Wer meint, in Paris die Bekanntschaft mit der Heiligen Maria Magdalena in der Kirche La Madeleine beginnen zu können, liegt eindeutig falsch.

Erfolgreicher verläuft die Suche aber im Louvre, in seinen großen Häusern, auf den verschiedenen Ebenen und in den weiträumigen Sälen, wenn man sich nur abseits vom MONA LISA orientierten Strom hält.
Da ist es ein Detail, das mich fesselt:

Der anonyme Maler aus dem Kölner Raum, genannt „Meister des Heiligen Bartholomäus“, greift bedenkenlos in die Kiste der spätgotischen Attribute der Heiligen Maria Magdalena – und verwendet die Prostitution, die Darbietung der Fleischeslust, als allgemein verständliches malerisches Mittel der Beschreibung der Heiligen. (um 1480-1510)
Hier die Gesamtdarstellung:

Mit dieser Darstellung sind wir schon mitten in der ästhetischen, aber auch religionsgeschichtlichen Debatte um die „wirkliche, echte“ Maria Magdalena: war es die aktive Teilnehmerin (aus gutem Hause) der Gruppe des jüdischen Wanderpredigers Jesus, aus deren Körper er die Dämonen in einer öffentlichen Vorführung vertrieb? Kaum ein Sujet für bildende Künstler !
Oder war es jene Anhängerin des Erlösers Jesu, die während seiner Kreuzigung und der Abnahme des leblosen Körpers in tiefer Trauer am Fuße des Kreuze kniet?
Oder war es jene Frau, erkennbar am Attribut des Salbengefäßes, mehrfach in vielfältigen Varianten gemalt und in Stein oder Holz geformt, die am Ostersonntag-Morgen mit den anderen beiden Marien zur steinernen Grabhöhle kommt, um die Leiche mit duftenden Essenzen zu salben und die den Erlöser am leeren Grab als Erste entdeckte und seine Weisung NOLI ME TANGERE ! erschreckt entgegennehme musste?
Beginnen wir den Rundgang mit ihr: „Sainte Marie-Madeleine, tenant un vase à parfum, Lorraine, 1400-1430“ („Pierre calcaire, traces de polychromie et de dorure“) Diese Skulptur gehörte vermutlich zu einer Gruppe trauernder Frauen aus den neutestamentalischen Szenen der Grablegung und der Auferstehung, ein Theam in jener Periode des 15. und 16. Jahrhunderts weit verbreitet.

Das Ölbild „La Pietà de Villeneuve-lès-Avignon“ des Malers Enguerrand Quarton, vermutlich aus dem Jahre 1455 besticht durch seine üppige Verwendung von Gold und – als Altarbild – auf Holz des in der Provence heimischen Walnussbaumes präsentiert.

Diese Madeleine – ebenfalls auf Holz – stammt aus der Region von Antwerpen, repräsentiert den Übergang von der Spätgotik zur Frührenaissance in Nordeuropa (um 1520 – 1525). Die Heilige zeigt durch Kleidung und Schmuck, dass sie zur bürgerlichen Oberschicht gehört anmutig, Sympathie ausstrahlend lädt sie die Betrachter ein, sich den Inhalt der geöffneten Salbenbüchse anzusehen.

Eine historisch späte „Sünderin“, bereuend, verklärten Blickes – kirchengeschichtlich „beschwert“ durch die zusätzlichen Attribute des Totenschädels und des Buches, Hinweise auf die in die Biographie eingefügten Jahre des daseisn als Eremitin.

Dazwischen eine Renaissance-Darstellung aus Norditalien (Venetien): die Heilige Maria Magdalena gemeinam mit Junfrau Maria und Johannes dem Täufer vor einer naturalistischen Landschaft und venezianischer Architektur. Das Attribut des Salbengefäßes ist deutlich sichtbar, es fehlen die sonst üblichen Hinweise auf die Reue der Sünderin und die Jahre als Einsiedlerin in der Wüste.

Als vorletztes Beispiel der Vielfalt der ästhetischen Interpretationsmöglichkeiten der Figur der heiligen Madeleine in der bildenden Kunst – damals in der klassischen Periode (um 1800) noch naiv betitelt : „Portrait d’une négresse“. Die Künstlerin – Maria-Guillemine Benoist – Schülerin der bekannten Élisabeth Vigée-Lebrun und Mitarbeiterin des großen Jacques-Louis David – verstand ihr Werk als aktiven, humanistischen Beitrag zur Durchsetzung der Menschen- (und Frauen-) Rechte, zur Abschaffung der Sklaverei. Damit wurde sie und besonders mit diesem Bild, erstmals gezeigt im PARISER SALON von 1800, zur Vorkämpferin der aktuellen feministischen Bewegung unter dem Banner der Madeleine !

Zum Abschluss meines privaten Rundganges im Louvre – müde, durstig, ästhetisch gesättigt: im DENON-Flügel, Niveau -1, Saal 169: eine Version der Maria Magdalena aus dem Deutschland Albrecht Dürers (im Glaskasten) – aus einem Augsburger Dominikaner-Kloster.

Die Heilige, wie sie uns nach den Jahrzehnten der ägyptischen Einsiedelei entgegentritt: entblößt von allem bürgerlichen Luxus, die zu Lumpen gewordenen Kleider abgeworfen und den noch makellosen Körper verhüllt durch das natürliche Haupt- und Körperhaar! – ein Wunsch-Sujet des Renaissance-Künstlers.
Nach der nötigen Pause zur Erholung – Monate werden vergehen, um Kraft zu schöpfen für die Museen d’Orsay, Moreau etc.
À tantot !