Marmorstein, Eisen und … Glas

blog-lucia-bildEinführungsworte von Dr. Dieter Weigert, Vorsitzender des Fördervereins Alter Berliner Garnisonfriedhof e. V.  zur Eröffnung der Ausstellung „Farben des ewigen Friedens“ der Berliner Malerin Lucia Fischer am 9. September 2017:

zum fünften Mal seit 2014 lädt unser Verein zur Eröffnung einer Kunstausstellung im Lapidarium und im ehemaligen Verwalterhaus des alten Offizierskirchhofs, diesmal unter dem Titel „Farben des ewigen Friedens“ und diesmal nicht figürliche, nicht gegenständliche, sondern abstrakte Kunst, Arbeiten der Berliner Malerin Lucia Fischer, einer dezidierten Vertreterin des abstrakten Expressionismus.

Angesichts dieser abstrakt-expressionistischen Arbeiten, angesichts des Fehlens jeglicher religiöser oder moralischer Symbole, der Abwesenheit von Bildern des Schreckens von Krieg und Gewalt, ebenso von figürlichen Darstellungen eines friedlichen Paradieses im Jenseits – woher nehmen wir das Recht, ihre Arbeiten unter dem Titel „Farben des ewigen Friedens“ auszustellen? Die Antwort liegt in den unendlichen Dimensionen der Farben, die auf uns einwirken und die das Leben, die Träume, den Humanismus, die Freiheit von Gewalt und Tod verkörpern. Kräftige Farben in ihrer Durchdringung, in ihrem Fluss, in den Verästelungen bis in winzige Linien und Punkte – das ist die Sprache dieser Malerin, die sie dem Krieg und der Gewalt entgegensetzt, das ist ihre Botschaft. Diese Sprache bedarf keiner Figur, keines Gegenstandes, keiner religiösen oder moralischen Symbolik. Es ist die Sprache des abstrakten Expressionismus seit Wassili Kandinsky, seit über einem Jahrhundert. Bleiben wir einen Augenblick im Geschichtlichen – der große kirgisische Dichter Tschingis Aitmatow zitierte in der Einführung zu seinem Roman „Der Tag zieht den Jahrhundertweg“ Fjodor Dostojewski. Ich erlaube mir dieses eine Zitat: „Das Phantastische muss sich so eng mit dem Realen berühren, dass es nahezu glaubhaft wird.“ In diesem Satz liegt für mich das Wesen der Kunst von Lucia Fischer.
Die Absage an das Figürliche in der Periode zwischen 1900 und 1915, das Eigenleben, die Eigendynamik, die „Befreiung“ der Farben – von Lyrikern und Prosaikern wie Rilke, Dostojewski, Döblin, van Hoddis, Johannes R. Becher begleitet und inspiriert. Das Figürliche ist der Schein, das Phänomen – das Wesen, das Innere ist die Abstraktion, die nur in der Spontaneität der Farbsetzung ihren Ausdruck finden kann.
Gemeinsam ist den Dichtern und bildenden Künstlern dieser Zeit: die seelische Vertiefung, die Sensibilisierung der Kunst, die Verbindung zum Nichtmateriellen, zum Unsichtbaren und Nichtgreifbaren, sie sind politisch und weltanschaulich engagiert, sie fühlen sich mehrheitlich sozialistischen Idealen verpflichtet. In dieser Bewegung sieht sich Lucia Fischer verwurzelt – ästhetisch und weltanschaulich-politisch. Der Zufall wollte es – Hegel hätte das Wirken des Weltgeistes zur Erklärung bemüht – , dass Lucia Fischer aus der Stadt Essen kommt, der Waffenschmiede der preußischen Könige und der deutschen Kaiser, der Region, aus der die Mehrheit der auf diesem Friedhof liegenden Offiziere ihre Kanonen, Degen und Säbel bezogen.

