Was ist „klittern“ ? Wer ist ein „Klitterer“?
Die Germanistin A. M. Textor und andere Sprachbewusste haben eine umfangreiche Liste von Verben und Substantiven gesammelt, die der Bedeutung des schönen deutschen Wortes KLITTERN nahekommen:
beschönigen färben, frisieren, weichzeichnen, soften, retuschieren, ausschmücken, euphemisieren, schminken, verbrämen, verklären, idealisieren, schönen, vergolden, vemiedlichen, idyllisieren, durch die rosa Brille sehen, schönreden, schönzeichnen, schönfärben, schönrechnen, verblümen, bemänteln, bagatellisieren, verharmlosen, herunterspielen, untertreiben; unschöpferisch zusammenstellen, verfälscht darstellen, verfälschen, entstellen, verzerren, verdrehen, verzeichnen, überzeichnen, umkehren, ummünzen, hineininterpretieren, hineinlegen, auf sich beziehen, projizieren, hineinsehen, abfälschen,
Verwandelt und erweitert in Sustantive: Beschönigung Retuschierung, Retusche, Ausschmückung, Euphemismus, Verbrämung, Verklärung, Idealisierung, Hagiographie, Überhöhung, Vemiedlichung, Idyllisierung, Schönreden, Schönzeichnen, rosa Brille, Hofberichterstattung, Schönfárberei, Schönrechnerei; Klitterung, Bemäntelung, Verharmlosung, Bagatellisierung, Untertreibung, Verfälschung, zusammengestückeltes Geschichtswerk.
Eine saubere Aufzählung – Nichts sagt jene Liste aber über die Motive des Klitterers !
Bevor wir uns aber den bekanntesten KLIMSCH-Klitteren zuwenden, können wir erfreut einen Nachtrag zum letzten Blog beifügen: die von Fritz Klimsch im Jahre 1922 porträtierte Ilse Röchling-Heye war die Ehefrau des Neffen Hermann Röchlings, Alexander Röchling ( 1889 – 1937). Über Alexander Röchling wird in den Familienannalen der Röchlings deshalb wenig berichtet, da er nicht dem Idealtyp des technisch und erfinderisch interessierten Unternehmers entsprach, sich aus der Aufsicht Onkel Hermanns befreite, ins Ausland absetzte, dort früh starb und auch seine Ehefrau als Dichterin der erzkonservativen Unternehmer-Familie und vor allem dem Ultranationalisten und Patriarchen Hermann Röchling immer fremd blieb.
Aber zu den konservativen Geschichtsklitterern: Der erste Klitterer in der Reihe der „KLIMSCH-KLITTERER“ war Fritz Klimsch höchstpersönlich – in seinen Erinnerungen von 1952:


Verräterisch erscheint schon das Inhaltverzeichnis – die Zuordnung der Seitenmengen zu den historischen Perioden der deutschen Geschichte im Lebenslauf des Bildhauers Fritz Klimsch. Von den insgesamt 151 Text/Bild-Seiten widmete er nur 20 Seiten der NS-Zeit, in der er aber wie am Fließband auf Bestellung produzierte und vor allem seinen Gönner Goebbels privat und für seinen Amtssitz ausgiebig belieferte .

Heldentod und von ganz oben verordnete kollektive Trauer ist in Deutschland seit Afghanistan wieder „zeitgemäß“! Da sollte man sich einige Stunden nehmen und über histoische Friedhöfe schlendern – wegen der historischen Nähe!
Was thematisch und inhaltlich beim Lesen dieser „Erinnerungen und Gedanken eines Bildhauers“ erschrecken lässt, ist der Umgang Klimschs mit den Monaten und Jahren der wirklichen Umwälzungen der deutschen Geschichte. Für die Novemberrevolution und den vorangegangenen Weltkrieg hat er nur Klischees: „Von unserer damaligen Flucht aus Südtirol ist mir noch lebhaft in Erinnerung, wie ahnungslos über den drohenden Ausbruch des Krieges wir dort lebten … Noch ganz deutlich steht mir das Bild der Landschaft und des Himmels vor Augen, das, trotzdem wir im Hochsommer waren, von einer stahlharten Klarheit war, die man sonst nur im Winter beobachten kann. Ich hatte eine solche Stimmung noch nie erlebt und sie bestärkte mich in dem Gefühl, daß wir vor furchtbaren Ereignissen ständen.“ (S. 126) Und seine Beschreibung der Wende 1918: „Nahc Beendigung des ersten Weltkrieges war aus dem stolzen Deutschen Kaiserreich eine Republik geworden. Auf den Straßen Berlins jagten Lastwagen mit zerlumpten Soldaten, und ein Untermenschentum, das hauptsächlich in Tiergarten und Unter dern Linden herumstrolchte, bildete das Kennzeichen dieser wüsten Wochen. Der Spuk dauerte aber nicht allzulange …“(S. 131) Fritz Klimsch trauert den dern Weltkriegs-Arbeits-Sitzungen vom Herbst 1916 mit Hindenburg im Oberkommando Ost in Kowno nach: „Ich wurde am Zuge von dem Adjutanten des Feldmarschalls, einem Herrn v. Bismarck, abgeholt und in das Gästehaus gebracht; dieses befand sich etwas außerhalb der Stadt in angenehm ruhiger, freier Lage, hatte schöne, gut eungerichtete Räume, und ich muß sagen: ich fühlte mmi9ch dort wohl,. Die Verpflegung war ausgezeichnet5. … Doie Sitzungen verliefen in schönster Harmonie. Ich lernte diesen Mann mit jedem Tag mehr schätzen und lieben und freute mich an seinem Humor und seinem naiven, aber treffenden Urteil über Menschen.“ (S. 129)
Vergeblich sucht man in diesem Buch nach Erinnerungen des Künstlers an den Machtantritt Hitlers. Das Jahr 1933 findet keine Erwähnung. An die persönlichen Beziehungen zu Gerhart Hauptmann, Max Planck, Sven Hedin, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz erinnert er sich, an das im Krieg ausgebombte Atelier und seinen Umzug in die Steiermark, später nach Salzburg. Der Zweite Weltkrieg erscheint in den „Erinnerungen“ – abgesehen von den Bomben auf Berlin – in einem Nebensatz: „Nachdem die Stadt Posen vorübergehend wieder deutsch geworden war, …“ (S. 150).

