Folge 8 Aufs Pferd Kameraden !
Über Nacht ist es Winter geworden in Thüringen. Ich stehe neben dem Schreibtisch und dem mit voller Kraft arbeitenden Heizkörper und sehe durch die Dachluke auf den verschneiten Schlosspark. Der See beginnt zuzufrieren, eine Besonderheit der letzten Jahrzehnte. Die Eltern hatten Mühe, für die jubelnden und drängelnden Kinder in den Kellern die Schlitten und Schlittschuhe zu finden. Matsch und Regen hatten ansonsten diese Jahreszeit geprägt. Nun aber endlich wieder ein echter Winter-Januar mit eisigem Wind, Neuschnee jede Nacht, auch zugefrorener Saale. Ich wende meinen Blick zurück in die warme Dachstube des Saalfelder Schlosses herunter auf meine zwölf sauber sortierten Papierstapel und auf die Schachtel mit den Zetteln, die auf den ersten Blick thematisch oder chronologisch nicht zuzuordnen sind.
Chronologisch stecken wir immer noch in der Königl.-preuß. Residenz Berlin, in den frühen siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Heinrich von Kleist ist noch nicht geboren, als der junge Theologe Josias Friedrich Christian Löffler die königlich preußische Residenz Berlin während eines Besuches zu Ostern 1774 kennenlernt. Er findet er in Berlin sofort Kontakte zu führenden Kirchenpolitikern wie Teller und Spalding, die ihm Tätigkeiten als Privatlehrer in adligen Offiziers- und Patrizierhäusern vermitteln. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums siedelt er Ende 1776 endgültig nach Berlin über – der Residenz der preußischen Könige, dem Sitz der Akademie der Wissenschaften, des Oberkonsistoriums für die protestantisch-lutherischen Kirchgemeinden.

Johann Georg Rosenberg, 1780, gewidmet Daniel Itzig (1722-1799), Bankier und Oberältester der preußischen Judenschaft
Er ist 24 Jahre jung, als er zu Weihnachten 1776 sein Amt als Prediger an der Hausvoigtey-Kirche antritt, verbunden mit der lutherischen Predigerstelle an der Charité. An das „lutherisch“ muss deshalb erinnert werden, weil sich die königliche Einrichtung der Charité den Luxus von zwei Predigerstellen leisten konnte, neben der für die lutherischen Ärzte und Patienten auch eine für diejenigen reformierten Glaubens. Bei einem vorigen Besuch zu Ostern des Jahres 1774 hatte Josias Löffler durch Vermittlung seiner Hallischen Professoren bedeutende Kirchenpolitiker und Theologen und andere Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Berlins kennengelernt, so u.a. die Oberkonsistorialräte Teller und Spalding, die Literaten und Verleger Friedrich Nicolai, Anton Friedrich Büsching und Friedrich Gedike, möglicherweise auch den Verleger Frommann und den Theologen Gotthilf Samuel Steinbart in Züllichau. So ist er schon zu Beginn seiner Tätigkeit im Netz der kulturellen Elite der Hauptstadt und ihrer märkischen Umgebung wohl aufgehoben, man vermittelt ihm zusätzlich zu den Predigerstellen gut dotierte Tätigkeiten als Privatlehrer in den Häusern der Militärs, Politiker, Kaufleute. Für die Mitgliedschaft in dem renommierten Zusammenschluss der Hauptvertreter der Berliner Aufklärung, der Mittwochsgesellschaft (wie Gedike, Nicolai, Biester) ist er aber wohl noch zu neu, noch nicht fest genug verankert im wirtschaftlichen, kulturpolitischen und wissenschaftlichen Einflussgeflecht der preußischen Hauptstadt.
Berlin wird seine Wirkungsstätte, seine kulturelle und persönliche Heimat für sechs Jahre bleiben – unterbrochen nur durch den Einsatz als königlich preußischer Feldprediger 1778/79.
Hinsichtlich der politischen Kontakte kann man wohl nicht fehlgehen, wenn man über die Bekanntschaft mit Gedike auch Beziehungen zu dessen engem Freund Johann Erich Biester, dem Staatssekretär und persönlichen Berater des Ministers Zedlitz und damit zum Vorzimmer des Königs voraussetzen kann. Damit steht Löffler vermutlich schon in dieser ersten Periode seiner akademischen und kirchlichen Laufbahn im Gesichtskreis des Chefs des Departments, des schlesischen Freiherrn Karl Abraham von Zedlitz und Leipe.
Löffler ist ein praktischer Charakter, gemeinsam mit Philipp Julius Lieberkühn (1754 – 1788) und Johann Stuve (1752 – 1793), seinen Studienfreunden aus der Hallischen Periode, nimmt er teil an Planungen der Neuorganisation und Reform der Latein-Schule in Neuruppin, zu deren Direktoren seine beiden Freunde 1777 berufen worden waren.

