Folge 9 „Heute habe ich geweint, Freund“
Es ist früher dunkler Wintermorgen, meine mir zugeteilte zeitweilige Mitarbeiterin Edda hat sich den Vormittag für private Angelegenheiten (wie sie meint „Grippe-Prophylaktisch“) frei genommen. So kann ich ungestört in der Geschichte, in den Lebensläufen des Leutnants und Dichters Heinrich von Kleist (aus dem märkischen Frankfurt an der Oder, gestorben bei Berlin) und des Theologen und Generalsuperintendenten Josia Löffler (aus dem thüringischen Saalfeld, gestorben im Herzogtum Gotha) promenieren.
Thema des Tages: Wie kam Josias Löffler 1778 in die Position des Feldpredigers der königl.preuß. Armee am Vorabend des Krieges gegen Österreich?

Ich nehme die Frage nach den Reitkünsten unseres Theologen Josias aus der letzten Folge auf, erfreue mich an Menzels Zeichnungen zur Biographie des großen Friedrich und setze die Suche nach der Antwort im handschriftlichen Lebenslauf des Josias Löffler – Blatt 5 – fort. Die letzten Zeilen: „Hierauf kehrte er mit dem Regiment 1779 nach Berlin zurück. Hier widmete er sich, bey einem sehr leichten und geschäftsfreyen Amte, bey dem er oft bedauerte, daß es ihm nicht mehr bestimmte Arbeiten auflegte (weil es einem jungen Manne, zumal in der Hauptstadt, zu schwer sey, ohne äußerliche Veranlassungen und Nöthigungen, sich selbst auf eine befriedigende Art zu beschäftigen) theils dem Unterricht junger Leute in der alten Litteratur, theils der Aufholung dessen, was er während des Jahres, in welchem er von der Litteratur ganz getrennt war, versäumt hatte . . .“ Nichts über das Reiten, weder im ersten Teil noch in den hier zitierten Nachtrag, aber wir können voraussetzen, dass dieser Unterricht wie das Fechten zur Ausbildung an den damaligen Universitäten gehörte – vielleicht auch gegen gutes Geld beim Privatlehrer!

Neben dem Reiten und Fechten wird auch das Campieren im Zelt – auf spartanisch militärische Art – auf dem Programm zur Vorbereitung des künftigen Feldpredigers gestanden haben. Ganz sicher wird die Marschausrüstung eines lutherischen Feldpredigers der Preußisch-Königlichen Armee bescheidener als die der Majestät gewesen sein – geschleppt, in Train-Wagen oder Schlitten verpackt durch den Diener, den „Burschen“.

Aber zurück zum Thema des Tages ! Wie verlief nun jener Prozeß der „Einberufung“ des Theoretikers und Privatlehrers Josias Löffler zum Berliner Kürassier-Regiment der Gens d’armes?
Vor Weihnachten hatte ich mir vorgenommen, das Bündel der Nachlaß-Papiere des Josias Löffler nochmals nach jenem Tagebuch durchzublättern, auf das sich Vermutungen verschiedene Artikelschreiber der letzten Jahrzehnte bezogen hatten – ein Tagebuch über seinen Einsatz in einem preußischen Kavallerie-Regiment als Feldprediger. Vor allem jene Passagen interessierten mich, die sich auf Schlesien bezogen und auf die Sekte der Herrnhuter. Die Vermutungen jener Autoren waren so weit gegangen, die den Kirchenhistorikern bekannten Orte Gnadenberg und Gnadenfeld zu erwähnen mit dem Hinweis auf mögliche Besuche Löfflers in diesen Orten während des Feldzuges 1778/79.
Ich hatte zwar bisher neben einigen Skizzen zu Militärfragen und privaten Notizen zu Kriegen in Deutschland seit dem seligen Cherusker-Arminius auch ein Tagebuch aus dieser jüngsten Periode aus der Zeit des großen Friedrich im Konvolut gefunden – die Schrift manchmal kaum leserlich – aber es handelte von einer Reise zu Fuß, zu Pferd und in der Kutsche nach Frankfurt an der Oder und nach Krossen jenseits der Oder, da hatte ich aufgehört mit dem Lesen, das war nicht das, was ich suchte. Und chronologisch passte dazu besser ein auf Vorder- und Rückseite eng beschriebenes Blatt, datiert vom 15. August 1778, das ich für eine spätere Untersuchung ans Ende des Tagebuchs einordnete, das in Klammern die provisorische Überschrift „Der Prinz“ trug.
