Das Erbe des Bildhauers Fritz Klimsch und die Klitterer – „Mit Wertungen ist sparsam umgegangen worden …“

Was ist „klittern“ ? Wer ist ein „Klitterer“?

Die Germanistin A. M. Textor und andere Sprachbewusste haben eine umfangreiche Liste von Verben und Substantiven gesammelt, die der Bedeutung des schönen deutschen Wortes KLITTERN nahekommen:

beschönigen färben, frisieren, weichzeichnen, soften, retuschieren, ausschmücken, euphemisieren, schminken, verbrämen, verklären, idealisieren, schönen, vergolden, vemiedlichen, idyllisieren, durch die rosa Brille sehen, schönreden, schönzeichnen, schönfärben, schönrechnen, verblümen, bemänteln, bagatellisieren, verharmlosen, herunterspielen, untertreiben; unschöpferisch zusammenstellen, verfälscht darstellen, verfälschen, entstellen, verzerren, verdrehen, verzeichnen, überzeichnen, umkehren, ummünzen, hineininterpretieren, hineinlegen, auf sich beziehen, projizieren, hineinsehen, abfälschen,
Verwandelt und erweitert in Sustantive: Beschönigung Retuschierung, Retusche, Ausschmückung, Euphemismus, Verbrämung, Verklärung, Idealisierung, Hagiographie, Überhöhung, Vemiedlichung, Idyllisierung, Schönreden, Schönzeichnen, rosa Brille, Hofberichterstattung, Schönfárberei, Schönrechnerei; Klitterung, Bemäntelung, Verharmlosung, Bagatellisierung, Untertreibung, Verfälschung, zusammengestückeltes Geschichtswerk.
Eine saubere Aufzählung – Nichts sagt jene Liste aber über die Motive des Klitterers !

Bevor wir uns aber den bekanntesten KLIMSCH-Klitteren zuwenden, können wir erfreut einen Nachtrag zum letzten Blog beifügen: die von Fritz Klimsch im Jahre 1922 porträtierte Ilse Röchling-Heye war die Ehefrau des Neffen Hermann Röchlings, Alexander Röchling ( 1889 – 1937). Über Alexander Röchling wird in den Familienannalen der Röchlings deshalb wenig berichtet, da er nicht dem Idealtyp des technisch und erfinderisch interessierten Unternehmers entsprach, sich aus der Aufsicht Onkel Hermanns befreite, ins Ausland absetzte, dort früh starb und auch seine Ehefrau als Dichterin der erzkonservativen Unternehmer-Familie und vor allem dem Ultranationalisten und Patriarchen Hermann Röchling immer fremd blieb.

Aber zu den konservativen Geschichtsklitterern: Der erste Klitterer in der Reihe der „KLIMSCH-KLITTERER“ war Fritz Klimsch höchstpersönlich – in seinen Erinnerungen von 1952:

Leinen-Umschlag der Ausgabe von 1952

Verräterisch erscheint schon das Inhaltverzeichnis – die Zuordnung der Seitenmengen zu den historischen Perioden der deutschen Geschichte im Lebenslauf des Bildhauers Fritz Klimsch. Von den insgesamt 151 Text/Bild-Seiten widmete er nur 20 Seiten der NS-Zeit, in der er aber wie am Fließband auf Bestellung produzierte und vor allem seinen Gönner Goebbels privat und für seinen Amtssitz ausgiebig belieferte .

Heldentod und von ganz oben verordnete kollektive Trauer ist in Deutschland seit Afghanistan wieder „zeitgemäß“! Da sollte man sich einige Stunden nehmen und über histoische Friedhöfe schlendern – wegen der historischen Nähe!