Die Worte „Unheil“, „Kulturschande“ finden sich zur Charakterisierung von politischen Handlungen jener Jahe – nicht aber zur Beschreibung von NS-Brutalitäten oder Militäraktionen der Nazi-Armee – sondern sind bei Fritz Klimsch Attribute, die er der Niederlage des NS-Regimes und dem Einmarsch der amerikanischen Armee in Salzburg 1945 (S. 154) oder seiner Ausweisung als bekannter Nazi-Aktivist aus Österreich (S. 155) anfügt. Das Höchste an Distanzierung von der Unmenschlichkeit der Hitler-Herrschaft in Deutschland und Österreich ist die Formulierung „der unglückselige Krieg“ (S. 149).
Als besonderes Kapitel der Geschichtsverfälschung, der Reinwaschung von jeder Schuld und der Leugnung der aktiven Mittäterschaft an den Verbrechen des NS-Regimes zieht sich wie ein dickes schwarzes Band die Beschreibung des Umgangs des Künstlers Klimsch im Nachhinein mit den führenden NS-Verantwortlichen Hitler, Goebbels und Just durch Fritz Klimschs Erinnerungsbuch von 1952. Es soll den heutigen Lesern nicht zugemutet werden, die Wortwahl, das Schönreden, die Beschreibung als Normalität des „auf-Augenhöhe“- Sprechens und Handelns, des „Dazugehörens“ in der Reichskanzlei, in den Ministerien zwischen 1933 und 1945 nochmals erleben zu müssen. In der Adenauer-Zeit gehörte es dazu, um in Bonn und Stuttgart sich die Meriten zur Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes zu verdienen, auch wenn in einigen wenigen Situationen (z.B. Aufnahme in die Kunstakademie) demokratische Kräfte die Kraft zum Widerstand aufbrachten.
Diese Charakterisierung trifft auch in vollem Maße auf die familiäre „Solidarität“ des Sohne Uli zu. Die Sprache des „echten“ Uli Klimsch – das sind die Ergüsse, Anbiederungen an den „Führer“, an Goebbels und das NS-System in seiner Publikation „Fritz Klimsch – Die Welt des Bildhauers“ aus dem Jahre 1938 – nicht erzwungen, sondern aus dem freiem Willen des Mittäters formuliert.


Es fehlt nichts an Nazi-Ideologie – die „Mitgabe oder eine Grundgabe des Bodens und des Volkes“ an den Künstler, „das Volk, die Rasse, das Fleisch und Blut“ (S. 23), das „rücksichtslose Zupacken in die Wirrnis“ (S. 26). Ein erzkonservativer, IG-Farben-dominierender Unternehmer erhält seine Würdigung: „Dieser Mann kümmerte sich weder um die Meinung anderer Kunstsammler noch um die Kritik der Tagespresse. Er ging immer wieder in die Werkstatt des Bildhauers, er kam plötzlich und nahm sich das, was ihm gefiel. Es war dies Carl Duisberg … – ein Helfer und Freund in schwerer Zeit.“ (S. 37) Da sind sie, die schwerwiegenden Begriffe der Nazi-Aggression gegen die Menschlichkeit: „Daseinszweck und Daseinskampf“ (S. 76), „das Genie, der Philosoph, der Mann mit dem Vernichtungswillen des Gegners, der weitblickende Feldherr, der Grandseigneur“ – Graf Schlieffen, dessen Porträtbüste Klimschs in den Worten des Sohnes Uli 1938 zum „Denkmal eines der größten militärischen Genies der Weltgeschichte“ wird. (S. 83) Schwer wird es dann dem Sohne, die Leistung des Vaters in rechte Worte zu fassen, wenn die künstlerische Aneignung der Personen Hitlers, Fricks, und anderer NS-„Größen“ beschrieben werden soll – da hilft nur der Mythos:“Diese Kopf wirft alles über den Haufen, was es überhaupt an Theorien über Köpfe gibt …“ (S. 94) In dieser Publikation werden sie stolz abgebildet, jene Köpfe, – nach 1945 verhindert die Amnesie, ihre damalige Existent auch nur zu erwähnen.