Heute morgen aber, als ich jenes Tagebuch nochmals in die Hand nahm, wird mir klar, welchem Irrtum ich aufgesessen war. Ich schlage das Blatt mit der Beschreibung der Stadt Krossen auf, versuche mich wieder einzulesen in jene Krakel, die ein privates Tagebuch im Unterschied zu einem offiziellen Dokument mit seinem säuberlich ausgemalten Buchstaben der Kanzleikopisten aufweist. Heute auch kann ich nun endlich jenen Verweis auf den schlimmen Stadtbrand von Krossen 1708 dechiffrieren, der mir damals entgangen war. Ich kannte den Zusammenhang zwischen dem Brand, den am Hofe in Berlin verprassten Versicherungsgeldern und dem nach der Aufdeckung des Skandals erfolgten Sturz 1710 von zwei Ministern des Königs und sogar des Premierministers aus einer studentischen Studie über den Grafen von Hacke und seine Verwandtschaft zu Herrn von Creutz, aber das gehört nicht hierher. Auch die Affären der königlichen Mätresse Katharina muss ich leider heute aussparen – aber eine zeitgenössische Schlüter-Zeichnung sind mir doch meine Leser wert:

Creutz, der im Auftrag des Kronprinzen Friedrich Wilhelm 1710 als Geheimsekretär an der Aufdeckung der Korruption und am Sturz der Clique um jene Katharina aktiv beteiligt war, war Absolvent der Viadrina. Vielleicht findet sich in den Arbeiten zur Viadrina ein Beleg über diesen Geheimsekretär und späteren Chef des Generaldirektoriums unter Friedrich Wilhelm I.

Ich trommele vor Freude mit den Stiefelabsätzen auf den Boden – da sind sie, die Zeilen, über die ich damals beim Lesen nicht weitergekommen war, jener Satz, der die Abreise aus Krossen beschreibt in Richtung Süden, in Richtung Schlesien. Das hatte ich damals überlesen. Nun wird mir klar: Löffler war auf dem Wege zum Regiment, zum Kriegseinsatz für seinen König. Seine Order sagte vermutlich nichts über den Weg, auf dem er sich zum Regiment zu begeben hatte. Er hatte Zeit, er konnte sich ausgiebig auf der Reise informieren über die Orte, die am Wege lagen: Frankfurt an der Oder, Krossen an der Warthe, die Grenze der Neumark zu Schlesien.
Ich beginne heute das Tagebuch ganz anders zu lesen. Es ist eine Sammlung von Notizen eines Menschen, dessen Ambitionen im Geistigen, in der Theorie, in der Reflektion, dessen Träume im Pädagogischen lagen und nicht im Militärischen; ihn interessierten die Personen der Pfarrer in den Dörfern und Kleinstädten am Wege, die Kirchen und ihre Bibliotheken, die Buchhandlungen. Jetzt ist mir auch klar, weshalb er solche Mühe hatte, in Frankfurt ein Quartier zu finden – sein Regiment lag nicht mehr in Frankfurt, sondern war schon weitermarschiert. Andere Regimenter des Heeres unter dem Kommando eines königlichen Prinzen hatte der Generalstab (damals Generalquartiermeisterstab genannt) in Frankfurt mehrere Nächte untergebracht und sie hatten alle verfügbaren Quartiere belegt. Löffler war spontan ohne Order in diese Stadt gekommen, die später so bedeutsam für seinen Lebenslauf werden sollte und er war froh, außerhalb der Stadt auf dem flachen Lande, wie er formulierte, bei einem Dorfpfarrer unterzukommen. Mir ist inzwischen auch klar, dass ich das Tagebuch nicht als Chronologie, als Abriss eines Militärhistorikers zu verstehen habe, sondern eines genauen Beobachters geistiger Prozesse, der Gefühle und Stmmungen der Menschen, dem die Chancen, die ihm der königlich-preußische Feldprediger-Posten bot, sehr entgegen kamen zur Vervollkommnung seiner theologischen und historischen Studien . . .