Was thematisch und inhaltlich beim Lesen dieser „Erinnerungen und Gedanken eines Bildhauers“ erschrecken lässt, ist der Umgang Klimschs mit den Monaten und Jahren der wirklichen Umwälzungen der deutschen Geschichte. Für die Novemberrevolution und den vorangegangenen Weltkrieg hat er nur Klischees: „Von unserer damaligen Flucht aus Südtirol ist mir noch lebhaft in Erinnerung, wie ahnungslos über den drohenden Ausbruch des Krieges wir dort lebten … Noch ganz deutlich steht mir das Bild der Landschaft und des Himmels vor Augen, das, trotzdem wir im Hochsommer waren, von einer stahlharten Klarheit war, die man sonst nur im Winter beobachten kann. Ich hatte eine solche Stimmung noch nie erlebt und sie bestärkte mich in dem Gefühl, daß wir vor furchtbaren Ereignissen ständen.“ (S. 126) Und seine Beschreibung der Wende 1918: „Nahc Beendigung des ersten Weltkrieges war aus dem stolzen Deutschen Kaiserreich eine Republik geworden. Auf den Straßen Berlins jagten Lastwagen mit zerlumpten Soldaten, und ein Untermenschentum, das hauptsächlich in Tiergarten und Unter dern Linden herumstrolchte, bildete das Kennzeichen dieser wüsten Wochen. Der Spuk dauerte aber nicht allzulange …“(S. 131) Fritz Klimsch trauert den dern Weltkriegs-Arbeits-Sitzungen vom Herbst 1916 mit Hindenburg im Oberkommando Ost in Kowno nach: „Ich wurde am Zuge von dem Adjutanten des Feldmarschalls, einem Herrn v. Bismarck, abgeholt und in das Gästehaus gebracht; dieses befand sich etwas außerhalb der Stadt in angenehm ruhiger, freier Lage, hatte schöne, gut eungerichtete Räume, und ich muß sagen: ich fühlte mmi9ch dort wohl,. Die Verpflegung war ausgezeichnet5. … Doie Sitzungen verliefen in schönster Harmonie. Ich lernte diesen Mann mit jedem Tag mehr schätzen und lieben und freute mich an seinem Humor und seinem naiven, aber treffenden Urteil über Menschen.“ (S. 129)

Vergeblich sucht man in diesem Buch nach Erinnerungen des Künstlers an den Machtantritt Hitlers. Das Jahr 1933 findet keine Erwähnung. An die persönlichen Beziehungen zu Gerhart Hauptmann, Max Planck, Sven Hedin, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz erinnert er sich, an das im Krieg ausgebombte Atelier und seinen Umzug in die Steiermark, später nach Salzburg. Der Zweite Weltkrieg erscheint in den „Erinnerungen“ – abgesehen von den Bomben auf Berlin – in einem Nebensatz: „Nachdem die Stadt Posen vorübergehend wieder deutsch geworden war, …“ (S. 150).

Die Worte „Unheil“, „Kulturschande“ finden sich zur Charakterisierung von politischen Handlungen jener Jahe – nicht aber zur Beschreibung von NS-Brutalitäten oder Militäraktionen der Nazi-Armee – sondern sind bei Fritz Klimsch Attribute, die er der Niederlage des NS-Regimes und dem Einmarsch der amerikanischen Armee in Salzburg 1945 (S. 154) oder seiner Ausweisung als bekannter Nazi-Aktivist aus Österreich (S. 155) anfügt. Das Höchste an Distanzierung von der Unmenschlichkeit der Hitler-Herrschaft in Deutschland und Österreich ist die Formulierung „der unglückselige Krieg“ (S. 149).

