache.

Ich empfehle beim nächsten Rundgang durch die Stadt eine Besichtigung zumindest von außen. Und was ich noch dazu sagen möchte – zu dieser Prediger-Stelle gehört auch die Seelsorge an der Charité – Sehen Sie die anderen Blätter:

Jetzt hellt sich das Gesicht von Josias Löffler wieder auf: „das klingt ja interessant, aber soweit ich weiß, gibt es dort schon einen reformierten Prediger“ – „Ja, das stimmt, Sie werden dort eine eigene Wohnung haben im Charité-Gebäude. Die Nachbarwohnung hat vor kurzem erst ein reformierter Prediger bezogen, auch ein junger Mann, vielleicht haben sie die Gelegenheit mal mit ihm zu sprechen, aber ihre Hauptarbeit ist das Gefängnis zu betreuen, auch wenn da niemand drin sitzt.

Ihre Kammer liegt auf dem gleichen Flügel wie die des reformierten Kollegen – ich hoffe, Sie vertragen sich!

An Uniformen wird kein Mangel sein:

Also ich sehe ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen, es ist massenhaft Gelegenheit und Zeit für ernsthafte Studien, für Publikationen, für wissenschaftliche Gespräche und für dergleichen Wanderungen wie heute durch den Tiergarten mit mir“.

„Wann soll es denn losgehen mit der Gefängnis-Seelsorge?“ Löfflers Stimme hat ihre normale Tonart wiedergefunden – „Zu Weihnachten, wenn die Formalitäten erledigt sind. Sie können sich ja schon mal die beiden Kammern in der Charité ansehen, ich gebe Ihnen morgen ein Schreiben mit. Die Besichtigung des Zellengefängnisses eilt nicht, da wird zurzeit nicht gestorben und nicht gerichtet – soweit ich weiß auch nicht gefoltert!“ Spalding sah man die Erleichterung an, die ihm die Zusage Löfflers verursacht hatte.

Von nun an lud Spalding den künftigen Kollegen zu den weiteren Gesprächen in seine Propstei-Dienstwohnung in der Nikolai-Kirchgasse ein, die vor dem Umzug Spaldings von Barth nach Berlin auf Kosten des lutherischen Oberkonsistoriums aufs Beste hergerichtet und möbliert worden war. Josias Löffler bewundert im Stillen die reichhaltige Ausstattung der zwei Etagen im altehrwürdigen Gebäude am geräumigen Rasenplatz neben der Kirche, versteht die persönliche Einladung als Attribut des bevorstehenden Karrieresprungs und als Vertrauensbeweis des Oberkonsistorialrats und seiner königlichen Vorgesetzten. Er weiß, dass es nun kein Zurück gibt.  

Josias sieht die Vertrauensgeste auch als Aufforderung zu einem engeren Verhältnis; er versteht sich nun als Meisterschüler, als „Zögling ersten Grades“ des großen Spalding – und wagt sofort, eine diskrete Frage zu stellen, die sich ihm schon beim Eintreten in das Zimmer aufgedrängt hatte  – wie er sich die Vorliebe für Maria Magdalena erklären soll, die gleich dreimal hier im Dienstzimmer des evangelischen Probstes und Oberkonsistorialrats künstlerisch präsent ist.

Der brave Lutheraner Spalding findet nichts besonders Aufregendes an der Frage, hat auf der Stelle – ohne nachschlagen zu müssen – jene Oster-Predigt aus dem Jahre 1538 parat, in der „der große Wittenberger“ die „Sünderin“ und „Büßende“ des katholischen Heiligenkalenders kommentarlos beim Namen nannte. „Der dreiteilige Altar und der einsame Altarflügel stammen übrigens aus Ihrer Heimat, aus dem Thüringischen, Arnstadt und Erfurt, lieber Josias, wie vermutlich auch die Tafel in der Ecke neben dem Fenster.“ Josias konnte seine Überraschung kaum verbergen. Er kannte zwar das Neue Testament in der Fassung Martin Luthers, hatte sich dank der Bemühungen der Hallenser „Väter“ wie Semler und Nösselt auch mit den Differenzen zwischen den Übersetzungen Luthers und den aktualisierten Predigttexten der evangelischen Kirchen im mitteldeutschen Raum und in Brandenburg-Preußen beschäftigt, ist aber nun auf eine solche unverhoffte Begegnung mit der engen Vertrauten des Erlösers nicht vorbereitet. „Sehen Sie sich die Gemälde näher an, lieber Josias, ich freue mich schon auf die textkritische Debatte mit Ihnen – es muß ja nicht gleich heute sein“ – schmunzelte Spalding. Josias näherte sich vorsichtig dem dreiflügeligen Altarbild aus Arnstadt – links vor ihm die Szene mit zehn herbeieilenden Jüngern, in der Mitte die eigentliche Auferstehung: das steinerne leere Grab, flankiert von Petrus und Paulus, dominierend mit Banner der Erlöser, niedergeschmettert am Boden zwei Wächter und rechts die vier Frauen des Neuen Testaments mit ihren Attributen –  in der ersten Reihe, gleichrangig mit der Jungfrau Maria, Maria Magdalena mit dem Salbengefäß.

„Mein Lieblingsstück ist jene einsame, leidende Frau am Fuß des Kreuzes“ – Spalding nahm den jungen Kollegen am Arm und führte ihn nach hinten, in eine halbdunkle Ecke des Zimmers, vor eine Holztafel „sie ist dem Erlöser am nächsten, näher noch als Mutter Maria!“ – „Eigentlich ein ketzerischer Gedanke ?“ wagt Josias zu flüstern.

„Sie kommen der Sache näher, junger Freund; man munkelt, daß jene drei Kunstwerke – das letztere sogar aus der Cranachwerkstatt, den fanatischen Bilderstürmern der Reformationszeit von mutigen Männern (oder Frauen) aus den Händen gerissen wurden, ansonsten hätten sie das traurige Schicksal so vieler Gemälde, Statuen, die in Kirchen und  Klöstern geteilt, die zerschlagen oder verbrannt worden waren. Über die wundersamen Wege der Rettung dieser drei Stücke und des Erwerbs durch einen meiner Vorgänger hier in der Propstei gibt es nur mündliche Berichte, nichts Schriftliches.“ – Josias konnte sich nicht von der Figur der Maria Magdalena in der dunkler Zimmerecke lösen – „Bin ich einem Irrtum verfallen, Herr Oberconsistorialrath, oder unterscheidet sich nicht doch sehr wesentlich die Gestaltung der Gesichtszüge der beiden Figuren der Maria Magdalena – jener im Auferstehungsaltar und jener der Kreuzigungsszene – kunstgeschichtlich gesprochen?“ „Josias, man erkennt die Sprache des Absolventen der Hallischen Universität, des weiten Blicks des Theologiestudiums, das nicht an den Texten klebt, sondern alle kulturellen Entwicklungen einschließt! Natürlich sind zwischen dem dreiflügeligen Altar und der Holztafel aus der Wittenberger Werkstatt der Cranachs etwa einhundert Jahre Unterschied in der künstlerischen Wahrnehmung und der Gestaltung. Aber sehen Sie sich auch das Haupthaar der Maria Magdalena an, lang wallend über die Schultern, über den Rücken bis zu den Lenden jene Frau schmückend, die zu Füßen des Gekreuzigten kniet und den Holzbalken des Kreuzes im Schmerz umfaßt, lebendig, natürlich, den Betrachter ergreifend ! Währenddessen das Haupthaar der Frau auf der rechten Altartafel aus Arnstadt, vermutlich Mitte des 15. Jahrhunderts, züchtig unter einer Haube fast verschwindet und die weiße Haube durch den goldenen Heiligenschein erdrückt wird! Die Gesichtszüge sind steif, unnatürlich, starr wie auch die Hände.“

