anno 1848 – am 10. April. Unruhige Tage im revolutionärer Berlin. Angereist sind Kunsthändler von Rang aus Kopenhagen, London, aus Köln, Hamburg, Breslau, Leipzig, Braunschweig, anwesend die Herren Meyer und Walter aus Berlin. 56 wertvolle Stücke kommen unter den Hammer – von Hans Holbein bis Bartolomé Esteban Murillo. Eine Sammlung aus dem Nachlass des preußischen Generals Rühle von Lilienstern, verstorben vor einem Dreivierteljahr in Salzburg.
Wer war dieser General, dessen Name nicht nur den Militärhistorikern, sondern auch den Germanisten und Kunstwissenschaftlern geläufig ist, dessen Schriften auch heute noch im renommierten Wiener Karolinger Verlag herausgegeben werden (Man lasse sich nicht durch die martialisch anmutenden Titel abschrecken – „Reise mit der Armee 1809“ oder „Apologie des Krieges).
Geboren wurde er 1780 in der Prignitz, im kleinen Dörfchen Königsberg, das Gutshaus aus jener Periode steht noch, mehrfach umgebaut, eine Schule angehängt, aber doch noch erkennbar als Schmuckstück der einfachen adligen Grundbesitzerfamilie aus friderizianischen Zeiten. Der Vater schickte den 13-Jährigen in die Berliner Kadettenanstalt, dort fiel Johann Jakob Otto August durch Fleiß, Neugier, Sprachbegabung und und Zeichentalent auf. Nicht verwunderlich, waren doch zwei seiner Professoren die in der Kulturszene der königlichen Residenz hochangesehenen und später in Spitzenpositionen gelangten Karl Wilhelm Ramler (Intendant des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt) und Heinrich von Minutoli (einer der Gründungsväter der ägyptischen Sammlungen). Der begabte Jüngling erstieg schnell die ersten Sprossen der militärischen Stufenleiter, schon mit 15 Jahren ist er Fähnrich in der Potsdamer königlichen Garde. Obwohl ihm die Kriegserfahrung fehlt, ist er bald Leutnant im Regiment Nr. 5, versetzt dank seines Zeichentalents in die „Plankammer“, der topografischen Abteilung des Generalstabes.
In jenem Potsdamer Eliteregiment kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit dem Leutnant Heinrich von Kleist, beide vereint in der Ablehnung des Kadavergehorsams, der Säule der preußischen Armee, für denkende und humanistisch gesinnte Offiziere in der Periode der Aufklärung eine Schande, ein hassenswertes Überbleibsel aus den Tagen des großen Friedrich. Kleist demissioniert, Rühle von Lilienstern bleibt, aber in der Nische der Plankammer. Ihre enge Freundschaft überdauert die Jahre, überdauert den nächsten Krieg, ihr Idol wird der Stabsoffizier Christian von Massenbach, einer der politisierenden Köpfe in Preußens Militär, der den Leutnant Rühle von Lilienstern in die Gruppe der jungen Talente aufnimmt, denen er in der „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“, in der „École de génie de Potsdam“ und in einer topographischen Spezialeinheit des Generalstabes eine Sonderausbildung zukommen lässt.
Informell wird Rühle persönlicher Adjutant des Obersten von Massenbach, teilt auch dessen politische Auffassung, dass nicht das revolutionäre Frankreich, sondern die konservativen Mächte Russland, Österreich und England die strategischen Gegner Preußens seien. Der Oktober 1806 findet Rühle nun offiziell als Adjutant im Stab des Fürsten Hohenlohe, kommandiert von Massenbach, verheerend geschlagen durch die Truppen Napoleons in Thüringen. Rühle veröffentlicht als einer der Ersten einen schonungslosen Bericht über den Zusammenbruch von Armee und Staat Preußens in jenem Herbst („Bericht eines Augenzeugen …“, herausgegeben bei Cotta in Tübingen). Dem Schicksal der längeren Gefangenschaft entgangen, trifft Rühle 1807 seinen Freund Kleist in Dresden wieder und wird in die kulturpolitischen Auseinandersetzungen um die neue Ästhetik der Künstlergruppe um Caspar David Friedrich hineingezogen. Seine publizistischen Arbeiten aus diesen Jahren sind heute noch lesenswert, insbesondere zum Gemälde „Kreuz im Gebirge“. Er unterstützt Kleist bei der Herausgabe der Zeitschrift „Phoenix“, im Ringen um die Aufführung der Theaterstücke, beim Aufspüren von Geldmitteln.
Nach dem Tode Kleists und dem Ende der Napoleonischen Kriege wird Rühle zu einem der herausragenden und geschätzten höheren Offiziere im Berliner Großen Generalstab Preußens. Er initiiert die Schaffung eines eigenen lithograpischen Instituts der Armee, setzt sich leidenschaftlich für die Erhöhung der Qualität der Kartographie ein, für intensive Forschungen auf den Gebieten der Orientalistik, der Afrikanistik, der Statistik, der Wirtschaftsgeographie. So ist es nicht verwunderlich, dass der nunmehrige General Rühle von Lilienstern, Abteilungsleiter im Generalstab, im engen Kontakt zu den Freunden in Dresden, Weimar, Erfurt, Jena und im Rheinland sich auf dem Laufenden hält über neuen Tendenzen der Kunst- und Literaturszene und auch auf dem Kunstmarkt aktiv ist. (Interessierte können jenes Auktionsverzeichnis ab Mitte Oktober auf Anfrage über meine e-mail-Adresse dr.dieter.weigert@gmail.com bestellen)
Dr. Dieter Weigert, 29. September 2018
Friedhöfe sind exzellente Freiluftausstellungen von Bildhauerkunst und Memoiren
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