Als besonderes Kapitel der Geschichtsverfälschung, der Reinwaschung von jeder Schuld und der Leugnung der aktiven Mittäterschaft an den Verbrechen des NS-Regimes zieht sich wie ein dickes schwarzes Band die Beschreibung des Umgangs des Künstlers Klimsch im Nachhinein mit den führenden NS-Verantwortlichen Hitler, Goebbels und Just durch Fritz Klimschs Erinnerungsbuch von 1952. Es soll den heutigen Lesern nicht zugemutet werden, die Wortwahl, das Schönreden, die Beschreibung als Normalität des „auf-Augenhöhe“- Sprechens und Handelns, des „Dazugehörens“ in der Reichskanzlei, in den Ministerien zwischen 1933 und 1945 nochmals erleben zu müssen. In der Adenauer-Zeit gehörte es dazu, um in Bonn und Stuttgart sich die Meriten zur Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes zu verdienen, auch wenn in einigen wenigen Situationen (z.B. Aufnahme in die Kunstakademie) demokratische Kräfte die Kraft zum Widerstand aufbrachten.

Diese Charakterisierung trifft auch in vollem Maße auf die familiäre „Solidarität“ des Sohne Uli zu. Die Sprache des „echten“ Uli Klimsch – das sind die Ergüsse, Anbiederungen an den „Führer“, an Goebbels und das NS-System in seiner Publikation „Fritz Klimsch – Die Welt des Bildhauers“ aus dem Jahre 1938 – nicht erzwungen, sondern aus dem freiem Willen des Mittäters formuliert.

Es fehlt nichts an Nazi-Ideologie – die „Mitgabe oder eine Grundgabe des Bodens und des Volkes“ an den Künstler, „das Volk, die Rasse, das Fleisch und Blut“ (S. 23), das „rücksichtslose Zupacken in die Wirrnis“ (S. 26). Ein erzkonservativer, IG-Farben-dominierender Unternehmer erhält seine Würdigung: „Dieser Mann kümmerte sich weder um die Meinung anderer Kunstsammler noch um die Kritik der Tagespresse. Er ging immer wieder in die Werkstatt des Bildhauers, er kam plötzlich und nahm sich das, was ihm gefiel. Es war dies Carl Duisberg … – ein Helfer und Freund in schwerer Zeit.“ (S. 37) Da sind sie, die schwerwiegenden Begriffe der Nazi-Aggression gegen die Menschlichkeit: „Daseinszweck und Daseinskampf“ (S. 76), „das Genie, der Philosoph, der Mann mit dem Vernichtungswillen des Gegners, der weitblickende Feldherr, der Grandseigneur“ – Graf Schlieffen, dessen Porträtbüste Klimschs in den Worten des Sohnes Uli 1938 zum „Denkmal eines der größten militärischen Genies der Weltgeschichte“ wird. (S. 83) Schwer wird es dann dem Sohne, die Leistung des Vaters in rechte Worte zu fassen, wenn die künstlerische Aneignung der Personen Hitlers, Fricks, und anderer NS-„Größen“ beschrieben werden soll – da hilft nur der Mythos:“Diese Kopf wirft alles über den Haufen, was es überhaupt an Theorien über Köpfe gibt …“ (S. 94) In dieser Publikation werden sie stolz abgebildet, jene Köpfe, – nach 1945 verhindert die Amnesie, ihre damalige Existent auch nur zu erwähnen.

Elf Jahre sind vergangen seitdem Sohn Uli dem künstlerischen Werk des Vaters die NS-Krone wortreich ergoldete. Nun muss die Sprache den neuen Realitäten angepasst werden – „Freiheit“ (schon im Titel des Buches sichtbar) und „Götterferne“, das „friedensspendende Lächeln“ sind die Schlüsselbegriffe: „Götterferne gibt es in jeder Zeit – … Wer hat dieses friedensspendende Lächeln nicht in den Bildwerken der drei letzten Jahrtausende und bis zur Gegenwart beglückt empfunden?“ (S. 5) Texte und Bildauswahl belegen, dass der Sohn ein würdiger Klitterer ist – Verschwunden ist der große Mäzen Carl Duisberg, „vergessen“ sind die Jahre 1933 – 45 und der von Goebbels so geliebte Mozartbrunnen, im Unterschied zum Vater verzichtet Uli auf Beschimpfungen der Amerikaner und der Salzburger Nazigegner, die die Familie Klimsch nicht in ihren Mauern sehen wollten. Uli Klimsch, der große Klitterer weiß, was die neuen Herren in Stuttgart und Bonn lesen und betrachten möchten.
Sehen wir es umfassender, jenseit der Grenzen der Ästhetik und der Hei8matgefühle im Schwarzwald und der Alpen: An der Akzeptanz des „Heldentodes“ in der Bundesrepublik Deutschland haben sie durch ihre besondere Art der Geschichtsklitterung eifrig gearbeitet – neben Fritz Klimsch selbst sein Sohn Julius („Uli“), die Kunsthistoriker Hermann Braun und Werner Stopp sowie jener anonyme Journalist, der 1960 den kurzen Nachruf auf Fritz Klimsch verfasste:

Neben der etwas grobschlächtigen und verkürzten Darstellungsweise von Fritz und Uli KLimsch wirken die biographischen und kunsthistorischen Werkbeschreibungen der Kunstwissenschaftler subtiler und – wie durch die Auftrageber angefordert – detaillierter.

Beschränken wir uns aus die Analysen von Hermann Braun in senem Katalog zur Einzelausstellung von Fritz Klimsch in der Galerie Koch in Hannover im Juni 1980.

Selbstverständlich sind die offen deklarierten NS-Produkte des Bildhauers ausgespart, es findet auch keine textliche Auseinandersetzung oder offene Kritik der Mittäterschaft Klimsch an den Propaganda-Aktivitäten des NS-Regims unter Führung seines Mäzens Goebbels statt.
Im Weglassen liegt also System. Braun sichert sich ab:

„Auf eine zusammenfassende Würdigung der Persönlichkeit und des Gesamtwerks von Fritz Klimsch wurde hier bewußt verichtet.“ (S. 7)

Weggelassen sind die Bezüge zur Familie des zweifach durch Frankreich verurteilten Kriegsverbrechers Hermann Röchling, man vergleiche die Zeittafel der Ausstellung von 1980. In die Zeittafel wurden ebenfalls die für Goebbels privat angefertigten Arbeiten wie auch die von ihm privat angekauften Werke nicht aufgenommen. Der Name Goebbels taucht somit nicht in der Zeittafel auf wie selbstverständlich auch nicht die der anderen hochrangigen Kontaktpersonen aus der NS-Zeit.

Subtil erscheint ebenfalls die Art der Verschleierung der Auftraggebung jener Werke, die für das Goebbelssche Propagandaministerium durch Goebbels bestellt und durch Fritz Klimsch angefertigt und geliefert wurden. Da sie für den klassizistischen Teil des Gebäudekomplexes am Wilhelmsplatz vorgesehen waren, kann Hermann Braun sie in der Zeittafel und in den Bildbeschreibungen unter dem Standort „das von Karl Friedrich Schinkel entworfene Prinz-Friedrich-Karl-Palais, Berlin“ deklarieren (S. 14, Jahr 1937; Jahre 1938-40; S. 149). In wenigen Fällen fügt er Propagandaministerium hinzu.

Die entsprechende Analyse der Publikation von Hermann Braun aus dem Jahre 1991 bleibt einer künftigen Veröffentlichung vorbehalten.

Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 9. August 2023

Für treue Leser und andere Interessenten:

Der LINK zur ersten Folge: („Heldentod und trauernde Frau – Fritz Klimsch und die Seinen“)

Der LINK zur zweiten Folge: (Fritz Klimsch: „mein Kaiser“, „mein Führer“, „mein Filbinger“ !)

Heldentod und trauernde Frau – Fritz Klimsch und die Seinen

Heldentod und von ganz oben verordnete kollektive Kriegs-Trauer ist in Deutschland seit Afghanistan wieder „zeitgemäß“! Da sollte man sich einige Stunden nehmen und über histoische Friedhöfe schlendern – wegen der historischen Nähe!