Und wieder einmal muss ich mich bei meinen treuen Lesern dafür entschuldigen, dass ich vom Thema abgewichen bin – denn was ich im „Kriegstagebuch“ nicht finde, sind Hinweise Löfflers darauf, wie er 1778 in diese militärische Position des Feldpredigers berufen wurde. Aus anderen Quellen ergeben sich aber detaillierte Belege: dass ein abgeschlossenes Theologiestudium (einschließlich der Fertigkeiten im Reiten !) an der Friedrichs Universität Halle/Saale überhaupt erst die Voraussetzung für eine Feldpredigerstelle im preußischen Heer bildet, ist mir natürlich bekannt, aber nicht jeder Hallesche Absolvent bekommt eine solche Chance, in einem Elite-Regiment zu dienen. Da mussten mehrere Glückssträhnen sich kreuzen.
Jene Verknüpfung von Zufälligkeiten, die mit dem Namen Joachim Bernhard von Prittwitz, des Herrn von Quilitz im Oderland, verbunden ist, war schon in der letzten Folge Gegenstand meiner Beschreibung. Knüpfen wir also an diese Genesis des Frühjahres 1778 an: Unter den sich im Nachhinein als sehr förderlich herausstellenden Bekanntschaften des jungen Predigers Löffler in der preußischen Festungs- und Residenzstadt Berlin ist die mit dem königlichen Kavalleriegeneral Joachim Bernhard von Prittwitz (1726-1793), dessen Sohn er Privatunterricht in Latein und Geschichte gibt, für das Jahr 1778 die entscheidende. Das ist wieder ein Glücksfall in seiner Biographie, denn im Frühjahr 1778 – Löffler ist erst wenige Monate in Berlin ansässig – ist Prittwitz in einiger Verlegenheit und findet als Ausweg aus seiner Lage nach ausgiebigen Gesprächen mit seinen Freunden im lutherischen Oberkonsistorialrat den jungen Theologen und Hauslehrer Löffler. Was war geschehen?

König Friedrich II. hatte den Entschluss zu einem neuen Krieg gegen Österreich gefasst und wollte – obwohl schon im reifen Alter von 66 Jahren – selbst an der Spitze seiner Armee reiten.

Dass er die Jahre, die er im Sattel verbracht hatte, wohl fühlte, können wir einem Brief entnehmen, den er schon 1759 seinem Freunde d’Argens schrieb: „Meine Maschine fängt an, aus dem Gange zu kommen, mein Körper ist abgenutzt, mein Geist erlischt und mein Kräfte verlassen mich …“
Deungeachtet inspiziert Majestät wie vor jedem Ausritt in den Krieg die Regimenter in Potsdam, am Ufer der Havel hinter dem Stadtschloss. Die visuellen Charakteristika des 10. Kürassier-Regiments, der in Berlin stationierten Gens d’armes, die Josias Löffler sich nun einprägt – sie werden für eine unbestimmte Zeit zu seiner „Heimat“:

Der Ruf des Königs hieß für die Garderegimenter zu Fuß und zu Pferde ebenfalls die Mobilmachung, also auch für Prittwitz und seine in der Stadtmitte Berlins kasernierten Kürassiere – die Gens d’armes. Wenn der König ins Feld ritt, mussten seine Elitetruppen mit ihm marschieren und reiten. Für General von Prittwitz Grund zur Freude, konnte er doch auf Ruhm, neue Orden und Ehre hoffen. Jedoch die Verlegenheit tritt ihm am nächsten Tag in Gestalt seines alten Weggefährten, des lutherischen Feldpredigers Lachmann entgegen – der war Jahrzehnte an der Seite seines Königs durch alle Kriege gezogen, fühlte sich aber nun als Fehlbesetzung – auf ihn warteten nicht Ruhm und Ehre, sondern Mühsal, Beschwernisse und Kriegsleid – in seinem Alter! Im Unterschied zum König kann Lachmann jedoch den Abschied einreichen und auf Verständnis der Majestät hoffen. Friedrich hat ein Einsehen und setzt damit den General von Prittwitz in äußerste Verlegenheit – woher so schnell einen Ersatz für eine solche Vertrauensstellung finden?