Die Herausgeber der biographischen Notizen von 1817 bemerken, dass Löffler des Neuruppiner Unternehmen seiner Freunde nach dem Abschluss ihres Studiums nicht nur mit Sympathie verfolgt, sondern auch aktiv unterstützt hat: „die Angelegenheiten der Ruppinschen Schule, deren Wiederhersteller und Verbesserer seine Freunde, Lieberkühn und Stuve, geworden waren, forderten ebenfalls einen Theil seiner Mußestunden.“ (Kleine Schriften, Bd. I, S.VIII/IX)

Sie verweisen auf eine dieser Aktivitäten – eine Unterredung in Potsdam mit dem Generalleutnant von Prittwitz, dessen Sohn er Privatunterricht gab, mit der Bitte um Rat und Unterstützung beim König wegen eines Gesuches der Schule bei der preußischen Majestät. (S. VIII ff) Im handschriftlichen Manuskript dazu, eingebettet in seine eigenen kritischen Erinnerungen an jene Berliner Jahre: (Bl. 4 f)
„Mit dem ersten Tage des Jahres 1777 trat er sein Amt als Prediger an. Ungern hatte er seinen Plan sich dem Lehramt in einer Schule zu widmen, aufgegeben oder vielmehr er glaubte die Ausführung desselben nur verschoben zu haben und hatte sich zur Übernehmung dieser Stelle um so mehr entschlossen als damit keine besondere Seelsorge verbunden war.
Seine Nebenstunden widmete er theils der Uebersetzung des berühmten Buches des Souverain Du Platonisme devoilé, theils dem in Verbindung mit mehreren jüngeren Gelehrten in Berlin auszuführenden Vorhaben, eine gelehrte Zeitung zu schreiben, zu welcher er Plan und Ankündigung ausarbeitete. Allein die Ausführung unterblieb, . . .
Theils die Unterweisung mehrerer jungen Herrn vom Stande in der lateinischen Literatur, theils die Angelegenheiten der Ruppinschen Schule, deren Wiederhersteller und Verbesserer seiner Freunde Lieberkühn und Struve geworden waren forderten ebenfalls einen Theil seiner Mußestunden.
Durch diese beyden letzteren Beschäftigungen wurde er dem jetzigen Generalleutnant und Ritter des Schwarzen Adlerordens dem Herrn von Prittwitz bekannt, dessen Sohn er unterrichtete und an den er sich wendete, als sich dieser in Potsdam bey dem König Friedrich II. aufhielt, ihn um Rath und um Unterstützung wegen eines Gesuches, welches die Ruppinsche Schule an den König thun wollte, zu bitten.“
Edda springt auf, öffnet die oberste der Schubäden ihres Tische und präsentiert triumphierend ein Foto :

Das ist eine Zeichnung Menzels, rufe ich überrascht aus, warum kenne ich sie nicht ? – Weil sie kaum publiziert wurde, Chef, und Sie vermutlich Jahrzehnte nicht das Berliner Kupferstichkabinett besucht haben ! Ich dagegen hatte Glück, ein kunsthistorisch beflissener Freund zeigte mir das gute Stück in einer Fensternische des Museumskomplexes am Potsdamer Platz und riet mir zu einem heimlichen Foto! Deshalb ist die Qualität nicht die beste, aber für unser Verständnis der Biographie Löfflers ausreichend. Oder nicht ? – Der damalige Freund wies vor allem auf das Menschliche, Väterliche im Gesicht des Generals hin, was und ja entgegen kommt. Menzel hat höchstpersönlich die persönlichen und militärhistorischen Daten des Herrn rechts an die Blattkante platziert: „Joachim Bernhard von Prittwitz, General d. Cavallerie, Inspecteur der märkischen Cav., Chef d. Gensdarmen“. Der linken Blattkante ist zu entnehmen, dass der General Träger de Schwarzen Adlerordens und des Ordens Pour le mérite war.
Ich beglückwünsche Edda zu diesen bedeutenden Erkenntnisssen. Da wir nun schon bei Herrn von Prittwitz angelangt wären, sollten wir ohne Verzug die Themen und Papire aufgreifen, die mit der unmittelbaren Vorbereitung des Feldzuges 1778/79 gegen Österreich zusammenhängen.
Da wird nun aus dem freundlichen, väterlichen Gesicht der in strahlenden Farben uniformierte Krieger von Prittwitz im Kreis um seinen König.

Lassen wir nun wieder Josias Löffler in seinen Lebenserinnerungen selbst sprechen (Bl. 4-6):
„Als nun in dem folgenden Jahr 1778 der Bayerische Erbfolgekrieg auszubrechen schien und der damalige Prediger der Königlichen Gensd’armen, Herr Lachmann (jetzt Instruktor und Oberpfarrer zu Prenzlau in der Uckermark), welcher bereits einen großen Theil des siebenjährigen Krieges hindurch dieses Corps als Prediger begleitet hatte, den Ermüdungen und der herumziehenden Lebensart eines Feldzuges sich nicht zum zweyten Mal aussetzen wollte, und seine Entlassung verlangte. So ließ ihn der damalige kommandierende General der Gensd’armes diese Stelle antragen. So sehr dieser Antrag seinem Plan sich den Wissenschaften und dem Lehramt zu widmen, entgegen war, indem er ganz von der Literatur abzog, so empfahl er sich ihm doch auch andere Seiten, einmal durch die Menge von neuen Erfahrungen zu machen, die ihm nur so die neue Lebensart darbot und dadurch daß er als Feldprediger noch weiter eine neue Lebensart sich erweisen könnte.
Er entschloß sich und ging im April des Jahres 1778 nach Schlesien und begleitete das Regiment hier bis zu dem Frieden, welcher dann geschloßen wurde.“

Als Edda aus ihrer Militaria-Sammlung diesen Trompeter zu Pferde auswählt und dazu einen berittenen Feldprediger präsentiert, überrascht sie mich doch mit einer epochalen Frage: – Chef, konnte unser Josias überhaupt reiten?

Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 31. Juli 2023
(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)
Für Interessenten:
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