Spalding nimmt eine Bemerkung Löfflers, aus der er eine gewisse Verunsicherung über den möglichen Verlust der wissenschaftlichen Zukunft herausliest, zum Anlass, auf seinen eigenen Lebenslauf hinzuweisen: „Sehen sie mein lieber Freund, mein junger Kollege im spe, mir wurde an der Wiege nicht gesungen, dass ich Probst einer großen Kirche in Berlin sein werde, Mitglied im Oberkonsistorium, angesehener Buchautor, theologischer Berater des Königs, Bewohner einer hochherrschaftlichen Residenz  und zu entscheiden habe über die Zukunft meiner jungen Kollegen, Kandidaten wie Sie es sind für künftige Positionen in unserer gemeinsamen Kirche. Wie sie wissen, komme ich aus Pommern, damals noch Schwedisch. Mein Vater war ein sehr engagierter Pastor in der schwedischen lutherischen Kirche, er schickte mich auf das Gymnasium in Stralsund mit der Vorstellung, ebenfalls ein guter Pfarrer zu werden. Ich erfüllte seine Anforderungen – ich hatte im Unterschied zu Ihnen das Glück, dass mein Vater mich beraten konnte und dass ich mich an meinem Vater festhalten konnte in Situationen wo die Schule, das Studium an der Universität nicht so lief wie ich mir das vorstellte. Sie sind jedoch als Waise an eine gute Schule in Halle gekommen, hatten das Glück mit den Professoren Semler und Nösselt zusammen zu sein, deren Bibliotheken, deren Häuser nutzen zu können. Ich musste mir vieles selbst arbeiten, aber hatte immer den Traum, Pastor in einem in einer kleinen Stadt Pommerns nahe bei den Menschen zu sein, Gottes Wort im Miteinander zu lehren, zu vermitteln. Die Kanzel war für mich ein Tisch, an dem auf der anderen Seite der Gläubige sitzt, die Kanzel war nie etwas, was ich als Belehrungstisch von oben herab ansah.

Am liebsten saß ich unter den Menschen in einer Gruppe, versuchte ihre Fragen zu verstehen, ihre Zweifel, das hat mich befriedigt und auch das Studium in Rostock und Greifswald, das Studium der Philosophie der Theologie der alten Sprachen hat mich nicht von den Menschen weggebracht, sondern noch mehr an sie herangeführt.

Auch ich war privater Hauslehrer und habe als Hauslehrer die kostbare Freizeit genutzt, mich theoretisch weiterzubilden und den Traum der Doktor-Promotion zu realisieren. Ich habe es niemals versäumt oder abgelehnt, Tätigkeiten anzunehmen, die scheinbar einen Umweg bedeuteten zur Erreichung meines Traums, den Menschen das Wort Gottes direkt mündlich nahe zu bringen.

Ich habe selbst eine Situation wie die des Sekretärs eines schwedischen Gesandten in Berlin immer gesehen als Möglichkeit mein Wissen zu erweitern, meine praktischen Lebenskenntnisse zu vertiefen. Ich war glücklich über solche Tätigkeiten und habe nebenbei geschrieben,  auch schon publiziert. Mein erstes Buch, die „Betrachtung über die Bestimmung des Menschen“ konnte ich natürlich auch nur anonym veröffentlichen lassen – die preußische Zensur hätte es in der Luft zerrissen, weil es nicht von Gott Heil handelte, sondern von der Vervollkommnung Menschen. Das Individuum erreicht sein Glück über die Sinnlichkeit, über das Vergnügen des Geistes, über Tugend und auch Religion, aber nicht durch Offenbarung, sondern durch tugendhaftes Leben, so wie ich es bei Leibniz und Christian Wolff gelesen hatte.

Ich hatte das Glück, einen Menschen als Freund zu finden wie unser Väterchen Gleim in Halberstadt, der meine ersten Schritte als Pastor in der Kleinstadt Lassan In der Nähe von Stralsund begleitete.  Er hat mich motiviert, er hat mir Mut zugesprochen, hat mich ermuntert. Wir haben meine Fehler lange Nächte diskutiert, die ich gemacht habe in meinem jugendlichen Überschwang. Das kleinstädtische, das Dörflich-Gemeinschaftliche  dieser pommerschen Umwelt, nicht die Nähe des Hofes, sondern der Umgang mit ganz normalen Menschen hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin – Gott in den Menschen und in ihrer täglichen praktischen Umwelt suchend und nicht in theoretischen Debatten.“

Josias hatte mit 24 Jahren durch sein Ja zum Angebot von Spalding die Tür zu einer neuen Etappe in seinem Leben aufgestoßen – auf eigenen Füßen stehen, wichtige Entscheidungen treffen und in allen kommenden Situationen zu ihnen stehen, das heißt einen hohen Grad an Selbstdisziplin entwickeln, noch höher als an der Schule und beim Studium.

Ich nahm eine der Urkunden zur Hand, die ich zwar schon unter den abgeschlossenen abgelegt hatte, suchte darin nach Hinweisen auf sehr Persönliches, Individuelles des Menschen Josias in jenem ersten Jahr in Berlin. Es war ein amtliches Schreiben Spaldings vom 2. November 1776 über ein Gespräch mit Löffler in Berlin, unten links die zustimmenden Zeilen von drei Kollegen. Der Text war einigermaßen lesbar:

„Eben itzo hat sich der Candidatus Theologiae, Hr. Löffler, der schon verschiedene Jahre hier in Berlin eine Informationsstelle verwaltet hat, wegen der Predigerstelle an der Hausvogtey bey mir gemeldet und wird auch bey meinen Hochgelahrten Herren Collegen zu Ihnen an dem heutigen Tage nicht beschwerlich zu werden, morgen sein Gesuch persönlich anbringen.

Da er wegen seiner vorzüglichen Geschicklichkeit sowohl als Bescheidenheit unter unseren besten Candidaten gehöret, und wir überdem schon in Verlegenheit sind ein anderes taugliches Subject zu finden, so halte ich ihn an meinem Theile für sehr ansehungswürdig. Er wird aber vorher noch eine Probepredigt zu halten haben, welche allenfalls am bevorstehenden Freytage geschehen kann.“ Von den zustimmenden Zeilen der Kollegen, vermutlich Mitglieder des Oberkonsistoriums, sind die des dritten Herrn besonders beachtenswert, da er sich keinen besseren Candidaten als Löffler vorstellen kann – Herr Nummer zwei verspricht seinem Chef Spalding den Besuch der Probepredigt, um sich ein Bild des Candidaten machen zu können.

Beim heutigen nochmaligen Studium dieses Schreibens erkenne ich auch den Zusammenhang mit jenes Königlichen Schreibens vom 28. November 1776 an Spalding:

„Von Gottes Gnaden Friederichs König von Preußen … p.p.p.

Unseren gnädigen Gruß zuvor Würdiger Hochgelahrter Rath, Lieber Getreuer!

Demnach der zum Gefangen Prediger bey der Hauß Voigtey berufene Candidat Loeffler dato darauf confirmirt wurde, also befehlen wir Euch hiermit allergnädigst, denselben gewöhnlichen Maaßen zu introduciren und seine Zuhörer zur gebührenden Pflicht und Achtung gegen ihn anzuweisen.“

Keine formale Hürde, keine Prüfung  blieb Josias Löffler erspart – am Beginn der Laufbahn eines Pfarrers stand im protestantisch-lutherischen Preußen die Predigt-Erlaubnis, ausgestellt vom Ober-Konsistorium, nachdem der Kandidat eine Prüfung abgelegt und eine öffentliche Probepredigt unter den Augen der Mitglieder dieses Gremiums gehalten hatte. Spalding hatte in weiser Voraussicht und im Rahmen seiner Personal-Politik jene Prüfung und das erste öffentliche Auftreten Löfflers schon für den  Sommer 1776  eingeplant, so dass die Prüfungs-Urkunde das Datum vom 5. September trägt, also lange bevor Spalding die ersten Gespräche mit Löffler führen wird.

Man geht nicht fehl, wenn man dahinter nicht die leitende Hand des Ministers von Zedlitz in Absprache mit dem König vermutet. Sie überlassen die wichtigen Personalentscheidungen nicht dem Zufall, nicht tagespolitischen Erwägungen, sondern treffen solche Entscheidungen in strategischer Sicht. Kirchenpolitik ist für die Majestät eben auch Politik, nicht Geplänkel – Jeder mag nach seiner Facon seelig werden – aber ihm abgesteckten Rahmen der königlichen Strategie.