Der Alte Garnisonfriedhof an der Linienstraße in Berlin-Mitte bietet sich an, er ist Kunsthistorikern und Preußen-Verehrern vor allem bekannt wegen seiner wertvollen Grabmale aus der Zeit zwischen 1780 und 1848.

Vereinzelt finden sich auch Eisenkreuze und steinerne Monumente zum Gedenken an gefallene junge kaiserliche Offiziere des Ersten Weltkrieges, an Opfer der letzten Straßenkämpfe vom April 1945 und einzelne Werke aus den Perioden des Jugendstils, der Reformkunst und des Historismus. Besucher gehen schnell vorüber, widmen sich mehr den Zeugnissen der Bildhauerkunst eines Friedrich Tieck oder des Designs eines Karl Friedrich Schinkel.

Dieser Gedenkstein im Nordosten des Friedhofs (Feld I) jedoch lädt zum längeren Betrachten ein – erschreckend die eingravierten Daten und bewundernswert die künstlerische Gestaltung, vermutlich entworfen von einem der bekannten Berliner Künstler des Jugendstils.

Der junge Leutnant der 1. mob. Ersatz-Eskadron von Schlotheim, Jägerregiment zu Pferde Nr. 1, Curt von Kruge, verstarb zwei Tage nach seiner tödlichen Verwundung aus den Gefechten in der Nähe des polnischen BLASKI im Krankenhaus von Sieradz am 21. September 1914 – ein Opfer der ersten Wochen des Krieges.

Die Inschrift auf dem Stein verklärt sein sinnloses frühes Sterben zum heiligen Opfer:

Da sein Vater Generalleutnant der kaiserlichen Armee war, konnte ich die Einzelheiten seines Todes in den relevanten Militärunterlagen ohne Schwierigkeiten finden. Die Suche nach den Details des künstlerischen Entwurfs und der handwerklichen Ausführung gestaltete sich jedoch komplizierter. Meine Recherchen verliefen anfangs ins Leere, da am Stein selbst kein Hinweis auf den Bildhauer, auf die Werkstatt oder auf das Datum der Anfertigung des Gedenksteines angebracht ist. Von den Nachfahren des Offiziers war lediglich zu erfahren, dass der Bildhauer zu den bedeutenden Künstlern Deutschlands gehört hatte. Dokumente zur Herstellung des Steines waren nicht mehr vorhanden.
Erfolgreicher war die Suche nach vergleichbaren Darstellungen jenes Motivs der trauernden Frau, herausgeschlagen aus dem schwarzen Marmor.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigten die Vergleiche im deutschen Raum für jene Periode in der ersten Hälfte des 20. jahrhunderts, dass es sich um ein Werk aus der Werkstatt des bekannten Bildhauers Fritz Klimsch (1870 – 1960) handeln könnte.

Zum Lebenslauf und zum Gesamtwerk Fritz Klimsch existiert eine reichhaltige Literatur, nirgends jedoch findet sich ein ausdrücklicher Hinweis auf den Offizier Curt Kruge oder auch nur eine Bemerkung zu einer Arbeit auf dem Alten Berliner Garnisonfriedhof.

Also suchen wir nach Verweisen, Hinweisen, Fingerzeigen, anderen Mitteilungen in jener umfangreichen Literatur, die uns die Richtung angeben könnten, wann und in welchem Kontext diese Skulptur möglicherweise enststanden ist.