Elf Jahre sind vergangen seitdem Sohn Uli dem künstlerischen Werk des Vaters die NS-Krone wortreich ergoldete. Nun muss die Sprache den neuen Realitäten angepasst werden – „Freiheit“ (schon im Titel des Buches sichtbar) und „Götterferne“, das „friedensspendende Lächeln“ sind die Schlüsselbegriffe: „Götterferne gibt es in jeder Zeit – … Wer hat dieses friedensspendende Lächeln nicht in den Bildwerken der drei letzten Jahrtausende und bis zur Gegenwart beglückt empfunden?“ (S. 5) Texte und Bildauswahl belegen, dass der Sohn ein würdiger Klitterer ist – Verschwunden ist der große Mäzen Carl Duisberg, „vergessen“ sind die Jahre 1933 – 45 und der von Goebbels so geliebte Mozartbrunnen, im Unterschied zum Vater verzichtet Uli auf Beschimpfungen der Amerikaner und der Salzburger Nazigegner, die die Familie Klimsch nicht in ihren Mauern sehen wollten. Uli Klimsch, der große Klitterer weiß, was die neuen Herren in Stuttgart und Bonn lesen und betrachten möchten.
Sehen wir es umfassender, jenseit der Grenzen der Ästhetik und der Hei8matgefühle im Schwarzwald und der Alpen: An der Akzeptanz des „Heldentodes“ in der Bundesrepublik Deutschland haben sie durch ihre besondere Art der Geschichtsklitterung eifrig gearbeitet – neben Fritz Klimsch selbst sein Sohn Julius („Uli“), die Kunsthistoriker Hermann Braun und Werner Stopp sowie jener anonyme Journalist, der 1960 den kurzen Nachruf auf Fritz Klimsch verfasste:

Neben der etwas grobschlächtigen und verkürzten Darstellungsweise von Fritz und Uli KLimsch wirken die biographischen und kunsthistorischen Werkbeschreibungen der Kunstwissenschaftler subtiler und – wie durch die Auftrageber angefordert – detaillierter.
Beschränken wir uns aus die Analysen von Hermann Braun in senem Katalog zur Einzelausstellung von Fritz Klimsch in der Galerie Koch in Hannover im Juni 1980.

Selbstverständlich sind die offen deklarierten NS-Produkte des Bildhauers ausgespart, es findet auch keine textliche Auseinandersetzung oder offene Kritik der Mittäterschaft Klimsch an den Propaganda-Aktivitäten des NS-Regims unter Führung seines Mäzens Goebbels statt.
Im Weglassen liegt also System. Braun sichert sich ab:
„Auf eine zusammenfassende Würdigung der Persönlichkeit und des Gesamtwerks von Fritz Klimsch wurde hier bewußt verichtet.“ (S. 7)
Weggelassen sind die Bezüge zur Familie des zweifach durch Frankreich verurteilten Kriegsverbrechers Hermann Röchling, man vergleiche die Zeittafel der Ausstellung von 1980. In die Zeittafel wurden ebenfalls die für Goebbels privat angefertigten Arbeiten wie auch die von ihm privat angekauften Werke nicht aufgenommen. Der Name Goebbels taucht somit nicht in der Zeittafel auf wie selbstverständlich auch nicht die der anderen hochrangigen Kontaktpersonen aus der NS-Zeit.
Subtil erscheint ebenfalls die Art der Verschleierung der Auftraggebung jener Werke, die für das Goebbelssche Propagandaministerium durch Goebbels bestellt und durch Fritz Klimsch angefertigt und geliefert wurden. Da sie für den klassizistischen Teil des Gebäudekomplexes am Wilhelmsplatz vorgesehen waren, kann Hermann Braun sie in der Zeittafel und in den Bildbeschreibungen unter dem Standort „das von Karl Friedrich Schinkel entworfene Prinz-Friedrich-Karl-Palais, Berlin“ deklarieren (S. 14, Jahr 1937; Jahre 1938-40; S. 149). In wenigen Fällen fügt er Propagandaministerium hinzu.
Die entsprechende Analyse der Publikation von Hermann Braun aus dem Jahre 1991 bleibt einer künftigen Veröffentlichung vorbehalten.
Dr. Dieter Weigert Berlin Prenzlauer Berg 9. August 2023
Für treue Leser und andere Interessenten:
Der LINK zur ersten Folge: („Heldentod und trauernde Frau – Fritz Klimsch und die Seinen“)
http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/33554
Der LINK zur zweiten Folge: (Fritz Klimsch: „mein Kaiser“, „mein Führer“, „mein Filbinger“ !)
http://wordpress.com/post/fobililienstern.blog/29633