Eine Abschrift jener Prüfungs-Urkunde habe ich mir inzwischen besorgt – ein einmaliges Dokument: „Predigterlaubnis Licentia Concionandi, 5. September 1776, Ober-Consistorium Berlin …

Nachdem der Studiosus Theologiae Josias Friedrich Christian Löffler aus Saalfeld gebürtig, zu Erlangung der Erlaubnis zu predigen, von denen dazu bestallten Examinatoren wie gewöhnlich geprüft worden und dabei sich nichts hervorgetan, weshalb ihm die gesuchte Erlaubnis zu predigen versagt werden könte, so wird darüber und daß derselbe licentiam concionandi  erhalten, gegenwärtiges testimonium unter des Ober-Consistorii Insiegel hierdurch ertheilt, auch derselbe zugleich angewiesen, bey dem Inspektori zu dessen Diceces der Ort seines Aufenthalts gehört, sich zu melden und hiernächst, wann er diese Inspektion verändern sollte, sich mit dem Zeugnisse seines bisherigen Inspectoris, bey demjenigen wieder zu melden, unter dessen Inspektion er alsdann sich begibt.
Berlin, königlich preußisches evangelisch-Lutherisches Ober-Consistorium           Hagen

Es ist kurz vor Feierabend, ich mache Odnung auf meinem Tisch. Zwischen zwei Urkunden liegt ein Brief, von „Esther“ an „Josias“, ohne Datum, ohne Familiennamen, mit zerbrochenem, daher nicht mehr entzifferbarem Siegel, zwei engbeschriebene Blätter, Vorder- und Rückseite genutzt, der Inhalt für damalige Verhältnisse sehr intim und verblüffend wissenschaftlich und weltanschaulich!  Was soll ich damit anfangen? Wie soll ich ihn einordnen, darf ich ihn der Öffentlichkeit preisgeben? Ich versuche, den Brief mit einigen anderen Einzelpapieren in Verbindung zu bringen, vergleiche Namen, Daten, Bezug zu historischen Ereignissen. Erfolglos.

Edda sieht auf den ersten Blick, dass mit mir etwas nicht stimmt. Fraulicher Instinkt. Wortlos reiche ich ihr den Brief hinüber. Sie wendet und dreht und sucht nach Blatt zwei. Sie bittet um Vertagung, möchte aber an der Sache dranbleiben. Drei Tage später hat es „gefunkt“: das Bauchgefühl triumphiere wieder einmal über den nüchternen Verstand, sie sei einer Liebensgeschichte auf der Spur! Einer Liebesgeschichte unseres heiligen Josias! Ob sie vortragen dürfe.

(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)

LINK zu Folge 1: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33663

LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899

LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059

LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245

LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672

Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 26. Juli 2023

Die Ästhetik des Ewig Weiblichen – in Berlin und Paris

Sie scheinen sich charakterlich und thematisch ähnlich – das Berliner Bodemuseum und das Musée de Cluny in Paris. Die Dame mit dem Einhorn ist der strahlende Stern in Paris, die schwebende Maria Magdalena der Publikumsliebling in Berlin.

Um diese Figuren bewegen sich in beiden Museen vor allem Skulpturen aus der gotischen Kunstperiode, der die heutigen staatlichen Begrenzungen Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, Der Niederlande, Luxemburgs, Italiens und der Schweiz fremd waren. Es war der Raum des gotischen Nordens, aus dem die bedeutenden Meisterwerke jener beiden Museen stammen – und daher stehen auch die Darstellungen der Heilgen Maria Magdalena für uns im Vordergrund

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NOLI ME TANGERE

Damit sind wir beim heutigen Frauenbild. Auf den deutschen Fernsehschirmen und auf den Monitoren der Laptos, auf den Mobiltelefonen erscheinen in diesem Jahr mehr Frauengesichter als vorher – ist jedenfalls mein Eindruck. EU, die bundesdeutsche Ampel, die Titelblätter der Illustrierten – „mächtige“ weibliche Gestalten sollen uns das IMAGE vorgaukeln, die mehr oder weniger Schönen seien auf dem Karriere-Vormarsch. Die Realität der Alleinerziehenden-Gesellschaft, der Sitzungen der Vorstände der börsennotierten Großkonzerne, das visuelle Erscheinungsbild von G7, G20, BRICS, UNASUR – wohin man schaut: Gruppenbild ohne Dame(n)!

Brasília – O presidente da Rússia, Dmitri Medvedev, o presidente Lula, o presidente da China, Hu Jintao, e o primeiro-ministro da Índia, Manmohan Singh, posam para a foto oficial durante a 2ª Cúpula de Chefes de Estado e de Governo do BRIC

Ohne Dame nach wie vor: VATIKAN!

03.07.2022, Vatikan, Vatikanstadt: Papst Franziskus nimmt an einer Messe für die kongolesische Gemeinschaft im Petersdom teil. Foto: Evandro Inetti/ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der „Heilige Vater“ schaut grimmig einher – aber doch wohl nicht auf der Suche nach Damen. Oder hatte er eine Debatte hinter sich über Maria Magdalena? Denn das wäre doch ein Thema angesichts des frauenfeindlichen Klimas in seiner kalten geistlichen Umwelt.

Für mich aber ein Grund mehr, die Erinnerung an jenen Winter 2018/19 wachzurufen. in dem ich mich intensiv mit der Biographie der Heiligen und der widersprüchlichen Resonanz selt zweitausend Jahren bschäftigte.

„Hätten Sie doch geschwiegen, verehrte Petra Gerster“

hatte ich meinen blog vom 1. Dezember 2018 überschrieben. Die Zeilen sind so aktuell wie denn ud je, so dass ich es wage, sie heute noch einmal in Erinnerung zu rufen:

„… dann würde ich in weiterhin mit Unbehagen, aber doch ohne öffentlichen Protest den zwangsweisen Einzug der Gebühren für das ZDF erdulden, auch wenn ich vieles an der tendenziellen Berichterstattung, an den Kommentaren und an den Features kaum ertrage.
Aber Ihr jüngster Beitrag zum heiligen Paulus, einer Ikone von Millionen Christen, lässt alles vermissen, was Ihnen vermutlich vor Jahrzehnten ehrliche Journalisten als Standardtugenden des Berufsstandes vorgelebt und gepredigt haben: Objektivität, Achtung vor der Meinung des Opponenten, tiefgründiges Studium historischer Fakten und Dokumente insbesondere bei Fragen der Religion, der Weltanschauung und der Ethik.

Jene 45 Minuten kostbarer Sendezeit waren nicht nur journalistisch eine Zumutung, mehr eine Tourismus-Werbung für den Nahen Osten, Malta, Griechenland und Rom als eine Sendung zur Vertiefung unserer religionsgeschichtlichen Kenntnisse – sie waren eine Beleidigung für jene Menschen (Frauen, Mädchen und Männer) christlichen Glaubens, die seit Jahrzehnten mutig versuchen (ohne Ihr Gerstersches familiäres, finanzielles und parteipolitisches CDU-Hinterland), die historische Rolle von Frauen in der urchristlichen Bewegung ihren Kindern, Schülerinnen und Schülern, Freundinnen und Freunden und auch einer breiten interessierten Öffentlichkeit lebhaft und verständlich zu schildern. Die historische Figur des Saulus/Paulus steht bei diesem Bemühen immer mehr in der Kritik, vor allem seine in den Texten nachweisbaren Anstrengungen, aktive Frauen wie u.a. Maria Magdalena aus den Geschehnissen um die Hinrichtung und die Auferstehung Jesu für die urchristlichen Gemeinden und auch für die Nachwelt hinauszudrängen und sich in die Position des alleinigen Führers der geistigen und politischen Bewegung im Erbe Jesu zu bringen. An dieser Stelle begann der bis heute anhaltende scharfe Kampf – unter entscheidender Teilnahme des römischen Bürgers und Juden Paulus – um die Durchsetzung des Patriarchats innerhalb der christlichen Gemeinden, um das Hinausdrängen von Frauen aus Führungspositionen und um das „Redigieren“ von Texten. Für jene Maria aus Magdala war Paulus ein Opponent, kein Verbündeter in ihrem Ringen um die Gleichstellung der Frauen in der christlichen Bewegung. Bei Petra Gerster hört sich das anders an: Wenn es auch gegenteilige Texte in den Briefen des Paulus gibt, war er doch kein aktiver Verfechter des Patriarchats, die bis heute gültige frauenfeindliche Doktrin der katholischen Kirche sei durch den Klerus erst Jahrhunderte später durchgesetzt worden, man könne sie nicht auf Paulus zurückführen. Frau Gerster – welche Geschichtsverdrehung für eine Redakteurin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! (So etwa würde man bei anderen mit der Keule des „Staatsfernsehens“ erledigen).  Petra Gerster verrät ihren Konservatismus auch dadurch, dass sie den Namen der Maria aus Magdala in jenen 45 Minuten kein einziges Mal erwähnt, geschweige denn sich mit ihrer historischen Rolle im Detail auseinandersetzt.