Eine Publikation aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, herausgegeben von Herbert Wolfgang Keiser und eingeleitet vom Kunsthistoriker Dr. Werner Rittich:

Interessant für unsere Untersuchung ist der folgende Hinweis bei Werner Rittich (S. 9): „Fritz Klimschs Beziehung zu seinem Werkstoff ist besonders eng. Sehr früh schon kam er zu der Überzeugung, daß er auch seine Stein- und Holzbildwerke selbst aus dem Material herausschlagen oder -schnitzen muß, um den Ausdruck erreichen zu können, der er anstrebt.“

Durchgehend zeigten sich in den Publikationen zwischen 1924 und 1952 eine Vielzahl von Ähnlichkeiten der porträtierten Haltung der trauernden Frau, der optimistischen Aussage, der über das Individuelle hinausgehenden Stimmung der Trauer. Bestärkt wurde ich nach dem Studium der Publikation der bekannten Berliner Museumspersönlichkeit Wilhelm von Bode, des starken Widerparts Kaiser Wilhelm II. in den Auseinandersetzungen um das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum).

Wilhelm von Bodes Würdigung der besonderen Art der Gestaltung von Grabmalen durch Fritz Klimsch ist auch heute noch gültig, deshalb sei sie hier im Wortlaut wiedergegeben (W. v. Bode, Fritz Klimsch, Berlin 1924, S. XVI):

Nach einem ersten, vorläufigen Abschluss der vergleichenden Studien zu den Frauenfiguren und Grabmonumenten konnte ich vor einigen Jahren mit „an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ konstatieren, dass Fritz Klimsch der Gestalter jener Figur der trauernden Frau auf dem Marmorblock zum Gedenken des Leutnants von Kruge war. Unzufrieden mit dem Ergebnis der Recherchen jener Jahre, begann ich vor einigen Monaten eine neue Phase der Vergleiche und des Heranziehens weiterer Publikationen – und konnte fündig werden.

Zum Vergleich seien hier noch einige Skulpturen aus dem Gesamtwerk von Fritz Klimsch angeführt, deren Gestaltung des knieenden Frauenkörpers Ähnlichkeiten mit jener Trauernden des schwarzen Marmorblocks auf dem Alten Berliner Garnisonfriedhofs aufweisen:

Bevor ich das endgültige Resultat dieser jüngsten Studien darstelle, sei es erlaubt, noch einige Worte zur Biographie des Bildhauers Fritz Klimsch vor und nach dem Erscheinen jener Publikation des großen Museumsmannes Wilhelm von Bode anzufügen.
Geboren 1870 in einer wohlhabenden Familie von Künstlern und Unternehmern zu Frankfurt/Main konnte er sich sorgenfrei dem Kunststudium in Berlin incl. Auslandsaufenthalten widmen. Bekannt wurde er als Mitbegründer der Berliner Secession von 1898. Zu seinen ersten Werken gehören „Gefesselter“ aus dem Jahre 1891 und „Tänzerin“ von 1898.

„Tänzerin“

1907 erhielt er eine Goldmedaille auf der Großen Berliner Kunstausstellung, wurde 1912 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, war ab 1921 Professor an den Vereinigten Staatsschulen in Berlin.

Kommen wir zurück zu jenem Gedenkstein für den Leutnant Curt Kruge auf dem Alten Garnisonfriedhof.: schwarzer Marmor, das Relief gekehlt aus dem Block herausgeschlagen, eine trauernde Mädchenfigur, geschaffen in der Periode ab Herbst 1914. Die Figur des knieenden Mädchens mit einer Art Toga bekleidet, in der Hand eine Rose, den Kopf leicht gesenkt, das Werk nicht signiert. Die gewählte Frisur? Langes Haar, im Nacken zu einem Knoten gebunden.

Für einen Vergleich auf der Suche des Schöpfers jenes Steins ziehen wir bemerkenswerte Skulpturen von Fritz Klimsch aus der Periode zwischen 1900 und etwa 1930 heran: Mädchen beim Ankleiden (1905), In der Sonne (1912), Badende (1913), Charis (1921-23),

„Mädchen beim Ankleiden“
„Badende“
„In der Sonne“

Und – wir vergleichen nochmals Arbeiten von Fritz Klimsch zum Thema Trauer, Kriegsopfer und entdecken auf einem Friedhof in Frankfurt am Main eine von Fritz Klimsch signierte Arbeit, die für einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit der Autorenschaft Klimschs zur Berliner Skulptur spricht, die fast alle Elemente der Werkbeschreibung vereint: Motiv, Körperhaltung, „Zeitgeist“.