Wie ihre Vorläufer vor über einhundert Jahren sucht Lucia Fischer nicht zu vermitteln – weder in der Kunst, noch in der Weltanschauung, noch in der Politik – sie kämpft, sie sucht neue Wege, sie reibt sich an den Widerständen, am Material, sie will neue Räume entdecken – unser bisher den Spinnweben vorbehaltenes Lapidarium wurde ihr neuestes Experimentierfeld, womit wir wieder bei den Farben wären.
Haben die einzelnen Farben für den abstrakt-expressionistischen Künstler auch keinen figürlichen Bezug, so sind sie doch nicht bedeutungslos, sie korrespondieren mit Werten, Grundmustern, die wiederum unendliche Variationsreihen und Verbindungen erlauben. Bei Wassili Kandinsky beispielsweise ist Grün die Farbe der Ruhe, ist Weiß das große Schweigen, die Spannung zwischen Blau und Gelb bedeutet ihm Leidenschaft und Geistigkeit.
Zurück zum Thema: Wir suchen in den Bildern den gegenständlichen Frieden, und was finden wir? Expressiv-abstrakte Farben in einer Formensprache, die überrascht, die verblüfft, die erregt, die alle unsere Sinne anspricht.
Die Erregung kommt aus dem Fließen der Farben, einer Technik, erfunden im Kontext der Glasinstallation von Lucia Fischer. Wie setzt sie die Farben? Die Frage ist falsch gestellt – wie bringt sie die Farben zum Fließen, wie bringt sie die Farben zum Halten, was entsteht, wenn der Farbfluss zum Halten kommt? Winzige, aber doch wahrnehmbare erhabene Spuren in der Fläche. Es ist wie beim Puddingkochen – das Bild des warmen Puddings in einer Porzellanform – das Positiv – lässt ahnen, aber nur ahnen! wie das Bild des kalten, gestürzten Puddings auf dem Teller aussehen könnte – aber erst zum Finale ist die endgültige, die negative Form erkennbar. So beim Glas – erst das Vorzeigen auch der Rückseite, auch der Unterseite führt uns zum totalen Erlebnis des Kunstwerkes. Lucia Fischers Gemälde, Aktionen, Glasinstallationen präsentieren uns Seelenzustände, die aber nicht vordergründig lesbar sind. Es bedarf einer Öffnung für jene ausdrucksstarken Bilder, für die expressive Sprache der Künstlerin, um ihr Anliegen in unsere Gefühlswelt eindringen zu lassen: der EWIGE FRIEDEN, die Abkehr von Gewalt, die Rückkehr zur natürlichen GEMEINSCHAFT mit ihren gewaltfreien, solidarischen Spielregeln, wie sie Jean-Jaques Rousseau beschrieb und Dichter wie Rainer Maria Rilke poetisch benannten.
Damit steht Lucia Fischer in der Tradition amerikanischer Künstlerinnen und Künstler des 20. Jahrhunderts, überschreitet aber vor allem in ihren Glasinstallationen die Grenzen jener amerikanisch dominierten Periode – aus dem Paint-Dripping von Jackson Pollock, dem lyrischen Action-Painting der Helen Frankenthaler und insbesondere dem leuchtenden, ostasiatisch-lustvollen spontanen Farbspielen von Sam Francis hat sie eine ästhetisch und stilistisch auch für sich selbst neue Herausforderung geschaffen, für die die Kunstwissenschaft und Kunstkritik noch eine treffende Bezeichnung finden muss.
Sehr deutlich wird diese Grenzüberschreitung doppelt sichtbar beim Vergleich des Gemäldes von Helen Frankenthaler „Blaue Raupe“ aus dem Jahr 1961 und den heutigen neun Glastafeln von Lucia Fischer.
Erstens: Diese Glastafeln, eigens für unsere Ausstellung hier in unserem Lapidarium des altehrwürdigen preußisch-deutschen Offiziersfriedhofs in einem mehrmonatigen spannungsgeladenen, intellektuell anstrengenden Prozess geschaffen, lassen jeden Bezug zur Figürlichkeit vermissen. Keine bewusste, gezielte, gewollte Andeutung einer Raupe, einer Frau, einer Blume, eines Himmelskörpers, wenn auch die spontan sich herausbildenden dominierenden Rundungen viel Raum zu spekulativen Assoziationen bieten.
Zweitens: das Material Glas verhindert das spontane Verschmelzen von Bildträger und aufgetragenen dünnflüssigen Farben mit überraschenden Ergebnissen für den Künstler und den Betrachter, das einen Wesenszug der Malerei Helen Frankenthalers ausmachte. Glas widersetzt sich solchen Bestrebungen, die spontan verlaufenden Farben bei Lucia Fischer liegen zum Teil unvermischt aufeinander und demonstrieren so den Prozess im Ergebnis, dem eigentlichen Anliegen der Künstlerin. Und das für uns Betrachter Spannende: herumwandernd erfühlen wir durch das Glas sozusagen den Entstehungsprozess ein zweites Mal beim Betrachten der Farbschichten in umgekehrter Richtung, fast wie die Wirkung eines mittelalterlichen Kirchenfensters.
Abschließend: Das heutige weltanschaulich-politische Engagement von Lucia Fischer, ihre aktive Suche nach Wegen und Formen, die menschlichen Beziehungen von Krieg und Gewalt zu befreien, übersteigt den Einsatz der Helen Frankenthaler und ihrer Freunde in den USA der Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts für Bürgerrechte und intellektuelle Freiheiten. So ist auch Lucia Fischers Traum zu verstehen, ihre Glastafeln vielleicht eines Tages in Berliner oder Potsdamer Kirchen zu finden, deren Gemeinden sich weltanschaulich den globalen Zielen des ewigen Friedens, der Gewaltlosigkeit und des Humanismus verpflichtet fühlen. Auf diese Art hat sich Lucia Fischer auch mit dem Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals MACHT UND PRACHT auseinandergesetzt: die Pracht der Farben gegen die Macht des Krieges – die Farben des ewigen Friedens gegen eine Zukunft des Krieges.

 

 

 

Autor: Sternberlin

Dr. phil. habil.(Philosophie und politische Wissenschaften) , inzwischen Pensionär - aktiv in Denkmalschutz und Denkmalpflege, besonders Kirchen und historische Friedhöfe in Berlin an Wochenenden - unter der Woche in unregelmäßigen Abständen engagiert in Lehrerfortbildung (Geschichte, Architektur, Literatur und Theater,Bildende Kunst)

25 Kommentare zu „Marmorstein, Eisen und … Glas“

    1. Dear friends and colleagues, we are very much interested to know how you are understand our ideas! But be sure please – all our lines and chapters are done by ourselves wiithout any assistance! No extern help is needed!

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    2. AHOJ, aus Berlin ! Wie oft nehme ich mir vor mal wieder nach Prag zu fahren – so viele Dinge kommen dazwischen – nun sogar eine pandemie! Aber im nächsten Jahr. Gut dass es Erinnerungen bildlich gibt, und dazu das gut lesbare Erklären . Kommunikation ohne Abhängigkeit von Unternehmen und bezahltem Journalismus – eine interessante und verantwortungsvolle Mischung, wenn das nötige Quentchen Humanität dabei ist. Ich weiß aus eigenem Erleben, wovon ich spreche. Vielleicht verstehst du mich noch besser, wenn du meinen BLOG zum Thema „Alte Berliner Garnisonkirche“ gelesen hast und – was ich wünsche – einen Kommentar verfasst haben wirst (www.wordpress.com/post/josias.blog/123) Gruß aus berlin dr. dieter weigert

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