Vielleicht erleben wir ein Wunder – Frau Gerster wird zur Persönlichkeit der Maria Magdalena ernsthaft recherchieren und ihren Einfluss im ZDF nutzen, um eine moderne Sendung zu diesem Thema zu produzieren, die dann unseren ungeteilten Beifall finden kann.

Marcantonio Franceschini, Estasi della Maddalena, 1683

Einen zweiten blog habe ich in jenem Winter „nachgereicht“ (6. Dezember, „Petra Gerster Nummer 2“):
„Auf der Suche nach der „echten“ Maria Magdalena stieß ich auf die Legenda aurea – sehr interessante Ausgabe in deutscher Sprache, gesetzt und gedruckt in „SCHWABACHER“. Leider ist diese Schriftart im Angebot meines Rechners nicht enthalten, so dass wir uns heute das Vergnügen des gemeinsamen, geteilten Lesens im Mittelalter-Lebensgefühl nicht erlauben können.

Satz und Druck war aber auch das Einzige, was mich an diesem Buch beeindruckte – ansonsten leider nur die traurige Gewissheit, dass die heiligen Herren Petrus, Paulus, Augustinus totalen Erfolg hatten in ihrer Manipulation der blinden, tauben, stummen Bauern- und Fischermassen der Spätantike und des frühen Mittelalters. Die Legenden, Biographien, Sagen, Predigten. die der Genueser Mönch, spätere Bischof Jacobus de Voragine im 13. Jahrhundert sammelte und veröffentlichte, waren ein Bestseller, sie befriedigten ein Massenbedürfnis und fanden starke Unterstützung bei der päpstlichen Kurie. Der Herausgeber meiner Ausgabe, der Heidelberger Kulturhistoriker Richard Benz, hatte sich – verständlich angesichts seiner nationalkonservativen Grundposition – weniger mit den Verfälschungen der historiographischen Darstellungen der ersten Jahrhunderte der christlichen Religionsgeschichte auseinandergesetzt als mit den aus seiner Sicht wesentlicheren Einflüssen der germanischen Mythen- und Sagenwelt auf das aus dem Orient kommenden theologischen Gerüst der weströmischen Kirche.

Die für mich relevanten Abschnitte der Publikation sind die über Maria Magdalena, Martha, die ägyptische Maria, über die „Auferstehung des Herrn“, über die „Passion des Herrn“. Das Urteil über Maria Magdalena ist gesprochen – sie war die schuldige Sünderin, hatte sich der „leiblichen Wollust“ hingegeben und dann schwer gebüßt: dem Überfluss der Sünde entsprach der Überfluss der Gnade! – „und wieviel Lust in ihr gewesen war, soviel Opfer brachte sie nun“! In diesen Abschnitten finden sich alle überlieferten oder erfundenen Ereignisse aus dem Leben der Maria Magdalena zusammengebunden oder lose verknüpft, denen sich Maler, Bildhauer, Prediger, Kirchenfürsten bedienen: die Begegnung mit Jesus im Hause des Pharisäers Simon, die Bevorzugung Marias gegenüber Martha im Haus der Schwestern in Bethanien, das Ausharren am Kreuz gemeinsam mit der Mutter Maria, die erste Begegnung mit Jesus nach seiner Auferstehung am „dritten Tage“, die sehr weither geholten und für viele Theologen unglaubwürdigen Begebnisse der „ägyptischen Maria“ einschließlich ihrer Himmelfahrt sowie auch die französischen Varianten der Überfahrt an die Küste im Raum Marseille und das Wirken bis zum Tode in der Provence. Nicht verwunderlich, dass kein Wort über die unmittelbare Nähe dieser „Jüngerin“ zu Jesus verloren wird, über ihre herausragende Rolle in der Formierung der Gruppe nach der Hinrichtung ihres Führers Jesus, über die erfolgreichen machtpolitischen Bestrebungen von Petrus und Paulus zur Ausschaltung der Maria Magdalena und die Ergreifung der Spitzenpositionen in dem sich entwickelnden urchristlichen Verbund der lokalen Gemeinden.
Fazit: Die Sünderin dominiert, die kämpfende Frau bleibt auf der Strecke – in Theologie und Kunst.“

Bei Journalistinnen und Journalisten setzt man normalerweise voraus, dass sie sich auskennen in den Weiten des kulturellen Erbes des „jüdisch-christlichen Abendlandes“, das sie so eloquent vertreten -also auch in der Vielfalt der Darstellungen der MADELEINE in den französischen Sammlungen: die Frau, die ihren Schmuck, ihren Reichtum, ihre wertvollen Kleider ablegt, die sich den Büchern und der Wissenschaft widmet. Kennt unsere TV-Ikone jene Bildnisse und aus dem Stein oder Holz geformtem Körper der MADELEINE ?

Worin liegt nun die gesteigerte Aktualität der Persönlichkeit der Maria aus Magdala, ihrer eweiterten Ausstrahlung in der Gegenwart? Wir kommen der Antwort näher, wenn wir uns fragen, warum in den letzten Jahrzehnten die Persönlichkeit der Maria Magdalena besonders in Frankreich auch außerhalb der theologischen Fachkreise intnsiver diskutiert wird. Noch im Jahre 1995 konnte man im PETIT LAROUSSE die kurze lapidare Notiz finden:

Heute umfasst die WIKIPEDIA-Fassung des Themas etwa 10 Druckseiten, incl. 38 Abbildungen, bibliographische Verweise etc. mit der Tendenz der Ausweitung. Religions- und kirchengeschichtliche Experten wie auch Kulturwissenschaftler führen dieses gestiegene Interesse hauptsächlich auf zwei Faktoren zurück – einerseits auf reale oder fiktive Besonderheiten in der Biographie Maria Magdalenas, die mit der Geschichte Frankeichs verbunden sind und andererseits auf gesellschaftspolitische Entwicklungen in West- und Mitteleuropa der letzten Jahrzehnte, die jene christliche Heilige zu einer Identifikationfigur für bestimmte größere Gruppen von Aktivistinnen und Wählerinnen machten.

Symbolisch für den Frankreich-Bezug stehen m.E. die figürlichen Darstellungen der Landung der „drei Marien“ nach einer langen Bootsfahrt aus Palästina in den Kirchen und an öffentlichen Plätzen der französischen Mittelmeeküste

Maria aus Magdala, die Gefährtin des Wanderpredigers Jesus Christus, wird mit dieser Anlandung Französin, damit entsteht ein enger persönlicher Bezug der Franzosen zu den Ursprüngen des Christentums. Das Buch von Thierry Murcia zum Thema symbolisiert die Renaissance der intellektuellen Debatten gerade im gegenwärtigen Frankreich zur Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Der zweite Aspekt betrifft den neudeutsch genannten „intellektuellen Diskurs“ hierzulande noch stärker – die christliche Heilige Maria Magdalena wird zur Identifikationsfigur im gsellshaftspolitischen Kontext ! Vor dem Hintergrund der Krise im traditionellen Parteienspektrum der Gründungsstaaten der europäischen Gemeinschaft suchen die Parteistrategen nach neuen Einflußpotentialen, die sie zur Stabilisierung in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ benötigen und die den Platz einnehmen könnten, den der Verlust in den Reihen der ehemaligen Arbieterparteien, der christlich orientierten und der liberalen Parteien geschaffen hat. Politikwissenschaftler registrieren jene Potentiale, die mit dem Aufkommen neuer gesellschaftlicher aktiver Gruppen und Bewegungen entstanden sind – Abrüstung und Frieden, Naturschutz, Immigration, innerkirchlicher Protest, neue kulturpolitische und emanzipatorische Bewegungen. Für viele Experten ist es nicht überraschend, dass vor allem Frauen zu Identifikationsfiguren der aus diesen Potentialen entspringenden politischen Gruppen werden – und unter diesen Frauen eine christliche Heilige wie Maria Magdalena eine beseutende Rolle spielt, die vor allem Ziele des ursprünglichen Christentums repräsentiert.