Diesen Anforderungen wird jenes Frankfurter Grabmal aus dem Gesamtwerk des Bildhauers Fritz Klimsch aus dem Jahre 1902 gerecht:

Das Grabmal für den Mediziner Alois Alzheimer ist durch Fritz Klimsch signiert (sein Name erscheint zwischen den beiden dargestellten Figuren), wurde vermutlich 1902 geschaffen und auf dem Frankfurter (Main) Hauptfriedhof schon 1902 aufgestellt und durch die Todesdaten der Ehefrau Cecilie Ende 1915/Anfang 1916 ergänzt. Das letzte Datum erscheint im Kontext der Todesdaten auf dem Grabmal Kruge (September 1914) als bedeutender Hinweis für eine zeitliche Übereinstimmung in der Biographie von Fritz Klimsch.

Den kunsthistorischen Beleg für die Autorenschaft des Frankfurter Grabmals von Fritz Klimsch lieferte Hermann Braun im Ausstellungs-Katalog für die Galerie Koch im Jahre 1980 (S. 131), nochmals bestätigt in seiner Publikation „Fritz Klimsch: eine Dokumentation“ vom Jahre 1991 im Kontext der Ausstellung zu Fritz Klimsch im Kunsthaus am Museum Köln (Abb. 27, S. 68, der dazugehörige Text S. 313f).

Der relevante Text von Hermann Braun (1980):

Aktualisiert erschien 1991 folgender Text:

„GRABDENKMAL CECILIE UND ALOIS ALZHEIMER 1902

Frankfurt a. M. Hauptfriedhof, Eckenheimer Landstr. 194 Gewann an der Mauer, Nr. 447 a

Cecilie Alzheimer geb. Wallerstein vorverehel. Geisenheimer

* 6. Juli 1860 Frankfurt a. M.
+28. Februar 1901 Frankfurt a. M.

Alois Alzheimer

*14. Juni 1864 Marktheit
+14. Dezember 1915 Breslau

Muschelkalkstein Höhe 297 cm, Breite 172 cm, Tiefe 27 cm.
Signatur zwischen den Figuren: F. KLIMSCH.

Hermann Braun. Fritz Klimsch. Werke S. 131, Abb. VI

Basisstein ober gekehlt. Hochrechteckiger Hauptstein mit vorkragender Verdachung. Übergang vom Steinblock zur Bildebene seitlich und ober gekehlt. Links eine knieende Trauernde, ihr gegenüber, auf einen Steiun gestützt, ein kleins Kind, unbekleidet. In seiner Linken hält es eine Rose.
Die Zeihnung zum Grabmal wurde im November 1901 bei der Friedhofskommission eingereicht. Ausführung im folgenden Jahr. Von Klimsch der Hauptstein, das übrige von dem Steinmetz Johann Hössbacher, Frankfurt.
Alois Alzheimer war Ordentlicher Professor in Breslau. Besondere Verdienste auf dem Gebiet der Histopathologie des Gehirns. Nach ihm benannt die Alzheimersche Krankheit.“

Grabmal Alzheimer, aktueller Zustand

An dieser Stelle sei abschließend der Hinweis auf das Motiv der Rose gestattet: Fritz Klimsch verwendete dieses Element (Rose in der Hand der trauernden Frau) beim Grabmal Löffler auf dem Berliner Friedhof der Dorotheenstädtischen Gemeinde II,

beim Grabmal Kruge auf dem Alten Berliner Garnisonfriedhof (Rose in der Hand der knieenden Trauernden):

und am Grabmal Alzheimer (der Junge neben der knieenden Trauernden hält eine Rose in der Hand):

Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 22. Juli 2023