In den Archiven der Berliner Kirchenverwaltungen findet sich der relevante Briefwechsel, chronologisch beginnend mit dem 29. März 1778, mit einem Schreiben des Genrals von Prittwitz an den Oberkonsistorialrat Spalding. Ich hatte mir die handschriftlichen Texte schicken lassen: Prittwitz ist in Verlegenheit – er erklärt seine Bedrängnis mit dem Versprechen, dass er dem Berliner Prediger und Lehrer Johann Daniel Chemlin (1739-1821), späterer Oberpfarrer und Superintendent, gegeben hatte, bei einer sich bietenden Vakanz ihm die Stelle des Feldpredigers in seinem Kürassierregiment zu geben. Der General erreicht in vertraulichen Gesprächen mit Löffler und Chemlin, dass bei einer Versetzung Löfflers in das Regiment Gens d’armes der Prediger Chemlin die Nachfolge Löfflers als Pfarrer an der Hausvogtei und Charité antritt. Der Briefwechsel von Prittwitz mit Spalding und von Spalding mit seinen Kollegen im Oberkonsistorium sichert diese Personalverschiebungen auf der Ebene der Berliner Kirchenleitung ab, nachdem Spalding in seinen Schreiben an die Kollegen versichert, dass er bei dem Kandidaten Chemlin „die erforderliche theologische Geschicklichkeit voraussetze“.


Auch Ulrich geht in seinen publizierten Briefen „Ueber den Religionszustand in den preußischen Staaten seit der Regierung Friedrichs des Grossen“ … auf diese Situation des Jahres 1778 detailliert ein. (Ueber den Religionszustand in den preußischen Staaten seit der Regierung Friedrichs des Grossen. In einer Reihe von Briefen, Fünfter Band, Leipzig 1780, S. 476f. Vgl auch die kurze Erwähnung – ohne die Nennung des Namens von Chemlin – bei Löffler, Kleine Schriften, Erster Band, S.XI sowie die etwas ausführlichere Darstellung im handschriftlichen Manuskript seiner Lebensbeschreibung– mit Nennung Chemlins.)
Mit Majestäts Billigung verändert sich somit das Leben des Josias F. C. Löffler im Alter von 26 Jahren radikal, so unerwartet wie unerwünscht – er „tritt in eine neue Lebensart ein“, wie er es im Nachhinein auf den Begriff bringt. Aus Briefen Löfflers an seine Freunde in Neuruppin kenne ich die weiteren Abläufe: man schreibt den März 1778 – der Berliner Oberkonsistorialrat Spalding besucht den Prediger Löffler an dessen Arbeitsplatz – der Charité. Er inspiziert das kleine Zimmer im dritten Stock des Krankenhauses hinter dem Spandauer Tor – karg eingerichtet, Bücher wohin man blickt, das schmale zusammenklappbare Feldbett eines Militärchirurgen, ein Stehpult mit Schreibzeug und rotem Siegelwachs, überall heruntergebrannte Kerzen, das Zeichen für harte nächtliche Arbeitsstunden. Spalding war der unmittelbare Dienstvorgesetzte Löfflers und er hatte eine Frage, auf die man nicht mit NEIN antworten konnte, wenn man in Preußen Karriere machen wollte: war Löffler bereit, auf eine gewisse Zeit in einem Regiment des Königs als Feldprediger zu dienen. Das war überraschend, noch mehr aber staunte Löffler, als ihm Spalding den Namen des Regiments nannte – die königlichen Gardekürassiere Gensd’armes, die Elite, in Berlin stationiert unter dem Kommando des Generals von Prittwitz.