Was zeichnete diese Frau aus? Sie entstammte nicht den unteren Schichten der damaligen Gesellschaft Palästias, sondern war eine Frau „aus den besseren Kreisen“, verfügte über beträchtlichen Besitz, den sie „der Bewegung“ des Wanderpredigers Jesus zur Verfügung stellte. Mit dieser Frau können sich heute Tausende Aktivistinnen und Anhängerinnen der UR-grünen und ehemals sozialistischer und liberaler Parteien voll und ganz identifizieren ! Die männlichen und weiblichen Klimaaktiven der Gegenwart finden sich vor allem in der Naturverbundenheit der Eremitin Maria Magdalena (im Voll-Haarkleid) wieder, wie sie uns in mehreren Bildern der Renaissance entgegentritt:

2-R42-M381-1431 (302467) ‚Die Kommunion der Heiligen Maria Magdalena‘ Moser, Lucas um 1390 – nach 1434. ‚Die Kommunion der Heiligen Maria Magdalena‘, 1431. Flügel des Magdalenenaltars. Auf Holz, Gesamtmaße ca. 300 x 240 cm. Tiefenbronn bei Pforzheim, Pfarrkirche. ORIGINAL: Communion of Saint Magdalene. Detail of the Altar of Magdalene (wings closed) 40-05-01/17 Tempera on parchment (on top of wood) (1432) Parish Church, Tiefenbronn, Germany

Auch das „Allzumenschliche“, ihre vermutlich körperliche Liebe zu Jesus und die ihr später durch die orthodoxen „Kirchenväter“ zugeschriebenen Prostitutions-Bezüge, finden heute mehr positive als negative Resonanz in Kreisen ihrer politischen Bewunderer*Innen und bei Künstler*Innen.

Caravaggio

Selbst die dem EUROPA-Zentrismus verpflichteten Vasallinnen und Vasallen des MAINSTREAMS trägt unsere Suche in Paris Rechnung:

Marie Guillemine Benoist, „Portrait d’une femme noire, Madeleine“ – Louvre, 1800

An dieser Stelle brechen wir für heute ab. Vielleich ergiebt sich bei der Beantwortung eingehender Fragen die Gelegenheit einer weiteren Debatte

Helfen Blicke ins tiefe Mittelalter ?

Fränkische Herrscherin – die alemannische Hildegard (758-783)

Es war schon eine Entscheidung von gewisser persönlicher Stärke, als Hildegard, die dritte Gemahlin des fränkischen Kaiser Karl die Benediktiner-Nonne LIOBA (um 710 – um 782) an ihren Hof holte. Sie erhoffte sich geistigen und moralischen Beistand von einer Frau, die im männlich dominierten christlichen Klerus ihren Platz, ihre Autorität erkämpft hatte. Obwohl LIOBA einen ständigen Aufenthalt in der Nähe der Kaiserin ausschlug, da er ihr unvereinbar erschien mit den Pflichten als Klosterinsassin und Äbtissin,

konnt sie als Lehrerin, Beraterin, Vertraute und mütterliche Freundin erheblichen Einfluss aus die Kaiserin, die Mutter von 8 Kindern, ausüben. Ihre in den Biographien überlieferte unorthodoxe Art der Lebensführung, der Wissensvermittlung, der Erziehung der ihr anvertrauten jungen Mädchen und Frauen in den Klöstern hat gewiss eine Rolle gespielt bei der Zuneigung der jüngeren Kaiserin zur theologisch und philosophisch hochgebildeten Gefährtin. Wir können m.E. davon ausgehen, dass in den Gesprächen zu den um die Rolle der Frau im christlichen Umfeld gruppierten Themen einen beträchtlichen Raum einnahmen – darunter sicherlich auch die Stellung Maria Magdalenas in den Ursprungsjahren des Christentums.

Maria Magdalena, die Büßerin

Gerade diese Frau im allernächsten Umkreis von Jesus Christus wurde jahrhundertelang verleumdet, als Prostituierte verachtet, schrittweise aus den „heiligen“ Schriften verbannt, und in ihrer Rolle als weibliche Vertraute des „Erlösers“ herabgewürdigt. Heinrich von Kleist hat ihr in dem Gedicht „Der Engel am Grabe des Herrn“ („Phöbus“, 1808) eine Würdigung zukommen lassen, die sich auch indirekt mit den vielfältigen Verfälschungen jener treuen Kameradin des Wanderpredigers Jesus in der bildenden Kunst seit dem Mittelalter auseinandersetzt.

das bekannteste künstlerische Fehlurteil – Maria Magdalena und die Erscheinung Jesu am Felsengrab

Allen Interessenten, die jene Passage aus dem „Phöbus“ nicht griffbereit haben, hier zu gefl. Lektüre der Abdruck des Originals (Erstes Stük, Januar 1808, S. 38/39):

SALLE 210 – AILE RICHELIEU – NIVEAU 0 :

France Lorraine, Musée du Louvre, Département des Sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des temps modernes, RF 1774 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010094077https://collections.louvre.fr/CGU

Sie steht ganz oben auf meiner nächsten Besuchsliste in Paris. Diese Statue der heiligen Maria Magdalena ( „Saint Marie Madeleine tenant un vase à parfum“, um 1430) begegnete mir bei meinem ersten Paris-Besuch durch Zufall im Louvre und blieb fest im Bildgedächtnis haften. Viel wusste ich damals noch nicht von ihr, der MADELEINE, aber die Neugierde war geweckt. Ich glaube, keine Stadt auf dieser Erde ist so eng mit dem Schicksal dieser christlichen Heiligen verknüpft wie PARIS.

Ich bin auch ebenso fest davon überzeugt, dass es in den Museen und Kirchen einer anderen Stadt so viele Gelegenheiten einer Begegnung mit Maria Magdalena gibt wie in der französischen Hauptstadt – und das liegt nicht primär an der Existenz der Kirche La Madeleine im 8. Arrondissement !

Ein zweites Beispiel für die Fülle der Kunstwerke zum Thema, ein Gemälde aus dem Mittelalter:

Quentin Metsys, Sainte Madeleine (1500-1535),
Louvre, aile richelieu, niveau 2, Salle 814

Exemplarisch vorab drittens ein „Tableau des Malers Charles Le Brun“ aus dem 17. Jahrhundert, das kürzlich durch eine Galerie zur Versteigerung kam. Die heilige Maria Magdalena ist zu Füßen des Kreuzes eindeutig zu identifizieren durch das Salbengefäß und das aufgelöste Haare, Attribut einer „Sünderin“.

La Crucifixion avec saint Jean-Babtiste, Charles Le Brun (Atelier) Versteigerung am 16. Juni 2020, Preisangebot 10.000 – 15.000 €

Aus der Ankündigung der Galerie ARTCURIAL:

„Commentaire : Dans sa ‚Vie de Charles Le Brun et description détaillée de ses ouvrages‘, Claude Nivelon évoque une ‚Crucifixion‘ commandée au peintre à Rome par Jean-Baptiste de Lascaris, Grand Maître de l’Ordre de Malte. Voici ce qu’écrit Nivelon : “ M. le résident de Malte fit faire à M. Le Brun un tableau pour le Grand maître [de l’ordre des chevaliers de Malte], qui est un Crucifix sur cuivre d’environ deux pieds de haut. Cette composition est de six figures. Saint Jean-Baptiste y est représenté debout comme étant le patron de cet ordre illustre des défenseurs de la religion. Il montre au spectateur le Christ en croix, comme pour expliquer ce qu’il porte écrit, que c’est l’agneau immolé pour le salut du monde. Saint François, dont le Grand maître portait le nom, y est représenté embrassant le bas de la croix, pour exprimer les saints vœux de ce grand chef de l’ordre des croisés… „1. Le reste de la description correspond elle aussi à l’iconographie de notre tableau.
Seul notre tableau semble à ce jour témoigner de cette composition décrite par Nivelon comme réalisée sur cuivre et non sur toile, il est particulièrement intéressant de noter sur notre tableau la figure supposé d’un saint François, recouverte dans un second temps d’un bleu de ciel et d’un paysage en repentir. Notre tableau aurait-il été réalisé dans l’atelier du maître devant le tableau décrit par Nivelon et ensuite modifié pour pouvoir satisfaire un client ne souhaitant pas voir saint François figurer au pied de la croix ? La mention de Nivelon stipulant que le tableau comprenait un saint François “ dont le Grand maître portait le nom “ nous étonne aussi alors que le Grand Maître se prénommait Jean-Baptiste.
Une gravure par Tardieu illustre cette composition mais avec des variantes ; cette dernière ne compte pas le même nombre de personnages, les figures de saint François et de saint Jean-Baptiste y font défaut. Autre œuvre en rapport, un dessin de Charles Le Brun conservé au musée du Louvre (fig.1, inv. 33318) représente la Vierge et saint Jean-Baptiste au pied de la croix et semble être préparatoire au tableau perdu décrit par Nivelon.“

(IMPRESSUM der Galerie: Le site internet artcurial.com est la propriété de la société Artcurial
Artcurial, Hôtel Marcel Dassault, 7 rond-point des Champs Élysées, F-75008 Paris
Société immatriculée au Registre du Commerce et des Sociétés de Paris sous le numéro B440 088 235)

In den Jahren 2008/2009 wurde durch die Pariser Galerie COATELEM ein anderes Gemälde von Charles Le Brun angeboten, dessen Hauptfigur ebenfalls die heilige Maria Magdalena ist :

Unter den Künstlern, deren Namen sich bisher in einer ersten Gruppe eingeprägt haben, steht jener Charles le Brun ganz oben. Daher darf in der Vorbereitung der nächsten Reise das Gemälde der reuigen Sünderin (Louvre) nicht fehlen:

Charles Le Brun, 1655, Die reuige Magdalena

Lassen Sie uns mit dem Lesen einer wissenschaftlichen, gut geschriebenen Einführung beginnen:

Thierry Murcia: Marie appellée LA MAGDALÉENNE ENTRE TRADITIONS ET HISTOIRE Ier – VIIIe SIÈCLE

Auf der Rückseite die Kurzfassung der Themen und auch ein Hinweis auf den Verfasser:

Ich folge der empfohlenen Struktur des Denkens:

Theologen, Historiker, Politologen beiderlei Geschlechts verwendeten und verwenden auch noch heute die Namen Maria Magdalena, Madeleine, Sainte Marie-Madeleine, Maddalena für verschiedene weibliche Personen, die in den Büchern des Neuen Testaments und auch in den Apokryphen auftauchen:

A: Maria aus dem Ort Magdala

Lukas-Evangelium
8 1-3: Frauen im Gefolge Jesu
1 In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn,

2 außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren,

3 Johanna, die Frau des Chuzas,  eines Beamten des Herodes, Susanna und  viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen. 

Es ist die gleiche Frau, die teilnimmt an der Abnahme des Leichnams Christi vom Kreuz, die gemeinsam mit zwei anderen Mariä am Ostersonntag zum Steingrab Christi wandert, um den Toten zu salben und die alleinige Zeugin der Aufersthung Christi wird und der Christus „Noli me tangere!“ zuruft.

Maler und Bildhauer seit dem Mittelalter wählten ein ihnen aus dem städtischen Umfeld sehr bekanntes Sujet und gestalteten es phantasievoll: eine vermögende kluge und schöne junge Frau lässt sich von einem ebenfalls klugen und schönem jungen Wanderprediger – bekannt für Wunderheilungen – gegen böse Träume, Depressionen und Wahnvorstellungen behandeln. Als die Kur anschlägt, die „sieben Dämonen“ ihren Körper unter dem Beifall der Nachbarn verlassen haben, erkennt sie die Fähigkeiten dieses Wnderpredigers und schließt sich – bei Übertragung ihres gesamten Besitzes – der Gemeinschaft dieses Mannes an. Ihr Name war MARIA, der Ort des Geschehens MAGDALA um Ufer des Tiberias-Sees in Galiläa (heute MIGDAL).

Louvre Meister des Bartholomäusaltars

maitre de Saint-Barthélemy, La Descente de croix (1475-1525)

Louvre, aile richelieu, niveau 2, salle 819

B: Maria aus Bethanien/Haus des Pharisäers Simon

REPAS CHEZ SIMON

Subleyras, PierreFrance, Musée du Louvre, Département des Peintures, INV 8000 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010064397https://collections.louvre.fr/
Evangelium des Lukas
Evangelium des Johannes

C: Die Sünderin/Ehebrecherin

Johannes 8

D: Die Ägypterin

LOUVRE Georges de La Tour

Beschreibung des Gemäldes
(aus: Jaques Thuillier, „Georges de La Tour“ Paris 1992, S, 152 ff):

Eine frühe Darstellung der Madeleine, in Deutschland entstanden, nun im LOUVRE zu bewundern: Aile Delon, salle 169, niveau 1, Meister Gregor Erhart aus Augsburg,

Erhart, GregorPays Germaniques et de l’Europe de l’Est, Musée du Louvre, Département des Sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des temps modernes, RF 1338 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010093565https://collections.louvre.fr/CGU

Object history: Proviendrait de l’église Sainte-Marie-Madeleine du couvent des Dominicains d’Augsbourg, vers 1515-1520.

Collection Siegfried Lämmle (fin du XIXe siècle), Munich. Commerce d’art, Paris. Acquise de l’antiquaire Godefroy Brauer (Nagymorton, Hongrie, 1857 – Nice, 1923) sur les arrérages du legs de Mme Emile-Louis Sévène, née Laure Eugénie Declerck (Soissons, 1834 – Paris, 1887) en 1902 (comité du 26 juin, conseil du 1er juillet, arrêté du 6 octobre 1902).

Eine Vorschau auf die Pariser Kirchen:

Église St. Germain- l’Auxerrois am Place du Louvre

La chapelle de la Sainte Vierge: Sainte Marie l’Égyptienne, pénitente; Sculpture en pierre polychrome fin XVeme siècl

Aber noch einmal zurück in den Louvre: Cima da Conegliano (1511-1513) Jungfrau mit Kind zwischen Johannes dem Täufer und Maria Magdalena

La Vierge et l’Enfant entre saint Jean-Baptiste et sainte Marie-Madeleine, Cima da Conegliano

L’église St. Sulpice

St. Sulpice, chapelle du péristyle, L’Apparition du Christ á la Madeleine (1705), Cl..-G. Hallé

L’église St. Severin: Glasmalerei

Wiederum eine frühe Darstellung im Louvre „Beweinung Christi“ um 1460, Meister aus Avignon, Aile Richelieu, niveau 2, salle 833

pietà de Villeneuve-lès-Avignon, (1450-1475), Cuarton, Enguerrand: Johannes der Täufer und Maria Magdalena (mit dem Attribut Salbengefäß) beweinen Christus, die Personen eindeutig zu identifizieren durch die Inschriften am Heiligenschein

Église Saint-Joseph-des-Carmes

Se trouvent deux statues de saint Pierre et sainte Marie-Madeleine, exemples de contrition, réalisées par Jacques Sarazin pour l’hôtel du chancelier Séguier.

Statue de Sainte Marie Madeleine, dans la chapelle Ste Thérèse du transept droit (in der rechten Vierung)

L’église ST. EUSTACHE

  • Le tableau de Manetti, L’Extase de la Madeleine[1],[2] (vers 1625), huile sur toile de 130 × 160 cm, se trouve dans la cinquième chapelle du déambulatoire (chapelle Sainte-Madeleine). La composition de ce tableau est inspirée de La Madeleine et deux anges de Simon Vouet et de L’Extase de la Madeleine de Francesco Rustici à Florence (Palais Pitti).
Rutilio Manetti, L’Extase de la Madeleine.