Löffler verstand sofort – das war kein willkürlicher Befehl, sondern eine wohlbegründete und wohldurchdachte Entscheidung, die ihm Spalding ausführlich erläuterte. Und Löffler erkannte auch, dass diese Weisung von ganz oben abgenickt war, dass damit ein NEIN ein Affront gegen die Majestät höchstpersönlich wäre – mit allen denkbaren Konsequenzen im Militärstaat Preußen. Spalding erläuterte: Krieg steht ins Haus, Krieg gegen Österreich! Er wisse es von ganz oben!
Das Regiment war seit dem Ende des 17. Jahrhunderts inmitten der Friedrichstadt stationiert – mit Stallungen, Quartieren für die Soldaten und Pferdeknechte.

Die Berliner verwendeten für den Platz nicht den offiziellen Namen „Friedrichstädtischer Markt“, sondern vermutlich wegen des markanten Geruchs der Pferdeställe die Ortsbezeichnung „Gensd’armen-Markt“, fand dort ja auch regelmäßig ein Wochenmarkt statt.
Als Löffler seinen Dienst als lutherischer Feldprediger im Regiment antritt, sind Umzugsaktivitäten von Personal und Pferden in vollem Gange, fast abgeschlossen. Wegen Baufälligkeit waren die Einrichtungen in der Friedrichstadt aufgegeben worden und ein neuer Standort am südlichen Spreeufer in der Nähe der Schiffswerften am „Weidendamm“ oder „Schiffbauerdamm“ angewiesen worden.
Der Auszug des Regiments in den Bayerischen Erbfolgekrieg startet am 10. April 1778 zu ihren Sammelpunkten in Schlesien von diesen neuen Stallungen – Erdgeschoss für die Pferde, Obergeschoss für Mannschaften und Futter. Die verlassenen und verfallenen Gebäude in der Friedrichstadt werden meistbietend versteigert und angebrochen, wie die Spenersche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 11. Juli 1778 meldet.
In dieser Periode hat das Regiment eine Stärke von etwa 1150 Mann, dazu kommen nochmals etwa 700 Personen „Anhang“. Das ist Löfflers „Gemeinde“, seine neue „Heimat“. Eine Rangliste vom Januar 1779 verzeichnet 39 Personen darunter als Offiziere: 1 Generalmajor als Kommandeur (v. Prittwitz), 5 Majore, 4 Rittmeister, 5 Stabsrittmeister, 11 Leutnants, 13 Kornetts und Fahnenjunker.
Regimentskommandeur Generalmajor v. Prittwitz erhielt mit Kriegsbeginn den Oberbefehl über eine Brigade der I. Armeegruppe, die unmittelbar dem König unterstellt war und zu der neben den Gensd’armes drei Schwadronen Garde-du-corps und das Regiment der Pannewitz-Kürassiere gehörten.
Beim Auszug des Regiments zu den Sammelpunkten in Schlesien, reiten die Offiziere an der Spitze ihrer Einheiten, aber Feldprediger Löffler ist nicht Teil der geschlossenen Formation, er war unabhängig vom königlichen Heer „in Gesellschaft einiger Freunde“ zu einem Treffpunkt mit der Armee vermutlich in Schlesien ab 21. April 1778 unterwegs. Glücklicherweise haben sich handschriftliche Notizen über diese Reise im Nachlass des Frommann-Verlag erhalten.
Für mich als Archivar sind die handschriftlichen Aufzeichnungen Löfflers aus der Zeit zwischen April 1778 und April 1779 nur auf den ersten Blick ein für den eigenen Gebrauch angelegtes Tagebuch, sie erweisen sich nach gründlicher Untersuchung als eine Sammlung von Briefstellen, religions- und kirchengeschichtlichen Betrachtungen zu den Ansiedlungen der „Brüdergemeinden“ in Schlesien, der Reformierten und der Nachfahren der Hussiten, Landschaftsbeschreibungen, darunter auch Notizen über Märsche seines Regiments, zu Gesprächen mit Offizieren, zu dem durch den Krieg verursachten Leid und Elend der Zivilbevölkerung in Böhmen und Schlesien.