Noch einmal zurück zu jener o.a. Skulptur im Musée Cluny:

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Details aus dem offiziellen Katalog des Museums: À l’origine éclatante de couleur, décapée et teintée au 19e siècle, cette figure de Marie-Madeleine a bénéficié d’un récent décirage. Seuls d’infimes vestiges de cette polychromie permettent de reconstituer la coloration rouge et bleue de sa robe.

Son exécution témoigne du savoir-faire du sculpteur, maître dans le rendu des vêtements et de la coiffure, inspirés des modes de son temps. L’élégant et complexe entrecroisement des nattes font de cette statue l’une des plus célèbres représentations de la pécheresse repentie élevée au rang de sainte.

Acquise en 1850

N° Inventaire : Cl. 1851, Hauteur : 97 cm,Largeur : 36 cm, Profondeur : 24 cm

Lieu de production : Bruxelles, Période : 4e quart du 15e siècle, Techniques : sculpturerestauration

Einzelne Beispiele aus anderen Pariser Museen:

MUSEUM MOREAU

moreau: Maria Magdalena am Kalvarienberg

Museum ORSAY

Emile Bernard, Madeleine au Bois d’Amour

Paul Cezanne La Madeleine 1869, Erdgeschoss, Salle 11

Cezanne

Musée Rodin

Musée Rodin 1884

Und vor dem Abschluss noch einmal: Charles Lebrun: Madeleine bereut ihr „sündiges Leben“, verabschiedet sich vom Luxus

La Madeleine repentante

Eitelkeiten: Charles Le Brun, Sainte Marie-Madeleine renoncant aux vanités du monde, (1654-1657), Louvre-Lens

Le Brun, Charles

INV 27675, Recto

Département des Arts graphiques

REPAS CHEZ SIMON

Subleyras, PierreFrance, Musée du Louvre, Département des Peintures, INV 8000 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010064397https://collections.louvre.fr/CGU

Zum Abschluss Versailles

Guido Reni, Marie-Madeleine en extase au pied de la croix, versailles

Ein letztes Mal – PARDON – zum LOUVRE:

Sebastian Bourdon, Louvre, Die Kreuzabnahme Christi

BLANCHARD, Jaques LOUVRE

Blanchard, Jacques, France, Musée du Louvre, Département des Peintures, RF 1938 57 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010061525https://collections.louvre.fr/CGU

Am Wege zu den Museen des Louvre, ziemlich versteckt liegt am Place du Louvre die ehemalige Hofkirche St.-Germain-l’Auxerroi, spätgotisch – beeindruckend vor allem durch ihre reichhaltigen Plastiken.  Maria Magdalena (in der Version einer Eremitin in der ägyptischen Wüste) ist gleich zweimal vertreten: im Inneren mit den Attributen der Eremitin- drei Brote und das den Körper verhüllende lockige lange Haar –

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und auf einem Podest der Vorhalle eine Kopie, ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert:

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Die nächste Kirche, etwas längeren Fußweg entfernt, heißt Église Saint-Joseph-des-Carmes, liegt im 6. Arrondissement – und kann ebenfalls eine Skulptur der Madeleine aufweisen, im vorderen Teil der Vierung:

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Die Kirche ist heute Teil eines größeren katholischen Forschungs- und Bildungsinstituts in der bekannten Rue de Vaugirard, so dass die Anwesenheit vor allem junger Leute während und außerhalb der Messen in hoher Zahl nicht überrascht. Madeleine auf ihrem Sockel symbolisiert an diesem Ort diesmal nicht die ägyptische Eremitin, sondern die reuige Sünderin und gleichzeitig die enge Vertraute des Erlösers, die mit dem Salbengefäß am Ostersonntag zum „Grab des Herrn“ kommt – gemeinsam mit zwei anderen Marien – und als erste Zeugin die Auferstehung Jesu als Wunder erlebt. Die von überwucherndem barockem Marmor umgebene Plastik aus dem 17. Jahrhundert ist ein Werk des bekannten Bildhauers Jacques Sarazin. Der mich begleitende Priester wies schmunzelnd darauf hin, dass „seine“ Kirche während der Revolution und der Zeit des Terrors der Jakobiner als Gefängnis gedient hatte und die spätere Kaiserin Josephine als Gemahlin des angeklagten Generals de Beauharnais hier eingesessen war.



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Die geplante Visite der Église Saint-Eustache de Paris – 1. Arrondissement – in unmittelbarer Nähe zum Centre Pompidou – fiel einem sehr natürlichen Umstand zum Opfer: der umfassenden Restaurierung des Bauwerkes. Also zurück über die Seine in die Nähe der Sorbonne, in den 5. Bezirk, zur Église Saint-Séverin de Paris, einem Muss für Liebhaber gotischer farbiger Glasfenster, wir wir sie vom Erfurter Dom und der Marienkirche in Frankfurt an der Oder kennen und bewundern. Aus dem 15. Jahrhundert stammt auch diese Glasarbeit:

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Eindeutig die Zuordnung zur Heiligen Madeleine und dem mittelalterlichen Bezug zur Provence:

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Auch äußerlich ein beeindruckendes Beispiel der Kirchenarchitektur von Paris:

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St. Sulpice

Aus dem Studentenviertel nun zum letzten Kirchenbeispiel: nach Monaten zum zweiten Mal zu St. Sulpice – bekannt durch den Spielfilm „Da Vinci Code“. Nur durch die Hilfe eines „Schlüsselgewaltigen“ durfte ich sie sehen:



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In einer abgeschlossenen, halbdunklen Kammer, der Chapelle du péristyle …
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„L’Apparition du Christ à la Madeleine“, 1705, Cl.-G. Hallé

Wie zu erwarten in St.Sulpice, trotz des ungewöhnlichen Ortes, eine bemerkenswerte künstlerische Arbeit – wiederum keine Eremitin, eine büßende Sünderin, sondern eine Verklärung der Auferstehungsszene, deren Zeugin Maria Magdalena im biblischen neuestamentarischen Verständnis gewesen sein soll. Mir kam in jener Kapelle Heinrich von Kleist in den Sinn, der im Gedicht „Der Engel am Grabe des Herrn“ (Phöbus. Ein Journal für die Kunst.1808) der Maria Magdalena eine sehr moderne, daher zeitlose, aktive Gestalt verlieh.

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Es sollte ein kurzer Spaziergang im Quartier Latin werden – von St. Sulpice zu St. Étienne du Mont – es wurden vielfache Erlebnisse und Begegnungen der besonderen Art. Der unscheinbare Funktionsbau der Eingangssituation zum Museum CLUNY versprach eine Kaffeepause.



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Das Museum stand auf meiner Wunschliste, aber nicht unter den ersten fünf Prioritäten. Ein Objekt war mir den Vorbereitungen aufgefallen – eine mittelalterliche Figur, eine Holzplasik, im Katalog detailliert beschrieben: À l’origine éclatante de couleur, décapée et teintée au 19e siècle, cette figure de Marie-Madeleine a bénéficié d’un récent décirage. Seuls d’infimes vestiges de cette polychromie permettent de reconstituer la coloration rouge et bleue de sa robe.  Son exécution témoigne du savoir-faire du sculpteur, maître dans le rendu des vêtements et de la coiffure, inspirés des modes de son temps. L’élégant et complexe entrecroisement des nattes font de cette statue l’une des plus célèbres représentations de la pécheresse repentie élevée au rang de sainte.    Acquise en 1850.