Was uns Heutigen besonders imponiert in diesen Notizen Löfflers, ist seine unbedingte Haltung der Toleranz! Er bemüht sich um Verständnis für die Motive, für die besonderen Details der Liturgie der „sektiererischen Gemeinden“ der Herrnhuter, deren Gebäude und Ortsplanungen, die Gestaltung ihrer Friedhöfe und Begräbnisrituale.

Hier aber, im Konvolut der von Josias Löffler selbst ausgewählten Papiere findet sich nur eine, etwas längere Passage, die er wohl getrennt vom allgemeinen Tagebuch aufbewahrt hatte und der er den Arbeitstitel „Der Prinz“ gab. Der Grund für Löfflers fast geheimen Umgang mit jenem Papier liegt vermutlich im Bezug zu der Person, die er heraushebt aus der Gruppe der preußischen Offiziere, denen er in den Monaten des Feldzuges begegnet ist. Das Papier lokalisiert jene Begegnung im Sommer 1778 in einem Lager im Grenzgebiet zu Böhmens zu Schlesien, in der Nähe von Skalitz auf dem Wege von Glatz nach Königsgrätz.
Den Text muss man wortgetreu in sich aufnehmen: „Nacht 14. zum 15. August. Nachdem ich mich gegen Mitternacht von der tapfer weiter zechenden Runde der hohen Offiziere verabschiedet hatte, trabte ich im Schein des Halbmondes entlang des durch bewaffnete Posten mit Fackeln beleuchteten Pfad in Richtung meines Zeltes. Ich traute für einen Moment meinen Augen nicht – vor mir ein noch langsamerer Reiter in Offizierskleidung, ohne Begleiter, vermutlich in Gedanken vertieft, geduckt, zusammengesunken im Sattel hockend. Ich ritt heran – es war ein junger Oberst aus der Begleitung des Prinzen Heinrich, in diese Runde möglicherweis aus Versehen gelandet, er hatte sich nicht an der Unterhaltung der Generale beteiligt, war den ganzen Abend über – soweit ich erkennen konnte – mit der Abfassung von Notizen in einem Büchlein beschäftigt.
Er hatte mich gehört, brachte sein Pferd zum Stehen, nahm meine schwarze Montur wahr und grüßte in verhaltenem Ton „Herr Prediger, so spät noch auf Seelenfang? Sind Sie nicht jener despektierliche Prediger des Regiments der Gensd’armes aus Berlin, der sich unaufgefordert ins Geschäft der hohen Generalität einmischt und den rekognoszierenden Autoritäten seine Meinung ungefragt kundtut?“ Die gutmütig-spöttische Wortwahl verriet Sympathie, auf meinen fragenden Blick stellte er sich in gleicher Tonart vor „Ein sehr kluger Schwarzrock, der Abt Jerusalem, hat mir am herzoglichen Hofe von Braunschweig nicht nur Manieren beigebracht, zur Wahl meines Rufnamens Leopold beigetragen, sondern mich und meiner verehrten Schwester Anna Amalia Gottes Wort verständlich und anregend gelehrt. Wie wäre es, Ehrwürden, mit einem mitternächtlichen Plauderstündchen über Gott und die Welt, Krieg und Frieden, Glanz und Elend – hier auf dem sicherlich noch sommerlich-warmen Stein am Wege?“
Er kannte mich also, der „Libertin“, der Freigeist, wie er unter der Hand in den Offizierskreisen genannt wurde, Prinz Leopold von Braunschweig, Kommandeur des Frankfurter Infanterieregiments, jung an Jahren, aber doch schon weitgereist, wie er schon in den ersten Sätzen erkennen ließ: „Man hat mir von Ihnen erzählt, lieber Freund – ich darf Sie doch so nennen? Uns vereint so manches, was unseren ureigensten, dem Berufsstand nöthigen Eigenschaften fremd zu sein scheint, aber uns ist gemeinsam die Neigung zu den schönen Künsten, zu einer fröhlichen Pädagogik. Es ist ein Jammer, dass ich Sie nicht teilhaben lassen konnte an meiner Reise durch Italien. Wir hatten einen deutschen „Cicerone“ als Kunst- und Reiseführer in Italien, den Literaten Lessing!“
Nach einigen pivaten Bemerkungen Löfflers zur Person des Prinzen, den er Jahre später in Frankfurt an der Oder als Gesprächspartner ausgiebig kennenlernt, finden sich nun Erinnerungen an eine Szene, die ihm der Prinz als sehr persönliche Eindrücke von der Grausamkeit jenes als „Kartoffelkrieg“ fälschlicherweise in den Annalen der königlichen Hofberichterstatter kleingeredeten Militäraktionen der Preußen und Österreicher 1778/79 in dieser Nacht mitgeteilt hatte.

Feldprediger Josias Löffler versieht dankenswerterweise die Erzählung des Prinzen Leopold mit Daten und korrekten Ortsbezeichnungen, macht uns Archivleuten des Leben leicht:
„5ten julius Dieser Marsch war der beschwerlichste, weil er immer Berg auf Berg ab führte. Wir schlugen unser Lager zwischen den Städten Reinertz und Lewin auf am Fuße des Hummelbergs. Von diesem Berg konnten wir weit in Böhmens Ebenen sehen und besonders lag Nachod vor uns; bis dann der König mit den Corps ins Lager zieht.
6ten Montag Wir glaubten den 6ten Ruhetag bey dem Hummelberg zu haben. Der Morgen war vergangen und wir erheiterten uns bey einer frisch zubereiteten Mahlzeit im Zelte. Die Suppe und Vorkost und Fleisch waren vorgesetzt und wir warteten noch auf einen Rothwein, dann wurden Forellen aufgetragen und wir hatten sie verzehrt, als ein Adjutant die Nachricht brachte, daß wir marschiren sollten. Es war der Nachmittag 3 Uhr als wir aufbrachen und kamen abends um 9 Uhr bey Nachod ins Lager. Zu verwundern ist es daß uns die Österreicher den Einmarsch in Böhmen nicht schwer gemacht haben, weil dieser Weg äußerst beschwerlich ist und von den umliegenden Hügeln gedeckt werden kann.
7ten Dienstag
Diesen Morgen um 10 Uhr lief die Nachricht ein, daß die Preußischen Husaren eine kleine Action auf die Österreichischer gehabt. Sie ersten haben 15 Mann und 2 Offiziere gefangen genommen und sie zurückgetrieben.
8ten Mittwoch
Des Morgens um 3 Uhr brach der König mit der Avant-garde die aus 45 Bataillonen und 30 Escadronen besteht auf und rückte bis an die Elbe vor. Am Abend des Tages rückte der ganze linke Flügel ins Lager bey Nachod. Ich hielt mich den ganzen Tag in meinem Zelt bis gegen Abend um 7 Uhr wo ich mit einem befreundeten Major durch einen Theil des Lagers und durch Nachod ritt, ohne daß uns etwas Merkwürdiges begegnet war.
Am Abend spät gegen 10 Uhr Kam einer meiner Offizier zu mir ins Zelt und erzählte mir unter anderem etwas, was mich einen Theil der Nacht schlaflos machte.
„Heute habe ich geweint ! Freund, sagte er zu mir. Ich ritt mit einigen Offizieren über ein verheertes Kornfeld und erblickte eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. In ihrem Gesicht war banger Schmerz und als ich sie freundlich grüßte, so zwang sie ihr Gesicht zum Lächeln, und der Zwang, den sie sich anthut und der geheime Schmerz der sie nagte entging mir nicht und ich fragte was ihr fehlte.
Sie antwortete weiter nichts als „das ist meins“ – indem sie auf das verheerte Feld zeigte. Diese Worte und der Ton mit dem sie sie aussprach und das Kind auf dem Arm machte mir ihren ferneren Anblick unerträglich. Ich gab meinem Pferde die Sporen ohne etwas zu antworten und entfernte mich. Ich konnte die Thränen nicht zurückhalten, die der Anblick der Noth dieser Frau in mit hervorriefen.