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Maria Magdalena, Brüssel, 4. Quartal des 15. Jahrhunderts

Die „nattes“ – geflochtene Zöpfe aus natürlichem Haar – majestätisch und doch charakteristisch für ein Mädchen aus dem Volke. Der Stil „flamboyant“, also spätgotisch, Nordfrankreich und Niederrhein – überwältigend schön die Holzarbeiten im Musée de Cluny, eingefärbt, als Altarschnitzereien und alleinstehende Skulpturen:



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Nordfrankreich um 1520-1530
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BEAUVAIS, um 1510-1520
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Martha, die „Gegenspielerin“ der Maria Magdalena im Neuen Testament
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Kreuzabnahme Jesu, Antwerpen, 1515-1520
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Maria Magdalena,
die reuige Büßerin mit den Kennzeichen der Sünden -Luxus, Kleidung, Schmuck
Niederhein um 1520
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Die Säle – zum Verirren verlockend
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Sainte Madeleine am Fuß des Kreuzes
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Diesmal keine Plastik, sondern eine Pietà (Öl auf Holz) aus der Gegend der Rhone-Mündung, Mitte des XV. Jahrhunderts, zur Zeit des großen Königs René, einem der gekrönten Verehrer der Heiligen
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… und wieder Holz: Madeleine mit Salbengefäß (sehr auffällige umfassende Vergoldung) Altarflügel, Niederrhein um 1483
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Altarflügel rechts oben, Madeleine mit Attribut Totenschädel
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Maria Magdalena als Klagende in der Kreuzigungsszene
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Aufgeklappter Altarflügel oben links:
Maria Magdalena ist Zeugin der Auferstehung Jesu

Die Stunden vergingen, CLUNY hat mich geschafft ! Louvre und Orsay müssen verschoben werden – bis bald!

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Maria Magdalena in Berlin:

Der Sprung in die Gegenwart am Hackeschen Markt:

RESUMEE: Die Frau, das EWIG WEIBLICHE : nicht die Gejagte; SONDERN EINE JÄGERIN !!!

Womit wir glücklicherweise beim Ausgangspunkt angelangt sind !!!

Maria Magdalena – die reuige Büßerin – vielfach, allseitig im LOUVRE

Wer meint, in Paris die Bekanntschaft mit der Heiligen Maria Magdalena in der Kirche La Madeleine beginnen zu können, liegt eindeutig falsch.

Hat nur den Namen gemeinsam mit der Heiligen La Madeleine

Erfolgreicher verläuft die Suche aber im Louvre, in seinen großen Häusern, auf den verschiedenen Ebenen und in den weiträumigen Sälen, wenn man sich nur abseits vom MONA LISA orientierten Strom hält.
Da ist es ein Detail, das mich fesselt:

Die „Sünderin“ Maria Magdalena bei der „Kreuzabnahme“ des Leichnams Jesu

Der anonyme Maler aus dem Kölner Raum, genannt „Meister des Heiligen Bartholomäus“, greift bedenkenlos in die Kiste der spätgotischen Attribute der Heiligen Maria Magdalena – und verwendet die Prostitution, die Darbietung der Fleischeslust, als allgemein verständliches malerisches Mittel der Beschreibung der Heiligen. (um 1480-1510)

Hier die Gesamtdarstellung:

Mit dieser Darstellung sind wir schon mitten in der ästhetischen, aber auch religionsgeschichtlichen Debatte um die „wirkliche, echte“ Maria Magdalena: war es die aktive Teilnehmerin (aus gutem Hause) der Gruppe des jüdischen Wanderpredigers Jesus, aus deren Körper er die Dämonen in einer öffentlichen Vorführung vertrieb? Kaum ein Sujet für bildende Künstler !
Oder war es jene Anhängerin des Erlösers Jesu, die während seiner Kreuzigung und der Abnahme des leblosen Körpers in tiefer Trauer am Fuße des Kreuze kniet?
Oder war es jene Frau, erkennbar am Attribut des Salbengefäßes, mehrfach in vielfältigen Varianten gemalt und in Stein oder Holz geformt, die am Ostersonntag-Morgen mit den anderen beiden Marien zur steinernen Grabhöhle kommt, um die Leiche mit duftenden Essenzen zu salben und die den Erlöser am leeren Grab als Erste entdeckte und seine Weisung NOLI ME TANGERE ! erschreckt entgegennehme musste?

Beginnen wir den Rundgang mit ihr: „Sainte Marie-Madeleine, tenant un vase à parfum, Lorraine, 1400-1430“ („Pierre calcaire, traces de polychromie et de dorure“) Diese Skulptur gehörte vermutlich zu einer Gruppe trauernder Frauen aus den neutestamentalischen Szenen der Grablegung und der Auferstehung, ein Theam in jener Periode des 15. und 16. Jahrhunderts weit verbreitet.

Das Ölbild „La Pietà de Villeneuve-lès-Avignon“ des Malers Enguerrand Quarton, vermutlich aus dem Jahre 1455 besticht durch seine üppige Verwendung von Gold und – als Altarbild – auf Holz des in der Provence heimischen Walnussbaumes präsentiert.

Die heilige Madeleine als Trauernde wird nicht nur durch das Attribut des Salbengefäßes, sondern zusätzlich durch den Namenszug im Heiligenschein den Gläubigen vorgestellt.

Diese Madeleine – ebenfalls auf Holz – stammt aus der Region von Antwerpen, repräsentiert den Übergang von der Spätgotik zur Frührenaissance in Nordeuropa (um 1520 – 1525). Die Heilige zeigt durch Kleidung und Schmuck, dass sie zur bürgerlichen Oberschicht gehört anmutig, Sympathie ausstrahlend lädt sie die Betrachter ein, sich den Inhalt der geöffneten Salbenbüchse anzusehen.

Quentin Metsys, Sainte Madeleine

Eine historisch späte „Sünderin“, bereuend, verklärten Blickes – kirchengeschichtlich „beschwert“ durch die zusätzlichen Attribute des Totenschädels und des Buches, Hinweise auf die in die Biographie eingefügten Jahre des daseisn als Eremitin.

Guy Francois, Sainte Marie Madeleine pénitente, um 1620-1630

Dazwischen eine Renaissance-Darstellung aus Norditalien (Venetien): die Heilige Maria Magdalena gemeinam mit Junfrau Maria und Johannes dem Täufer vor einer naturalistischen Landschaft und venezianischer Architektur. Das Attribut des Salbengefäßes ist deutlich sichtbar, es fehlen die sonst üblichen Hinweise auf die Reue der Sünderin und die Jahre als Einsiedlerin in der Wüste.

Giovanni Battista CIMA, genannt CIMA DA CONEGLIANO, La Vierge et l’Enfant Jésus entre saint Jean Baptiste et sainte Maria-Madeleine, um 1511-1513

Als vorletztes Beispiel der Vielfalt der ästhetischen Interpretationsmöglichkeiten der Figur der heiligen Madeleine in der bildenden Kunst – damals in der klassischen Periode (um 1800) noch naiv betitelt : „Portrait d’une négresse“. Die Künstlerin – Maria-Guillemine Benoist – Schülerin der bekannten Élisabeth Vigée-Lebrun und Mitarbeiterin des großen Jacques-Louis David – verstand ihr Werk als aktiven, humanistischen Beitrag zur Durchsetzung der Menschen- (und Frauen-) Rechte, zur Abschaffung der Sklaverei. Damit wurde sie und besonders mit diesem Bild, erstmals gezeigt im PARISER SALON von 1800, zur Vorkämpferin der aktuellen feministischen Bewegung unter dem Banner der Madeleine !

Zum Abschluss meines privaten Rundganges im Louvre – müde, durstig, ästhetisch gesättigt: im DENON-Flügel, Niveau -1, Saal 169: eine Version der Maria Magdalena aus dem Deutschland Albrecht Dürers (im Glaskasten) – aus einem Augsburger Dominikaner-Kloster.

Erhart, GregorPays Germaniques et de l’Europe de l’Est, Musée du Louvre, Département des Sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des temps modernes, RF 1338 – https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010093565https://collections.louvre.fr/CGU

Die Heilige, wie sie uns nach den Jahrzehnten der ägyptischen Einsiedelei entgegentritt: entblößt von allem bürgerlichen Luxus, die zu Lumpen gewordenen Kleider abgeworfen und den noch makellosen Körper verhüllt durch das natürliche Haupt- und Körperhaar! – ein Wunsch-Sujet des Renaissance-Künstlers.
Nach der nötigen Pause zur Erholung – Monate werden vergehen, um Kraft zu schöpfen für die Museen d’Orsay, Moreau etc.
À tantot !