Sie können sich leicht vorstellen in welche Betrachtung ich durch diese Erzählung versetzt wurde. Zu einer Zeit, wo die Ernte vor der Thür ist, wo das grünende Feld die herrlichste Belohnung für die saure Mühe des Landhandwerks verspricht, zu einer Zeit wo diese Furcht zu Ende geht und ihm diese Belohnung in wenigen Wochen satt machten soll, die der Handel mit diesen Früchten ihn das ganze Jahr hindurch hat nähren sollen, die vielleicht auch hätten seine Kleinen Schulden bezahlen lassen, das heißt auch ins künftige Jahr übernehmen – alle diese diese Annahmen in wenigen Tagen jetzt zerstört, in einer Schlacht zu langem Mangel verwandelt zu sehen – mit Weib u. Kindern – stellen Sich sich die Catastrophe vor, in die bey dem Gedanken an das Elend so viele versetzt wurden.
Und nehmen Sie hinzu, daß diese Leute an allen diesen Unglücksfällen die Unschuldigsten sind, daß sie nicht strafbar sind, als weil sie unter einem Fürsten stehen, den sein Ehrgeiz u. seine Habsucht dazu bringt das Eigenthum seiner getreuen Unterthanen aufopfernd, er sie den schrecklichsten Verderben Preiß giebt.
9ter Dienstag
Mit diesen Gedanken legte ich mich zu Bette. Der helle Mond schien durch die Wände meines Zelts, u. ich konnte lange nicht einschlafen. Als ich des Morgens erwachte, war das Bild der Frau das erste was meine Einbildungskraft mir darstellte, u. als ich aus meinem Zelt trat, u. in der Entfernung verwüstete Felder u. um mich die letzten Spuren eines ehemaligen Feldes, das unser Lager in trockenen Boden, die reine Schande, verwandelt hatte, erblickte, so erneuerten sich diese Gedanken in meinem Sinn, doch wie bald wird mich die ununterbrochene Gewohnheit auch gegen die Eindrücke abgehärtet haben.
So wie mich die Aussicht aus meinem Zelt an die Verheerungen des Kriegs erinnert, die man nur seinem Auge u. nicht dem Ohr glaubt . . .“
Soweit die Aufzeichnungen Josias Löfflers zu den Schrecken des Krieges – kein Blut, keine Toten, keine Totenmessen.
Zum Abschluss dieser Folge sei aus Löfflers Tagebuch von 1778/79 eine Passage zitiert, die er dem kirchenpolitischen Thema des Verhaltens gegenüber den katholischen Amtsbrüdern widmete, knapp und inhaltlos: „Am Nachmittag ging ich in die Stadt, um wie versprochen, die katholischen Geistlichen zu besuchen. Ich traf ihrer drey in einem Hause wie es schien sehr beschäftigt an. Ich unterhielt mich mit zweyen, dem Dechant einen Mann von ziemlichen Jahren und einen jüngeren wohlgenährten über die geistliche Hierarchie In Böhmen, über ihr Verhalten gegen die böhmischen Brüder oder Hußiten u.dgl. Alles kurz und ohne viele Weitläufigkeit.
Der Freytag und Sonnabend verstrichen in einer gänzlichen Unthätigkeit und ohne daß uns das geringste Merkwürdige begegnet war.“
Klappen wir die Mappe zu, wenden wir uns der Rückkehr des Theologen Josias Löffler in seine Berliner Garnison zu – er war doch immer noch im Dienstverhältnis eines Feldpredigers der Armee !
Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 3. August 2023
(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadtarchivars zu Leutnant Heinrich von Kleist und Generalsuperintendent Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)
Für Interessenten:
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LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899
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LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672
LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720
LINK zu Folge 7: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34571
LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034
Dieter Weigert, Berlin Prenzlauer Berg 31. Juli
(Eine weitere Folge der Erinnerungen des Saalfelder Stadarchivars zu Heinrich von Kleist und Josias Löffler erscheint demnächst an dieser Stelle)
Für Interessenten:
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LINK zu Folge 2: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33899
LINK zu Folge 3: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34059
LINK zu Folge 4: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34245
LINK zu Folge 5: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34672
LINK zu Folge 6: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/34720
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LINK zu Folge 8: http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/35034